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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0033

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Telephon-Anschluß Nr. 82.
Kr. 8. Erstes Mt.

Politische Umschau.
Heidelberg, 10. Januar.
Das Berliner Tageblatt hatte von seinem deutsch-
freisinnigen Standpunkt aus in die Verurtheilung der in
Nordschleswig erfolgten Ausweisungen ein-
gestimmt. Ein Spezialberichterstatter, den es dann in
jene Gegenden gesandt hat, stimmt indessen einen anderen
Ton an. Er gibt zwar noch nicht ein eigenes Urtheil
ab, sondern er läßt einen „angenehmen klugen jungen
Monn", mit dem er zusammen gereist ist, und der als
Sohn eines großen Handlungshauses die Flensburger Ge-
gend und die Verhältnisse dort kennt, sprechen. Der Ge-
währsmann führte aus, daß man in der dänischen Gesell-
schaft ungenirt Geldsammlungen für dänische Propaganda
in Nordschleswig veranstaltet habe; mit diesem Gelde
würden Agenten ausgerüstet, die nach Schleswig gehen
und die Bauern gegen Baarzahlungen und unter ent-
sprechender Zusicherung der Kostenlosigkeit veranlassen, ihre
Kinder auf dänische Schulen zu schicken. Dies bestritten die
Dänen nicht. Dem Einwand, daß der preußische Staat sich
vor einer Bevölkerung von etwa 200 000 Seelen nicht
zu fürchten brauchte, sei doch wohl dahin zu begegnen,
daß Dänemark auch gar nicht mit der Gegenwart, sondern
mit der Zukunft rechnet, und daß im Falle eines für
Deutschland unglücklichen zukünftigen Krieges der Beute-
an'heil, den es sich dann mit Schleswig erhofft, schon
genügend vorbereitet sein soll. Es heiße, die Ausweisungen
hätten eine Schädigung des deutschen Handels zur Folge
gehabt; indessen noch nach den Ausweisungen habe der
Folkething in Kopenhagen 2^ Millionen Kronen für
eine Dampffähre zwischen Laaland und Warnemünde be-
willigt; dürfe man das nicht als ein, wenn auch un-
beabsichligtes Zugeständniß Dänemarks ansehen, daß es
den deutschen Handel auf die Dauer nicht entbehren
könne? Den meisten der der Ausweisung verfallenen
Opfern werde der Schleswiger noch weniger sein Mitleid
versagen als sonst Jemand im Reich, weil er diese harm-
losen, unbefangenen Menschen zum Theil kenne und wisse,
daß sie nur Verführte sind, verführt durch die dänischen
Hetzorganc. Exempel aber müßten sein, und darum sei
das Verfahren Herrn v. Köllers zwar hart und streng,
doch aber nothwendig und darum begründet. Alle
„rechten" Deutschen dächten so in Schleswig, und am
Freitag würden in Hadersleben der deutsche Radfahrer-
Verein, der Turnverein und noch viele andere Vereine
Herrn v. Köller, der dort als Gast des Landraths weilen
werde, einen Fackelzug bringen. — Nicht am Freitag, son-
dern am Sonntag, ist Herr v. Köller in Haderslcben
eingetroffen und dort in der That, soweit aus den bis
jetzt vorliegenden Nachrichten zu ersehen ist, von einer
großen Menschenmenge am Bahnhof erwartet und sehr
lebhaft begrüßt worden.
Die Berl. N. Nachr. schreiben: Ein Theil der Presse
beschäftigt sich mit den angeblichen Gesprächen, die Fürst
Bismarck mit Lothar Bücher „über Oesterreich" geführt
haben soll und die in einer in Köln erscheinenden Wochen-
schrift anonym veröffentlicht worden sind. Dieselbe Wochen-
schrift hat dem Publikum schon einmal derartige angebliche
„Gespräche" über die Sozialdemokratie geboten, von denen
wir gar kein- Notiz genommen haben. Es handelt sich
im Vorliegenden um eine mißlungene Nachahmung
der Gespräche Goethes mit Eckermann. Fürst
Bismarck war nicht der Mann, lange politische Monologe
zu halten, die in der genannten Zeitschrift ohne jede An-
gabe, wo und wann die angeblichen Gespräche stattgefunden
haben sollen, anonym und ohne jede Legitimation publizirt

* Das Romanfeuilleton findet der Leser im Heuligen
zweiten Blatt.

