Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0661

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Erscheint täglich.
Sonntags ausgenommen.
Preis
mit Familienblattern
monatlich SV Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
vterteljährl. 1.25
ausschließlich Zustellgebühr.


Fernsprech-Anschluß Nr. 82.


Insertionsgebühr
15 Pf. für die Ispaltige
Petitzetle oder deren Raum
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.

Gratis-Anjchlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Hetdelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xi-. 147.

Dienstag, den 27. Juni

1899.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für das III. Vierteljahr
werden bei allen Postanstaltcn, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Ncckarstr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Das neue französische Ministerium vor den
Kammern.
Paris, 26. Juni. Das Haus ist voll besetzt; Tri-
bünen überfüllt; sämmtliche Minister sind anwesend. Nach-
dem der Vorsitzende Deschancl die Sitzung für eröffnet
erklärt hat, erheben sich die revolutionären So-
zialisten und rufen: „Nieder mit dem Mörder!"
Gemeint ist Gallifet. Es entsteht ein lang anhaltender
Tumult.
Der Vorsitzende erthcilt sodann dem Ministerpräsidenten
das Wort.
Der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau verliest
folgende Erklärung:
Indem die Kammer ihren Entschluß ausdrückte, nur eine Re-
gierung zu unterstützen, die entschlossen ist, mit Nachdruck wahr-
zunehmen (Charles Bernard: „Die Interessen Eissels!" Eine
Anspielung auf Waldeck-Rousseaus Vertheidigung Eiffels in Sachen
Panama vor Gericht. Der Unterbrecher wird zur Ordnung ge-
rufen), die republikanischen Einrichtungen zu vertheidigen und die
öffentliche Ordnung zu sichern, hat sie die Aufgabe, die dem neuen
Kabinet gestellt ist, klar bestimmt. Es hat keine andere Aufgabe,
als dieses Programm durchzuführen, das dahin geht, das gemein-
same Gut unversehrt zu erhalten. Wir haben daher geglaubt,
daß die Parteiunterschiede zurücktreten müßten und daß das Werk,
das wir unternehmen, die Mitwirkung aller Republikaner er-
forderte. Der Zweck ist klar. Er bleibt derselbe, wie auch die
Methode oder die Schule sein mag; das Einvernehmen ist leicht
zu bewerkstelligen. Gegenüber der gemeinsamen Pflicht, die zu
erfüllen ist, müssen alle Streitigkeiten verschwinden. Es gilt, den
Treibereien, die unter durchsichtigen Vorwänden gegen das vom
allgemeinen Wahlrecht bestätigte Regiment gemacht werden, ein
Ende zu machen. Dies Regiment wird die Regierung aufrecht
erhalten. Es gilt, in allen Dienstzweigen die treue Mitwirkung
(Beifall), den Muth der Verantwortlichkeit zu fordern. Das
muß die erste Frage der Regierung sein, die sich Ihnen vorstellt.
Es wird nicht von ihr abhängen, daß die Justiz ihr Werk in
voller Unabhängigkeit vollbringe, aber sie ist entschlossen, allen
Urtheilen Achtung zu verschaffen und dafür zu sorgen, daß die-
jenigen, denen die gefährliche Aufgabe obliegt, über andere zu
urtheilen, ihr Werk in Ruhe und Schweigen vorbereiten können.
In die erste Reihe der Interessen, die am engsten mit der Er-
haltung und der Würde der Nation verbunden sind, stellen wir
diejenigen des-Heeres, das die dritte Republik auf festen Grund-
lagen neu gebildet hat. Denn das Heer ist sowohl der Ausdruck
Frankreichs selbst, wie der Bürge seiner Sicherheit. Wir halten
mit seinen berühmtesten und zuverlässigsten Führern dafür, daß
unverbrüchliche Anhänglichkeit an die Mannszucht die erste und
wesentlichste Bürgschaft für die eigene Größe ist. Wir sind ent
schlossen, es mit gleicher Thatkraft zu vertheidigen gegen die Angriffe,
denen es ausgesetzt ist, und gegen die Versuchungen, die für es
die unverdienteste Beschimpfung bilden. Wir wünschen vor Allem
mit denjenigen, denen die moralische Einheit Frankreichs als
erste Bedingung für dessen Kulturmission gilt, daß eine friedliche
Stimmung eintrete. Sie wird bald da sein, wenn Jeder darauf
verzichtet, sich selbst sein Recht zu schaffen und Urtheile vorzube-
reiten oder zu diktiren, sich vielmehr vor dem Gesetze beugt. Um
die uns zufallendc Aufgabe zu erfüllen und alle Maßregeln zu
treffen, die sie erfordert, bedürfen wir der Mitwirkung des
Parlaments und seines ganzen Vertrauens. Wir wollen nur
nach unseren Handlungen und nicht auf Versprechungen hin be-
urlheilt werden. Was wir erbitten, ist ein Auftrag, und was
wir einsetzen, ist die vollste Verantwortlichkeit. Wir bitten Sie,
den Parteistreitigkeiten Einhalt zu gebieten und in kurzer Frist
die zur guten Wirksamkeit der Landesverwaltung nothwendigen
Gesetze zu erlassen. Wenn unsere Bemühungen nicht ohne Frucht
bleiben, wird die Republik sehr bald wieder den Weg des wtrth-
schaftlichen und sozialen Fortschritts betreten, und wir glauben
unsere Pflicht erfüllt zu haben, wenn wir den Weg für eine

