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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

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KllM

meiner Kindiieit

Von ^ugenie Zc^umann



^mei- Lekiau^pielerin

Von Rainer Schlösier

Man zittert vor der Zartheit Deines Spieles,
Du Kelch der Seele könntest uns zerbrechen!
Dann wieder hören wir Dich Herbes sprecher
Dn bist ganz Du, und doch als Eine Vieles.

Vieles, das heiht: der Inbegriff von allen
Eeliebten Menschen, dcren Herzen taugen.
Eebessert spiegelt sich die Welt in Deinen Augen.
Und so bezwingst Du, statt nur zu gefallen.

Am 1. Dezember 18Z6 wird Robert Scku--
lnanns iüngste — nock lebende — Tockter Eu-
genie Sckumann 8S Iahre alt. Wir brinaen aus
diekem Anlatz aus Eugenie Sckumanns „Er-
innerungen". die im Berlaa I. Enaelhorns
Nachf.. Stuttgart erschetnen. nachstehenden Ab-
scknttt.

Ich bin im Dezemder des Jahres 1851 als ste-
Lente von acht Eejchwistern in Düsseldorf geboren,
imd mein Vater zeigte das Ereignis der Erohmut-
ter Bargiel durch solgenden Vrief an:

„Liebe Mama!

Sie wissen schon, was es zu bedeuten hat, wenn
ich schreibe. Auch diesmal war des Himmels Schutz
über Klara und früh in der ersten Morgenstunde
eiv gesundes Kind, ein Mädchen, da. Denken Sie,
drei Stunden vorher waren wir, Klara und ich,
noch auf dem Schadowfeste, wo wir nicht gerne
fehlen wollten. Nun bin ich glücklich, dah Klara
so wohl und munter dabei ist, und recht pflegen
wollen wir sie in den nächsten Wochen.

Jhren Kindern viele herzliche Erütze, nament-
lich Woldemar für seine letzte Sendung, auf die
ich ihm noch besonders antworte.

Wir haben viel mustkalisches vor in der näch-
sten Zeit; eine Aufführung des „Elias", dann der
„Matthäuspasston" von Bach, Ende Ianuar auch
vermutlich meines Märchens „Dcr Rose Pilger-
fahrt", die ich jetzt fertig instrumentiert habe.
Bielleicht kommt Woldemar dazu her? Darüber
sprechen wir noch.

Nun seien Sie selbst herzlich gegrützt und ge-
kützt, und danken mit mir dem Himmel, datz er
unsere liebe Klara so kräftig erhalten hat. Recht
bald hoffen wir von Jhnen Nachricht zu erhalten.

Jhr Robert."

An diesen teuren Vater habe ich auch nicht die
leiseste Erinnerung! War ich doch im März 1854,
als er nach Endenich kam, erst zweieinviertel Iahr
alt. Wie oft habe ich mich bemüht, das Dunkel
der ersten Kindheitsjahre zu durchdringen — tch
dachte immer, die Eestalt, die sich gewitz manch-
mal über meine Wiege gebeugt, miisse austauchen.

Oem de? Oeut^ciien

^piectiicti ^.i^t rur yo. XViecjerlcelil' 5eine5 ^0665^965

Die Entwicklung Friedrich Lists, gestorben
am. 3V. Advember 1846, zum Begründer der von
näkionalem Eeist und politischem Wollen getrage-
nen Volkswirtschaftslehre, zum Vor-
kämpfer der deutschen Zolleinheit, des deutschen
Eisenbahnwesens und einer, freilich viel später
erst der Verwirklichung zugereiften, zugleich welt-
und nationalpolitischen deutschen
Staats- und Volkswirtschaft hängt eng
zusammen mit seiNen vielen, längeren und kürze-
ren Reisen und Aufenthalten im Auslande,
vor allem aber mit seiner Auswanderung
nach Amerika und den dort gewonnenen Ein-
drücken, Erfahrungen und Beziehungen.

Unter dem Drange, seine Ideen über den Hör-
saal hinaus wirken zu laffen, wird er, der 30jäh-
rige Profeffor der neuen Lehrkanzel sür Staats-
praxis in Tübingen, zum Konsulenten des von ihm
begründeten „Deutschen Handelsvereins", zum lei-
denschaftlichen Kämpfer für Aufhebung der Bin-
nenzölle und Zolleinheit, gegen Schreibertum und
Bürokratie, deshalb zum politischen Eefangenen
auf dem Hohenasperg und, gegen Auswanderungs-
versprechen, zum haftentlassenen Verbannten. Nach
unsteter Wanderung landet er 1825 in den Ver-
einigten Staaten. Bei erster Eelegenheit
greift er in die wirtschaftlichen Kämpfe. Pennsyl-
vaniens ein, er entdeckt auf einem Ausfluge in
die „Blauen Berge" ein Kohlenlager, bringt da-
für rasch eine Kapitalgesellschaft zusammen, baut
eine Eisenbahn, gründet Städte, gibt aber, un-
miderstehlich getrieben, seine Kenntnisse dem Va-
terlande nutzbar zu machen, alle seine amerikani-
schen Aussichten auf, um 1830 in die alte Welt zu-
rückzukehren. „Jm Hintergrunde aller meiner
Pläne liegt Deutschland", schrieb er, als er noch
nach Kohlenminen suchte und schon von einem
deutschen Eisenbahnsystem träumte.