IV. Concert des Bach-Bereins.
xfr Heidelberg, 10. Januar.
Ein ausgesprochenes Jnstrumental-Concert, das darum etwas
einförmig hätte gerathen können, wäre es nicht nach der Zeit-
dauer weise und mäßig bemessen gewesen.
L'ötsrnsl Liszt stand an erster Stelle, was wohl so viel be-
deutet, als: „Ich bin der Fürst, dem man den Vorantritt zu
gestatten hat".
Dieses Mal nützte die Jsolirung nicht, das ganze Gefolge,
selbst St.-Sasns überragte riesenhaft diesen Fürsten.
„Hamlet" ist jedenfalls der Completirung halber vorgeführt
worden, ein künstlerisches Bedürfniß, ein Herzenswunsch lag
gewiß für diese todtkranke symphonische Dichtung nicht vor.
Man beugt sich gern und stetig vor Prof. Wolf rums unge-
heurer Schaffenskraft, man geht willig seine Bahnen, auch wenn
de nicht immer die Straßen sind, auf denen Jeder gern wandelt.
Aber diese Komposition hätte als Opfer für das Princtp dem
Publikum erspart bleiben können. Sie kann Liszt nur schade»,
eine für den sicher hochgenialen Musiker keimende Verehrung nur
ersticken.
. „Hamlet" als musikalisches Problem ist eine sich selbst richtende
Geschmacklosigkeit. Die Blässe des Gedankens in Musik umge-
'°tzt — im Grunde hat das Liszt wunderbar erreicht. Wenn
Karnlet nie zu einem Entschluß -kommen kann, so kommt dafür
?ddzt nie zu einem Einfall. Leere, hohle thematische Phrasen
Mhen sich ab, weltbewegende Monologe zu halten. Es entwickelt
'4 ein klägliches Stammeln und Stottern, das jeden Augenblick
Isi ein völlig rathloses Verstummen übergeht. Die Pauken ver-
enden ein tiefes Geheimniß, das Keiner erräth — und so und
a viel Takte schweigt der Componist bedeutungsvoll. Man findet
-si Salons solche Hamlets, die bedeutungsvoll schweigen, weil
LNeu um Gottes Willen nichts einfällt. Kein Baum, kein
Krauch in dieser Lünneburger Haide. Das fade Flötengewinsel
" Opheltaepisode markirt höchstens ein paar arme blasse Gänse-



MknstW, dkl» Iv. Januar

werden. Uebcrdem sind Redewendungen darin, wie Fürst
Bismarck sie niemals gebraucht hat. Bücher ist für ihn
bis zu dessen Lebensende stets der „Herr Geheim-
rath" geblieben, vertrauliche Wendungen wie „sehen Sie,
Bücher" entsprechen weder der Redeweise des Fürsten noch
der Form, in der er mit Lothar Bücher verkehrte. Ebenso
wenig hat der Fürst den 15 Jahre jüngeren Kaiser
Franz Josef jemals „den alten Herrn" genannt.
Sachlich möchten wir nur darauf Hinweisen, daß eine
politische Combination, in welcher England als „Allürter"
in Betracht gezogen wird, schwerlich aus dem Munde des
Fürsten Bismarck gekommen sein dürfte, der auch hin-
sichtlich der italienischen Allianz sehr skeptisch war. In
einer derartigen Anonymität kann jedermann aus den
Reichstagsreden, Briefen, Ansprachen an die Oesterreicher
in Friedrichsruh u. s. w. sich beliebige Compilationen zu-
sammenstellen und als Aeußerungen des Fürsten Bismarck
in „Gesprächsform" drucken lassen. Von den vorliegen-
den Gesprächen ist zudem noch zu bemerken, daß ihr
Inhalt zum Theil im schneidenden Gegensatz zu der be-
rühmten Reichstogsrede vom 6. Februar 1888 und auch
zu den „Gedanken und Erinnerungen" steht, sodaß man
auf diesen getrost das Wort anwenden kann, daß das Neue
nicht wahr und das Wahre nicht neu ist.
In Frankreich lebt man der Besorgniß, daß Eng-
lands Beschwerden wegen vertragswidriger Behandlung
englicher Kaufleute in Madagascar darauf Hinzielen, das
Vcrhältniß zwischen Frankreich und England noch weiter
zu trüben und schließlich einen Krieg herbeizuführen. Seit
der Faschoda-Angelegenheit ist man in Frankreich etwas
schreckhaft. Die englischen Blätter versichern indessen, daß
von einer Herausforderung Frankreichs durch England
keine Rede sei und reden Frankreich lebhaft zu einer güt-
lichen Verständigung zu. Frankreich scheint in dieser Sache
wieder einmal wie ein eigenwilliges Kind gehandelt zu
haben. Erst behandelte es die englischen Kaufleute un-
gerecht und gab auf die sachlichen englischen Reklamationen
keine Antwort. Jetzt, da England es etwas derb anfährt,
bricht es in Thränen aus und wehklagt über Verfolgung.
Mit solcher Politik kommt mau allerdings nicht weit.

