Kunst der Nation
5
Schneider nichts zu tun, gehen die Menschen nicht
mehr in die Kinos oder in die Theater, dann fallen
Hunderttausende von Bühnen- und Filmange-
hörigen der öffentlichen Fürsorge anheim. Einem
Volk die Freude und die Lebenslust nehmen, das
heißt, es für den Kampf um das tägliche Brot
untüchtig machen. Wer das tut, der versündigt
sich am Wiederaufbau uud blamiert den national-
sozialistischen Staat vor der ganzen Welt.
Eine trostlose Verarmung
unseres öffentlichen nndprivaten
Lebens wurde die Folge sein.
Und dagegen machen wir Front.
Wir Wolleri die Freude nicht be-
seitigen, sondern möglichst viele,
möglich ft alle daran teilnehmen
lassen. Darum führen wir das Volk in
die Theater, darum geben wir auch dem
Arbeiter die Möglichkeit, sich für festliche Ge-
legenheiten festlich zu kleiden, darum vermitteln
wir Kraft durch Freude, darum schütteln wir die
Agenten einer prüden Heuchelei von uns ab und
dulden es nicht, daß sie weiterhin einem an-
ständigen, braven Volk, das allen Grund hat, sich
die Stärke zum schweren Daseinskampf durch
immer erneuerte, bewußte Lebensbejahung zu
holen, die für Mühe, Sorge und Entbehrung des
Alltags so nötige Freude durch ewige, schikanöse
Schulmeistereien verderben.
Also: Mehr Lebensbejahung und weniger
Muckertum!
Mehr Moral, aber weniger Moralin!
Neue Malerei
Von
Maler Willi Kelter
Landesleiter der Neichskammer der bildenden Künste und des Kampfbundes für deutsche Kultur Nordwest
Fortsetzung aus Nr. 2
Bei ihrer Betrachtung will uns das Gefühl nicht
verlassen, wir haben es mit den degenerierten Nach-
fahren alter Geschlechter zu tun, die in sehr
wählerischer Geschmäcklerei alles und jedes benutzen,
um die Täuschung über ihr Vermögen zu vollenden.
Dabei: Wie liegt es für jugendfrische
Menschen so nah, sich auf ein
männliches Abenteuer einzulassen
und Neuland zu erobern. Aber es
gebricht schon an der Kraft, über das kleinste
handschriftliche Format hinauszukommen. Es ge-
bricht an der starken Phantasie, vom Gegenstand
her neu zu gestalten, ohne in ausgefahrene Gleise
oder in kleinlichste Gegenstandsliebe zu verfallen.
Es gebricht an der Kraft, außer privaten Gefühl-
chen, die schließlich jedem Menschen eigen sind,
großes Geschehen oder großes Erlebnis, das all-
gemeines Interesse beanspruchen kann, über-
zeugend zu formen.
Bemerkenswert ist die außerordentliche Ge-
schicklichkeit des Verzeichnens. Ich betone „Ge-
schicklichkeit", um damit zu sagen, daß die Ver-
zeichnung meist jeder inneren Veranlassung ent-
behrt, so sehr man sie mit der Miene der Un-
ergründlichen zu begründen versucht. Die Mache
belustigt uns, und das trägt uns den Ruf, reak-
tionär zu sein, ein. Wir lächeln aber wie Wissende.
Uns ist bekannt, daß diese Korrektur des Gegen-
standes von Imitatoren geübt wird. Tinto-
retto oder Cezanne tragen ihre „Verzeichnungen"
überzeugend vor, bei unserer Generation scheinen
sie vor allem das erste zu sein. Die kunstgewerb-
lichen Folgen sind nicht ausgeblieben. Wir wissen
es: Dem Bildganzen widerspricht die photographi-
sche Treue in der Wiedergabe gegenständlicher
Kokoschka, London bei Abend. 1926
Formen, und gerade wir bemängeln an den Jahr-
zehnten vor dem Expressionismus die ungeheuer-
lichen Bemühungen, sich des Gegenstandes durch
zeichnerische und malerische Tricks zu bemächtigen.
