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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.9507#1664

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Lsite 10


,/Vott6gemeinschast"

Mittwoch. deu 21. Oktober »B«

pko 5.

„Schiffsbrände...?" sagte jemand.

Der Wasserspiegel in einem Elas stand mit
einemmal schief. Der kleine Rauchsalon der ersten
Klasse schien sich in einen Fahrstuhl verwandelt zu
haben, der rasch ins Vodenlose niedersank, um
jäb mit einem harten Ruck aufzuschlagen. Gleich
darauf setzte üas stete Ziehen jener Aufwärtsbewe-
guug ein, die das Kennzeichen einer schweren Welle

„Ja, Schiffsbrände!" rief die kleine Miß Long
und warf mit einer Bewegung von etwas gewalt-
samer Forschheit ihre platinblonden Locken aus der
Stirn. „Wie interessant... Hu! Sie müssen doch
etwas von Schiffsbränden erzählen können, Mister
Selford?"

Henry Selford war der Zweite Offizier des
Fracht- und Passagierdampfers „Neptun", der eine
der langsameren Routen zwischen Southampton
unö den südamerikanischen Häfen befuhr. Er horchte
auf die dumpfen Laute des Orkans, der an den
Tiiren und Fenstern des Salons rüttelte.

„Vrände?" sagte er zerstreut. „Lächerlich! Gibt
es bei uns nicht. Unsere erstklassigen, modernen
Löschanlagen-"

„Hoho!" unterbrach ihn der immer etwas laute
Plantagenbesitzer aus Pernambuko. „Wir reden
nicht von Jhrem alten Kasten. Wir meinen die
Vrände, die in letzter Zeit auf einigen der großen
Liner ausgebrochen sind, auf der ,/Ätlantis" zum
Veispiel..."

Selford gab sich einen Ruck. Zwölf Stunden
Dienst auf der Kommandobrllcke bei schwerem
Sturm und nun noch die außerdienftliche Aufgabe,
die nervös gewordenen Fahrgäste zu zerstreuen,
waren etwas viel. Er warf einen forschenden Vlick
durch den Salon. Von den zwanzig Reisenden der
ersten Klasse waren sieben hier versammelt: Miß
Long, der Plantagenbesitzer, ein Universitätspro-
fessor aus Rio, ein Eeschäftsreisender einer Lon-
doner Firma und drei Kaufleute, die Selford nicht
näher kannte. Die übrigen lagen seekrank in den
Kabinen.

„Schiffsbrände..." sagte er und zündete sich be-
döchtig eine Zigarette an. „Hm!"

Die Wendung im Eespräch kam eigentlich recht
gelegen. Eine Möglichkeit, die Fahrgäste abzulen-
ken, dachte er und fühlte, wie sie sich aller Augen
auf ihn richteten. Aber es war immer besser, man
ließ sich ein wenig bitten.

„Also!" sagte Miß Long ungeduldig. „Nicht so
geheimnisvoll Mister Selford. Schießen Sie los!"

„Vrennen Schifse von selbst, oder werden sie an-
gezündet?" fragte jemand treuherzig.

Selford mußte lächeln. „Das kommt darauf an".

„Ah! Wieso...? Eibt es Leute, die daran inter-
essiert.sind, Schifse anzuzünden?"

„Sicher".

„Wer zum Veispiel?" fragte der Treuherzige.

„Die Konkurrenz oder... Versicherungsschwind-
ler".

„Wie interessant!" rief Miß Long. Sie hatte
plötzlich viel Farbe verloren und sah bleich aus,
was ihr aber nicht schlecht stand. „Wissen Sie nichts
Vestimmtes, Mister Selford?"

Wieder schlug das Schiff mit einem harten Ruck
in ein Wellental auf, doch diesmal legte es sich


gleich beängstigend stark auf die Seite. Drei Kog-
nakgläser fielen um und entleerten ihren Inhalt
auf den Boden, aber niemand achtete darauf.

Der Zweite Offizier zuckte vielsagend die Achseln.
„Es gibt da eine seltsame Sache, über die in der
Oefsentlichkeit nichts bekannt ist", sagte er langsam.

„Und die wäre?" fragte ein Vorlauter.

