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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0208

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Abg. Noeren (Centr.): Der Reichstag habe bas Recht und
die Pflicht, auf die richtige Auslegung und Anwendung der von
ihm beschlossenen Gesetze einzuwirken. Damit sei aber auch die
Grenze seiner Kritik gegeben, die bei Besprechung des Löbtauer
Falles nicht innegehalten worden sei. Allerdings bestebe in weiten
Kreisen die Ansicht, daß die Strafen exorbitant seien, und daß
nicht sowohl die Angeklagten als die Sünden der ganzen sozial-
demokratischen Partei getroffen werden sollen. Redner tritt dann
für bedingte Verurtheilung ein.
Staatssekretär Dr. Nieberbing: Das Reichsjustizamt habe
sich schon seit 10 Jahren mit dieser Frage beschäftigt, noch bevor
das System in Belgien eingeführt worden war. Die Einzelstaaten
wären der Frage erst seit vier Jahren näher getreten. Man
müsse auch beachten, daß der Vorsitzende des deutschen Schöffen-
gerichts nicht auch einer derjenigen Vollstreckungsrichter sei, der
über die Zulässigkeit der bedingten Verurtheilung zu ent-
scheiden hat.
Abg. Gradnauer (Soz.): Der sächsische Bevollmächtigte
sei nicht im Stande gewesen, den Widerspruch zwischen Reichs-
gesetzgebung und dem Urtheil des Dresdener Oberlandesgerichtes
zu widerlegen. Der Löbtauer Fall habe weit über Sachsens
Grenzen hinaus Unwillen erregt. Die sächsische Rechtsprechung
sei vielfach von politischen Rücksichten beeinflußt, und zwar weil
die Scharfmacherpresse ständig Hetze. Das Urtheil sei ein Schand-
mal der Justiz.
Präsident Graf Ballestrem ruft den Redner zur Ordnung.
Staatssekretär Dr. Nieberbing: Es sei allerdings zu-
lässig, daß der Reichstag das geschriebene Gesetz auf seine Be-
deutung und Anwendung prüfe. Die Art «her, wie der Vor-
redner richterliche Entscheidungen beurtheilt und verurthcilt habe,
weise er zurück. Im Namen der verbündeten Regierungen warne
er davor, daß die Rechtsprechung vor den Reichstag als letzte In-
stanz gezogen wird. Ohne Akten und mündliche Verhandlung
kann ein Urtheil über solche Fälle immer nur falsch und einseitig
ausfallen. Unmöglich hätten die Richter in dem Löbtauer Falle,
wie man ihnen vorgeworfen, gegen ihr Gewissen geurtheilt. Er
müsse bitten, nicht weiter die öffentliche Meinung gegen richterliche
Urtheile aufzureizen, die verbündeten Regierungen würden es auch
nicht thun. (Beifall rechts.)
Abg. Frhr. v. Stumm (Reichsp.): Er habe das Urtheil im
Löbtauer Fall milde genannt, weil die Richter noch ein schärferes
hätten sprechen können. Im Uebrigen habe er als Milderungs-
grund angeführt, daß die Leute von der Sozialdemokratie zu ihrem
Verbrechen aufgereizt worden seien. Der Fall Brüsewitz könne
keinesfalls hiermit verglichen werden.
Sächsischer Generalstaatsanwalt Dr. Rueger: Die Darstel-
lung des Löbtauer Prozesses im Dresdener Journal sei umfassend
und richtig gewesen. Ständen denn etwa in einer Anklageschrift
Lügen? Die Anklage beruhe im Wesentlichen auf den Geständ-
nissen der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft suche die Wahr-
heit zu erforschen, auch die sächsische. Die sächsischen Richter sollen
auf Wunsch geurtheilt haben! Solche ganz unbewiesenen Be-
hauptungen könne er nur kalt zurückweisen.
