Kunst der Nation
5
Ahnung von der Schönheit. Enrico Prampolini ist in
seinem „Flieger des Weltalls" ihr sehr nahe. Alle Schön-
heit ist Abstraktion der Sinnlichkeit — es ist noch immer
mon Kunst die Rede! Es ist die Schönheit des Spirituellen.
'Pascal und Nietzsche kannten sie, Jean Paul rang Jahr-
zehnte mit ihr, dann gelang sie ihm in deutschester Art. Um
ihretwegen lieben wir die Futuristen und können den Einsatz
-ihrer fleischlich-bürgerlichen Existenz genau verstehen. Zwi-
schen den Büsten im Friseurladen und der Mona Lisa besteht
Leine Verbindung mehr, trotzdem liegt zwischen ihnen die
'Natur, die ihre bocksbeinigen Sprünge macht. Solange aber
nn der Kunst Holz gehackt wird, verkümmern die Instinkte
«für die Unheimlichkeit des Realen. Die suchen wir, bei
Kasper, Schreitendes Mädchen. 1938
Lionardo, Grünewald und auch bei den Futuristen. Unsere
Zeit — sie datiert nicht erst seit gestern, wie viele, auch
Futuristen, drolligerweise annehmen — hat mit tiefstem
.Recht eine Kunst um der Kunst willen verdammt, aber sie
hat den Ausspruch des größten modernen englischen Märchen-
erzählers gründlichst mißverstanden: „Ttis nrtist is ttis
orsator ott bsautikul tkings." Vor der Kunst steht das
Leben, aber das Leben wurde aus dem eigensinnigen Spiel
der Künstler wie ein unartiges Kind ausgeschlossen. Doch
die Gefährdung der Kunst war und ist nicht in ihr selbst
zu suchen, vorausgesetzt, daß es sich ja um Kunst handelt,
sondern auf dem reichlich überzogenen Bankkonto, das sich
.als das sogenannte Leben repräsentierte. Die Futuristen
-und einige andere haben hier Ordnung geschaffen, Kunst
und Leben sind eins geworden, und die Schönheit ihrer
Bilder ist die Wahrheit unserer Zeit. E. A. Ambrosi und
Oriani haben die Synthese geschaffen, Tato und Ambrosi
in seinem „Flug über der Großstadt" bauen Architekturen
aus Unerschrockenheit und Kraft. Wenn wir die Antwort
auf die Fragen geben, die das Leben an die Kunst stellt,
so sagen wir: Kunst und Leben gehören nun wieder zu-
sammen, und viele sind bereit, die beiden Begriffe in den
großen Farbbottich zu tauchen, der immer wieder heran-
gezogen wird, wenn die Rechnung nicht ganz aufgeht:
Natur! Natur! Der Weg zur Hölle geht über viele Ismen!
Man scheue sich doch nicht vor Ismen! So ist das Leben!
Aber der Weg zur Kunst geht durch das Herzblut des
Menschen. Wir stellen die Kontinuität der Geschichte in
Frage, immer beginnt das Leben mit unserer Geburt. Die
Futuristen haben recht. Die einen sehen mit den Augen
Winckelmanns und träumen sich, nicht immer mit dem besten
Gewissen, in die von Maß und Zahl erfüllte Schönheit der
Antike hinein, die anderen denken mit den Gedanken
Lessings die Form als Bewegung. Kurz: wir beeilen uns,
auf den großen Weg zu kommen, der in die Erneuerung
einer Kunst mündet, die sowohl plastisch als auch dynamisch
ist, die die Ruhe als einen Akt der Bewegung nicht aus-
schließt sondern begreift, mit dem Herzen, mit den Ge-
danken und mit zitternden Händen. Nachdem sämtliche
Theorien schimmelig geworden sind, begraben wir die Streit-
äxte und ziehen die giftigen Pfeile aus den Herzen der
anderen, die ja doch immer im Unrecht bleiben.
Hegel, den wir doch nicht vergessen sollten, sagt: „Der
Widerspruch aber ist die Wurzel aller Bewegung und Leben-
digkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch
hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit." Die moderne
Kunst hat diesen Satz verwirklicht. Jede Nation tat es auf
ihre eigene Weise. Die Antriebskräfte waren die rassischen
Fähigkeiten, sie formten das Gesicht der europäischen Kunst.
