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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.9507#2098

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8»Its 4

„Nolrsgemelnsckmst^

Samsiag. de» Lt. November

XIV.

668pk-l'80M^6

vis 6s8eKlLllt6 6IN68 Vsg3bun66nl<>ll668 3U8 66M V/oIgAl3n66 von l-s^I-MÄMI ^ung

Ich begann mechanisch zu schwimmen, hatte
keine Ahnung, wo wir waren und erreichte schon
bald festen Bodsn. Jch zitterte an allen Gliedern
und aus der Wunde am Oberarm strömte das
Blut von neuem. Die Narbe war durch den Auf-
prall wahrscheinlich geplatzt.

Ich schüttelte mich wie ein Hund, wischte mir
durch die Augen, die voll Schlamm und Schmutz
rvaren und sah mich dann um. Jch stand mutter-
seelenallein am Rande eines Dorfteiches. Etwa
50 Meter weiter mutzte der Zug entgleist sein. Ich
hörte wilde Schreie. Schüsse krachten, und ir-
gendwo fauchte noch die Lokomotive. Jch lief auf
die Unglücksstätte zu und sah, datz der Zug gegen
ein künstliches Hindernis gerannt war. Eine
Wand von schweren Steinblöcken und abgeschlage-
nen Bäumen türmte sich auf und die Lokomotive
war buchstäblich daran emporgsklettert. Sie stand
nun auf dem Kopf. Rechts und links lagen Ver-
wahrloste in den Trümmern eingekeilt und
schrien entsetzlich. Das kochende Wasser aus dem
zertrümmerten Dampfkessel lief Lber sie. Jn ihrer
Todesnot rissen sie an den eingeklemmten Glie-
dern, zelrten sich Hände und Fütze aussinander
und rannten blutüberströmt davon, um nach we-
nigen Schritten ohnmächtig zusammenzubrechen.

Einige Meter davon entfernt standen Rotgar-
disten. Sie hatten wahrscheinlich auf höheren Ve-
fehl die Hindernisse ausgetürmt, um den Zug zum
Halten zu bringen. Mit zynischem Lächeln sahen
sie sich die Schreckensbilder an. Wenn einer der
Schwerverletzten weiter als fünf Meter kam und
nicht gleich zusammenbrach, krachte ein Schutz, und
gelassen stellte der Schütze das Eewehr wieder ne-
ben sich. Es war niemand in der Nähe. Hilfe
war nicht beabsichtigt, obwohl nur die Hälfte der
Verunglückten aus Verwahrlosten bsstand und die
andere Hälfte aus Reisenden, die im Zug geblie-
ben waren, weil sie keine Eelegenheit gehabt hat-
ten, auszusteigen und dem Ilnglück zu entgehen.

Hier offenbarte sich die Einstellung der Sow-
jets zu dem einzelnen Menschen. Was hier in
Todesnot schrie und sich in Schmerzen wand, waren
ausschlietzlich Proletarier. Die Bonzen und rei-
chen Ausländer fuhren nicht mit einem solchen
Zug. Die reisten mit dem Schnellzug oder mit
Cook. Man hatte eben telegraphiert, datz der Zug
ausschlietzlich mit Verwahrlosten besetzt sei. Eine
willkommenc Eelegenheit, wieder ein paar hun-
dert von dieser Sorte in die Ewigkeit zu beför-
dern. Dah autzerdem noch 50 Prozent Reisende da-
bei waren, mutzte als persönliches Pech angesehen
werden. Was hatten sie auch zu reisen? Konn-
ten sie nicht zu Hause bleiben?

Der Anprall war so heftig gewesen, datz sich
die schwachen Holzwaggons wie Streichholzschach-
teln ineinander geschoben hatten. Splitter und
Späne lagen hausenweise herum. Wie Dolche
hatten sie sich in die KLrper der Reisenden ge-
bohrt und sie zerfleischt. Die Nachricht von dem
Zusammenstotz war inzwischen bis in den Ort ge-
drungen. Die Bewohner kamen herbeigelaufen.
Sie nahmen sich der verunglückten Reisenden an.