Deutsches Reich
— Der Kaiser stattete am 8. ds. dem französischen
Botschafter einen Besuch ab, der eine Stunde dauerte. Am
9. wohnte der Kaiser der Trauung der Tochter des österr.
Botschafters in der Paulusktrche in Moabit an und nahm
auch an dem Hochzeitsdiner in der Botschaft theil.
— Mit dem Gesetz über den unlauteren Wett-
bewerb befaßt sich eine Eingabe des „Centralverbandes
deutscher Kaufleute" an den Bundes,rath; sie behauptet, daß
das Gesetz nicht in vollem Umfang die gewünschte Wirkung
gehabt hat. Der Verband verlangt neben der civilrccht-
lichen Verfolgung eine strafrechtliche Ahndung aller Ueber-
tretungen des Gesetzes, sowie eine Erweiterung der Grenzen
desselben. Folgende Bestimmungen wünscht der Verband
neu in das Gesetz ausgenommen zu sehen: die Verpflich-
tung, vor Beginn des Ausverkaufs ein Inventar einzu-
reichcn, das Verbot, das zum Ausverkauf bestimmte Maaren»
lager zu ergänzen oder Maaren ans fremde Rechnung mit-
zuverkaufen. die Hinzuziehung von Sachverständigen bei
Prozessen, die an unlauteren Wettbewerb sich knüpfen, und
endlich die Verpflichtung des Waarenverkäufers, die Waare
zu dem Preise zu verabfolgen, der öffentlich angegeben ist.
Bade«. Karl s ruhe, 8. Jan. Anschelnlich beeinflußt von
einer atavistisch überlieferten Vorstellung der verrotteten bürger-
lichen Gesellschaft, die bekanntlich in dem Doktorshut den Aus-
druck der akademischen und im Kardinalshut die Kennzeichnung

blümchen. Es ist nicht nur „Etwas", Alles ist faul in diesem ^
Staate Dänemark. ,, !
Wohl noch nie hat eine Composition eine so einmüthige, eisige >
Ablehnung, und mit Recht, erfahren, wie dieser Hamlet.
Das Publikum hat sich für diesen Schlummerpunsch — er i
war zum Glück so matt wie Luisens Limonade — liebenswürdig j
gerächt, indem es Haydn mit einem wahrhaft frenetischen Jubel
hoch leben ließ. Es war aber auch eine Wohlthat, aus dieser
musikalischen Krankenstube in die frische, sonnige Helle hinaus-
zutreten.
Von den Haydn'schen Symphonien gilt das bekannte Wort
bezüglich der besten Frauen, d. h. derer, über die man nichts zu
sagen weiß. Behauptet man: die S-änr-Symphonie ist eine echt
Haydn'sche Symphonie, so hat man wenig und doch Alles ge-
sagt. Auf ein völlig Mozart'sches 4.äagio ein entzückendes
Xllsgro, das folgende ^.äagio mit prächtigem Hauptthema aus-
gestaltet, ein Menuett, die Quintessenz aller Grazie und Lieblich- ^
keit, besonders im Nebensatz, erst ein langsamer Schleifer, !
ein Wiener Walzer von unvergleichlichem Zauber, schließlich !
ein 41Isgro, wie ein Springbrunnen aufschießend und in tausend
Perlen niederrieselnd.
Und reizend wurde sie unter Prof. Wolfrums Leitung
vorgeführt, die raschen Sätze geradezu brillant, wenn auch die
Geiger einmal gehörig vorschlugen. Dasselbe feine Studium war
Beethovens „Coriolan" zu Theil geworden. Prof. Wolfrum hat
die Schönheiten — ich erinnere nur an die wunderbar aus-
drucksvoll zur Geltung gebrachte Cellostelle — musterhaft heraus-