Daß das Geheimnis der Rasse unbewußt wirksam war, spricht
nur für die Echtheit der modernen Kunst, die den Mut
hatte, sich zur Maschine zu bekennen und gleichzeitig zu den
Mysterien der Geburt und des Todes; eine Kunst, die wir
mit gutem Recht europäisch nennen dürfen und die sich von
der charakterlosen Jnternationalität um das Opfer ihrer
Lebenssicherheit unterscheidet. Europäische Kunst hat, so ver-
standen, nichts mit der Barbarei der Seelenstandardisierungen
gemein. Nachdem wir eingesehen haben, daß Kausalität
keine gemästete Schlange ist, die alles Lebendige in ihren
Umarmungen erdrückt, sondern aus These und Antithese zum
Schöpferischen zu gelangen vermag, fanden wir das verlorene
Paradies der Kunst wieder. Himmel und Erde haben sich
vereint. „Kunst ist nicht Erfindung, sondern Auffindung",
ist einmal gesagt worden. Doch die Kausalität, an die das
Bürgertum geschmiedet ist, sucht überall die Phantasie zu
bekämpfen, denn aus ihr geht nicht nur die Kunst hervor.
Die Phantasie zerstört, um zu erneuern; sic allein trägt die
Verantwortung vor dem Leben, das die schönste Abstraktion
der Natur ist; sie allein formt die Gestalt, verlangt den
Heroismus und bezwingt die Feigheit. „Eine Schlange, die
sich nicht häuten kann, geht zugrunde. Ebenso die Geister,
welche man verhindert, ihre Meinungen zu wechseln; sie
hören auf, Geist zu sein", schreibt Nietzsche in der „Morgen-
röte", und im „Zarathustra": „Aller guten Dinge Ursprung
ist tausendfältig —, alle guten mutwilligen Dinge springen
vor Lust ins Dasein: wie sollten sie das immer nur Ein Mal
tun!"
Ludwig Kasper
Ludwig Kasper lebt seit einem Jahr in Berlin.
Geboren ist er 1893 nahe der bayrischen Grenze
in der Gegend von Brannan am Inn. Seine
künstlerische Schulung hat er in erster Linie bei
Prof. Hahn in München erfahren. Der Krieg
unterbrach das Studium. Paris sah den Künstler
ebenfalls ein Jahr, ehe Kasper längere Zeit in
Schlesien in ländlicher Einsamkeit schuf. Aus
diesen Jahren stammen, neben vielen anderen,
immer lebensgroßen Werken (Akte, Porträts,
Knaben- und Kinderkörper), auch die beiden
Arbeiten: „Weibliche Figur" und „Kopf eines
Bauernmädchens", die wir zur Abbildung bringen.
Das künstlerische Wollen Kaspers zielt auf ab-
solute Plastizität, auf die runde tastbare Form.
Alles „Malen mit Ton" verurteilt der Künstler.
Jenes impressionistische Gestalten, das nur Ober-
flächenreize kennt, steht ihm fern. Jeglicher
Körper „muß Statik haben", muß „architektonisch
sein. Diese innere Richtung gibt Kaspers Gestalten
betonte Klarheit. Extrem gesehen, haben alle Werke
ein bauendes, tragendes Gerüst, man kann Achsen
durch sie legen. Ihr Formenspiel ist nicht in
augenblickshafter Sicht gefaßt, ist nicht loser,
lockerer Kontur flüchtiger Erscheinung. Kasper
strebt zu Dauer, Stetigkeit, zu Architek-
tonik!
Dieses künstlerische Wollen könnte zu Schematik,
zu bloßer Starre und völlig seelenlosem Konstruk-
tivismus führen, stände dem nicht aus der
anderen Seite unbedingte Lebensnähe ent-
gegen. So ausgewogen auch z. B. die Haltung
unseres Jungmädchenaktes ist, im Schreiten, in
der maßvollen Armhaltung spürt man dennoch
blutvolles Dasein. Mag auch diese Bewegung zu
fast kultischer Feierlichkeit gesteigert sein, das
Lebensfrische, das Derbe, Gesunde,
Strotzende des Landmädchens ist in die Plastik
ebenfalls eingegangen. Es ist sogar aller gefügter
Form das Primäre, das Eigentliche, worum
es dem Künstler in erster Linie geht.