Selford sog nachdenklich an seiner Zigarette und
stietz dann den Rauch wie mit einem plötzlichen
Entschluß in einer dicken Wolke aus. „Man redet
llber solche Dinge nicht gern, weil sie nicht völlig
verbürgt sind", sagte er zögernd. „Aber es ist eine
in Schiffskreisen allgemein bekannte Tatsache, daß
bei den Vränden, die vor einiger Zeit in kurzen
Abständen auf drei großen Passagierdampfern aus-
brachen, jedesmal eine halbe Stunde vor Ausbruch
der Katastrophe ein Mann gesehen wurde, der auf
dem Schisf unbekannt war. Dieser Mann wird
llbereinstimmend als groß und ausfallend schlank gs-
schildert. Seine besonderen Kennzeichen sollen
brennrotes Haar und eine Narbe auf der rechten
Wange sein-"

Selford verstummte und blickte bestürzt auf den
Kreis seiner Zuhörer. Die Gesichtsfarbe der Passa-
giere hatte sich im Laufe seiner Erzählung ausfal-
lend verändert. Miß Long war fast gelb geworden
und starrte ihn aus Augen an, die tief in ihre
Höhlen gesunken zu sein schienen. Der Plantagen-

besitzer sah plötzlich käsig aus, und auch die ande-
ren waren merkwürdig bleich geworden.

„Sollte es sich vielleicht um einen Agenten gehan-
delt haben?" fragte der Professor, ehe Selsord
seiner Verwunderung Ausdruck geben konnte. Er
war ebenso bleich wie die anderen, seine Augen
hatten einen fiebrigen Glanz, er schien von seinem
Zustand nichts zu merken".

„Es ist anzunehmen".

Der Professor schiittelte nachdenklich den Kopf.
„Uebrigens, was haben Sie für eine geheimnisvolle
Ladung im Vorschiff?" fragte er da unvermittelt.
„Es sind Kisten von so merkwürdiger Form, und
die Matrosen lassen einen überhaupt nicht in die
Nähe des Buges kommen".

„Das...?" sagte Selford. „Ach, das ist das
Pho 5".

Was war das nur? Wie hatte er sich so ver-
raten können! Es hatte doch strengen Befehl, übsr
die Ladung keme Auskunft zu geben. Wie hat er
es nur vergessen können? Kalte Schweitztropfen
standen plötzlich auf seiner Stirn. Er griff nach
seinem Taschentuch und bemerkte zu seinem Erstau-
nen, datz seine Hände zitterten.

„Pho S?" fragte der Professor erstaunt. „Was ist
Pho S eigentlich?"

„Ja, was ist Pho 5 eigentlich?" gab Selford zer-
streut zurück und griff sich an den Kopf: was war

^ne^olen «»ul L^e^ntttten

IVlusilc un6 Uokomotivsn

Der bedeutende böhmische Komponist Dvorak
hatte eine leidenschaftliche Liebe zum Eisenbahn-
wesen. Er konnte sich stundenlang am Tage auf
den Bahnhöfen herumtreiben, um ganz genau den
Vetrieb zu beobachten. Er kannte jede einzelne
Lokomotive und jeden Wagentyp und hatte ein
persönliches Verhältnis zu lhnen.

Besonders böse wurde er, wrnn seine Leiden-
schast zu den Lokomotiven bei Freunden nicht auf
die gleiche Gegenliebe stieß. Einst machte der
Bräutigam seiner Tochter eine Reise nach Wien.
Er hatte nach seiner Rückkehr kaum das Zimmer
betreten, da fragte ihn Dvorak schon: „Mit wel-
chrr Lokomotive bist du denn gefahren?" Der
Schwiegersohn stutzte, und sagte: „Das weiß ich
nicht. Jch habe mir die Nummer der Lokomotive
nicku angesehen." Dvorak brummte ärgerlich und
meinte: „Was hat denn die ganze Reise für einen
Zwcck gehabt?"