Politik frei gemacht haben, die alles Trennende ausschließt und
alles, was die Republikaner vereinigen kann, befolgen will. (Bei-
fall. Murren.)
Nachdem der Ministerpräsident die Erklärung verlesen,
theilt der Vorsitzende De sch an el mit, daß vier Jnter-
pellationsan träge über die allgemeine Politik der
Regierung eingegangen sind von Ernest Roche, Cassagnac,
Mirman und Viviani.
Ernest Roche, revisionistischer Sozialist, hält eine sehr
heftige Rede gegen den Kriegsminister de Galliffet. Er
nennt ihn mehrmals einen Mörder und wird zur Ord-
nung gerufen. Beim Verlassen der Tribüne ruft er aus:
„Ich kann mein Vertrauen keiner Regierung schenken, in
der ein Mann sitzt, der im Jahre 1871 die Republikaner
niedermctzelte."
Mirman sagt, er könne keinem Kabinet das Ver-
trauen schenken, das Lanessan und Gallifet berge. Ersterer
sei durch einen Beschluß der Regierung seines Amtes ent-
hoben worden. Diese Amtsenthebung sei von allen ehr-
lichen Menschen gebilligt worden und von dem heutigen
Minister des Aeußern Delcasss ausgegangen. Dann macht
der Redner Gallifet den Prozeß. Er sei der General der
blutigen Woche. Wie habe man nur auf ihn verfallen
können. Sein Degen sei bis zum Knauf von republikani-
schem Blut verrostet. (Beifall auf mehreren Bänken.)
Der Redner fährt fort: „Mit Abscheu sieht die
republikanische Partei auf zwei Sorten von Leuten, auf
die Gauner und auf die Mörder. Erstere sind mit
Koth, letztere mit Blut bedeckt." Der Redner wird zur
Ordnung gerufen.
Viviani erklärt, er werde das Kabinet unterstützen,
weil es ein Kabinet republikanischer Vertheidigung sei.
Die Anwesenheit Gallifets erschrecke ihn nicht, weil er wisse,
daß dieser die bedrohte Republik vertheidigen werde.
Vivianis Ausführungen werden mit großem Beifall aus-
genommen.
Das Wort nimmt sodann Ministerpräsident Waldeck-
Rousseau. Seine Rede wird häufig durch Zwischenrufe
unterbrochen und dem Vorsitzenden ist es zeitweise
unmöglich, die Ruhe wieder herzustellen. Waldeck-Rousseau
erinnert an die Umstände, unter denen er die Kabinets-
bildung unternommen habe. Er glaube, es sei eine Ehre,
in einer so gefahrvollen Zeit ans Ruder zu kommen, doch
werde ihn schwerlich jemand beneiden. Wenn die Kammer
kein Vertrauen zu seinem Ministerium habe, so möge sie
es sagen, er werde seinen Platz ohne Bedauern anderen
einräumen.
Sodann spricht der Sozialist Vaillant, dessen Worte
im Lärm verloren gehen.
Nach Schluß der Erörterung lehnte die Kammer die
von der Regierung nicht genehmigte einfache Tagesordnung
mit 271 gegen 218 Stimmen ab und nahm die Tages-
ordnung Perillier, welcher die Erklärungen und Handlungen
der Regierung billigt, mit 263 gegen 237 Stimmen an.
Mit der geringen Mehrheit von 23 bczw. 26
Stimmen hat somit die Deputirtenkammer entschieden, daß das
Ministerium Waldeck-Rousseau vorläufig zu
dulden sei.
Paris, 26. Juni. Im Senat wurde die m in i-
terielle Erklärung mit lebhaftem Beifall ausgenommen.
Alles Guyot bringt einen Antrag ein: „Der Senat nimmt
Act von den Erklärungen der Regierung und indem der
Senat auf Wachsamkeit und Festigkeit für die Verthei-
digung der republikanischen Einrichtungen und Aufrecht-
erhaltung der Ruhe und Ordnung rechnet, geht er zur
Tagesordnung über." Der Antrag wird mit 187 gegen
25 Stimmen angenommen (Beifall). Hochrufe auf die
Republik. Die Sitzung wird aufgehoben.