Wenn man uns in der heutigen Art gegenständ-
lich kommt, dann haben wir ein volles Recht, uns
auf die vom Gegenstand getragene Darstellungs-
kunst aller Jahrhunderte zu berufen, die es besser
vermochte als die Gegenwart. Unsere Generation
vergewaltigt den Gegenstand nicht aus dem
Müssen, sondern sie verformt ihn um kleiner
Bildsensationen willen.
Lieber sind uns schon die um absolute Gestal-
tung sich bemühenden Künstler, die aus Farb-
und Formelementen reine Abstraktionen bauen,
obwohl wir bei kritischer Betrachtung der Resultate
sagen müssen, daß sie am Schluß in formale Spie-
lereien ausarten, die trotz aller anderen Versiche-
rungen nur den Wert gut abgewogener Orna-
mente haben. Sie beweisen Mut und
werden nicht unerheblich als Bereicherung zukünf-
tiger Kunst beitragen.
Die Gesamtmalerei unserer Zeit besteht aus
Privatäußerungen von Fall zu Fall, und nur ein
Zeitalter, das an der „Psychologie"
kränkelt, kann so wenig dezent sein, sein
Privatleben auf dem Wege über unsere heutigen
Ausstellungen der Öffentlichkeit zugängig zu
machen.
Sah es in den öffentlichen Ausstellungen nicht
sehr verheißungsvoll aus, so bietet das Atelier
der gegenwärtig Schaffenden einen wahrhaft trost-
losen Anblick. Der Umfang der Produktion des
Einzelnen ist außerordentlich gering. Leiden wir
insgesamt gesehen an einem Überangebot von
Malerei, dann liegt das an der Überfüllung des
Malerberufes überhaupt. Für diese Erscheinung
werden wir später noch eine zureichende Erklärung
geben. Der einzelne lebende Künstler kann nicht
freigebig sein, da er faktisch nichts zu verschenken
hat. Es gibt Künstler, deren Jahresleistung zwei
bis drei Bilder darstellen, die dann Jahre hin-
durch in den Ausstellungen geistern. Sicherlich
Otto Pankok, Frau am Crab
kann man einwenden, der Umfang der Erzeugung
sei nicht entscheidend, aber ohne Frage spricht doch
die mengenmäßige Leistung eines Künstlers für
oder gegen den inneren Reichtum an Gesichtern
und Bildern oder zeugt auch für oder gegen den
Drang, sich mitzuteilen. Wir würden über diese
Seite des Problems schweigen, wenn der Mangel
einer großen Zahl niveauhaltender Werke durch
wenige, aber erlesene Kostbarkeiten der Malerei
ausgeglichen würde. Die Forderung ist
hier, weniger Berufsmaler, aber
mehr Maler aus Berufung. Dies
Verhältnis herrschte einmal in vergangenen
Zeiten. Es verschlägt uns den Atem, wenn wir
erfahren, welches Werk die großen Meister
längst verflossener Epochen hinterließen. So hat
Delacroix rund 9000 Arbeiten in knapp 40 Jahren
des Schaffens der Welt hinterlassen, William
Turners Nachlaß wies 10 000 vollendete Werke
auf. Die Überfüllung des Malerberufes mit ihren
gekennzeichneten üblen Folgen ist in der Pro-
stitution des Malerberufes begründet, wohin das
leichtfertige Ausbildungsverfahren führte, mit dem
man die Schüler der Kunsthochschulen bedachte.
Aus einer geradezu phantastischen Verantwor-
tungslosigkeit der nun überwunden vergangenen
Gesellschaft ließ man jeden, der Willens war, und
der auch nur die geringste manuelle Begabung er-
kennen ließ, in die Akademien und überantwortete
sie nach einigen fröhlich überstandenen Semestern
einem erbarmungslosen Schicksal. Neben der
Mühelosigkeit des Weges zur Kunst wirkte nicht
minder anreizend die kitschige romantische Ver-
klärung des künstlerischen Berufs, für die die Kol-
portage-Kunstschreiber verantwortlich zeichnen. So
ist denn auch die Haltung des heutigen Malers
erbarmungswürdig. Sie sind verbittert und hadern
mit einer Welt, die an ihnen vorübergeht, obwohl
sie sich sagen müßten, daß diese Welt von dem
ewig tatsächlichen Leben geleitet wird. Sie wer-
den nie wieder für diese Welt fruchtbar werden,
wenn sie nicht die Türen ihrer Ateliers öffnen
und sich kämpferisch in sie hineinstellen.