Vei der näckckten Fahrt wollte der Schwieger-
sohn seinem Schwiegervater eine besondere Freude
beieiten. Er notierte sich die Nummer der Loko-
motive, die seinen Zug zog, auf die Manschette.
llnd als sein Schwiegervater wieder fragte: „Na,
weißt du diesmal, wie die Nummer deiner Loko-
motive lautete?", rief er nach einem Vlick aus die
Manschette freudestrahlend: „346!" Aber auch
diesmal war der gestrenge Schwiegervater keines-
wegs begeistert. Er schüttelte den Kopf und sagte:
„Was, 346? Du dist doch ein unverbesserlicher
Trottel. 346 ist ja gar keine Lokomotive — das
ist ja ein Tender!"

gsnr kofgsmsü

Der Wiener Walzerkomponist Lanner, der
grotze Eegenspieler von Iohann Strautz, war in
seinem Privatl.ben ein recht treuherziger und
reichlich burschikoser Mensch. Er konnte sich jeden-
falls nur schwer an die Sitten der Hofgesellschaft
gewöhnen, vor der er doch so oft aufspielen mutzte.
Eines Tages trat bei einem Hofball die Erzherzo-
gin Sophie aus Lanner zu und sagte nach einem
seurig gespielten Walzer zu dem Meister: „Jetzt
haben Sie sich aber ordentlich abgemübt!"

Lanner, der eben beschäftigt war, sich mit dem
Taschentuch den Schw iß auf der Stirne abzutrock-
nen, erwiderte im gemütlichsten Wienerisch: „No,
i glaub's, Kaiserliche Hoheit." Dann schlug er
den Frack zurück und meinte: „Da schaun S' her,
wie i schwitz."

Der Kapellmeister wurde zur Strafe für diese
allzu große Eemütlichkeit darauf für längere Zeit
aus scinem Amt enthoben.

clnsn Sseksei' Vsrstsn6!"

Fritz hatte in der Schule einen neuen Lehrer
bekommen. Aber der war recht verzweifelt
über den Bildungsgrad seiner Zöglinge. Eines
Tages, als Fritz wieder einmal in einem Satz drei
grobe grammatikalische Fehler macht, ruft er ver-
zweiselt: „Fritz, lauf in die Apotheke und hol' dir
für einen Sechser Verstand!"

Fritz wischt vergnllgt zur Türe hinaus. Aber
dann wendct er sich plötzlich noch einmal zurück,
und fragt, die Hand auf der Klinke: „Soll ich
>agen, datz es für den Herrn Lehrer ist?"

Pho 8 wirklich? Pho 5 — Pho 5 — Pho 5 roll"
ein rasendes Band in seinem Hirn ab. Was w»
das nur? Zum Teusel. er hatte es doch gewutzt..-

Selsord wich vem Blick des Profesfors aus, und
plötzlich legte fich etwas um seine Brust, wie e»
schwere, erstickende Eisenklammer. Jn dem 2ehn1lu
hinter dem Profesior, der eben noch leer geEp
war, saß jemand. Es war ein großer, ausfau .
schlanker Mann mit roten Haaren und einer N<»"
auf der rechten Wange.

Selford wollte sich erheben, aber es ging nich^
Seine Elieder versagten. Mechanisch. wie er es '
ausregenden Lagen gewöhnlich tat, zog er >e
Dose uwd entnahm ihr eine Zigarette, er wuv
selbft nicht, warum.

Jn diesem Augenblick bewegte sich der
haarige in seinem Stuhle. „Feuer?" fragte er ni.
einer dünnen, schneidenden Stimme.

Niemand schien ihn zu bemerken. Der Pro>?st^
saß mit einem grübelnden Ausdruck da, als daw
er krampfhaft darüber nach, was Pho 8 sei. T
Plantagenbefltzer aus Pernambuko machte eme A
wegung, als wollte er sich erheben, sank aber, a
hätte er es <'ck> anders überlegt, wieder auf se>u ^
Sitz zurllck. Miß Long halte den Kopf auf den Tüaj
gelegt und schien zu schlafen. Die anderen lag
ausgestreckt in ihren Stühlen, den Kopf au
Rückenlehne gestützt. Offenbar hatte sie schlietzu°'
doch die Seekrankheit übermannt.

„Danke", sagte Selford verstört und mit MüP>
denn die Eisenklammer schloß sich immer sester u>
seine Brust. „Nicht Feuer... nein!"