Herbert: Oriebit:28eb
Das Malen
Von
Otto^Pankok
Der Kolonist. Wer malen will, der muß
es wie ein Kolonist machen. Er steckt sein Land
ab und errichtet einen Zaun um seinen Bezirk.
Dann muß er alles aus seinem Land ausreißen,
was da an Unkraut wächst, mit der Axt das Ge-
strüpp abhauen, dann pflügen und misten. Dann
kann das Pflanzen beginnen. Langsam und be-
dächtig. Hier einen Baum hin, da Gemüse, da
Kartoffeln. Und immer wieder schmuggelt sich
Unkraut dazwischen. Da muß er wieder mit der
Hacke ran, ausreißen und über die Hecke kippen.
Es gibt eine beträchtliche Anzahl, die nichts vom
Gartenbau wissen. Sie lausen herum wie die
Zigeuner. Sie wissen nichts von Dünger, Hacken
und Ordnung. Sie lausen herum und glauben
an Zufallstresser, planlos und wirr. Sie ver-
muten, die Kunst sei außen statt innen, hoffen,
da ernten zu können, wo sie nie säten.
Des Malers 10 Gebote. 1. Gebot: Du
sollst den Kitsch riskieren. 2. Gebot: Du sollst
nicht für Ausstellungen malen. 3. Gebot: Du
sollst einen Baum für wichtiger halten als eine
Erfindung von Picasso. 4. Gebot: Du sollst dich
vor dem persönlichen Stil hüten. 5. Gebot: Du
sollst nur deinen Träumen trauen. 6. Gebot:
Du sollst deine schlechten Bilder schnell vergessen.
7. Gebot: Du sollst deine guten Bilder nicht an-
beten. 8. Gebot: Du sollst vor jedem Bild, das
du beginnst, das Gefühl haben, es wäre dein
erstes. 9. Gebot: Du sollst kraß ablehnen, was
dir nicht Paßt, und wäre es Rembrandt oder
Chagall. 10. Gebot: Du sollst das Publikum nicht
für dümmer halten als dich selbst.
Die Leichtigkeit. Der Maler ist oft
wie ein Seiltänzer. Tanzend gelingt ihm alles.
Die geringste Unruhe oder Unsicherheit erzeugt
Schwindelgesühl, und er bricht sich den Hals. Man
tut daher gut, ein Bild sofort in die Ecke zu stellen,
sobald eine Stockung bei der Arbeit eintritt.
Andererseits muß der Maler die leisesten Re-
gungen verstehen können. Ost bringt der leich-
teste Hauch eines Gedankens, der von irgendwo
daherweht, Licht und Ordnung in das Bild, so
wie uns ost eine Landschaft, durch die wir gehen,
verschlossen bleibt, bis Plötzlich ein Vogel hindurch-
fliegt, ein Mensch sie durchkreuzt, eine Schlange
über den Weg ringelt, Donner ertönt, Wind hin-
durchweht oder der Mond auftaucht. Plötzlich ver-
lieren die Dinge ihre Verschlossenheit, sie werden
sekundär und dienen einem Geschehnis.
Alles verlause naturgemäß, fern bleibe den
Dingen der Zwang, sagt Comenius.
Aus Pankok „Stern und Blume" 1930.
Kunstkritik
Von
Dr. Eska
Zu den umstrittensten Berufen gehört heute
der des Kritikers, der über Wert oder Unwert der
bildenden Kunst ein Urteil abzugeben hat. Eine
wenig erfreuliche Meinung hat sich darüber in den
letzten Jahren in der Öffentlichkeit gebildet. Man
nimmt die Kunstkritik nicht mehr ernst, man be-
gegnet ihr mit Mißtrauen. Die kritische Unbe-
fangenheit wird angezweifelt. Den Vorwurf des
Literarischen haben sich die Kunstkritiker zugezogen,
weil sich Elemente in ihren Stand eingeschüchen
haben, die hinter phrasenhaftem Wortgeklingel ihr
unbestimmtes Urteil verbergen. Konjunktur-
rittertum sagt man ihnen nach, weil es Kritiker
gibt, die je nach dem, wie es gerade genehm ist,
über die junge Kunst ablehnend oder zustimmend
schreiben. .
Nur das weiß die Öffentlichkeit nicht, daß der
ernsthafte Kunstkritiker diese Verwässerung seines
Standes mit Elementen, die nicht hineingehoren,
schmerzlich bedauert. Letzten Endes ist er aber
dagegen machtlos, solange sich immer noch Aus-
trcmgeber für zweifelhafte Berufsvertreter finden.