Fortsetzung folgt
Das Geschick eines Knaben
im nordischen Krieg
Novelle von Carl v. Bremen
Fortsetzung aus Nr. 2
Bürger haben nirgends Sicherheit.
Sie werden in den Straßen erschossen, zer-
quetscht.
Jedeu Augenblick sind sie dem Tode und, was
noch ärger als der Tod, solch kläglicher Zer-
schmetterung nahe.
Der Russe aber läßt verkünden:
Im Sturm werde er Dorpat nehmen und
alsdann der Kinder im Mutterleibe nicht ver-
schonen.
Der Kugelregen hat fast alle Häuser zerstört,
die unter sich, im Zusammenbrechen, die in die
Keller geflüchteten Menschen lebendig vergraben.
Nicht anszuhalten ist das Jammergeschrei der
Kinder in den Straßen.
Der Kommandant Skytte mit seinen Offi-
zieren und dem Bürgerrat erwägt die Übergabe
der Stadt.
Der Bürgerrat aber lehnt die Übergabe ab.
Marr weiß das Blutbad voraus, das die Russen
anrichten werden.
Und man hofft immer noch aus Entsatz.
So gehen die Offiziere wieder an ihre Posten.
Die Russen blockieren die Jakobspsorte.
Eine Kugel trifft den Kommandanten Skytte
am Kopf, daß er zur Erde sinkt, und ihm das
Blut zu den Ohren herauslänft.
Die Russen sind nicht anszuhalten — dringen
unaufhaltsam ein.
Die Gewehre der schwedischen Soldaten sind
heiß geschossen.
Einige werfen mit Steinen aus die immer neu
austürmenden Russen, andere kühlen ihre Flinten
im Lehm der nahe gelegenen Teiche und wehren
sich weiter — verzweifelt.
Tuve Lechts wird verwundet.
Ein Brocken einer Salve zerschlägt ihm den
rechten Arm. Er fällt auf einen Haufen Toter
und Blessierter — und weitere stürzen, liegen als
schwere Last über dem jungen Fähnrich. Er kann
sich nicht hervorgraben.
Dazu hat er nicht die Kraft mehr. Er hat nur
wenig klare Augenblicke.
Diese entsetzlich zersetzte Wunde quält ihn und
maßlose Glut. Die Schüsse versickern fern.
Mall hört Trompetenstöße.
Auch aus feindlicher Seite wird ins Horn ge-
stoßen.
„Wo mag mein rechter Arm sein?" denkt Tuve.
„Eben noch hieb mein Säbel auf die Russen
ein."
And dann, als er noch einmal erwacht, fragt er
nach seinem kleinen Bruder Carl.
Lebt er noch?
Tuve selbst hat keine Hoffnung durchzukommen.
„In dieser Kriegszeit kann ein Mann nicht
leben mit einem Arm. Heute muß man in der
rechten Fällst den Säbel, in der linken die Pistole
führen.
Bruder Carl kennt den Krieg, aber er ist kein
Kriegsmann. Ist es zu schwer, kleiner Carl? Du
kennst den Krieg — aber noch bist du kein Kriegs-
mann. Dann verliert Tuve Lechts die Be-
sinnung.
Während die schwedischen Offiziere mit dem
russischen Feldmarschall Scheremetjew verhandeln,
Boten tauschen — arbeiten die Bürger und Sol-
daten an den Wehren der Stadt, suchen die Leichen
der Offiziere heraus, nehmen sich der Ver-
wundeten an.
Tuve Lechts wird aufgesunden, verbunden und
gepflegt.
Der Verlust der Russen wird von schwedischer
Seite dreimal so hoch eingeschätzt als der eigene.