Um die Verwahrlosten kümmerten sie sich nicht.
Wahrscheinlich hatten die Posten ihnen das aus-
drücklich verboten. Es dauerte eine geraume
Stunde, ehe die Reisenden gsborgen waren.

Jch suchte derweile nach meinen Kumpanen.
Alexei hatte sich den rechten Arm beim Sturz vom
Dach verstaucht. Grischa und Petrow waren schwer
verletzt. Sie schrien in einem fort. Wahrschein-
lich waren sie innerlich schwer verletzt. Autzerdem
hatten sie beide Veine gebrochen. Ich hielt mir
die Ohren zu, so gellte mir das Schmerzensgeschrei
der Verunglückten in den Ohren. Alexei und ich
sahen uns an. Wir fertigten aus Brettern und
zersplitterten Hölzern eine Bahre an, um die bsi-
den Kumpane ins Dorf zu tragen. Aber als wir
aus dem Bereich der Unglücksstätte heraus wollten,
stellte sich uns ein Posten breitbeinig in den Weg.
Alexei suhr ihm an die Kehle. Die Vüchse des
Soldaten entlud sich, und im Nu waren wir von
vier Rotgardisten umringt, die uns zu Boden
warfen und an Händen und Fützen fesselten. Wie
ein paar Lumpenbündel warfen sie uns in eine
Ecke. Dann gingen sie wieder davon. Petrow
und Grischa hatten ste auf der Bahre liegen lassen,
ohne sich um ste kümmern.


So endete das Attentat auf den Zug nach dem
Schwarzen Meer. Noch während des Vrandes
wurden Alexei und ich abtransportiert. Auher
uns noch fünfzehn Burschen, die so geringe Ver-
letzungen hatten, datz sie gehen konnten. Die an-
deren mutzten zurückbleiben und verbrannten elen-
dig auf dem Scheiterhaufen. Wahrlich, eine Eisen-
bartkur. Dr. Eisenbart in der Person eines Rot-
aardisten stellte stch vor das Flammenmeer und
lietz alles antreten, was irgendwie laufen und
springen konnte. Da erhob sich mancher Schwer-
verletzte mit letzter Kraft auf blutigem Bein-
stumpf und humpelte uns nach, um nicht zu ver-
brennen. llnsere Beine hatten ste von den Fes-
seln befreit, aber unsere Arme blieben umwickelt.
Wir dachten natllrlich gleich an Flucht, Alexei und
ich, die einzigen Ueberlebenden unserer Horde. Jch
konnte nicht glauben, datz der eine oder andere
den Rotgardisten entwischt sein sollte. Dafür war
die Aufsicht zu streng gewesen.

Von den Verletzten brach unterwegs einer nach
dem anderen zusammen, die sich mit letzter Kraft
emporgerafft Hatten. Was wurde aus ihnen?
Einer unserer Henkcrskncchte blieb einmal ein
Stück zurück. Umsehen durften wir uns nicht. Aber
als wir die Schüsse knallen hörten, da wutzten wir,
datz das Eericht schon beendet war, ehe es über«
haupt angefangen hatte. Nun, sie starben eines
leichten Todes im Eegensatz zu den Kumpanen, die
auf dem Scheiterhaufen geblieben waren.

Wir wurden im Dorf in einen Stall gesperrt,
in dem noch vor Wochen das Vieh gestanden hatte.
Nun war das Vieh abgeschlachtet und der Stall
ftand leer. Wir waren die Nachfolger von Ochsen

Die letzten Reisenden mochten geborgen sein,
da sah ich vorn an der Lokomotive eine Stich-
flamme emporschlagen. Ein Gestank stieg zum
Himmel empor und ich sagte entsetzt zu Alexei:
„Sie haben den Aug mit Petroleum begossen und
stecken ihn an." Und alles, was in der Nähe war,
Tote, Leichtverletzte, Schwerverletzte, alle, die sich
nicht hslfen konnten, verbrannten mit. Steis und
stur standen die Pdsten in der Nähe, rauchten ihre
Zigaretten weiter und sahen grinsend in die Flam-
men. Es war die leichteste und einfachste Art, die
Spuren dieser Kataftrophe aus dem Weg zu räu-
men. Das bitzchen Blech und Eisrn, das von den
Trümmern übrig bleiben sollte, würde man zu-
sammenfegen und beiseite räumen. Dann war für
den nächsten Zug Platz, der in einigen Stunden
vorüberbrausen mutzte. Die Jnsassen wllrden viel-
leicht noch nicht einmal mehr etwas von der Tra-
gödie gewahr, die sich hier abgespielt hatte. Die
Zsitungen durften es ja nicht bringen. Und im
übrigen war Rutzland weit, und Väterchen Sta-
iin satz in Moskau. llm so unbedeutende Bege-
benheiten pflegte er sich nicht zu kümmern . . . .