Kein Laie würde es sich emsallen lassen, über
schwierige technische oder medizinische Probleme
zu reden. Uber komplizierte Fragen wie die der
künstlerischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte
darf sich aber gleicherweise nicht jeder em kritisches
Urteil anmaßen. Der Einwand, daß der Wert
der Kunst öon jedem beurteilt tveroen könne,
ist die Anwendung eines marxistischen Prinzips,
die Masse u priori zum kritischen Maßstab zu
machen Wenn es nur nach der Masse ginge,
würde augenblicklich in den Theatern die leichte
Operette vorherrschen und Beethoven und Bach
bald von der Konzertfläche verschwunden sein.
Daß Beethoven und Bach aber heute von einer
großen Schicht verstanden und von den anderen
zum mindesten als geniale musikalische Er-
scheinungen respektiert werden, das ist der Er-
ziehung des Volkes durch die Leute zu danken, die
die Überzeugung von der Größe dieser Kunst be-
sitzen. Diese wenigen, die
den göttlichen Funken des
Genies am unmittelbar-
sten verspüren, sind es,
die den anderen mit der
ganzen Glut und Hingabe
an das Werk die Ohren
und Herzen zu öffnen
haben.
Nicht anders liegen
die Dinge auf dem Ge-
biete der bildenden Kunst.
Franz Marc oder Corinth
gehen ebenso, wenig
leicht ein wie ein schweres
Musikwerk. Was nun
aber im Konzertsaal der
Dirigent bedeutet, das
leisten für die Malerei
und Bildhauerei der
Kunstkenner, der Mu-
seumsdirektor, der Aus-
stellungsleiter und der
Kunstkritiker. Sie alle
sollen Mittler sein, Ver-
ständnis Wecken, die Her-
zen dem Wesen und der
Tiefe der in den Kunst-
werken zum Ausdruck
kommenden Gefühlswerte
erschließen. Darüber hin-
aus erwächst der Kunst-
kritik in unserer Zeit der
völkischen Wiedergeburt
noch die ganz besondere
Aufgabe, die Erkenntnis
für das spezifische Deut-
sche im modernen Kunst-
schaffen unseres Landes
zu Wecken. Dies ist aber
nicht möglich mit vagen
geschmäcklerischen oder mo-
dischen Vorstellungen, son-
dern nur mit einer inni-
gen Vertrautheit mit dem
Wesen deutscher Kunst zu
allen Zeiten. Nur aus
dem Verstehen und Be-
greifen der genialen deut-
Deutscher Meister um 1500, Bildnis
Kasper, Bauernmädchen. 1932
sehen Kunstschöpfungen der Vergangenheit ge-
winnt man die Kriterien zur Erkenntnis dessen,
was deutsch und groß ist. Man kommt da nicht
mit einigen Vorstellungen vom Bamberger Reiter
und den Nazarenern des vorigen Jahrhunderts
aus. Den ganzen Kunstschatz unseres Volkes von
der germanischen Ornamentik und der frühmittel-
alterlichen Buchmalerei über die Gotik, Grüne-
wald bis zum Barock und Caspar David Friedrich
muß man in sich miterlebend ausgenommen haben,
um zum Begreifen des trotz der mannigfaltigen
Abwandlung der deutschen Kunst sich in den ge-
waltigsten Schöpfungen stets gleich gebliebenen
Gehalts zu gelangen. Es ist nicht nötig, daß dieses
Wissen nm das Wesen deutscher Kunst auf der
Universität erworben wird. Es kann auch aus
unabhängiger persönlicher Versenkung in die
Materie resultieren, die sich ja auch auf der Uni-
versität nicht dem Nurlernenden, sondern dem
innerlich Aufnahmebereiten erschließt. Vorhanden
muß dieses Wissen nm das Wesen deutscher Kunst
aber sein, denn nur danach kann geurteilt werden.
