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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0617

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 137.

Donners!«?!, des 15. Inni

1899.

Wochen-Chronik.
(Vom 4. bis zum 10. Juni.)
Juni 4.: Bei dem Rennen in Auteuil findet eine Kund-
gebung gegen den Präsidenten der Republik,
Loubet, stall. Die Kundgebenden gehören zumeist
dem monarchischen Adel an. Ein Baron Christiani
schlägt dem Präsidenten mit einem Stock den Hut ein.
„ 4.: ZoIa kehrt aus London nach Paris zurück.
„ 5.: Der Gesetzentwurf über den Schutz des gewerb-
lichen Arbeitsverhältnisses ist dem Reichs-
tag zugegangen. In der radikalen Presse wird er als
„Zuchtbausvorlage" heftig kritisirt und verworfen, doch
macht der leidenschaftliche Eifer einen etwas gekünstelten
Eindruck.
^ 6.: Im Reichstag nennt Staatssekretär v. Bülow als
Preis für die spanischen Karolinen, Palaos
und Mariannen 25 Millionen Pesetas.
„ 6.: Es ist eine von Andrer herrührende schwimmende
Boje bei Island ausgefunde» worden. Die in der-
selben enthaltenen Mitlheilungen datiren einige Stunden
nach dem Aufstieg des Luftballons.
„ 7.: Die Verhältnisse auf den Samoa-Inseln scheinen
dank dem Eingreifen der Kommission der drei belhei-
ligten Mächte allmählich in Ordnung zu kommen.
„ 8.: In Bloemfontain hat eine Zusammenkunft des
Präsidenten von Transvaal mit dem
Gouverneur des Kaplan ds zur Beseitigung
der vorhandenen Differenzpunkte stattgefunden. Präsi-
dent Krüger machte wohl einige Konzessionen in Bezug
aus die Naturalisirung von Ausländern in Transvaal,
dieselben werden aber von der englischen Regierung
als unzulänglich bezeichnet. Die englischen Blätter
erklären die Lage in Südafrika für sehr ernst.
„ 9.: Zwischen dem ö st e r r e i ch i s ch e n und dem unga-
rischen Ministerpräsidenten kommt nach langen,
mühseligen Verhandlungen ein Kompromiß über
die provisorische Gestaltung des Verhältnisses zwischen
Oesterreich und Ungarn für die Zeit bis 1907 zu
Stande.
, 10.: Der Volksraad von Transvaal spricht seine
Zustimmung zu den vom Präsidenten Krüger England
gegenüber gemachten Vorschlägen aus.

Bon der Friedenskonferenz.
Zwei auf der Konferenz erhobene wesentliche huma-
nitäre Forderungen sind bereits, wie mit Recht
hervorgehoben wird, ausschließlich an dem Widerspruch
Englands zum Stillstand gekommen: Erstens hat es sich
geweigert, die barbarischen Dum-Dum-Geschosse abzuschaffen,
die mit ihrer geradezu scheußlichen Wirkung aller Mensch-
lichkeit ins Gesicht schlagen; andererseits hat es abgelehnt,
das Privatcigenthum im Seekriege unbedingt zu schonen.
Das wirft ein schlechtes Licht auf England. Nun möchte
England aber nicht in einem schlechten Lichte dastehen und
so hat es ein seines Planchen ersonnen, wie es sich einen
menschenfreundlichen Anschein geben und dabei vielleicht zu-
gleich Rußland und Deutschland ein wenig gegen einander
aufbringen könnte. Der Plan besteht darin, daß es, über
Rußlands Vorschlag hinausgehend, die Errichtung eines
ständigen Schiedsgerichts vorschlug ; die Tücke liegt darin,
daß es sicher ist, dieser Vorschlag werde abgelehnt, wenn
auch England selbst dafür stimmt. England kann sich also
kostenlos als cnragirler Friedensfreund aufspielcn und zu-
gleich diejenigen Mächte, die gegen seinen Vorschlag
sprechen, als Gegner der Ideen der Haager Friedenskonferenz
stigmatisiren. Dabei ist es in erster Linie auf Deutschland
abgesehen. Nun ist aber der deutsche Vertreter Prof.
Zorn den Engländern etwas in die Parade gefahren,
indem er seiner Instruktion gemäß erklärte, daß Deutsch-
land wohl den russischen Vorschlag als Grundlage für eine
Berathung ansehe, nicht aber den englischen. Er sagte
nach englischen Berichten:
Er sei instruirt, zu erklären, die deutsche Regierung könne
nicht das Prinzip eines permanenten Schiedsverfahrens acceptiren,
wie es in dem von Pauncefote vorgelegten Entwurf enthalten