Der Rothaarige schien nicht auf ihn W höreh'
Er erhob sich und kam auf Selford zu. Er hatte e
Streichholz in der Hand und machte Anstalten,
zu entzünden.

Selford wollte abwehren, aber das Wiirgen
seiner Kehle war so stark geworden, daß er kelw
Ton hervorbrachte.

Da machte der Rothaarige eine Bewegung, dün"
bleckte eine rote Flamme empor.

Mit letzter Kraft sprang Selford auf. 2ch st'
ben Auqenblick fllhlte er einen Schlag und fiel 4
Voden. Dann legten sich zwei Hände um sernen H»
und würgten, würgten...

Verzweifelt schlug Selford um sich. Zweimal
lang es ihm, der tödlichen Umklammerung zu c»
kommen. Jmmer sich am Boden wälzend, näherte
stch der Tür. Mit einer übermenschlichen Kr?M'r
strengung riß er stch los und sprang auf Mit o
linken Hand erreichte er die Klinke und druckte >
nieder. 2n diesem Augenblick preßte ihn erne uve
menschliche Eewalt zu Boden. Wieder legte sich
Würgen um seinen Hals, so stark, daß er sich
mehr rühren lonnte.

„Luft!" keuchte er. ,»uft! Lust! Luft!"

Dann wurde es schwarz um ihn.

Als Selford wieder die Augen Zffnete, sah,.^
in das Eesicht des Schiffsarztes, der stch iiber m
beugte. ....

„Fatale Sache, das neue geruchlose Pho 8. was-
bemerkte der Arzt in seiner gleichgültigen
„Zwei Phosgenbehälter der Ladung für Südaw.
rika sind infolge Veschädigung durch den ,
ausgeblasen, und eine Gaswolke hat sich m
Rauchsalon verschlagen. Wenn es Ihnen nicht 8
glückt wäre, die Tür zu erreichen, hätte ich keiw
Pfifferling für Jhr Leben gegeben... so av
haben wir Sie und die sieben Pasiagiere wiev

Oer kuf oom andem läfer

-

26. Fortsetzung

„Ich das lernen?" Das Mädchen lachte hell auf.
„Ach, gnädige Frau, da kennen Sie mich schlecht.
Jn der ersten Stunde verginge ich vor llngeduld,
und es kostet ja viel zu viel Zeit, die ich meinem
Tennis entziehen müßte. Nein, das würde Klaus
nie wollen."

Nun lachte auch Maria.

„Kommt Zeit, kommt Rat, Fräulein Sibylle.
Sie reden da so sicher. Aber warten Sie nur ab,
es kommt stcher mal die Zeit, wo Sie mit den
Dingen haushalten müssen."

Das Mädchen schüttelte energisch den Kopf.

„Knöpfe annähen, ja; das kann auch Klaus.
Aber die mühselige Stopferei und Flickerei stiehlt
dem Sport zu viel kostbare Zeit, der Sport ist doch
wahrhaftig wichtiger. Lieber beizeiten etwas Neues
kaufen."

Maria entgegnete nichts mehr.

Jst so die Jugend von heute, grübelte ste, und
wohin soll das führen? Oder ist Sibylle ein We-
sen besonderer Art und nur durch ihre Ausnah-
mestellung als Spitzenspielerin so geworden?

Sie hat doch Herz, packt zu, wo es nottut, das
hat sie heute morgen bewiesen. Sie wird noch ler-
nen müssen, sonst täte mir der Verlobte wirklich
leid.

Sie sann schweigend weiter. Vin ich denn so alt,
dachte sie erschrocken, so weit von der Iugend ent-
fernt, daß ich mich in Sibylles Art nicht mehr zu-
rechtfinde?

Ich habe doch immer gemeint, ich selber sei noch
jung, stünde mitten drin.

Auch das Mädchen schien jetzt nicht mehr den
Wunsch zu haben, die Unterhaltung weiter fort-
zufllhren. Sie hatte wiederum kein Auge sür die
Landschaft, summte den langen, steilansteigenden
Weg mit Ausdauer allerneueste Schlager vor stch
hi.i.

Jhre Art reizte Maria von neuem.

