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Kunst der Nation — 2.1934

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Eckstein, H.: Théo van Goghs Briefe an seinen Bruder Vincent
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Theunissen, Gert H.: Ein Gemälde von Eduard Munch
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0006

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6

Kunst der Nation


Flüchtlinge

Die Filmkritik hat ihre Sendung tausendfach, be-
wußt und auch gezwungen, mißbraucht. Der gedruckte Film-
bericht war meist eine verbindliche Quittung des Verlages
für den eingegangencn Auftrag dem Inserenten gegenüber.

Aus dem Ufa-Film „Flüchtlinge"


Die Filmkritik ist der unfreieste Zweig der Journalistik. Ge-
bunden durch geschäftliche Interessen der Zeitungen und auch
durch eine gewisse Verantwortung der deutschen Wirtschaft
gegenüber ist der Wille zu ästhetischer Wertung eingeengt in
vorgefaßte Meinungen. Diese Schwierigkeiten werden noch
erhöht durch den häufigen völligen Mangel an ästhetischen
Grundsätzen, obgleich in letzter Zeit öfter versucht wird, über
einem ethischen Glaubensbekenntnis Kunstgesetze als nicht
notwendig oder als falsch erscheinen zu lassen. Werden sie
aber folgerichtig und andauernd gefordert, so werden diese
Bestrebungen leider erstickt durch den Druck wirtschaftlicher
Einwände, daß eben Film ein Geschäft, und daß das Film-
gewerbe notleidend sei.
Wir haben diese Argumentation nie verstehen wollen,
wir haben die Kritik und alle Strömungen, die diesen Stand-
punkt zu stützen versuchten, verdammt, wir haben die In-
dustrie mit der Waffe ihrer eigenen Verteidigung erbittert
bekämpft. Fast zu Allem, was die Filmindustrie erzeugte
und was für den Film geboren wurde, mußten wir Nein
sagen. Um uns und dem Volk einen letzten Rest künst-
lerischer Ahnung zu erhalten, wurden wir gezwungen, b e -
mußt „negative Kritik" zu üben.
In dieser trostlosen Situation zeigt die UFA
„F lüchtling e". Und diesen Film wollen wir,
aufatmend, gern bejahen; nicht nur weil er
ein Kunstwerk ist, sondern weil damit auch alle
Argumente der Filmindustrie unbrauchbar ge-
worden sind. Man kann auf uns keinen Eindruck
mehr machen, wenn man nach diesem Film sagt,
es sei „kein Geld da". Man kann uns nicht mehr
erschüttern, wenn man uns freundlich lächelnd
vorhält: „das, was ihr als Dreck zu bezeichnen
beliebt, will das Publikum". Der Film
„Flüchtlinge" hat gezeigt, daß das Publikum das
unverfälschte Ausdrnckserlebnis sticht, und
es auch wertet. Daß die Menschen im Kino-
theater es würdigen, spricht allerdings in erster
Linie für die seelische Gesundheit unseres Volkes,
dem der Konsum minderwertiger Jndnstrieerzeug-
nisse relativ wenig Schaden zufügen konnte. Dieser
Film der UFA stutzt in jeder Hinsicht auch die Be-
hauptung, daß ein Film nur dann ein Kunstwerk
werden kann, wenn die Gesetze seiner Gestaltung
erkannt sind und wenn eben Leute am Werk sind,
die etwas können.
Es ist hier nicht so wichtig, die „stor^" des
Films von den aus Sowjetrußland flüchtenden
Wolgadeutschen zu betrachten, als Ucickys fil-
mische Gestaltung. Er nähert sich darin, von den
breiten Dialogen immer mehr abkommend, einer
Ausdrncksform, in der Wohl das Wort als trei-
bende Kraft, als emotionelles Element künstlerische
Berechtigung hat, aber nicht mehr der wesens-
fremde Dialog. Und so wird weder aus den histo-
rischen Kämpfen um Charbin, noch aus der Not
der Wolgadeutschen, noch aus den Elementen per-
sönlicher Spannungen eine übliche Filmhandlung,
sondern der, mit den optischen und akustischen Aus-
drucksmitteln gestaltete, unheimlich Wuchtende Ab-
lauf des Schicksals. Ucicky hat es nicht nötig,
mit billigen Mitteln zu arbeiten. Er zeichnet nicht
den ewig grinsenden Japaner, nicht den viehischen
Sowjetkommissar, nicht den sentimental-patrioti-
schen Deutschen, und er parodiert keineswegs den
Völkerbund. Den Menschen dieses Films haftet
etwas rührend Hilfloses an, eine ungeheure Tragik
lastet auf allen. Das Schicksal zieht sie wie Mario-
netten. Daß Ucicky diese Gestaltung gelang, ver-
dankt er der Beherrschung optischer und akustischer
Mittel. Dadurch gelingt auch das Uberrascheudste:
aus „Stars" werden Plötzlich Menschen. Albers
ist nicht mehr der romantische Draufgänger, er
handelt hier wie unter einem unwiderstehlichen
Zwang, besessen von der „Aufgabe", und die
Nagy hat endlich wieder ein Gesicht; nur Klöpfer
hat innerlich noch immer nicht in den Film hinein-
gefunden. (Das ist kein Tadel!)
Die großartigsten Spannungen menschlichen
Bewußtseins hält dieser Film wach. Wohl läßt
die psychologische Entwicklung des Bildvorgangs,
der Einstellungen, manche Erschütterungen eigen-
gesetzlicher Logik registrieren, doch kann das bei
diesem Filmwerk übersehen werden, denn „Flücht-
linge" ist nicht nur ein schöner, sondern auch
ein wichtiger Film. Or. Ueonlmrck b" ür 8 t
Das „Neue Deutsche Lichtspiel-Syndikat" zeigte
einen dänischen Film mit dem Jnflationstitel