I sei. Deutschland erhebe Einwendungen erstens gegen das Prinzip,
zweitens bezüglich seiner Ausführbarkeit. Die Einichtung eines
permanenten Schiedsverfahrens sei eine Beeinträchtigung der
Souveränetät des Monarchen und der Unabhängigkeit der Nation.
Ein zwischen zwei Nationen wegen eines engbegrenzten Gegenstandes
vereinbartes Schiedsverfahren sei eine ganz andere Sache, als
ein Schiedsverfahren welches die Nation für eine unbekannte
Zukunft binde. Ein König, welcher seinen Rechtstitel von gött-
lichem Rechte führe, könne keinen Augenblick daran denken, sich des
wesentlichen Theils seiner Souveränetät zu begeben, nämlich des
Rechtes, den Gang der Nation in kritischer Zeit zu lenken. Der
deutsche Kaiser würde sich nicht verpflichten, sich der Entscheidung
von Richtern, die nicht von ihm ernannt sind, über Fälle, die
noch nicht entstanden sind, zu unterwerfen. Dies seien die prin-
zipiellen Einwendungen. Bezüglich des Planes selbst, so sei es
leicht, einen Richter auf Lebenszeit zu ernennen; aber unmöglich
sei es, vorherzusagen, wie er sich bewähren würde. Eine weitere
geringfügigere, aber nicht unbeträchtliche Einwendung richte sich
gegen die Kosten der vorgeschlagenen, richterlichen Organisation,
welche ein ganzes Jahr existicen könne, ohne einen einzigen Fall
zur Erledigung zugewiesen zu erhalten. Auch liege keine Ga-
rantie vor, daß unter Umständen, welche näher anzugeben un-
nöthig sei. ein permanentes internationes Tribunal nicht einen
Urtheilsspruch abgäbe, welchen die unterliegende Partei und so-
gar unbetheiligte Nationen für unbillig halten würden. Das
Resultat würde sein, daß die Nationen gegen das Tribunal ein-
genommen würden und nicht mehr daran appelliren würden. So
würde das Prinzip des Schiedsverfahrens der Mißachtung ver-
fallen und die Lage schlimmer werden, als jetzt. Sodann wür-
den die Urthetlssprüche, gleichviel, ob sie gut oder schlecht seien,
Präzedenzfälle werden und die Nationen auf nicht vorauszusehende
Weise behindern.
Diese Berichte sind indessen nicht ganz vollständig. Es
fehlt — wohl absichtlich — der Hinweis auf den russischen
Vorschlag. Darum lassen wir hier folgen, was die
Nordd. Allg. Ztg. über den Kern der Zorn'schen Rede
meldet. Nach dieser halbamtlichen Mittheilung hat Prof.
Zorn sich darauf beschränkt, Folgendes zu erklären:
Der Gedanke eines ständigen Gerichtes zur Entscheidung
von Staatsstreitigkeiten habe schon viele Geister beschäftigt und
entbehre vielleicht nicht einer gewissen Größe; er enthalte aber
auch Gefahren, die unter Umständen eher geeignet seien, den
Krieg statt den Frieden zu fördern. Nach seiner Ueberzeugung
werde die deutsche Regierung diese Gefahren als überwiegend
betrachten und auf den Gedanken eines dauernde» Gerichtes nicht
eingehen, wohl aber würde Deutschland den ursprünglichen
russischen Entwurf, in dem im Artikel 13 nur ein von Fall zu
Fall nach Uebereinkunft der streitenden Theile zu bildendes
Schiedsgericht vorgesehen ist, vielleicht annehmen können. Darum
müsse er förmlich die Wiederherstellung des ur-
sprünglichen russischen Entwurfs (Artikel 13) be-
antragen, vorbehaltlich anderweitiger Redaktion.
Nach englischen Berichten, denen aber nicht zu trauen
ist, da sie sehr gehässig gegen Deutschland sind, hätte
Prof. Zorn unter dem peinlichen Stillschweigen der
Zwölferkommission seine Rede beendet. Der englische
Delegirte Pauncefote führte — ebenfalls nach englischen
Meldungen — Zorn gegenüber Folgendes aus:
Zorns prinzipielle Einwendungen verriethcn nicht gerade eine
moderne Ansicht von der Staatsweisheit. (Ein arroganter Satz!)
Jeder Staat würde seinen Stolz darein setzen, die geeignetsten
Männer zu Schiedsrichtern zu ernennen. Die Einwendung be-
züglich der Kosten treffe den vorliegenden Plan nicht, da kein
permanentes Tribunal beabsichtigt sei, sondern nur eine perma-
nente, administrative Organisation, um die Einberufung des
Tribunals in kürzester Frist mit möglichst geringen Formalitäten
zu ermöglichen. Die Aufbewahrung der Urtheilssprnche gewähre
keine Gefahr. Zwar würde ein Codex von Usancen entstehen,
doch der würde für alle Nationen derselbe sein. Ehe eine Regie-
rung das Schiedsverfahren anriefe, würde sie überlegen, wie ihr
Fall stehe. Die unterliegenden Parteien würden nicht immer zu-
frieden sein, doch könnten sie sich nicht über den Richter beschwe-
ren, da sie ja ihre eigenen Richter aus einer langen Reihe ihren
zur Verfügung stehender Personen gewählt haben würden.
Mit dem peinlichen Stillschweigen in der Kommission
wird es wohl nicht so arg gewesen sein, denn in Paris
liegen Depeschen aus dem Haag vor, wonach nicht nur
die Deutschen gegen den englischen Antrag wären, sondern
mehrere Konferenzmitglieder hätten ernste Bedenken gegen
alle vorliegenden Stilisirungen des Schiedsgerichtspara-