Aber am Doktorhaus fragte sie, als Maria ihr,
sroh, stch zurückziehen zu können, die Hand gab:

„Ich wollte die Wäsche so schrecklich gern für
Klaus heute n.itnehmen. Die Schwester jagte, er

sei ein bißchen im Druck. Oder meinen Sie, ich
ließe sie besser erst waschen?"

Nun mußte Maria doch wieder versöhnt lachen.

„Natürlich erst waschen lassen, kleines Schäf-
chen. Und Namen hineinnähen!"

„Na, Sie werden stcher recht haben. An die Na-
men hatte ich überhaupt nicht gedacht. Jch will
mal sehen, ob die Waschküche und die Nähstube mir
die Eeschichte doch noch bis heute nachmittag fer-
tigmachen können. "

Sie nahm sich kaum Zeit, Marias Hand zu küs-
sen, raste mit Niesenschritten über die Terrassen hin
zu weiter entfernt liegenden Eebäuden, die, wie
Maria schon wußte, die Wirtschaftsbetriebe enthiel-
ten.

„Nanu, wo bleibt denn meine Tochter?" wun-
derte sich Vruck später, als Sibylle zum Veginn des
Mittagessens nicht da war, „sie ist als Sportmädel
sonst an Pünktlichkeit gewöhnt."

Er wartete fünf Minuten, ließ ungeduldig be-
tont den Deckel seiner llhr springen und zuklappen,
eine steile Falte erschien auf seiner Stirn.

„Unerhört von dem Mädel!"

Dann ging er mit seinem East hinüber in den
Speisesaal des Haldenhofs.

Man war schon beim Fisch, als Sibylle erhitzr
eintrat.

„Jch habe schnell noch die Monogramme für
Klaus in Badenweiler geholt", flüsterte ste Maria
zu, als man nach Tisch im Doktorhaus einen Au-
genblick gemütlich in der Halle saß. „Zch kriege die
Wäsche bis heute nachmittag fertig zurück."

Maria überlegte: fünf Kilometer in der kur-
zen Zeit, ste muß bei der Mittagshitze einen tüch-
tigen Trab gelaufen sein.

Bruck aber schalt heftig auf die Tochter ein.

„Du hast rechtzeitig zu erscheinen. Wenn wir
von den Patienten PLnktlichkeit bei Tisch verlan-
gen, mllsjen wir zuallererst diese Forderungen er-
fiillen."

Sibylle warf den Kopf hoch, wollte trotzig etwas
erwidern. Aber Maria legte die Hand auf Brucks
A'm.

„Lassen Sie sie heute, gestrenger Chefarzt. Frau-

lein Sibylle ist das gute Herz durchgegangen, es
wird nicht wieder vorkommen."

„Herz?" Vruck streifte die Tochter mit halbem
Vlick, lächelte ironisch.

„Auf die Diagnose nehme ich kein Eift. Hat
meine Sibylle überhaupt ein Herz im landläufigen
Sinn? Ich glaube, bei ihr ist es nur in seiner
anatomischen Vedeutung da."

Sibylle stampfte mit dem Fuß auf.

„Ganz recht, Vater. Das Herz ist nur ein
Muskel. Frau zur Linden hat eine viel zu gute
Mcinung von mir."

Sie ging, warf die Tür unsanft hinter sich zu.
Bruck sah ihr erstaunt und ein wenig ratlos nach.

„Vorsicht, Herr Bruck, man darf bei solch cinem
jungen Mädel nicht gleich mit Bärensäustcn zu-
tappen."

Und Maria erzählte die Einkaufsgeschichte vom
Vormittag. Bruck Hörte sehr nachdenklich zu.

XII.

Der Iuli dieses Zahres war gleichmäßig hsi-
ter und warm, ohne allzu heiß zu sein, und diese
Zuverlässigkeit des Wstters kam d?n Arbeiten der
Rheinregulierung außerordentlich zustatten. Das
Werk wurde tatkräftig gesördert, die Schaffenslust
der Ingenieure und Arbeiter auf gutcr Höhe ge-
yairen, oie vrimmung onev rm grogen ganzen
vorzüglich. Es schuftet stch leichter trocken mit
nacktem Oberkörper unter einem hellen, freund-
lichen Himmel, zumal wenn man weiß, daß man
am Feierabend Schweiß und Staub abspülen kann
in eincm Schwimmbad daß man dann Mensch
lein darf mit Fußballspiel und Waldwanderungen.
Es schuftet sich so bestimmt leichter, als ewig
durchnäßt unter einem Regenhimmel im tiefgrün-
digen unwegsamen Dreck zu stehen.