- MMen

und KLHen. Ob wir auch ihr Schicksal teilen
mutzten? Der Mist war noch frisch. Niemand
hatte in der Zwischenzeit den Stall gesäubert. Die
Mitgefangenen waren nicht gefesselt worden. Wir
beide galten als besonders hartnäckige Sünder,
und unsere Strafe würde besonders schwer werden.
Weshalb hatten ste uns nicht gleich erschossen?
Wir suchten vergeblich nach einem Grund.

Meine Wunde begann zu eitern. Jch hatte
nicht einmal die Möglichkeit, sie auszudrücken oder
zu verbinden. Wenn wir hier nicht bald heraus-
kamen, würde mich das Wundfieber packen, und ich
sah mich im Eeiste schon als Nachfolger Aljoschas.
Wir hatten hier die Wahl, uns in den feuchten
Mist zu setzen oder an der Wand stehen zu blei-
ben. Jn beiden Fällen wurden wir vom llngezie-
ser überfallen und gepeinigt, das sich zu unserm
eigenen gesellte.

Der Tag ging zur Neige. Die Nacht kam
Heran. Niemand kümmerte sich um uns. Jch
dachte an die vergessenen Gesängnisse, die man
erst öffnet, wenn die Eefangenen verfault und
vermodert stnd. Sollte das auch unser Schicksal
sein? Fürchterlich, daran zu denken. Mein Magen
brannte wie Feuer, und die Zunge lag geschwollen
im Mund, solange hatte ich keinen Tropfen Flüs-
sigkeit mehr zu mir genommen. Ein Wunder, dah
wir überhaupt noch am Leben waren. Hätten sie
doch kurzen Prozetz mit uns gemacht wie mit den
Schwerverletzten, die am Weae liegen geblieben
waren. Zum ersten Male seit Aljoschas Tode über-
kam mich eine Lebensunlust. Alexei sprach kein
Wort. Ob es ihm Lynlich erging? Oder ob er

kromsn von I-i. O. Wuttig


8. Fortsetzung

In der Baracke erwartet ihn Franz. Aber auch
die anderen stehen um den grotzen Tisch herum.
Der Schachtmeister ist da, der morgen früh die
erste Schicht führen wird. Die Einteilungen wer-
den kurz besprochen. Jede Schicht arbeitet in drei
Kolonnen zu je dreitzig Mann, und Franz bleibt
mit Werner in einer Eruppe zusammen. Am
Abend wird das Werkzeug ausgegeben, dann heiht
es morgen früh um fünf Uhr aufstehen, denn um
halb sechs Uhr beginnt die Arbeit. Für heute
haben ste aber alle noch bis neun Uhr Freizeit.

Der Schachtmeister sieht sich sein Häuflein noch
rinmal an. Er kann zufrieden sein, es sind jün-
gere und ältere, aber alles kräftige, arbeitsge-
wohnte Leute. Ja zufrieden steht er auch aus! Er
ist ja sclbst froh, datz er nach langer Zeit wieder
Arbeit hat. Seit dem Oberdeichbau vor einem
dreiviertel Jahr hat er gefeiert. Er sieht auch nicht
so aus, als od er nur ein Antreider wäre. Der
packt mit an, wenn es nötig ist. Rübenach heitzt
er, Paul Rübenach. Jn Schwedt ist er zu Hause,
sein Pfeifentabak scheint allerdings auch in dieser
Eegend gewachsen zu sein. Ein tolles Kraut!