Aber die Schweden sind erschöpft, und die Russen
haben immer frische Soldaten. Soldaten in deut-
scher Ausrüstung unter deutschen Offizieren zu-
meist.
Nach Stunden kommt die Verhandlung zum
Abschluß.
Die Schweden sind bereit, Dorpat zu räumen.
Sie verlangen dafür: daß den Bürgern kein
leiblicher noch Sachschaden zugefügt wird. Daß
den Bürgern ihre Privilegien, Religion und Frei-
heiten, die sie vom schwedischen König erhielten,
gewahrt bleiben.
Die Schweden verlangen: Freien Auszug sämt-
licher Truppen und Verwundeten — mit Pauken
und Trompeten, mit klingendem Spiele und
fliegenden Fahnen, mit sämtlichen Waffen und
Munition.
Sack und Pack, Frauen, Kinder und Ge-
sinde und alle Bagage muß ohne Visitierung aus-
ziehen dürfen nach der Festung Reval.
Russischerseits soll der ausziehenden Armee ein
Convoy zur Sicherheit als Begleitung mitgegeben
werden.
Die Russen haben Proviant für einen Monat
zu liefern.
Kein Angehöriger der schwedischen Armee, der
Miliz oder Bürgerwehr darf, unter welchem Vor-
wande es auch sei, angefallen oder angehalten
werden, oder sonstwie geschädigt.
Schwedischer- und russischerseits werden diese
Punkte besiegelt und bekanntgegeben.
Die Schweden rücken aus.
Fünftausend Bomben haben die Russen in den
drei Wochen der Belagerung in die Stadt ge-
worfen.
5000 Tote und 5000 Verwundete blieben auf
des Zaren Seite.
Tuve Lechts ist zugegen, wie dem Regiment
der schwedischen Feldscheerer der Auszug aus der
Stadt verwehrt wird.
Die schwedischen Soldaten müssen ihre Waffen
gegen alte unbrauchbare Gewehre der Russen um-
tauschen. Die Munition, die sie dazu erhalten,
ist nicht verwertbar.
Es dauert viele Tage, bis der gemeine Sol-
datenproviant — trockenes Brot — verabfolgt
wird.
Die schwedischen Soldaten lagern wartend auf
freiem Felde vor der Stadt.
Die Wehrlosen werden eingekreist, durchsucht,
des Geldes beraubt. Dann müssen die Schweden
aufmarschieren — in Reih und Glied. Die Schuhe
werden weggenommen, Teile der Uniformen und
die Bagage. So geht es Offizieren wie gemeinen
Soldaten und Knechten.
Bürger strömen ins Lager.
Die Russen haben ihr besiegeltes Ehrenwort
nicht gehalten. Sie rauben in der Stadt das
Letzte.
Das Blutbad wird so schrecklich, daß der Zar
selbst eingreist. Mit blankem Säbel erschlägt er
seine plündernden Soldaten, um Einhalt zu ge-
bieten.
Doch das hilft wenig.
Selbst die Russenoffiziere vergessen sich.
Die königliche Armee bricht das Lager ab —
marschiert nordwärts. Aber sie werden zurück-
gehalten.
Schermetjew erläßt einen Befehl, dem sich die
waffenlose Armee fügen muß.
Ein Teil der Truppe wird südwärts nach Riga
beordert. Ein anderer Teil, darunter viele Offi-
ziere und der verwundete Kommandant Obrist
Skytte, werden als Gefangene in das Ruffenlager
vor Narva gebracht.
Ein elender Rest fchleppt sich nach Reval.
Unter diesen ist Tuve Lechts, sein Arm not-
dürftig bandagiert, bekleidet mit nicht viel mehr
als dem Hemde.
Mit erhobenem Haupt zieht er barfuß die
Straße — in langer Reihe vor und hinter ihm
Soldaten.
Nur nicht denken auf diesem Marsch im Juli-
staub.
Und doch würgt und sticht es jeden — Soldaten
wie Offizier — das zu erleben.
Man hat auch diese restliche Truppe zerteilt.
Drei verschiedene Straßen werden marschiert.
Viele bleiben liegen vor Hunger und Er-
schöpfung.