Abg. Heine (Soz.) hält seine gestrigen Ausführungen über
Strafvollzug dem Staatssekretär gegenüber aufrecht. Entgleist
fei hier wohl nur der sächsische Vertreter. Die Darstellung des
Dresdner Jour», sei unwahr und irreführend. Urtheile der An-
klage und Bemerkungen des Artikelschreibers gingen durcheinander
ohne Unterscheidungsmerkmale. Die Veranstalter dieser Maß-
regel hätten der Justiz einen schlechten Dienst geleistet. Eine
solche Darstellung hätte aber nur auf Grund der Haupt-
verhandlung erfolgen sollen; das habe man aber nicht gethan,
wie Redner im Einzelnen nachzuweisen sucht. Die vom Staats-
anwalt anheim gegebenen mildernden Umstände seien nicht be-
willigt worden.
Sächsischer General-Staatsanwalt Dr. Rueger verliest die
Darstellung im Dresdner Journal, welche Darstellung richtig sei.
(Lebhafter Widerspruch ttnks,) Der Fall sei bezeichnend für die
Zustände unter der Sozialdemokratie. Die weiteren Aus-
führungen des Redners sind von großer Unruhe und Zwischen-
rufen begleitet.
Vicepräsident Schmidt ersucht die Abgeordneten, die Plätze
einzunehmen. (Zuruf links: Frechheit!) Der Vicepräsident ruft
den Nufer zur Ordnung. (Zuruf: Es bleibt dabei!) Vicepräsident
Schmidt: Ich bitte um Ruhe oder ich werde andere Maß-
regeln ergreifen.
Geheimrath Tr. Rueger bringt unter großer Unruhe des
Hauses und fortwährenden Glockenzeichen des Präsidenten seine
Rede zu Ende.
Ahg. Dr. Oertel (kons. Bund d. Landw.) beginnt von
seinem Platze aus zu sprechen. (Anhaltende Zurufe der Sozial
demokraten: Auf die Tribüne! Große Unruhe.) Redner erklärt,
von seinem Platz aus sprechen zu wollen und zwar so laut, daß
er überall verstanden werden müsse, wenn die Herren sich ent-
sprechend verhielten. Die Angriffe auf die sächsischen Richter
seien unberechtigt.
Präsident bittet um Ruhe.
Abg. Dr. Oertel (fortfahrend): Die Sozialdemokratie habe
sich außerhalb der Verfassung gestellt. Es sei zu hoffen, daß
Stadthagen noch die Segnungen der Prügelstrafe empfinde —
nicht am eigenen Leibe, sondern in der Abnahme der Rohheits-
verbrechen. Me Darstellung des Dresdener Journal lasse klar
erkennen, was darin Urtheil und was Raisonnement sei. Die
Thaten feien gezeitigt worden durch das irreführende unmoralische
Verhalten der sozialdemokratischen Hetzer. Diese trügen die
Schuld.
Abg. Schmidt-Marburg (Centr.) spricht von der Ueber
lastung des Reichsgerichts.
Abg. Heine (Soz.): Der sächsische Vertreter habe ihn einer
Lüge im Vorwärts bezüglich des Dresdener Journals beschuldigt.
DaS kennzeichne die Art, wie dieser Herr Abgeordnete behandle.
Unwahrheiten würden nicht Wahrheiten, wenn sie auch zwei- bis
dreimal wiederholt würden. In der Ersten sächsischen Kammer
sei gesagt worden, daß die Justizverwaltung richterliche Urtheile
häufig zum Gegenstände privater Besprechungen mit den be
treffenden Richtern mache. Eine solche Justizverwaltung könne

sich hinterher ärgern. Das kann man nicht von jedem der heu-
tigen sogen. Lustspieldichter sagen.
Auch gestern ist viel und herzlich gelacht worden.
Die Rolle des Compagnons, der Tochter und Geschäft dem
Associö äußerlich abtritt, ohne ihnen doch innerlich entsagen zu
können, hatte sich Herr Rudolph zu seinem Benefizabend aus-
ersehen. Die zahlreichen Hervorrufe und die sieben Kränze, die
ihm zu Theil wurden, durfte er mit Befriedigung als wohlverdiente
Anerkennung tüchtiger, vielseitiger Leistungen entgegennehmen.