Was hat Einem das himmlische Hauptthema auf den Heim-
weg mitgegeben!
Als Solist hat ein Geiger Geloso, den man bisher nicht
einmal dem Namen nach kannte, großen, verdienten Erfolg er-
rungen. Sein Romsn ist wirklich kein Omso, gerade Wärme
und Temperament sind sein Charakteristikum- Er gehört gewiß
nicht zu jenen Künstlern, denen man absolute Korrektheit, klassische
Reinheit und Reife nachrühmen könnte, sein Temperament geht
oft mit ihm durch. Zu Beginn des Violinconcertes mag wohl
die L-Saite etwas Tücke im Herabgeheu entwickelt haben, sonst



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15 Pf. s.r die Ispaltige
Pclitzeue od deren Raum.
Für hiesig Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
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Gratis-Anschlag
derkJnserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Telephon-Anschluß Nr. 82.

1898.

einer geistlichen Würde erblickt, Hot die Offenburger Sozial-
demokratie dem Abg. Geck aus Anlaß seines doppelten Wahl-
sieges in Karlsruhe einen „Ehrenschlapphut" verliehen.
Der filzige Hauptschmuck soll wahrscheinlich die im Geiste des
sozialdemokratischen Geschmackes zur plastischen Wirklichkeit ge-
wordene Bürgerkrone umstellen und auch Geck faßt die Ehren-
gabe so auf. „Der Schlopphut", so ruft er aus, entstammt ehr-
lichen Händen und macht mir ganz besondere Freude, weil er
eine Widmung von soz -dem. und gerwerkschaftlich organistrten
Arbeitern ist. Er soll in Berlin getragen werden und mich stets
an die Pflicht erinnern, die Arbeiterschaft gegen die volksfeind-
liche, frciheitswidrige Politik der Centrnmsjunkcr und gegen die
ullramontanen Freunde der den Arbeiterstand bedrückenden Militär-
lastcn in Schutz zu nehmen."
Bayern. München, 9. Jan. Der frühere Staats-
minister und Ministerpräsident im Jahr 1870, Graf von
Bray-Steinburg, Mitglied der Kammer der Reichs-
räthe, ist heilte im Alter von 91 Jahren gestorben.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Königlich Preußischen Rittmeister von Jordan, Flügeladjn-
tanteu Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Olden-
burg, das Ritterkreuz erster Klasse des Ordens vom Zähringer
Löwen und dem Hoflakaien Anton Alm in Oldenburg die
silberne Verdienstmedaille verliehen, den Eisenbahningenieur Jo-
hann Reich old in Heidelberg, den Eisenbahnarchitekten Ernst
Holtzmann, sowie die Revisoren Karl Schneider und Martin
Egcm bei der Großh. Generaldtrektion der Staatseisenbahnen
auf t. Januar 1899 landesherrlich angestellt. — Die Ueber-
tragung der für den Bezirk der Kaiserlichen Oberpostdirektion in
Konstanz in Erledigung gekommenen Postinspektorstclle an den
Postkassirer Zech aus Berlin unter Ernennung desselben zum
Postinfpektor hat die landesherrliche Bestätigung erhallen. —
Stenerkontroleur Karl Friedrich Stengel, z. Zt. bei Großh.
Zolldirektion, wurde in gleicher Eigenschaft zum Großh. Finanz-
amt Sinsheim versetzt.
Karlsruhe, 9. Jan. Der Großherzog und die
Großherzogin nahmen gestern Vormittag an dem
Gottesdienst in der Schloßkirche theil. Später folgte«
Ihre König!. Hoheiten einer Einladung des Prinzen Karl
und seiner Gemahlin Gräfin Rhena zur Frühstückstafel.
Abends besuchten die Höchsten Herrschaften die Opern-
vorstellung im Großherzoglichen Hoftheater. Heute Abend
findet größere Hoftafel statt.