Fortsetzung folgt
5
Schneider nichts zu tun, gehen die Menschen nicht
mehr in die Kinos oder in die Theater, dann fallen
Hunderttausende von Bühnen- und Filmange-
hörigen der öffentlichen Fürsorge anheim. Einem
Volk die Freude und die Lebenslust nehmen, das
heißt, es für den Kampf um das tägliche Brot
untüchtig machen. Wer das tut, der versündigt
sich am Wiederaufbau uud blamiert den national-
sozialistischen Staat vor der ganzen Welt.
Eine trostlose Verarmung
unseres öffentlichen nndprivaten
Lebens wurde die Folge sein.
Und dagegen machen wir Front.
Wir Wolleri die Freude nicht be-
seitigen, sondern möglichst viele,
möglich ft alle daran teilnehmen
lassen. Darum führen wir das Volk in
die Theater, darum geben wir auch dem
Arbeiter die Möglichkeit, sich für festliche Ge-
legenheiten festlich zu kleiden, darum vermitteln
wir Kraft durch Freude, darum schütteln wir die
Agenten einer prüden Heuchelei von uns ab und
dulden es nicht, daß sie weiterhin einem an-
ständigen, braven Volk, das allen Grund hat, sich
die Stärke zum schweren Daseinskampf durch
immer erneuerte, bewußte Lebensbejahung zu
holen, die für Mühe, Sorge und Entbehrung des
Alltags so nötige Freude durch ewige, schikanöse
Schulmeistereien verderben.
Also: Mehr Lebensbejahung und weniger
Muckertum!
Mehr Moral, aber weniger Moralin!
Neue Malerei
Von
Maler Willi Kelter
Landesleiter der Neichskammer der bildenden Künste und des Kampfbundes für deutsche Kultur Nordwest
Fortsetzung aus Nr. 2
Bei ihrer Betrachtung will uns das Gefühl nicht
verlassen, wir haben es mit den degenerierten Nach-
fahren alter Geschlechter zu tun, die in sehr
wählerischer Geschmäcklerei alles und jedes benutzen,
um die Täuschung über ihr Vermögen zu vollenden.
Dabei: Wie liegt es für jugendfrische
Menschen so nah, sich auf ein
männliches Abenteuer einzulassen
und Neuland zu erobern. Aber es
gebricht schon an der Kraft, über das kleinste
handschriftliche Format hinauszukommen. Es ge-
bricht an der starken Phantasie, vom Gegenstand
her neu zu gestalten, ohne in ausgefahrene Gleise
oder in kleinlichste Gegenstandsliebe zu verfallen.
Es gebricht an der Kraft, außer privaten Gefühl-
chen, die schließlich jedem Menschen eigen sind,
großes Geschehen oder großes Erlebnis, das all-
gemeines Interesse beanspruchen kann, über-
zeugend zu formen.
Bemerkenswert ist die außerordentliche Ge-
schicklichkeit des Verzeichnens. Ich betone „Ge-
schicklichkeit", um damit zu sagen, daß die Ver-
zeichnung meist jeder inneren Veranlassung ent-
behrt, so sehr man sie mit der Miene der Un-
ergründlichen zu begründen versucht. Die Mache
belustigt uns, und das trägt uns den Ruf, reak-
tionär zu sein, ein. Wir lächeln aber wie Wissende.
Uns ist bekannt, daß diese Korrektur des Gegen-
standes von Imitatoren geübt wird. Tinto-
retto oder Cezanne tragen ihre „Verzeichnungen"
überzeugend vor, bei unserer Generation scheinen
sie vor allem das erste zu sein. Die kunstgewerb-
lichen Folgen sind nicht ausgeblieben. Wir wissen
es: Dem Bildganzen widerspricht die photographi-
sche Treue in der Wiedergabe gegenständlicher
Kokoschka, London bei Abend. 1926
Formen, und gerade wir bemängeln an den Jahr-
zehnten vor dem Expressionismus die ungeheuer-
lichen Bemühungen, sich des Gegenstandes durch
zeichnerische und malerische Tricks zu bemächtigen.