Seine ausgereifte Kunst hat sich auch gestern wieder bewährt
und wesentlich zu dem hübschen Erfolg des Abends beigetragen.
Interessanter als die Person des Fabrikanten Voß ist eigentlich
diejenige seines Bruders, eines reizbaren Staatshämorrhoidarius,
auf die Herr Sigl sein energisches Charakterisirungsvermögen
mit großem Erfolg verwendete, verrn Blank gelang der ver-
liebte, dichterische, in Spiritus machende Kaufmann gut und
Herr Stettner war in der Rolle des Hausdieners, wie ge-
wöhnlich, wieder köstlich. Die ernste Gestalt des jüngeren
Compagnons und Schwiegersohns hatte in Herrn Göbel einen
verständigen Vertreter. Die Frauenrolle» in dem Stück treten
im Ganzen in den Hintergrund. Die lustige Charakterfigur unter
ihnen ist die Köchin Marte, welcher Fräul. Sander in jeder
Beziehung nachdrücklich Geltung zu verschaffen wußte. Die alte
Tante, die Mutter, die Tochter und junge Frau, die liebende
Klavierlehrertn waren durch die Damen Thom, Frenze l,
Hoheneck und Konrad gut vertrcien. Recht anerkennenswert!)
war Frl. Stern au in der Rolle der Frau Lerche, die durch
eigenes Beispiel es dem Schwiegervater Voß klar macht, daß
Eltern sich darein finden müssen, wenn die Töchter sie verlassen,
um dem Mann ihrer Wahl anzuhangen. b'. N.

sich über Kritik nicht beklagen. Wir werden uns davon auch
durch Schmähworte nicht abhalten lassen.
Der Präsident ruft den Redner wegen des Ausdruckes
Schmähworte zur Ordnung.
Es folgen persönliche Bemerkungen.
Der Titel Staatssekretär wird bewilligt, auch der Antrag
Beckh dazu, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene
Untersuchungshaft, wird angenommen.
Morgen Weiterberathung.
Baden. Der von dem Abg. Wilckens erstattete Be-
richt der Justizcommission der zweiten Kammer über den
Entwurf eines Enteignungsgesetzes erkennt an,
daß der von der Regierung vorgelegte und zuerst in der
ersten Kammer durchberathene und revidirte Gesetzentwurf
niit Gründlichkeit und Sorgfalt ausgearbeitet worden ist.
Die Commission empfiehlt die Annahme des Entwurfs mit
wenigen zum Theil nur redactionellen Aenderungen.
— In der Dotationsfrage hat das Centruin
sich auf den Fieser'schen Vermittlungsvorschlag geeinigt.
Danach soll jede der beiden christliche» Confessionen
300 000 Mk. jährlich erhalten, dieser Betrag soll aber
für den katholischen Theil bis um 50 000 Alk. weiter
erhöht werden dürfen, falls die Katholiken eine allgemeine
Kirchensteuer einführen, diese aber nicht soviel bringt, daß
man die Pfründen in der geplanten Weise aufbessern kann.
Die protestantische Kirche hat bekanntlich die allgemeine
Kirchensteuer schon eingeführt.
KarlSruh e, 23. Febr. Die Frage der Verlegung des
sozialdemokrat. Parteiorgans ist nunmehr geregelt. Die heutige
Nummer des Volks freund enthält darüber an der Spitze des
Blattes folgende Mittheilung: Auf der letzten Landesversamm-
lung der sozialdemokratischen Partei Badens wurde mit großer
Majorität der Beschluß gefaßt, unser Parteiorgan „Volkssreund"
zum 1. April 1899 nach Karlsruhe zu verlegen und dort wöchentlich
6mal erscheinen zu lassen. Die Vorarbeiten sind jetzt soweit gediehen,
daß dieser Beschluß verwirklicht werden kann. Mit dem Genossen
Adolf Geck wurde wegen Uevernahme des Verlagsrechts des
Volkssreund durch die Partei ein für beide Theil« befriedigendes
Uebereinkommen erzielt. Den Druck haben wir nun den Partei-
genossen Goldschagg und Burger übertragen.