Die größte Gefahr sind für die Kunstkritik noch
immer die „gebildeten" Kritiker, die ihre
humanistischeGymnasialbildung zum
zum Maßstab aller Dinge machen. Mit der ihnen
seit frühester Jugend auf der Schule eingehäm-
merten Vorstellung vom Wesen der griechischen
und römischen Kunst glauben sie einen Wertmesser
zur Beurteilung jeden Kunstschaffens überhaupt
zu besitzen. Von hier aus führt kein sicherer Weg
zum Verständnis der deutschen Kunst. Man
vergleiche doch nur die ruhige harmonische Ge-
lagertl-Lit der griechischen Tempel mit den Feuer-
garben gotischer Kirchtürme, oder die in Schön-
heit sterbende Amazone von Polyklet mit dem
wahnsinnigen Schmerzensausbruch der Figuren
um den Gekreuzigten am Naumburger Lettner.
Eher findet man einen dem antiken Temperament
verwandten Ausdruck in der italienischen und
französischen als in der deutschen Kunst.
Über die Möglichkeit
einer staatlichen
Almproduktion
Von
Leonhard Fürst
Die geistige und künstlerische Unreife des
Films wird aus dem Studium seiner Entwick-
lungsgeschichte verständlich, ist aber trotzdem nicht
zu billigen. Dieser Auffassung wird sich jeder
ernsthafte Mensch, dem an einer nicht nur körper-
lichen und wirtschaftlichen Entwicklung seines
Volkes etwas gelegen ist, anschließen müssen. In
diesen geistigen und künstlerischen Dingen nach
jahrelanger Arbeit von ebensolcher praktischen Er-
fahrung wie theoretischen Erkenntnis ein Ziel zu
setzen, heißt an vergangene, an gegenwärtige und
zukünftige Werke absolute Maßstäbe anlegen.
Ausschließlich aus dem Grund, weil das Ergebnis
in seinen Auswirkungen doch immer nur ein
relatives sein kann, denn das Geschaffene nähert
sich der Vorstellung im günstigsten Fall nur
asymptotisch, kommt also dem Ziel unendlich nahe,
ohne es jemals zu erreichen.
Die Ausflucht vor dem künstlerischen Film ist
die Angst der Filmindustrie vor dem Risiko. Es
hat sich aber gezeigt, daß das Kunstwerk
immer auch ein geschäftlicher Erfolg war und daß
die übliche Filmkonfektionsware auf die Dauer
jedenfalls keine sichere Garantie bot, daß also
das qualitativ Hochwertige auch immer die im
volkswirtschaftlichen Sinn richtige Linie traf. Aber
nichts ist trostloser als die Bemühung, die Film-
industrie davon zu überzeugen. Und selbst wenn
alle Argumente als richtig anerkannt werden
sollten, so fehlte ihr doch die Fähigkeit, den rich-
tigen Weg mit Erfolg zu beschreiten.
Aus verschiedenen Gründen herrscht heute die
Meinung, die Filmindustrie dürfe in ihrer Tätig-
keit möglichst nicht gestört werden und im allge-
meinen wären ihre Erzeugnisse Wohl oder übel
hinzunehmen, wie sie gerade kämen. Alle ernst-
haften Versuche, etwas Neues, ein reifes Kunst-
werk zu verlangen, sind ja Wohl fehlgeschlagen.
Und nichts ist deprimierender als immer wieder
die alten Fehler, die eingefressenen Albernheiten
und geistlosen Geschmacklosigkeiten festzustellen; die
Filmindustrie hat auf solche Positive Kritik immer
negativ reagiert und immer nur sich und die
5
Ahnung von der Schönheit. Enrico Prampolini ist in
seinem „Flieger des Weltalls" ihr sehr nahe. Alle Schön-
heit ist Abstraktion der Sinnlichkeit — es ist noch immer
mon Kunst die Rede! Es ist die Schönheit des Spirituellen.