„Fünf fesche Mädels". Der Film ist eine einzige
Peinlichkeit. Man war froh, daß das Publikum
nicht Pfiff, sondern in Gähnkrämpfe verfiel. Der
Film verdient keine Aufregung. Arme Mädels,
fünffacher Blödsinn! G. Ur.
Theo van Goghs Briese
an seinen Bruder Vincent

muß mau lOOO Gemälde zu 100 Mark in feinen:
Künftlerdasein machen, und das ist sehr, sehr hart,
wenn das Bild 100 Frs. wert . . . Ich glaube,
eines Tages werde auch ich verkaufen, aber Dir
gegenüber bin ich so im Rückstände, ich gebe alles
aus und bringe nichts herein." — Der zweite
Brief fällt in die Zeit, während der Vincent in
St. Remy ist. Vincent antwortet auf Theos
Brief am l9. Juni (Nr. 582, Bd. III der Briefe).
Theo van Gogh an den Bruder

Mitgeteilt von

27. Oktober 1888

H. Eckstein
Den Briefen Vincent van Goghs, diesem
erschütternden ckoeument. kumnin, das in den drei
1928 in zweiter Auslage bei Paul Cassirer-Berlin
erschienenen Briefbänden vollständig vorliegt,
sind die Briefe des Bruders Theo als wichtigste
Ergänzung zur Seite getreten. Sie sind im vo-
rigen Jahre erstmals durch Theos Sohn, V. W.
van Gogh, publiziert worden (Wereldbibliothek,
Amsterdam), aber in Deutschland wenig be-
kannt geworden, da eine deutsche Ausgabe noch
nicht vorliegt. Die meisten Briefe Theos, der
seinem Bruder ein halbes Jahr später in den
Tod folgte (1891), sind verloren gegangen. Er-
halten sind nur die jetzt veröffentlichten ein-
undvierzig Briefe aus den Jahren 1888—1890.
Nur drei Briefe stammen aus der Zeit vor der
Tragödie in Arles (Weihnachten 1888); die
übrigen hat Theo an den Bruder geschrieben,
als dieser in der Anstalt in St. Remy und bei
Dr. Eachet war. Er ist immer bedacht, den
kranken Bruder nicht zu beunruhigen. Ein
klarer, besonnener Mensch spricht aus diesen
Briefen, die man zusammen mit denen des
Bruders lesen muß, um die ganze Sorgfalt,
Geduld, die bedingungslose Bereitschaft für den
Maler, an dessen Schaffen er felsenfest glaubt,
herauszufühlen.
Wir geben zwei Briese Theos auszugsweise in
Übersetzung ans dem Französischen. Der erste ist
die Antwort auf Vincents Brief vom 20. Oktober
1888 (Briefe III, Nr. 542), in dem er schreibt:
„Ich kann nichts dafür, daß sich meine Bilder
nicht verkaufen. Einmal wird der Tag kommen,
da wird mai: sehen, daß sie mehr als der: Preis
der Farbe wert sind und mein ganzes erbärm-
liches Leben, das ich daran hängte . . . Meine
Schulden sind so groß, daß, wenn sie einmal be-