Badischer Landtag, ö. 0. Karlsruhe, 23. Febr.
118. öffentliche Sitzung der Zweiten Kammer.
Am Regierungstisch: Staatsminister Dr. Nokk, Mini-
sterialdirektor Frhr. v. Neubronn und Geh. Oberregierungs-
rath Heß.
Präsident Gönner eröffnet um 9'/§ Uhr die Sitzung.
Sekretär Köhler verliest eine Petition privater Natur. Fer-
ner ist eingegangen einGesuch der Steuereinnehmer aus
verschiedenen Amtsbezirken um Erhöhung der Gebühren aus Ta-
bak- und Branntweinsteuer.
Abg. Obkircher (nat. lib.) erstattet den Bericht über den
Gesetzentwurf die Ausführung des Reichsgesetzes
über die Zwangsversteigerung und die Zwangs-
verwaltung und die Civilp rozeßor d nun g betr. Er
giebt hierbei einen geschichtlichen Rückblick über die Entwicklung
dieses Gesetzes und bespricht dessen Grundzüge und einzelne Be-
stimmungen. Zum Schluß beantragt er dessen Annahme. in der
Kommisstonsfaffung.
Abg. Wilckens (nat-lib ) verweist auf ß 73 der Gemeinde-
ordnung bezw. der Städteordnung, wonach Gemeinden auf Flä-
chen, die zu Straßenanlagen und ähnlichen öffentlichen Zwecken
nöthig sind, ein Vorzugsrecht haben. Es sei aber zur Sicherung
der Rechte eine Eintragung in das Grundbuch erforderlich, was
er nicht ganz billigen könne. Er wolle aber keinen Abäuderungs-
antrag stellen. Dem 8 9, der den Gemeinderäthen das Recht,
Eutmundigungsanträge zu stellen, einräumt, stimmt er gerne zu.
Er habe nicht die Befürchtung, daß ein erheblicher Mißbrauch
von diesem Recht gemacht werde. Sollte es je einmal der Fall
sein, so sei ja das Gericht eine Prüfungsinstanz, was den Sach-
verhalt genau untersuche. Das gerichtliche Verfahren sei eine
genügende Sicherung gegen Mißbrauch. Die durch die Kom Mis-
sion beantragte Erleichterung der Kcaftloserkläcung einer abhan-
den gekommenen Sparkassenurkunde durch die Sparkasse sei eben-
falls eine Verbesserung, die zu keinen bedenklichen Konsequenzen
führen werde. Er beantrage die Annahme der Vorlage.
Nach einem Schlußwort des Berichterstatters wird der Antrag
Fieser auf sn bloo-Annahme, gegen den Staatsminister Dr. Nokk
keinerlei Bedenken hat, einstimmig angenommen.
Abg. Armbrusten (Ctr.) erstattet den zweiten Bericht über
das G r u n d b u ch w e s e n, und beantragt dessen Annahme in der
Kommissionsfassung.
Abg. Obkircher (national-lib.) erstattet nunmehr den
lediglich eins neue Paragraphirung enthaltende» zweiten Bericht
über den Gesetzentwurf, betreffend die Ausführung des Reichs-
gesetzes über Z w a n g s o e r ft e i g e r u n g und Zwangs
Verwaltung und die Civilprozeßordnung, deren so bioo-An-
nahme in der Kommissionsfassung vom Abg. Fieser beantragt
und vom Hause angenommen wird.
Hierauf werden die beiden Gesetze in der nun neuen Fassung
nach dem zweiten Bericht in namentlicher Abstimmung einitimmig
angenommen.
Abg. Fieser (nat.-lib.) macht darauf aufmerksam, daß eine
Neuaufstellung des Inhalts erfolgen müsse, da das Gesetz im
Zusammenhang nach der endgiltigen Fassung des ersten und
zweiten Berichts an das andere Haus komme.