Seine Ernennung zum amerikanischen Konsul
für Hamburg, Leipzig, Baden durch den Präsi-
denten der Vereiniglen Staaten stötzt in der Hei-
mat auf Schwierigkeiten. Von Leipzig, dann von
Paris, seit 1842 von Augsburg aus entfaltet cr
bis zu seinem tragischen Ende 1846 eine reiche
Wirksamkeit als erfolgreicher Verfechter der
Leipzig-Dresdner Eisenbahn und des
nach seinen Vorschlägen gebauten deutschen
Bahnnetzes, alsZoll- undHandels-
politiker und Streiter für die deutsche

Flagge und Seefahrt. Auch hierin, in sei-
nem feurigen „Hymnus auf die See" war er ein
Seher und Wegbereiter von Lehrgebäudcn und
politischen Forderungen, wie sie später Ratzel im
„Meer als Quelle der Völkergrötze" und der „Po-
litischen Eeographie", sein Schüler Haushofer und
die andern als FLHrer der „Eeopolitik" vertreten
haben.

Das Wort Lists, die politische Oekonomie müsse
zur Förderung der nationalen Jnteressen Deutsch-
lands Eemeingut aller werden, findet auf seine
eigenen, uns gerade heute so viel sagenden Werke
und Schriften Anwendung, nicht allein fllr jeden,
der mit Auslandsdeutschtum, Auslandskunde und
Auswanderung etwas zu tun hat, sondern fllr das
ganze deutsche Volk, dem in diesem Manne ein
weit über seine Zeit hinaus wirkender Denker,
Streiter und Erzieher geschenkt wurde.

Aber vergebens — der Schleier blieb undurch-
dringlich. Meine Eeburt war die letzte Eintra-
gung in das Eedenkbüchlein, welches er für uns
Kinder angelegt hatte, und ich hatte mich damit
abgefunden, dah sie das einzige stchtbare Zeichen
des Zusammenhanges zwischen mir und ihm sei.
Da fand ich vor kurzem in einem Brief meines
Vaters an meine Mutter vom 1. April 1855 zu
meiner unsäglichen Freude die Worte: schreibe

llber Eugenie, sie zeigte so helle Sinne." So hatte
er stch also noch während seiner Krankheit mit mir
beschäftigt, so wie er es in gesunden Tagen mit
den älteren Eeschwistern getan hatte.

Sein früher Tod warf auch auf mein Leben
schwere Schatten. Schon als Kind fühlte ich, datz
ich etwas llnersetzliches verloren hatte. Jch dachte
immer an ihn und sein Schicksal und vergotz viele
Tränen darllber. Später versuchte ich, mir eine
Vorstellung seiner Persönlichkeit zu machen; ich
vsrsuchte es mir vorzustellen, wie es überhaupt sei,
einen Vater zu haben. Aber nie wollte es mir
gelingen; alles, was ich Lber ihn hörte, machte
mir seine Eestalt nicht lebendig. Als ich dann
älter wurde, lernte ich ihn lieben durch seine
Werke. So bescheiden meine musikalische Vegabung
war, so war mir doch die Fähigkeit geworden, sei-
nen Eeist zu erfaffen, mich von ihm durchdringen
zu lassen: ich empfand tief die Leidenschaftlichkeit,
die Jnnigkeit und Reinheit seines Eemlltes, sei-
ner Seele Hochgespanntheit und den wunderbaren
Reichtum seiner Eedanken. Und da schuf ich mir
ein Bild von ihm und seinem Eeschick, wie es sich
innerlich an ihm vollzog. In einer schweren Krank-
heit sagte ich einmal zu meinem Arzt: „Es ist kein
Wunder, datz mein Vater krank wurde, in seinem
Kopfe wuchsen ja lauter Bluisten."

Auch an meine Mutter habe ich nur wenrg Er-
innerungen aus den Kinderjahren. Die erste
stammt aus der Düffeldorfer Zeit. Wir jllngeren
Kinder spielten eines Abends zusammen im Etz-
zimmer. Da fiel uns ein: Wir wollen zur Mama
hinübergehen, die gibt uns Schokolade. Dazu
muhten wir aber durch eine, nach unseren kind-
lichen Begriffen, riesengrotze Stube, hindurch, wo
an einem Ständer in der Ecke ein grotzer, gelber
Pelzmantel hing, den unser Vater auf der Reise
nach Rutzland getragen hatte. Vor diesem Pelz
fürchteten wir uns wie vor einem wilden Tiere,
und es bedurfte allen Mutes, uns daran vorbei
zu wagen. Wir fatzten uns an den Händen, rann-
ten zusammen durch den Raum und stürmten in
das Zimmer der Mama. Da satz sie bei heller
Lampe an ihrem Schrcibtisch — noch sehe ich die
schlanke Eestalt in schwarzer Samttaille und sei-
denem Rock. Wie geborgen fühlten wir uns nach
llberstandener Eefahr. Sie behielt uns ein Weil-
chen bei sich, nahm aus einer Schreibtischschublade
die ersehnte Sützigkeit und entlietz uns wieder.