. . . Aus Deinen: Briefe sehe ich, daß Du
krank bist und Dir viele Sorgen machst. Ein für
allemal muß ich Dir dies sagen: Ich will es so
betrachtet haben, als ob die Geldangelegenheit und
der Bilderverkauf und die ganze finanzielle Seite
nicht bestände oder vielmehr nur wie eine Krank-
heit. Da es sicher ist, daß vor einer beträchtlichen
Revolution oder wahrscheinlich mehreren Revolu-
tionen die Geldfrage nicht verschwinden wird, muß
man sie behandeln wie die Windpocken, wenn man
sie bereits hat. Das heißt, man muß gegen das
Unglück, das daraus entstehen könnte, Vorsichts-
maßregeln treffen, aber sich im übrigen nicht gallig
ärgern. Du denkst in letzter Zeit viel zu viel
daran, und obschon es für ein Unglück keinerlei
Anzeichen gibt, leidest Du daran. Mit dem Un-
glück meine ich die Armut, und um nicht in sie
zu kommen, muß man ruhig weitergehen, alle
Exzesse und anderen Krankheiten so gut wie mög-
lich vermeiden. Du sprichst von Geld, das Du mir
schuldest und das Du mir wiedergeben willst. Ich
weiß nichts davon. Ich möchte, daß Du einmal
dahin kommst, solche Vorurteile nicht mehr zu
haben. Ich muß für Geld arbeiten. Wie wir alle
beide nicht viel haben, so sollten wir uns nicht zu
viel aus den Nacken laden, aber auch das in Be-
tracht gezogen, können wir uns noch einige Zeit
halten, auch ohne jeden Verkauf. Wenn Du das
Bedürfnis hast, ganz für Dich zu arbeiten, nun
gut, sag es mir; ich denke, wir können trotzdem
dnrchkommen. Aber Deine Rechnung mit soviel
Bildern zu je 100 Francs verstehe ich nicht. Wenn
sie nur 100 Francs kosten sollen, sind sie gleich
gar nichts wert, denn diese unvornehme Gesell-
schaft braucht sie nicht. So laß es uns machen wie
sie selbst: auch wir brauchen sie nicht; ist nicht ein
Gewarnter zweie wert?


Aus dem Ufa-Film „Flüchtlinge"

zahlt sind, und ich glaube, daß mir das gelingen
wird, dann die Anstrengung, Gemälde zu schaffen,
mein ganzes Leben aufgezehrt haben wird; dann
wird es mir scheinen, daß ich gar nicht gelebt
habe . . . Man muß rechnen. Die Wahrheit ist,
daß ein Mensch 50 Jahre lebt und 2000 Mark
jährlich ausgibt, d. h. 100 000 Mark verbraucht,
dann muß er für 100 000 Mark verdiene::, also

Wenn Du etwas für mich
tun willst, dann mache
weiter wie bisher und
bringe einen Kreis von
Künstlern und Freunden
zusammen, wozu ich allein
ganz unfähig bin, was Di:
aber, seit Du in Frank-
reich bist, schon vermoch-
test. Ist es nicht so, daß
immer die Künstler den
Anfang machen, die an-
deren aber Nachfolgen
werden, wenn wir ihrer
bedürfen, in dem Augen-
blick nämlich, wo wir nicht
mehr wie jetzt arbeiten
können. Ich bin davon
felsenfest überzeugt. Du
weißt nicht, wie wehe Du
mir tust, wenn Dl: sagst,
Du werdest einst so viel
gearbeitet haben, daß es
Dir scheine, als habest Di:
gar nicht gelebt. Das ist
gewiß nicht wahr, denn
gerade Du lebst wie die
Großen und Edlen. Aber
gib mir um Himmels willen Nachricht, damit ich
nie fürchten muß, Du seiest in Not oder krank
gewesen, weil Dir das Brot zum Leben fehlte.
16. Juni 1889
Mein lieber Vincent!
Schon sehr, sehr lange hätte ich Dir schreiben
sollen, aber ich vermochte meine Gedanken nicht