Wenn man uns in der heutigen Art gegenständ-
lich kommt, dann haben wir ein volles Recht, uns
auf die vom Gegenstand getragene Darstellungs-
kunst aller Jahrhunderte zu berufen, die es besser
vermochte als die Gegenwart. Unsere Generation
vergewaltigt den Gegenstand nicht aus dem
Müssen, sondern sie verformt ihn um kleiner
Bildsensationen willen.
Lieber sind uns schon die um absolute Gestal-
tung sich bemühenden Künstler, die aus Farb-
und Formelementen reine Abstraktionen bauen,
obwohl wir bei kritischer Betrachtung der Resultate
sagen müssen, daß sie am Schluß in formale Spie-
lereien ausarten, die trotz aller anderen Versiche-
rungen nur den Wert gut abgewogener Orna-
mente haben. Sie beweisen Mut und
werden nicht unerheblich als Bereicherung zukünf-
tiger Kunst beitragen.
Die Gesamtmalerei unserer Zeit besteht aus
Privatäußerungen von Fall zu Fall, und nur ein
Zeitalter, das an der „Psychologie"
kränkelt, kann so wenig dezent sein, sein
Privatleben auf dem Wege über unsere heutigen
Ausstellungen der Öffentlichkeit zugängig zu
machen.
Sah es in den öffentlichen Ausstellungen nicht
sehr verheißungsvoll aus, so bietet das Atelier
der gegenwärtig Schaffenden einen wahrhaft trost-
losen Anblick. Der Umfang der Produktion des
Einzelnen ist außerordentlich gering. Leiden wir
insgesamt gesehen an einem Überangebot von
Malerei, dann liegt das an der Überfüllung des
Malerberufes überhaupt. Für diese Erscheinung
werden wir später noch eine zureichende Erklärung
geben. Der einzelne lebende Künstler kann nicht
freigebig sein, da er faktisch nichts zu verschenken
hat. Es gibt Künstler, deren Jahresleistung zwei
bis drei Bilder darstellen, die dann Jahre hin-
durch in den Ausstellungen geistern. Sicherlich
Otto Pankok, Frau am Crab
kann man einwenden, der Umfang der Erzeugung
sei nicht entscheidend, aber ohne Frage spricht doch
die mengenmäßige Leistung eines Künstlers für
oder gegen den inneren Reichtum an Gesichtern
und Bildern oder zeugt auch für oder gegen den
Drang, sich mitzuteilen. Wir würden über diese
Seite des Problems schweigen, wenn der Mangel
einer großen Zahl niveauhaltender Werke durch
wenige, aber erlesene Kostbarkeiten der Malerei
ausgeglichen würde. Die Forderung ist
hier, weniger Berufsmaler, aber
mehr Maler aus Berufung. Dies
Verhältnis herrschte einmal in vergangenen
Zeiten. Es verschlägt uns den Atem, wenn wir
erfahren, welches Werk die großen Meister
längst verflossener Epochen hinterließen. So hat
Delacroix rund 9000 Arbeiten in knapp 40 Jahren
des Schaffens der Welt hinterlassen, William
Turners Nachlaß wies 10 000 vollendete Werke
auf. Die Überfüllung des Malerberufes mit ihren
gekennzeichneten üblen Folgen ist in der Pro-
stitution des Malerberufes begründet, wohin das
leichtfertige Ausbildungsverfahren führte, mit dem
man die Schüler der Kunsthochschulen bedachte.
Aus einer geradezu phantastischen Verantwor-
tungslosigkeit der nun überwunden vergangenen
Gesellschaft ließ man jeden, der Willens war, und
der auch nur die geringste manuelle Begabung er-
kennen ließ, in die Akademien und überantwortete
sie nach einigen fröhlich überstandenen Semestern
einem erbarmungslosen Schicksal. Neben der
Mühelosigkeit des Weges zur Kunst wirkte nicht
minder anreizend die kitschige romantische Ver-
klärung des künstlerischen Berufs, für die die Kol-
portage-Kunstschreiber verantwortlich zeichnen. So
ist denn auch die Haltung des heutigen Malers
erbarmungswürdig. Sie sind verbittert und hadern
mit einer Welt, die an ihnen vorübergeht, obwohl
sie sich sagen müßten, daß diese Welt von dem
ewig tatsächlichen Leben geleitet wird. Sie wer-
den nie wieder für diese Welt fruchtbar werden,
wenn sie nicht die Türen ihrer Ateliers öffnen
und sich kämpferisch in sie hineinstellen.