graphen und seien den deutschen Vertretern dankbar, daß
ihnen deren Haltung Zeit gebe, sich mit ihren Regierungen ins
Einvernehmen zu setzen. Das lautet denn doch ganz anders

Der Kaiser und die Arbeiterwohnungen in
Kadinen.
Wie der Tägl. Rundschau von gut unterrichteter Seite
geschrieben wird, handelt es sich bei der in den letzten
Tagen in den Zeitungen vielbesprochenen Aeußerung des
Kaisers über den Vieh sta l l , und die Arbeiter-
wohnungen seines neuen Besitzthums Kadinen
um den von dem früheren Besitzer, Herrn Landrath
Birkner-Kadinen, in den letzten Jahren erbauten Pferde-
stall, der für einen durch Feuer zerstörten errichtet wurde.
Herr und Frau Birkner, die jahrein, jahraus in Kadinen
lebten, huldigten beide in hohem Maße dem Pferdesport
und führten zwei in der ganzen Gegend als erstklassig be-
kannte Viererzüge. Für die große Anzahl Wagen- und
Reitpferde, sowie den stattlichen, einige 20 Fuhrwerke
zählenden Wagenpark wurde, wie oben erwähnt, ein Luxus-
stall erster Ordnung gebaut, der in seiner tadellosen Hal-
tung-und Beschaffenheit die einzige Passion seiner Besitzer
darstellte. — Von anderer Seite wird überhaupt geleug-
net, daß eine Aeußerung der geschilderten Art gefallen
sei. So schreibt die Altpreuß. Ztg.: „Von gut unter-
richteter Seite wird uns mitgetheilt, daß der Kaiser sich
keineswegs unzufrieden über die Arbeiter-
wohnungen auf seinem Gute geäußert hat. Im Gegen-
theil ist alles in dieser Beziehung in Ordnung gewesen.
Der Leibarzt des Kaisers, welcher im Allerhöchsten Auf-
träge die Jnsthäuser besichtigt hat, hat sich ebenfalls nur
günstig über dieselben ausgesprochen. Wer mit den ört-
lichen Verhältnissen in Kadinen näher vertraut war, wird
wohl wissen, daß Herr Landrath Birkner an den Jnst-
häusern in den letzten Jahren viel gearbeitet hat, sodaß
dieselben sich in einem sehr guten Zustande befinden. Im
Nebligen geben wohl die Jnsthäuser auf den Gütern im
hiesigen Kreise zu Ausstellungen kaum Veranlassung, da
bei den meisten Grundbesitzern dieselben neu erbaut wor-
den sind."