Nein, der Iuli dieses Iahres erwies stch als
geradezu erstklasstg für den Bau, die Arbeiter wa-
ren zufrieden, uno das, was die leitenden Jnge-
nieure mit wachsender Sorge, ja, Unmut erfüllte,
daß nämlich der Chef so selten, manchmal acht Tage
lang nicht im Lager zu sehen war, tat der allge-
meinen guten Laune durchaus keinen Abbruch.

Kein Mensch wußte, wo zur Linden während
dieser Zeit steckte, und Annemarie Schrader, die ihn
immer begleiten mußte, schwieg beharrlich.

Wenn der Ches aber wirklich kam, suhr er da-
her wie ein böses Wetter, tadelte, war unzufris-
den, ungeduldig, hetzte, tobte, verließ nach wenigsn
Stunden, bestenfalls kurzen Tagen wieder die Bau-
stelle. Alle atmeten dann befreit auf.

Er hat das Interefj« ru üer Arbeit verloren,

er betrachtet sie nur noch als lästige Pflicht, wokst
soll das führen, dachte Oberingenieur Lennartz >vs,
genvoll. Aber er hatte keinerlei Macht über °e
Chef.

Älso: seine Pflicht tun bis zum Lußersten,

da§

war das einzige, was man zur Linden entgege"
stellen konnte.

Jn diesem Zustand der Dinge fiel es nur >?-
nigen auf, daß der junge Frank finster umherliev
nach wie vor jeden Abend nach Trier fuhr, st"! g
übelbeleumdeten Tanzlokalen herumtrieb, erst
dem Morgengrauen zurückkehrte, müde, schlsis^,
und mißgelaunt seinen Dienst tat. Er hatte de-^
halb mehrere Zusammenstöße mit Lennartz geh^
und scharfe Verweise einstecken müssen. §

Nein, es stand durchaus nicht zum besten um
jungen Frank, und er hatte allen guten Erund, ° j.
liebevoll besorgten Briefe seiner Mutter, die tr ^
seines Schweigens allwöchentlich kamen, nicht °
beantworten. .

Er litt um Annemarie Schrader. Aber in ei»
noch knabenhaft unreifen Art, die ihm verweh»,
sein Schicksal mannhaft zu meistern oder zu "
dulden.

Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Annemarie ^
erringen. Aber er vermochte noch nicht den richtE
Weg zu finden. ...

Dieser gleiche Juli, der dem RheinregulieruUg-,
werk so förderlich war, lag mit strahlender
sommerpracht auch über dem Markgräfler Land-
Die Rosen dufteten, in den Bauerngärten
ten die Feuerlilien. Alles war schwere, gesättis
Erfüllung. m

Peter Vruck war glücklich, glücklich nichl
einem lauten, nach außen gerichteten Sinn! u< .
er war von innen her durchdrungen von der klar
Ruhe seiner nun endlich gestillten Sehnsucht, >j,
wie linde Mutterhand alle llnrast, Friedlosigt?,,
Vereinsamung wegschob. Nach mehr vcrlangte
noch nicht.

Maria war eines andern Frau. Sie war "
kommen und schenkte ihm nun ihre Eegenwart, ? >
bedeutete höchstes Maß dessen, was das Sch>u>
ihm zu geben hatte. . ^

Auch Maria war glücklich, glücklich im S'U §
stiller Eeborgenheit. Die Eüte des Menschen ney. ^
ihr, seine Fürsorge, seine Bereitschaft, die Art,
er Resonanzboden war für alles, was sie stl^.
bewegte, wie er miterleben, mitfiihlen, mitsch>u^,
gen konnte, Kamerad, Bruder war, das tat w° >
wärmte, schlug einen schützenden Mantel um sie,
dem alles Böse, Häßliche, Trübe abprallte.

Fartsetzung foi-p
 
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