Fortsetzung folgt
Das Geschick eines Knaben
im nordischen Krieg
Novelle von Carl v. Bremen
Fortsetzung aus Nr. 2
Bürger haben nirgends Sicherheit.
Sie werden in den Straßen erschossen, zer-
quetscht.
Jedeu Augenblick sind sie dem Tode und, was
noch ärger als der Tod, solch kläglicher Zer-
schmetterung nahe.
Der Russe aber läßt verkünden:
Im Sturm werde er Dorpat nehmen und
alsdann der Kinder im Mutterleibe nicht ver-
schonen.
Der Kugelregen hat fast alle Häuser zerstört,
die unter sich, im Zusammenbrechen, die in die
Keller geflüchteten Menschen lebendig vergraben.
Nicht anszuhalten ist das Jammergeschrei der
Kinder in den Straßen.
Der Kommandant Skytte mit seinen Offi-
zieren und dem Bürgerrat erwägt die Übergabe
der Stadt.
Der Bürgerrat aber lehnt die Übergabe ab.
Marr weiß das Blutbad voraus, das die Russen
anrichten werden.
Und man hofft immer noch aus Entsatz.
So gehen die Offiziere wieder an ihre Posten.
Die Russen blockieren die Jakobspsorte.
Eine Kugel trifft den Kommandanten Skytte
am Kopf, daß er zur Erde sinkt, und ihm das
Blut zu den Ohren herauslänft.
Die Russen sind nicht anszuhalten — dringen
unaufhaltsam ein.
Die Gewehre der schwedischen Soldaten sind
heiß geschossen.
Einige werfen mit Steinen aus die immer neu
austürmenden Russen, andere kühlen ihre Flinten
im Lehm der nahe gelegenen Teiche und wehren
sich weiter — verzweifelt.
Tuve Lechts wird verwundet.
Ein Brocken einer Salve zerschlägt ihm den
rechten Arm. Er fällt auf einen Haufen Toter
und Blessierter — und weitere stürzen, liegen als
schwere Last über dem jungen Fähnrich. Er kann
sich nicht hervorgraben.
Dazu hat er nicht die Kraft mehr. Er hat nur
wenig klare Augenblicke.
Diese entsetzlich zersetzte Wunde quält ihn und
maßlose Glut. Die Schüsse versickern fern.
Mall hört Trompetenstöße.
Auch aus feindlicher Seite wird ins Horn ge-
stoßen.
„Wo mag mein rechter Arm sein?" denkt Tuve.
„Eben noch hieb mein Säbel auf die Russen
ein."
And dann, als er noch einmal erwacht, fragt er
nach seinem kleinen Bruder Carl.
Lebt er noch?
Tuve selbst hat keine Hoffnung durchzukommen.
„In dieser Kriegszeit kann ein Mann nicht
leben mit einem Arm. Heute muß man in der
rechten Fällst den Säbel, in der linken die Pistole
führen.
Bruder Carl kennt den Krieg, aber er ist kein
Kriegsmann. Ist es zu schwer, kleiner Carl? Du
kennst den Krieg — aber noch bist du kein Kriegs-
mann. Dann verliert Tuve Lechts die Be-
sinnung.
Während die schwedischen Offiziere mit dem
russischen Feldmarschall Scheremetjew verhandeln,
Boten tauschen — arbeiten die Bürger und Sol-
daten an den Wehren der Stadt, suchen die Leichen
der Offiziere heraus, nehmen sich der Ver-
wundeten an.
Tuve Lechts wird aufgesunden, verbunden und
gepflegt.
Der Verlust der Russen wird von schwedischer
Seite dreimal so hoch eingeschätzt als der eigene.