Ausland.
Oesterreich Ungar». Wien, 8. Jan. Die deutschen
Wirthe in Bodenbach-Tetschen und Umgebung haben be-
schlossen, das Bier aus der großen Brauerei deS Mi-
nisterpräsidenten Grafen Thun zu boycottiren.
Frankreich. In der Dreyfussache hat sich ein neuer
Zwischenfall ereignet: ein Senatspräsident am
Kassationshof hat sich gegen den Kassations-
hof und dessen Verfahren im Dreyfusprozeß erhoben.
Der Sachverhalt ist kurz folgender: In der nationalistischen
Presse wurde behauptet, zwischen dem Kassationsrichter
Bard und Picquart hätten Vertraulichkeiten bestanden. Als
Gewährsmann für diese Behauptung galt der Senats-
präsident beim Kassationshof Ouesnay de Beaurepaire.
Die Behauptung erwies sich als erfunden. De Beaurepaire
hat daraufhin seine Entlassung gegeben und zugleich Ent-
hüllungen angekündigt. Er sagt: Man wird endlich durch
meine unerbittlichen Enthüllungen die Panamageschichte
kennen, deren Opfer ich war. Was immer geschehen mag.
ich werde die Sache der Gerechtigkeit vertheidigen und die
Nichtigkeit des bevorstehenden Urtheils der Kriminalkammer
beweisen. Ich werde die Armee und deren Chefs rächen
für die Unbilden, die sie schweigend ertragen. Ich werde
ebensowenig wie 1870 vergessen, daß das Vaterland in
Gefahr ist. Er habe als ehemaliger Soldat (er war
Hauptmann der Franctireurs), schwer darunter ge-
litten, daß die Strafkammer des Kassationshofes sich

wären die hervortretenden Unreinheiten nicht möglich gewesen»
aber auch sonn kam cs dem Spieler nicht darauf an, gelegentlich
ein wenig daneben zu greifen. Bei Bach riß er wohl auch ein
bischen unangenehm an der S-Saite. Und doch nahm man das gern
in den Kauf für seine großen sympathischen Vorzüge. Diese sind
fein entzückend warmer, runder Ton. Das singt wie ein
glockenheller Sopran ohne Schärfe, singt mit italienischem Wohl-
klang.
St. Saöns liegt seiner französisch-italienischen Art am besten.
Ties und bedeutend ist das Concert sicherlich nicht, es geht oft
auf Mendelssohn zurück, ohne ihn zu erreichen, hat oft opern-
hafte Wendungen, aber es hat leichten Fluß, angenehme Form,
französische Grazie.
Herr Geloso hat es so spielend leicht herausgesungen, so
weich-einschmeichelnd in seinem warmblütigen Ton hervorgeholt,
daß es wie ein erfrischender Frühlingsregen niederfiel.
Dann nahm Herr Geloso in einer Bourrse (oder Gavotte?)
und in der allbekannten Chaconne Stellung zu Bach.
Deutsche spielen diesen Bach anders, peinlicher, so zu sagen,
andächtiger. Und doch möchte man fast der französischen Art den
Vorzug geben. Diese polyphonen Violinsolo-Compositionen können,
pedantisch aufgefaßt, bei aller Tiefe des großen Altmeisters, der
den Spielern seiner Zeit schon Anforderungen üu äs sisvls stellte,
zur Tortur werden. Herr Geloso färbt, modifizirt sehr stark,
läßt dynamisch Licht und Schatten sehr scharf wechseln, schiebt ein
paar eigene Nüancen unter, irrt sich auch einmal bei den ab-
steigenden Doppelgriffen gehörig, dafür kommt aber etwas un-
gemein Rassiges, Fertiges, durch den Reiz leidenschaftlicher Ein-
gebung Geadeltes heraus.
Der Beifall, der dem südlich-sonnigen Spieler zu Theil wurde,
war stürmisch. Man liebt auch in der Kunst den Heißsporn, der
Individualität hat, und zieht ihn dem glatten tadellosen Muster-
menschen vor._8.
Literarisches.
Prof. D r. H. I. Holtzmann. Richard Rothe.
Bilder aus der evang. Landeskirche im Großherzogthum Baden.
V. Evang. Verlag. Heidelberg 1899. 48 S. Preis 80 Pfg.
 
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