'Pascal und Nietzsche kannten sie, Jean Paul rang Jahr-
zehnte mit ihr, dann gelang sie ihm in deutschester Art. Um
ihretwegen lieben wir die Futuristen und können den Einsatz
-ihrer fleischlich-bürgerlichen Existenz genau verstehen. Zwi-
schen den Büsten im Friseurladen und der Mona Lisa besteht
Leine Verbindung mehr, trotzdem liegt zwischen ihnen die
'Natur, die ihre bocksbeinigen Sprünge macht. Solange aber
nn der Kunst Holz gehackt wird, verkümmern die Instinkte
«für die Unheimlichkeit des Realen. Die suchen wir, bei
Kasper, Schreitendes Mädchen. 1938
Lionardo, Grünewald und auch bei den Futuristen. Unsere
Zeit — sie datiert nicht erst seit gestern, wie viele, auch
Futuristen, drolligerweise annehmen — hat mit tiefstem
.Recht eine Kunst um der Kunst willen verdammt, aber sie
hat den Ausspruch des größten modernen englischen Märchen-
erzählers gründlichst mißverstanden: „Ttis nrtist is ttis
orsator ott bsautikul tkings." Vor der Kunst steht das
Leben, aber das Leben wurde aus dem eigensinnigen Spiel
der Künstler wie ein unartiges Kind ausgeschlossen. Doch
die Gefährdung der Kunst war und ist nicht in ihr selbst
zu suchen, vorausgesetzt, daß es sich ja um Kunst handelt,
sondern auf dem reichlich überzogenen Bankkonto, das sich
.als das sogenannte Leben repräsentierte. Die Futuristen
-und einige andere haben hier Ordnung geschaffen, Kunst
und Leben sind eins geworden, und die Schönheit ihrer
Bilder ist die Wahrheit unserer Zeit. E. A. Ambrosi und
Oriani haben die Synthese geschaffen, Tato und Ambrosi
in seinem „Flug über der Großstadt" bauen Architekturen
aus Unerschrockenheit und Kraft. Wenn wir die Antwort
auf die Fragen geben, die das Leben an die Kunst stellt,
so sagen wir: Kunst und Leben gehören nun wieder zu-
sammen, und viele sind bereit, die beiden Begriffe in den
großen Farbbottich zu tauchen, der immer wieder heran-
gezogen wird, wenn die Rechnung nicht ganz aufgeht:
Natur! Natur! Der Weg zur Hölle geht über viele Ismen!
Man scheue sich doch nicht vor Ismen! So ist das Leben!
Aber der Weg zur Kunst geht durch das Herzblut des
Menschen. Wir stellen die Kontinuität der Geschichte in
Frage, immer beginnt das Leben mit unserer Geburt. Die
Futuristen haben recht. Die einen sehen mit den Augen
Winckelmanns und träumen sich, nicht immer mit dem besten
Gewissen, in die von Maß und Zahl erfüllte Schönheit der
Antike hinein, die anderen denken mit den Gedanken
Lessings die Form als Bewegung. Kurz: wir beeilen uns,
auf den großen Weg zu kommen, der in die Erneuerung
einer Kunst mündet, die sowohl plastisch als auch dynamisch
ist, die die Ruhe als einen Akt der Bewegung nicht aus-
schließt sondern begreift, mit dem Herzen, mit den Ge-
danken und mit zitternden Händen. Nachdem sämtliche
Theorien schimmelig geworden sind, begraben wir die Streit-
äxte und ziehen die giftigen Pfeile aus den Herzen der
anderen, die ja doch immer im Unrecht bleiben.
Hegel, den wir doch nicht vergessen sollten, sagt: „Der
Widerspruch aber ist die Wurzel aller Bewegung und Leben-
digkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch
hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit." Die moderne
Kunst hat diesen Satz verwirklicht. Jede Nation tat es auf
ihre eigene Weise. Die Antriebskräfte waren die rassischen
Fähigkeiten, sie formten das Gesicht der europäischen Kunst.
Daß das Geheimnis der Rasse unbewußt wirksam war, spricht
nur für die Echtheit der modernen Kunst, die den Mut
hatte, sich zur Maschine zu bekennen und gleichzeitig zu den
Mysterien der Geburt und des Todes; eine Kunst, die wir
mit gutem Recht europäisch nennen dürfen und die sich von
der charakterlosen Jnternationalität um das Opfer ihrer
Lebenssicherheit unterscheidet. Europäische Kunst hat, so ver-
standen, nichts mit der Barbarei der Seelenstandardisierungen
gemein. Nachdem wir eingesehen haben, daß Kausalität
keine gemästete Schlange ist, die alles Lebendige in ihren
Umarmungen erdrückt, sondern aus These und Antithese zum
Schöpferischen zu gelangen vermag, fanden wir das verlorene
Paradies der Kunst wieder. Himmel und Erde haben sich
vereint. „Kunst ist nicht Erfindung, sondern Auffindung",
ist einmal gesagt worden. Doch die Kausalität, an die das
Bürgertum geschmiedet ist, sucht überall die Phantasie zu
bekämpfen, denn aus ihr geht nicht nur die Kunst hervor.