Schluß der Sitzung 11 Uhr. Nächste Sitzung: Samstag,
25. Februar, 9 Uhr Vormittags.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grogherzog haben den
Vorstand der Gewerbeschule in Schwetzingen, Gewerbelehrer
Alois Ne imeier, auf sein Ansuchen unter Anerkennung seiner
langjährigen, treu geleisteten Dienste auf Schluß des laufenden
Schuljahres in den Ruhestand versetzt, den Betriebskontroleur
Ferdinand Speer bei der Generaldirektion der Slaatseisen-
bahnen auf sein Ansuchen auf Ende Februar d. I aus dem
staatlichen Dienst entlassen und den Jngenieurpraktikanten
Ferdinand Grimm aus Ebingen (Württemberg) zum Ne
gierungsbaumeister ernannt
— Regierungsbaumeister Ferdinand Grimm wurde dem
Bahnbauinspektor II. in Heidelberg zugetheilt, Regterungsbau-
meister Karl Kittratschky in Karlsruhe zur Wasser- und
Straßenbau-Inspektion Konstanz versetzt, Bahnverwalter Berthold
Schmider in Bruchsal der Großherzoglichen Generaldirektion
der Staatseisenbahnen zur Versetzung der Stelle eines Central
inspektors zugetheilt, Expeditionsassisteut Adam Grohs in
Mannheim nach Basel versetzt, Expedittonsassistent Oskar Karr-
mann in Heidelberg nach Mannheim und Expeditionsassistent
Karl Geiger in Mannheim nach Heidelberg versetzt.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 24. Februar.
I, Elektrische Eisenbahn Heidelberg -Mannheim. Wie wir
soeben aus zuverlässiger Quelle vernehmen, hat die Regierung
den beiden Stadtgemeinden Heidelberg und Mannheim die Kon-
zession zum Bau und Betrieb einer elektrischen
Bahn zwischen Heidelberg und Mannheim ertheilt.
Die Bahn soll auf dem gradesten Wege geführt werden. Das
ist eine außerordentlich interessante und wichtige Nachricht I Wenn

diese Bahn zweigeleisig angelegt wird, jede Kreuzung mit Land-
straßen im gleichen Niveau vermeidet, dieselben vielmehr auf er-
höhten Viadukten übersetzt und auf dem gradesten Weg ohne
Zwischenstationen.'geführt wird; wenn zudem die Fahrpreise
billig angesctzt werden, so werden wir eine Verbindung mit
Mannheim erhalten, die einen außerordentlich großen und
günstigen Einfluß auf die Entwicklung Heidelbergs ausüben wird.
Der „Sonderausschuß der Studentenschaft zur Errich-
tung der geplanten Bismarcksäule in der Nähe Heidelbergs"
hielt gestern Abend im Museum eine vertrauliche Besprechung
ab, zu der sich eine Anzahl Herren aus allen Kreisen der Bürger-
schaft eingefunden hatten. Im Laufe der Verhandlung wurde
die Bildung eines Ausschusses der „Alten" beschlossen, bestehend
ans den Herren Bürgermeister Dr. Walz als Vorsitzenden, Geh.
Hofratb Professor Dr. Kehrer, Geh. Regierungsrath Pfister, Geh.
Rath Professor Dr. Meyer, Bankdirector Krastel, Fabrikant Fritz
Landfried, Stadtverordneter Max Klingel und Major a. D.
Koehnhorn. Beide Ausschüsse haben sich zum Ziel gesetzt, sobald
die Art der Ausführung der „Btsmarcksäulen" endgiltig fest-
gestellt ist, Mittel und Wege zu finden, um auch in der Nähe
Heidelbergs, als der ältesten deutschen Unioersitätstadt, die Er-
richtung einer „Bismarcksäule", dieser einzigartigen Ehrung des
großen Kanzlers, zu ermöglichen.
O Vortrag im evangelischen Bund. Der gestrige dritte
Vortrag im evangelischen Bund hatte Konrad Ferdinand Meyer
als christlichen Dichter zu seinem Gegenstände und wurde von
Hofvikar Dr. Fromme! in Karlsruhe gehalten, dem Sohne des
unvergessenen Professors Fromme! hier. Der Redner warf zum
Beginne die Frage auf ob K. F. Meyer ein christlicher Dichter
genannt werden könne, und bejahte diese Frage, denn christliche
Dichtung sei auch da, wo die christliche Weltanschauung die ver-
borgene Voraussetzung sei für die Art und Weise, in der der
Dichter das Weltliche aufbaut, empfindet und in sich neu gestaltet.