Vom General Gallifet.
Der Name des Marquis de Gallifet ist mit den
Etappen der Entwicklung des modernen Frankreichs eng
verknüpft. Wir finden ihn bei allen Waffenthaten des
Kaiserreichs verzeichnet: in der Krim, in Italien, in Mexiko,
bei Sedan; wir begegnen ihm als glänzendem Hoskavalier
und Ordonnanzoffizier Napoleons III.; wir sehen ihn mit
rücksichtsloser Energie den Commune-Aufstand nicderwerfen;
wir treffen ihn unter der Republik als Reformator der
Kavallerie und gefeierten Armeeführer. Gallifet ist nicht
aus einer der bekannten Kriegsschulen hcrvorgegangen, er
hat von der Pike auf gedient, und zwar trat er am
22. April 1818 als Gemeiner in das 1. Husaren-Regiment
ein. 1855 in der Krim zum ersten Male wegen Tapfer-
keit vor dem Feind im Tagesbefehl genannt, wurde er
1857 zum Leutnant befördert und in das 1. Spahi-
Regiment nach Algerien versetzt. Als Rittmeister wurde
er 1860 Ordonnanzoffizier Napoleons. Im mexikanischen
Feldzug brachte ihm der Sturm auf Puebla eine schreck-
liche Verwundung am Unterleib, zugleich aber auf's neue
die Erwähnung im Tagesbefehl. Nur vermöge einer
Metallbinde vermochte er sich fortan im Sattel zu halten,
und diesen „silbernen Leib" hat er seitdem nicht mehr ab-
gelegt. Nach Algier zurückgekehrt, wo er sich unter General
Daligny gegen die Araber auszeichnete, wurde er 1867
Oberst, fiel aber einige Zeit in Ungnade wegen eines viel-
besprochenen Duells mit Joachim Murat. Seine Waffen-
that bei Sedan ist weltbekannt, sein Todesritt an der
Spitze der Brigade Margueritte, der dem König Wilhelm
den Ausruf entlockt haben soll: „Schade um die Tapferen!"
gehört ebenso der Geschichte an wie sein Auftreten gegen
die Communards. Noch in Sedan, kurz vor der Schlacht,
hatte Napoleon Gallifet zum General befördert. Bei Sedan
gefangen, verbrachte er die Jnternirungszeit in Coblenz
und Mainz. Nach dem Feldzuge erhielt er wieder ein
Kommando in Algerien, wurde 1871 Divisionsgcneral
und Kommandeur der 15. Infanterie-Division in Dijon.
Als Korpskommandeur befehligte er das 9. Korps (Tours)
und das 12. Korps (Limoges) und war als solcher und
späterhin Mitglied des obersten KriegsrathS und designirter
Armeeführcr. Seine hauptsächlichste Beschäftigung aber
galt seiner Lieblingswaffe, der Kavallerie, und cs ist nicht
zu viel gesagt, wenn man den Verfasser der neuen „Vor-
schriften für den Felddicnst der Kavallerie" als den Re-
formator dieser Waffe bezeichnet. Als er im Januar
1895 die Altersgrenze erreichte, nahm er mit folgenden
Worten Abschied von der Armee: „Wenn Frankreich einst
alle die rufen sollte, die es lieben, so werde ich zurückkehren
und um die Ehre bitten, als einfacher Veteran kämpfen zu
dürfen." Die Zukunft hat sich etwas anders gestaltet,
und bevor er an der Spitze seiner Schwadronen nach
Straßburg reiten kann, muß der Marquis de Gallifet vor-
erst nochmals als Reformator vor das französische Heer
treten.