Schlietzlich ist aber alles besprochen, die Leute
vissen Bescheid, und dann sind sie für den Rest
des Tages sich selbst iiberlassen. — Einige schreiben
die ersten Briefe oder Karten nach Hause, das La-
er hat sogar schon einen eigenen Postkasten, an-
ere liegen auf den Betten oder kramen in ihren
kachen, Werner und Franz jedoch machen sich fer-
^ig zum Aufbruch.

„Wo wollt ihr denn hin?" wird ihnen nach-
zerufen.

„Ein bitzchen die Beine vertreten!", sagt Wer-
/er und dann gehen sie.

Der Weg vom Lager hinunter zum Eut ist von
v«n Aprilschauern glitschig, in grotzen Sätzen lau-
fen sie ihn hinab, in den trockenen, braunen Blät-
tern der Radewitzer Eichen rasselt der Frühlings-
wind, der Gutshof, an dem sie vorbeikommen, ist
wie ausgestorben.

Auf der Chaussee schreiten sie tüchtig aus. Die
Lonne wärmt nicht mehr recht. Scharf weht

vom Luch und Werner knöpft seine Windjacke fest
zu. Franz besitzt einen dicken Mantel, ausgefranst
und durchstotzen ist er an den Taschen und an der
Seite, aber er hält doch warm, und es finden sich
sogar noch zwei Zigaretten darin. Drei Streich-
hölzer bläst der Wind aus. Beim vierten brennen
die Elimmstengel, und es geht weiter. Nun ist
oben an der Viegung auch schon der Röselerhof zu
sehen. Franz ist lustig und schwatzt ununterbro-
chen. Aber Werner antwortet selten.

Ein merkwürdiges Eefühl ist jetzt in ihm. Er
ist ganz mit sich selbst beschäftigt, und die Eedan-
ken eilen voraus. —

Eigentlich ist sich ja keiner von den beiden über
den Sinn und den Zweck des Weges ganz klar. Es
ist ein fremder Hof und ein fremdes Mädchen,
aber Werner trägt den unbestimmten Wunsch in
sich, datz aus dem Besuch auf dem kleinen Hof an
der Chaussee etwas anderes erwachsen möge. Doch
das „Andere" nimmt in ihm keine feste Form an.
Er weitz nur, dort unten wohnt ein Mädchen und
die erste Begegnung mit ihr hat in sein Herz Ver-
wirrung und Erregung gebracht. Eine Ahnung
von Vertrautheit, von Wärme und Heimat ist in
ihm aufgestiegen. Es ist so wie damals, als er
nach Mutters Tod die Hilde traf. Aber nein —
es ist ganz anders. Ob Franz wohl etwas gemerkt
haben wird? denkt Werner.

Es scheint nicht. Autzerdem hat ja Franz den
Besuch angeregt.

„Sieh mal, das bringe ich ihr mit", sagt er
jetzt und zeigt Werner einen dicken, rotbackigen
Apfel in der Tiefe seiner Manteltasche. — Ja,
Franz und seine Aepfel! Er ist so stolz auf die
Früchte des kleinen Eartens zu Hause, und jeden
Menschen will er damit beglücken. Werner ist ge-
rührt über den Freund, ein richtiges Kind ist der
Franz, aber zugleich empfindet er einen kleinen
Schmerz. Er hat nichts für das Mädchen.

Ietzt liegt wieder das Moor in seiner ganzen
Ausdehnung vor ihnen. Die Tümpel darin blitzen
auf und die Augen der beiden Freunde wandern
die Linie der schwarzen Pfähle hinunter, die den
Perlaus dex Stratze andeuten. Die Berge von

Schienenstößen sind inzwischen noch höher gewor-
den und der Eraben am Rande der Chaussee ist
voll Bohlen und Schwellen. Da läuft Werner
plötzlich ein Stück voraus. Er hat etwas entdeckt.
Zwischen den rostigen Schienen steht ein kleiner,
seidig glänzender Strauch. Kätzchen sind es, kleine,
schimmernde Weidenkätzchen. Und als Franz zu
ihm kommt, ist schon ein bescheidener Strautz fertig.

„Nun komme ich doch nicht mit ganz leeren
Händen", denkt Werner.