Die zweite Erinnerung fällt in das Zahr 1857,
als ich fünfeinhalb Jahre alt war. Jch sehe
meine Mutter im Wasser stehen und die Arme
nach mir ausstrecken: ich werde ihr hinunterge-
reicht, und sie taucht mich in die Fluten. Das
war in Sankt Eoarshausen, und meine Mutter
hatte mich in den Wellen des Rheins gebadet, ge-
tauft fürs Leben, denn gewitz stammt von diesem
Eindruck her, unzertrennlich von der Eestalt der


Mutter, die heitze Liebe zum Rhein, die mich meiik
ganzes Leben hindurch begleitet hat.

Aus diesem Aufenthalte in Sankt Eoarshause«
erinnere ich mich noch eines Spazierganges aus die
„Loreley", aus der die uns sührende weibliche
Begleiterin in Tränen zerfloh. Ihren Kumrnek
kannte ich nicht und hätte ihn auch nicht verstan«
den, aber „Loreley" und Tränen waren sür mich
von dem Tage an unzertrennlich.

Zm Iahre 1858 oerlebten wir einige Tage irt
Eöttingen, und da erinnere ich mich meiner Mut»

kusenio 8obumann, cllo jüngste Toobtor von
ktobert unck Kisrs 8obumsnn

ter in weitzem, schwarzgeblllmtem Musselinkleid
mit breiter,, schwarzer Schärpe, in Eesellschaft der
älteren Schwestern und der Freunde BrahmS,
Erimm und Agathe Siebold AnschlagversteckenS
spielen. Sie hatte sich in dem hohen Erün eineS
Spargelfeldes verborgen. Dort aufgescheucht lies
sie, so schnell sie konnte, auf den zum Ziel erwäh^
ten Baum zu, und unvergetzlich blieb mir der
Schrecken, als sie beinahe angelangt, über ei»e
Wurzel stolperte und fiel.

Noch eine andere Erinnerung habe ich aus je^
nen Iahren, die sich nicht auf meine Mutter be«
zieht, mir aber zeitlebens so unverrückt vor mei«
nen Augen gestanden hat, datz ich nicht umhirr
kann, sie zu schildern.

Wie auf einem Bilde sehe ich im Flur eineS
Hauses in Düsseldorf eine Schar Kinder stehen!
die blicken staunend hinauf nach dem TreppeN'
geländer. Dort macht ein junger Mann die hals«
brecherischsten Turnübungen, schwingt sich voN
rechts nach links, hinauf hinab; schlietzlich stemmi
er beide Arme fest auf, streckt die Beine hoch in
die Luft und springt mit einem Satze hinunter,
mitten hinein in die bewundernde Kinderschak-
Die Kinder waren wir, ich und meine etwas älte«
ren Eeschwister, der junge Mann — JohanneS
Vrahms.

Isnk-Kttrsppon In voreitsvlisftsstolluns boi Soosren.

(Aus: „Das Buck vom beutschen Bolkstu«"
Verlag Bro.ckhaus. Leivzig.)

Sven Hedin hat auf seiner letzten ExpeditioU-
wie er in seinem, demnächst bei Vrockhaus, LeipziS'
erscheinenden neuen Vuch „Die Seidenstratze" iff
menschlich erschüternder Weise schildert, vielerlcr
Abenteuer und Eefahren für sein und seiner Ka"
meraden Leben durchgemacht. Sein schrecklichst^
Erlebnis war aber eine Folterszene in der Stam
Kantschou, Provinz Kansu. Es waren einige Miff^
täter gesangen worden, die einen reichen Mann
mordet und sein Besitztum geplündert hatten. DM
eigentlichen Verbrecher waren entkommen. Der Ma'
gistrat machte die Vestrafung dieser Leute zu einek
Neujahrsbelustigung. Der Forscher erzählt 00a
den unglaublichen Henkerkünsten, die angewanw
wurden. Wenn die Leiden ihren Höhepunkt csf
reichten, verlieren die Unglücklichen die HerrsKal
über ihre eigenen Klagelaute. Sie lachten u»"
weinten zugleich. Sie brüllten, so schreibt Soc"
Hedin, mit einem Unterton des Flehens um Ena^
in der Stimme, der Steine weich wie Wachs ffM"
chen mützte: chinesische Herzen aber kann er ni^
rühren . . . Sven Hedin schlietzt an diese Sch»^'
kensschilderung die Feststellung an, datz nur an dc'
chinesischen Küste die Folterung abgeschafft und vcl'
boten sei, während sie in Jnnerasien noch imM^
wie in alten Zeiten in Eebrauch oder vielleicht na»
schlimmer als das. Die Folterer verwenden für d^
»erschiedenen Arten ihrer durchtrieben ausgedack^
ten Folterwerkzeuge teilweise technische NaincM
wie „der Fernsprecher", „das Flugzeug" und
der Lokomotive reiten".
 
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