Der neue Mann in Frankreich.
Der vom Präsidenten Loubet mit der Bildung des
neuen Ministeriums betraute Abgeordnete Raymond
Po in care gehört, wie wir der Straßb. Post entnehmen,
zu den jüngsten Staatsmännern der dritten Republik und
ist merkwürdiger Weise von demselben Manne zum ersten
Mal in den Ministersattel gehoben worden, dessen Stelle
er jetzt einnehmen soll, von Dupuy im Jahre 1893. Ray-
mond Poincarä ist am 20. August 1860 zu Bar-le-Duc
geboren, vollendet also in zwei Monaten sein 39. Lebens-
jahr. Er ist Doctor der Rechte und war Advokat, als er
1887 zum ersten Male in die Deputirteukammer gewählt
wurde. Dupuy holte ihn als Minister des Unterrichts
und der Schönen Künste in sein Ministerium vom 5. April
1893; er, der Sohn des ehemaligen Gerichtsdieners in Puy,
den kleinen Advokaten aus Bar-le-Duc. Nach der Minister-
krisis trat Poincara mit Dupuy am 3. Dezember des-
selben Jahres in die Reihen der Abgeordneten zurück. Am
29. Mai 1894 holte ihn Dupuy abermals in sein Mini-
sterium und übergab ihm die Finanzen: bei der Neubildung
des Ministeriums durch Ribot erhielt Poincarä, dessen aus-
gezeichnete Arbeitskraft man zu schätzen wußte, wieder
Unterricht und Cultus; das Labinet mußte am 28. October
1895 zurücktreten. Zwar ist seitdem Poincaw nicht mehr
in die Reihen der Minister getreten, doch hat er das Ver-
trauen der Kammer genossen, denn er wurde bereits am

Josephineus Glück.
24) Erzählung von A. von der Elbe.
(Fortsetzung.)
Luise Moser, entsetzt über das Vorgefallene, dessen be-
drohlichen Zusammenhang sie begriff, und der Aussprache be-
dürftig, eitle, da Cora, nach der Ueberreizung der Nerven
bald einschlies, zu ihrer Freundin Josephine hinüber, dort die
Schreckenskunde zu bereden.
Die Delbitz arm, auch ihre, der Moser Rente in Frage
gestellt, es war ja gar zu furchtbar!
Josephine hörte, mit grober Bewegung, die Mittheilung
der lebhaft Berichtenden.
Daß ein illegitimes Kind kein Erbrecht besitze, wußte sie,
wenn also der alte Haften versäumt halte — aber es war ja
nicht anzunehmen l Indes, wenn doch, es gab ja Menschen,
die letztwillige Verfügungen unverantwortlich hinausschoben.
^;a, dann befanden sich die Delbitz in sehr trauriger Lage,
und Josephinc wußte keinen Trost für Luise.
Als diese gegangen war, mußte die Zurückbleibende mit
wahrer Herzensangst an die bedrängte Familie denken. Welch
ein harter Schlag mochte das für Bruno sein!
Am nächsten Morgen fanden sich die Verwandten aus
Holland wieder bei Delbitz ein.
Er empfing sie mit Herzklopfen und peinlicher Erregung.
Nur mit Anstrengung brachte er hervor, daß er nichts ge-
funden habe — aber in Amsterdam — aus dem dortigen Ge-
richte vielleicht?
»Möglich," sagte Mynheer Pieter trocken, während die
Sohne spöttisch lächelten.
„Da die Entscheidung Ihnen oder mir alles bringen kann,
erlaube ich mir eine Theilung vorzuschlagen."
Der Vater sah seine Söhne an, sie schüttelten leise den
Kops und der Alte lehnte ab.
»Mir scheint," fuhr Delbitz überredend fort, „die Theilung
wüßte dem Sinne des Verstorbenen entsprechen."
„Er hätl's ja fest machen können, wenn er's gewollt."