Aber die Schweden sind erschöpft, und die Russen
haben immer frische Soldaten. Soldaten in deut-
scher Ausrüstung unter deutschen Offizieren zu-
meist.
Nach Stunden kommt die Verhandlung zum
Abschluß.
Die Schweden sind bereit, Dorpat zu räumen.
Sie verlangen dafür: daß den Bürgern kein
leiblicher noch Sachschaden zugefügt wird. Daß
den Bürgern ihre Privilegien, Religion und Frei-
heiten, die sie vom schwedischen König erhielten,
gewahrt bleiben.
Die Schweden verlangen: Freien Auszug sämt-
licher Truppen und Verwundeten — mit Pauken
und Trompeten, mit klingendem Spiele und
fliegenden Fahnen, mit sämtlichen Waffen und
Munition.
Sack und Pack, Frauen, Kinder und Ge-
sinde und alle Bagage muß ohne Visitierung aus-
ziehen dürfen nach der Festung Reval.
Russischerseits soll der ausziehenden Armee ein
Convoy zur Sicherheit als Begleitung mitgegeben
werden.
Die Russen haben Proviant für einen Monat
zu liefern.
Kein Angehöriger der schwedischen Armee, der
Miliz oder Bürgerwehr darf, unter welchem Vor-
wande es auch sei, angefallen oder angehalten
werden, oder sonstwie geschädigt.
Schwedischer- und russischerseits werden diese
Punkte besiegelt und bekanntgegeben.
Die Schweden rücken aus.
Fünftausend Bomben haben die Russen in den
drei Wochen der Belagerung in die Stadt ge-
worfen.
5000 Tote und 5000 Verwundete blieben auf
des Zaren Seite.
Tuve Lechts ist zugegen, wie dem Regiment
der schwedischen Feldscheerer der Auszug aus der
Stadt verwehrt wird.
Die schwedischen Soldaten müssen ihre Waffen
gegen alte unbrauchbare Gewehre der Russen um-
tauschen. Die Munition, die sie dazu erhalten,
ist nicht verwertbar.
Es dauert viele Tage, bis der gemeine Sol-
datenproviant — trockenes Brot — verabfolgt
wird.
Die schwedischen Soldaten lagern wartend auf
freiem Felde vor der Stadt.
Die Wehrlosen werden eingekreist, durchsucht,
des Geldes beraubt. Dann müssen die Schweden
aufmarschieren — in Reih und Glied. Die Schuhe
werden weggenommen, Teile der Uniformen und
die Bagage. So geht es Offizieren wie gemeinen
Soldaten und Knechten.
Bürger strömen ins Lager.
Die Russen haben ihr besiegeltes Ehrenwort
nicht gehalten. Sie rauben in der Stadt das
Letzte.
Das Blutbad wird so schrecklich, daß der Zar
selbst eingreist. Mit blankem Säbel erschlägt er
seine plündernden Soldaten, um Einhalt zu ge-
bieten.
Doch das hilft wenig.
Selbst die Russenoffiziere vergessen sich.
Die königliche Armee bricht das Lager ab —
marschiert nordwärts. Aber sie werden zurück-
gehalten.
Schermetjew erläßt einen Befehl, dem sich die
waffenlose Armee fügen muß.
Ein Teil der Truppe wird südwärts nach Riga
beordert. Ein anderer Teil, darunter viele Offi-
ziere und der verwundete Kommandant Obrist
Skytte, werden als Gefangene in das Ruffenlager
vor Narva gebracht.
Ein elender Rest fchleppt sich nach Reval.
Unter diesen ist Tuve Lechts, sein Arm not-
dürftig bandagiert, bekleidet mit nicht viel mehr
als dem Hemde.
Mit erhobenem Haupt zieht er barfuß die
Straße — in langer Reihe vor und hinter ihm
Soldaten.
Nur nicht denken auf diesem Marsch im Juli-
staub.
Und doch würgt und sticht es jeden — Soldaten
wie Offizier — das zu erleben.
Man hat auch diese restliche Truppe zerteilt.
Drei verschiedene Straßen werden marschiert.
Viele bleiben liegen vor Hunger und Er-
schöpfung.
Fortsetzung folgt