Deutsches Reich.
— Durch die Standesveränderung des Staatssekretärs
v. Bülow wird den bisherigen drei gräflichen Linien
eine vierte hinzugefügt. Die Herren v. Bülow dürfen sich
rühmen, das zahlreichste aller deutschen Adels-
geschlechter zu sein; in der neuesten Rangliste findet
man die Bülows sechszigmal vertreten, an ihrer Spitze
der commandircnde General des XIV. (badischen) Armee-
korps und der Kommandeur der 1. Garde-Jnfanterie-
Division. Im Handbuch des deutschen Reiches stehen sie
achtmal, im Staatshandbuch zwanzigmal verzeichnet, wöbe

Fürstin Natalie.
Novelle von L. N. Satalin. Aus dem Russischen von
6- Eduard Bansa.
(Fortsetzung.)
Es ist merkwürdig, welche Selbstbeherrschung Brjänski
besitzt. Durch die Gegenwart des Küchenmeisters und zweier
Lakaien fühlte er sich veranlaßt, einen heftigen Gcfühlsaus»
druck zu unterdrücken; denn er konnte und durfte diese
schweigenden aber scharfen Beobachter nicht Zeugen einer
häuslichen Szene werden lassen- Wir setzten uns zu Tisch.
Nach kurzem Schweigen fragte mich Mstißlnff:
„Womit wirst Du Dich bis zum Diner beschäftigen, !
Natalie?"
„Ich werde entweder zu Hause bleiben oder vielleicht der
Tante einen Besuch machen."
„Die Tante triffst Du jeden Tag zu Hause. — Aber Du
vast wahrscheinlich vergessen, daß heute Empsangstag bei der
Fürstin Bjelski ist. Außerdem warst Du noch nicht bei ... .
(und nun nannte er eine ganze Reihe von Namen, welche zu
Wiederholen mir zu langweilig ist) — Du mußt unbedingt
bei allen diesen Damen Deine Karte abaeben."
„Gut. fahren wir also bei ihnen vor!"
„Das heißt, Du! — Ich habe für derartige Scherze keine
Zeit."
„Barmherziger Himmel! — Wieder allein! — Es ist mir
w unheimlich, allein Betuche zu machen .... zumal bei der
Fürstin Bjelski! .... Du weißt ja selbst, wie gezwungen
Und steif es in ihren Salons zugeht. Ich könnte dort einmal
ein Ungeschicklichkeit begehen und .... Ich bin überhaupt
Nicht gewohnt, allein auszufahreu I"
Er blickte mich finster an, und seine dunkelblauen Augen
Atzten in einem stahlfarbenen Glanze, — ich habe diesen
Glanz schon mehrfach kennen gelernt und fürchte ihn. — Von
»er russischen Sprache zur französischen übergehend sagte er
Nachdrücklich und nicht ohne eine gewisse Schärfe:

„Natalie, ich bitte Dich, meinen Wunsch zu erfüllen. Wir
müssen unsere Beziehungen zur Hofgesellschaft aufreckt erhalten-
Wenn Du aber nicht gewohnt bist, allein auszufahrcn, so
wirst Du Dir Mühe geben, es zu lernen."
Ein Widerspruch war ausgeschlossen, ich mußte gehorchen-
Im weiteren Verlauf wurde das Frühstück durch kein Ge-
spräch mehr unterbrochen, da wir nicht wußten, was wir
einander sagen sollten. Der schneidende Ton, in welchem
Mstißlaff zu mir gesprochen, klang mir noch lange in den
Ohren nach. Ich bin jetzt der festen Ueberzeugung, daß ich
in die Gewalt eines Menschen gerathen bin. der Willens ist,
mir gegenüber bisweilen den Tyrannen zu spielen. Freilich
mein Mann ist mit mir nicht immer so kurz angebunden und
kehrt nicht stets den gestrengen Selbstherrscher heraus, wie
heute. Gewöhnlich behandelt er mich mit kalter Liebens-
würdigkeit. Seit einigen Tagen trägt er ein ganz sonderbares,
eigenthümliches Wesen zur Schau. Mitunter sieht er mich
lange forschend an, ohne ein Wort zu sagen, gleichsam als
Versuche er. etwas in meinem Innern zu ergründen: dann
wendet er sich plötzlich ab und seufzt tief. Einige Male hatte
ich schon die größte Lust, ihn zu fragen, an was er in solchen
Augenblicken denke; aber ich wage cs doch nicht.
In den ersten Wochen unserer Ehe waren unsere Bezie-
hungen zu einander die denkbar besten gewesen. Wir hatten
als gute Bekannte in einem Hause zusammengclebt. ohne daß
einer dem andern Unbequemlichkeiten bereitet hätte. Jetzt
ärgert er sich entweder über Kleinigkeiten oder ist übertrieben
höflich, wenn er mich nicht, wie ich schon sagte, unentwegt
forschend ansieht. Ich habe den festen Glauben gewonnen,
daß die Ehe doch keine so einfache Sache ist, wie ick bisher
annahm. — Auf Besuche fahren, hasse ich, es ist für mich
eine Marter. Aber über den Empfang bei der Fürstin
Bjelski muß ich doch Einiges den Blättern meines Tagebuches
anverlrauen. . ^
Die Fürstin ist eine ältliche Dame, welche in hohem An-
sehen bei Hofe steht. — Jedermann fürchtet sie. — Mit einem
leisen, gemessenen Worte, das aber tiefer schneidet, als das
Messer des Chirurgen, macht sie den Tapfersten erzittern. —

Dock warum sage ich mit einem Wort? — Ein Blick genügt!
— Sie ist eine Verwandte von mir, und Dank dem Umstande,
daß ich Waise bin, (die Fürstin hat im Grunde genommen
ein sehr gutes Herz), zeigt sie mir gegenüber immer das größte
Wohlwollen. Trotzdem war der Empfang bei ihr für mich
stets eine schwere Prüfung.
Da bin ich schon vorgefahren. Ein behäbiger Schweizer
öffnet den Wagenschlag. Ick trete in eine hohe, geräumige
Halle, von der aus eine monumentale, mit den kostbarsten
Teppichen belegte Marmortreppe in die obere Etage führt.
Ein Diener im reichbetreßten Wappenrock geleitet mich zum
Empfangszimmer der Fürstin. Ich höre noch, nachdem ich
ihm durch eine Flucht von Prunkgemächern gefolgt bin, wie
er meldet: „Ihre Durchlaucht, die Fürstin Brjänski I" —
Dann ist er verschwunden. — Mir schwindelt, und mechanisch,
dem Gesetze der Trägheit folgend, trete ich ein. Im ersten
Augenblicke sehe ich nur die Herrin des Hauses. — Meine
Bestürzung ist so groß, daß ich, wie durch einen dichten
Nebelschleier, der sonst alles um mich her verhüllt, außer dem
Gegenstände meines Entsetzens, nichts zu erkennen vermag.
— Noch jetzt sehe ich sie ganz deutlich. — eine ältliche Dame
von zierlichem, schlanken Wuchs, mit streng aristokratischem,
leicht geröthelem Gesicht und wunderbaren dunkelbraunen
Augen. In einem Kleide von schwerer, schwarzer Seide und
schwarzer Spitzenhaube sitzt sie allein auf einer kleinen zwei-
sitzigen Kauseuse.
Ich gehe auf sie zu, um sie zu begrüßen.
„Ach, liebste Natalie, wie ich erfreut bin, Sie zu sehen,"
redet sie mich aus französisch an, indem sie mit ihrer kleinen,
weißen Hand auf den freien Platz neben sich weist. — „Wie
geht es Ihrer Frau Tante?"
„Danke vielmals, Fürstin, ganz ausgezeichnet, antwortete
ich. mich setzend. .. ...
„Sagen Sie ihr doch, mein Herz, daß sie mich nicht ganz
Vergessen möchte. — Ich habe sie so sehr lieb."
(Fortsetzung folgt).
 
Annotationen