Vom Hof hören ste jetzt schon das Bellen des
Hundes. Weitze Gardinen sind an den Fenstern.
Nach hinten zum Moor zu läuft ein Staketenzaun,
in dessen Einfriedung ein junges, braungeflecktes
Kalb grast.

Jetzt ist es der Franz, der auf einmal unsicher
wird.

„Was wollen wix^denn sagen?" fragt der Wer-
ner, „vielleicht lätzt uns der Alte gar nicht ins
Haus."

Doch, wie sie noch vor dem Tor einen Augen-
-blick zögern, da hören sie Motorengedonner, eine
graue Reihe von Lastwagen taucht auf der Höhe
hinter Schmölln auf. Es ist der zweite Tansport,
der die Arbeiter aus Tantow in das Lager bringt.

Bis sie vorbei sind, wollen Werner und Franz
noch warten. Auch hier singen die Leute auf den
Autos. Jetzt hat der erste Wagen die Stelle er-
reicht, an der heute morgen die Karambolage pas-
sierte. Schon ist er vorbei, Mützen schwenken und
winken, auch die beiden Freunde rufen den Wa-
gen etwas nach. Es sind die Kameraden, Schick-
salsgenossen. Brüder und Arbeiter am grotzen
Bau. Der zweite und dritte Wagen brausen her-
an, dann verebbt der Lärm, aber hinter den dei-
den Freunden knarrt plötzlich die Hoftür. Sie dre-
hen sich um, und vor ihnen steht, etwas erschrocken
und verlegen zugleich, Marie.

V.

Oben im Lager ist inzwischen alles für die Auf-
nahme der Neuen bereit. Wieder geht eine grotze
Schar, mit Koffern und Kleidersäcken bepackt, in
freudiger, oder jedenfalls erwartungsvoller Span-
nung durch das Lagertor. Jn den noch leeren Va-
racken, in denen jetzt schon das elektrische Licht
brennt, erhalten sie ihre Plätze zugewiesen. Wie-
der geht das Auspacken, das Einrichten, das Fra-
gen und Antworten los. Diese letzten hundert
Mann werden die zweite Arbeitsschicht bilden.

Eine Stunde später müsssn sie dann wie die
ersten beim Bauführer Larsen antreten. Ieden
enzelnen begrützt er mit Handschlag, und Stomps,

schon wieder auf eine Fluchtmöglichkeit sa«",
Seine Widerstandskraft war unverwüstlich. Av.
wie aus diesem elenden Loch, aus dieser Kloa.
herauskommen? Wenn wir hier länger als ^
Stunden eingesperrt satzen, dann hatten wir a»
Typhus. . ,

Zwei unserer Mitgefangenen, feingliedM
Bürschchen, einmal keine Proletarierkinder,
sterten leise miteinander. Jch konnte nicht ve
ftehen, was ste sprachen. Fortsetzung folgt.

Zer rvbuste Zrnor

Sprung in den Zuschauerraum

Kowno, 20. November
In Kowno gastierte ein Operetten-Tenor,
wegen seines lebhaften Temperaments bekanh
ist. Bei seiner letzten Vorstellung sprang er SV'
Ueberraschung des Publikums plötzlich mitten
einer Arie Lber die Rampe und landete
einem Sprung über das Orchester im Zuschaue
raum. Dort stürzte er auf einen alten Herrn p'
der stch in tiefstem Schlaf besand und nun vo
dem Künstler unsanft geweckt wurde. Der Teno
erklärte, datz er sich zu der Affekthandlung nu
deshalb habe hinreitzen lassen, weil der betrci
fende alte Herr schon den zweiten Abend sc^
Schlummerstündchen im Theater halte und
sür seine Siesta ausgerechnet das Tenor-Gastsp'
ausgesucht habe. Wenn man ein derartrg
Schlafbedürfnis habe, solle man, so meinte kn
erboste Tenor, nicht ins Theater gehen, da rna
dieses Schlafbedürfnis zu Hause viel angenehiv
und besser hefriedigen könne.