Dies treffe bei K. F. Meyer zu. Der durchgehende Grnndzug
seiner Dichtung sei das Recht der Persönlichkeit gegenüber dem
als allgemein verbindlich Festgestellten. Aber der Dichter sei weit
davon entfernt in der Art des Philosophen Nitzsche das Recht des
souveränen Uebermenschen der Gemeinschaft gegenüber zu fordern.
In seinen Dichtungen walte die sittliche Weltordnung, wie sie dem
Christenthum eigen sei, und unverkennbar sei es, daß er die Güter,
die die Reformation erzeugt habe, für ewige Güter der Mensch-
heit erachte. Dies wies der Redner nach durch Analyse der ein-
zelnen historischen Dichtungen K. F. Meyers, die er in drei Grup-
pen theilte, je nachdem ihr Stoff dem Mittelalter, der Geschichte
der italienischen Renaissance und der Zeit der Religionskämpfe
entnommen ist, sowie durch Wiedergabe einer Reihe von lyrischen
Gedichten Meyers. — Der Vortrag hat die Verehrer des uns
vor Kurzem entrissenen Dichters tief befriedigt und wird diesem
gewiß neue Freunde gewinnen.
44- Vortrag Presstgny. Mr. Pressigny von Paris hat gestern
Abend im Museum vor einer zahlreich erschienenen Zuhörerschaft
eine oouksrsoos über Edmond Rostand's „Cyrano de Bergerac"
gehalten. Von dem grotesken Helden mit der großen Nase aus-
gehend, dessen Dichtungen, besonders das in Gemeinschaft mit
Moliöre verfaßte Lustspiel: „I-s psäant jouS-, kurze Besprechung
fanden, ging der französische Krittler auf das interessante Werk
des jugendlichen E. Roftand über. Er erwies dem Talente und
der Formgewandtheit des Dichters volle Anerkennung, bemängelte
aber seine allzugroße Anlehnung an berühmte Vorgänger, wie
Victor Hugo u. A. Auch finde sich zu wenig innerliche Hand-
lung in der mit Unrecht oorusäis dsroigus benannten Dichtung.
Der 1., 2 und 4. Akt seien nur tabtssux viv-mts, aber dem
3. Akte mit der Balkonscene und dem 5. Akte mit der Sterbe-
scene im Klostergarten zollt er uneingeschränktes Lob. An die
geistvolle Plauderei schloß sich der künstlerische Vortrag von eini-
gen stellen der oomöllis an, von welchen wir die Ballade im
1. Akte und den Schluß des 5. Aktes hervorheben. Mit ge-
spannter Aufmerksamkeit folgten die Anwesenden dem durch fran-
zösische Lebhaftigkeit und schöne deutliche Sprache ausgezeichneten
Vortrag und gaben ihre Befriedigung durch reichen Beifall zu
erkennen.
iH Schöffengerichtssttzung im Stadtrathssaale vom 23. Febr.