Ein Gemälde von Edvard Munch
klber Erde und Himmel streifen die unsichtbaren Schatten der Ewig-Suchenden: Mann
und Weib. Das Gesicht ist ausgelöscht; und es ist, als ob man die leisen Schritte
vernähme, in denen das Verhängnis des Nordlandes mitgeht in die unheimliche
Wortlosigkeit der Kreatur. Liebe ist mehr als der Leib, Liebe ist Gnade und Ver-
zweiflung. Liebe ist Neugier nach den Rätseln, tief verstrickt ins Leben, auflenchtend
im Dämmerlicht des Nordlandes. Mnnch löste das Siegel des Schweigens, das die
Tragik der Liebe erfüllt. Dual uud Grausamkeit find im Blnte, wie Verzückung nnd
Scham. Munch hat fich über den Rand des Lebens gebeugt, und er sah das Bild
der Menschen tausendfach gebrochen im Gründe des Todes. Nordland ist Einsamkeit,
seine Größe ist Schweigen. G. H. Th.


E. Munch, Die Verfolgten. Aus dem „Zyklus des Lebens". Berlin.

Meres-llngeheuer
Milas Irühstülk


Titelblatt von Prof. M. Klewer zu einem
Buch von Dr. Lothar Herdt (Hermann Hillger-
Verlag).

„MI OirO^NI8LHM
^DM^88IINO 8'ILII'I' 8^ITMRKm IN
OLD^II. ^.Q8 IMMMI UND I8D DIL
MOITIN^DION VL8
einern IZriet ^.clolk Nauleis


Walter Schönwandt, Kelch.

1. Preis des Eoldschmiedc-

zn formulieren. Es gibt Momente, in denen man
das Richtige fühlt, aber es ist so schwer, sich dar-
über Rechenschaft zu geben, was davon fest im
Bewußtsein steht und was sich noch im Zustand
des Unbestimmten, befindet. Auch weiß ich nicht
sicher, ob ich Dir heute so schreiben kann wie ich
möchte, doch soll mein Brief auf alle Fälle ab-
geheu, wem: auch nur, um Dir zu sagen, daß wir
oft an Dich denken nnd daß Deine letzten Bilder
mir viel zu denken gegeben haben über die Geistes-
verfassung, in der Du sie gemalt haft. Es ist in
allen eine Macht der Farben, wie Du sie noch nie
erreicht hattest, was ihnen eine seltene Qualität
gibt, aber Du bist noch darüber hinausgegangen,
und wen:: es solche gibt, die das Symbol durch
Vergewaltigung der Form suchen, so finde ich es
in vielen Deiner Bilder als bewußte Expression
Deiner Gedanken über die Natur und die Lebe-
wesen, denen Du Dich so stark verbunden fühlst.
Aber wie muß Dein Kopf gearbeitet haben und
wie mußt Du Dich vorgewagt haben bis zu dem
Punkt, wo das Schwindelgefühl unvermeidlich ist.
Darum, mein lieber Bruder, wenn Du mir sagst,
daß Du von neuem arbeitest, was mich einerseits
erfreut, weil Du darin ein Mittel findest, über
den Zustand hinwegzukommen, dem so viele Un-
glückliche verfallen, die in dem Hause, wo Du bist,
gepflegt werden, denke ich doch auch mit einiger
Unruhe daran, denn vor Deiner vollkommenen
Gesundung solltest Du Dich nicht in diese myste-
riösen Bereiche vorwagen, die man, wie es scheint,
zwar streifen, in die man aber nicht ungestraft
eindringen kann. Strenge Dich nicht mehr als
nötig an, denn wenn Du auch nur einen einfachen
Bericht von dem, was Di: siehst, gibst, so sind auch
darin schon genug Qualitäten, daß Deine Bilder
bleiben. Denke doch an die Stilleben und Blumen-
stücke, die Delacroix malte, als er auis Land zu
G. Sand ging. Allerdings kam bei ihm nachher
eine Reaktion, als er die „Erziehung der Jung-
frau" malte, und es ist nicht aesagt, daß Du nicht
später, wenn Du es so machst, wie ich rate, ein
Meisterwerk schaffen wirst . . .

Schriftlcitung: Otto-Andreas Schreiber; verantwortlich: Otto-Andreas Schreiber, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation E. m. b. H., Berlin W 62, Kursürstenstr. 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der
Nation zu richten. Anzeigenannahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte
Manuskripte wird nicht übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung, abgelehnt. Druck H. S. Hermann G. m. b. H., Berlin SW 19.

Nr. 1, Jhrg. II: rechtsverbindliche Auslage 5VV0 Stück.
 
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