ELne Königskrone gestohlen

Lissabo«, 20. November

Jm Pantheon zu Lissabon, wo sich die port^
giesischen Königsgräber befinden. ist kürzlich v>
mit zahlreichen Juwelen geschmückte Königskron
gestohlen worden. Der Diebstahl mutz am he^
lichten Tag ausgeführt worden sein. Im Verdaw
stehen zwei Niänner und eine Frau, die wieve,
holt das Pantheon besuchten, um am Erabnw
König Carlos' und des Kronprinzen Lours Pv
lippe zu beten. Bis jetzt sind jedoch alle
mühungen der Polizei, dieses Kleeblatt, das vc
mutlich aus Ausländern besteht, zu finden, erge"
nislos verlaufen.

Tonnabend, den 21. November 1038 ^

lst-riedrich Sckleiermacher. 1788 aeS. ^
Hcinrick v. Kleist. 1811 aest.l:

Es komme die Zeit und brinae. wie sie ka»w
zum Handeln, zum Bilden und Aeutzern »c
nes Wesens mir mannigfachen Stofs.
scheue nichts; gleich gilt mir die Ordnun
nnd alles, was äuhere Bedingung ist. W»
aus der Menschen gemeinschaftlichem HN'
deln hervorgehen kann, soll alles an n«
vorüberziehen. mich regen und bewegen. » ^
von mir wieder bewegt zu werden, und '
der Art, wie ich's aufnehme und behande«
will ich immer meine Freiheit finden
iinbernd gestalten meine Eigentümlichkeit.

Schleiermacker-

Nachruhm! Was ist das für ein seltsa«>c*
Ding. das man erst genietzen kann, wenn mo
nicht mehr ist? O. über den Jrrtum. der
Menschen um zwei Leben betrügt. der >
felbst nach dem Tode noch äsft!

Heinrich von Kleist-

der Lber den Listen an einem kleinen Tisch E'
schreibt die Personalien in das grotze Lagerbn^
Die Papiere und Ausweise kommen in die Karr
thek und . . . der Nächste bitte . . . so geht es

Bei Nr. 165 ist Stomps schon angelangt. „2^
ren Namen?" fragt Larsen den nächsten. Stoinp
schreibt, ohne aufzusehen.

„Alwin Killing", sagt eine dunkle Stimme.

— Alwin? — Stomps hebt den Kopf.

„Alwin!" ruft er und beinahe fliegt das
tenfatz um, so heftig ist die Bewegung. — Tatsa^
lich, es ist Alwin. llnd für Stomps ist es, als °
er einen verlorenen Sohn wiederfindet. Brrwun
dert sieht der Bauführer Larsen die Begrütznsi"
mit an. Dann aber ist keine Zeit mehr für
vatangelegenheitcn. Ueber dreitzig Mann wart'
und müssen noch eingetragen werden. ^

„Jch komme nachher zu dir", sagt Stomps ^
Alwin, als er dessen Papiere einordnet. Etwa
befremdet sieht er zwar den lctzten Ausweis b.
Amtspolizei Schmölln dabei, aber das hat ja oU^
Zeit bis später und mit kurzem Erutz geht Alw'
wieder hinaus.

„Wer war denn der Mann vorhin?" fragt La'

sen, als nach einer Stunde der letzte Arbeiter

ab'


gefertigt und Stomps das Lagerbuch zuklappt.

„Ein armer Teufel, Herr Bauführer. Als
Lager gebaut wurde, kam er öfter herauf und h.,
nach Arbeit gefragt. Da haben wir uns ein bw
chen angefreundet."

Einen Augenblick lang hat Stomps überleü'

ob er dem Bauführer von Alwin noch mehr
zählen soll. Nein, er lätzt es. Das ist eine

Unskvrm ttsncisckukrS

(Znolljs -cui s.!>so

krüker kesi,

A"!


gelegenheit, die nur den Alwin und mich etwa
angeht, denkt er. Zu Larsen aber sagt er: ,,

„Ich freue mich, datz der Junge nun doch
gekommen ist. Wird einen tüchtigen Arbeiter ^
geben."

„So, meinen Sie? — Mir gefällt er nicht. ^ '
ich kann mich auch irren!"

Stomps will etwas erwidern, aber er wew
nicht recht, was. So schweigt er und reibt
seine Finger, die des vielen Schreibens ungewoh"-
schmerzen. (Fortsetzung folgt>
 
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