1) Wilhelm Ferdinand Janz aus Offenbach, z. Zt. hier in Haft,
erhielt wegen Diebstahls 1 Woche Gefängniß, 2) Martha
Sprengel aus Hannover, z Zt. hier in Haft, wegen Betrugs
4 Machen Gefängniß. 3) Peter Heblich, Spezereihändler in
Schlierbach, wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 40
4i Friedrich Wiegand, Spengler in Eppelheim, wegen Bedrohung
und Sachbeschädigung eine Geldstrafe von 15 5) Michael
Georg Rimmler, Taglöhner in Kirchheim, wegen Beleidigung und
Uebertretung des 8 108 P.Sl.G.B. 1 Woche Gefängniß und
5 Geldstrafe. 6) Katharina Fontius, Fabrikarbeiterin in
Dossenheim, erhielt wegen Unterschlagung und Betrugs einen
gerichtlichen Verweis, 7) Ludwig Treiber, Eiseudceher in Neuen-
heim, und Johann Burkhard, Cementarveiler in Handschuhsheim,
erhielten wegen Körperverletzung und Bedrohung Treiber eine
Geldstrafe von 40 ev. 8 Tage Gefängniß, Burkhard 10
Geldstrafe ev. 2 Tage Gefängniß. 8) Heinrich Friedrich, Franz
Heinrich Dörr, Franz Spannagel, Ludwig Gustav Maier, Hermann
Mayer, Heinrich Heddergott, alle Kaufleute dahier, und Georg
Kröber, Photograph in Leipzig, erhielten wegen Körperverletzung
Friedrich, Dörr, Spannagej, Mater und Mayer eine Geldstrafe
von je 100 Heddergott und Kröber eine solche von je 40
9) Christian Hoffmann, Steinbrecher in Mückenloch, erhielt wegen
Unterschlagung 1 Woche Gefängniß, 10) Emil Christoph Eberle,
Student in Karlsruhe, wegen Ruhestörung und Beleidigung eine
Geldstrafe von 45^t, 1k) Andreas Weichert, Uhrmacher i» Tiel-
herm, wegen Unterschlagung eine solche von 30 12) Johann
Jakob Kumps aus Offenau, z. Zt. hier in Haft, wegen Diebstahls
8 Wochen Gefängniß.
Polizeibericht. Eine Mannsperson sowie eine Frauensperson
wurden wegen Umherziehens verhaftet. Zwei Personen kamen
wegen Ruhestörung und Unfugs zur Anzeige.
Bruchsal, 23. Febr. Der Materialschaden, der durch
das Etfenvahnunglück auf dem hiesigen Bahnhof am 13. ».
Mts. angerichtet wurde, beträgt nicht mehr als 15 -20 000 Mark.
Dagegen hat die Bahnverwaltung eine wahrscheinlich ziemlich
bedeutende Summe an die Familie des G-tödteteu zu zahlen.
Wie hoch sich dieselbe belaufen wird, ist noch nicht festgestellt.
ö. 0. Pforzheim, 23. Febr. Der sozialdemokratisch Reichs-
taqsabgeordnete A g st e r wurde in eine Anstalt verbracht. Er
leidet an Verfolgungswahnsinn. (Nach dem Bad. NachrichteN-
Bureau kam er nach Pfullingen bei Reutlingen. Red.)
ö. 0. Freiburg, 23. Febr. Der älteste hier lebende Offizier
Major a. D. Josef Müller, ein badischer Veteran, feierte gestern
seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlaß wurde er vom Militär-
verein zum Ehrenmitglied ernannt. Vom Großherzog lief ein
Schreiben ein, in dem der Fürst in huldvollster Weise «der Ver-
dienste des alten Offiziers" in dankbarer Anerkennung gedachte
und ihm zu seinem Ehrentag gratulirte. Auch der Erbgroß»
Herzog übersandte telegraphisch „seinem lieben Regimentskamera-
den die herzlichsten Glückwünsche zu dem seltenen Geburtsfeste.
Theater- und Kunst-Nachrichten.
Heidelberg. 24. Febr. (Stadttyealer.) Wegen Erkrankung
mehrer Mitglieder gelangt heute. Freitag, statt der projektirteN
Vorstellung von „Dorf und Stadt" die treffliche Posse „Eiv
toller Einfall" zur Aufführung.
Mannheim. (Großh. Hof- und Nationaltheater.) Sonntag,
26. Febr.: „Der Cid".
Karlsruhe. (Großh. Hoftheater.) Im Hoftheater in Karlsruhe -
Samstag, 25. Febr.: „Durchs Ohr". „Mondfee". Sonntag,
26. Febr.: „Liebestrank". „Bajazzo". Montag, 27. Febr.: „De»
Meeres und der Liebe Wellen" (Oberpriester: Alfred Schmieden
vom Stadttheater in Ulm als Gast).
 
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