„Sie würden aber der Tochter Ihres Bruders doch nicht
alles nehmen?"
„Gehört cs mir, so nehme ich's."
„Das wäre aber grausam! Zu viel wär's für Siel"
„Ich habe acht Kinder, die sich mühsam durch die Welt
schlagen. Diese beiden Söhne möchten eigene Geschäfte an-
fangcn, sie können's nicht ohne Geld; die Erbschaft wird uns
nicht zu viel."
Die Herren gingen und Bruno rüstete sich zur Reise nach
Amsterdam. Welch ein schwieriges angstvolles Unternehmen!
Aber die letzte Möglichkeit der Rettung!-
Ein schwüler Sommerabend brütete über der Stadt, als
Bruno, hoffnungslose Verzweiflung im Herzen, von Amsterdam
zurückkehrend. auf dem heimathlichen Bahnhofe anlangte.
Lässig, in dem dumpfen Gefühle, noch viel zu früh an s
Ziel zu kommen, schleuderte er seiner Villa zu, die es bald
nickt mehr sein würde, die es eigentlich jetzt schon nickt war.
Alle seine Bemühungen, in Amsterdam ein Dokument
Jan vanHaftens auszufinden, waren gescheitert! Und Pieter
ließ auch nicht einen Strohhalm breit von seinem Rechte
fahren, ja, er war hier bereits in Verhandlung getreten, um
den Verkauf der Villa anzubahnen. Seine Ankunft, zur
Entgegennahme der vorhandenen Obligationen und Geschäfts-
Papiere, sollte morgen erfolgen.
Bruno wußte, daß ihm nichts blieb, als der Schmuck und
die Aussteuer seiner Frau. Mochte dies alles auch bei der
Anschaffung Kapitalien verschlungen haben, im Fall des Ver-
kaufs würde wenig dafür zu lösen sein. Und wie sollte er
Cora dazu vermögen, Ueberflüssiges herzugeben?
Der von allen Sorgen und Müden Gelähmte erschauerte,
wenn er an den täglichen und stündlichen Kampf mit seines
Weibes Unverstand dachte, der ihm bevorstand. Ihre maß-
losen Ansprüche, ihre ungebändigte Leidenschaftlichkeit flößten
ihm jetzt geradezu Widerwillen gegen sie ein. Er wußte, daß
er sie nicht zu beeinflussen vermöge. Er sah nicht die Mög-
lichkeit, mit ihr in beschränkten Verhältnissen zu leben.
Wenn er auch in nächster Zeit einen kleinen festen Ge-
halt zu erwarten hatte, so war die Summe doch so unbe-

deutend, daß sie Cora unter den alten Verhältnissen kaum
als Taschengeld für Blumen. Handschuhe und Parfüms ge-
reicht haben würde.
Sein kürzlich pensionirter Vater hatte es als große Er-
leichterung empfunden, ihm in letzter Zeit keinen Zuschuß
mehr zu geben. Wie konnte er da mit der Bitte um Hülfe
anklopsen? Er sah nirgends eine Aussicht, erträglich weiter
zu existiren. „
Eben wurden die Laternen in der Allee angezundet, als
er in dieselbe einbog und sein Haus mit Lickt in verschiedenen
Räumen vornehm und stattlich daliegen sah.
Der Anblick gab ihm einen Stich ins Herz, er hemmte,
von Schwindel befallen, seinen Schritt. O, wenn er nie
hätte zurückzukehren brauchen!
Die Lust war drückend, die Linden dufteten wie damals,
als er drüben im Hause seines alten Gönners, als fröhlicher
und übermüthiger Gesell einzog.
Josephe's Bild, in ihrer Anspruchslosigkeit und stillen
Treue, erschien vor seinem geistigen Auge, er fühlte wieder
einmal, daß er sie geliebt habe, daß er mit ihr glücklich ge-
worden wäre, daß seine Thorheit, sein Leichtsinn sich dieses
Glück verscherzt habe. O wie furchtbar mußte er dafür
büßen! Eine tiefe Verachtung seiner selbst überfiel ihn. Er
hatte sich sein ganzes Leben verpfuscht, nichts lag ihm noch
an dem schalen Rest.
Mit dieser Empfindung voll Verzagen und Verzweiflung,
betrat er den glänzenden Flurraum seines Hauses.
Als er zu seinem Zimmer Hinaufstieg, holte ihn Luise
Moser auf der Treppe ein. Sie war sehr erregt und rief
freudig: „O hören Sie doch, Herr Assessor, diesen Morgen
ist Ihnen ein zweiter Sohn geboren. Leider ist Ihre Frau
etwas fiebrig" —
In diesem Augenblick tönte das Geschrei eines kleinen
Kindes aus Coras Zimmer an sein Ohr.
(Fortsetzung folgt.)
 
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