Die Phantasie zerstört, um zu erneuern; sic allein trägt die
Verantwortung vor dem Leben, das die schönste Abstraktion
der Natur ist; sie allein formt die Gestalt, verlangt den
Heroismus und bezwingt die Feigheit. „Eine Schlange, die
sich nicht häuten kann, geht zugrunde. Ebenso die Geister,
welche man verhindert, ihre Meinungen zu wechseln; sie
hören auf, Geist zu sein", schreibt Nietzsche in der „Morgen-
röte", und im „Zarathustra": „Aller guten Dinge Ursprung
ist tausendfältig —, alle guten mutwilligen Dinge springen
vor Lust ins Dasein: wie sollten sie das immer nur Ein Mal
tun!"
Ludwig Kasper
Ludwig Kasper lebt seit einem Jahr in Berlin.
Geboren ist er 1893 nahe der bayrischen Grenze
in der Gegend von Brannan am Inn. Seine
künstlerische Schulung hat er in erster Linie bei
Prof. Hahn in München erfahren. Der Krieg
unterbrach das Studium. Paris sah den Künstler
ebenfalls ein Jahr, ehe Kasper längere Zeit in
Schlesien in ländlicher Einsamkeit schuf. Aus
diesen Jahren stammen, neben vielen anderen,
immer lebensgroßen Werken (Akte, Porträts,
Knaben- und Kinderkörper), auch die beiden
Arbeiten: „Weibliche Figur" und „Kopf eines
Bauernmädchens", die wir zur Abbildung bringen.
Das künstlerische Wollen Kaspers zielt auf ab-
solute Plastizität, auf die runde tastbare Form.
Alles „Malen mit Ton" verurteilt der Künstler.
Jenes impressionistische Gestalten, das nur Ober-
flächenreize kennt, steht ihm fern. Jeglicher
Körper „muß Statik haben", muß „architektonisch
sein. Diese innere Richtung gibt Kaspers Gestalten
betonte Klarheit. Extrem gesehen, haben alle Werke
ein bauendes, tragendes Gerüst, man kann Achsen
durch sie legen. Ihr Formenspiel ist nicht in
augenblickshafter Sicht gefaßt, ist nicht loser,
lockerer Kontur flüchtiger Erscheinung. Kasper
strebt zu Dauer, Stetigkeit, zu Architek-
tonik!
Dieses künstlerische Wollen könnte zu Schematik,
zu bloßer Starre und völlig seelenlosem Konstruk-
tivismus führen, stände dem nicht aus der
anderen Seite unbedingte Lebensnähe ent-
gegen. So ausgewogen auch z. B. die Haltung
unseres Jungmädchenaktes ist, im Schreiten, in
der maßvollen Armhaltung spürt man dennoch
blutvolles Dasein. Mag auch diese Bewegung zu
fast kultischer Feierlichkeit gesteigert sein, das
Lebensfrische, das Derbe, Gesunde,
Strotzende des Landmädchens ist in die Plastik
ebenfalls eingegangen. Es ist sogar aller gefügter
Form das Primäre, das Eigentliche, worum
es dem Künstler in erster Linie geht.
Herbert: Oriebit:28eb
Das Malen
Von
Otto^Pankok
Der Kolonist. Wer malen will, der muß
es wie ein Kolonist machen. Er steckt sein Land
ab und errichtet einen Zaun um seinen Bezirk.
Dann muß er alles aus seinem Land ausreißen,
was da an Unkraut wächst, mit der Axt das Ge-
strüpp abhauen, dann pflügen und misten. Dann
kann das Pflanzen beginnen. Langsam und be-
dächtig. Hier einen Baum hin, da Gemüse, da
Kartoffeln. Und immer wieder schmuggelt sich
Unkraut dazwischen. Da muß er wieder mit der
Hacke ran, ausreißen und über die Hecke kippen.
Es gibt eine beträchtliche Anzahl, die nichts vom
Gartenbau wissen. Sie lausen herum wie die
Zigeuner. Sie wissen nichts von Dünger, Hacken
und Ordnung. Sie lausen herum und glauben
an Zufallstresser, planlos und wirr. Sie ver-
muten, die Kunst sei außen statt innen, hoffen,
da ernten zu können, wo sie nie säten.
Des Malers 10 Gebote. 1. Gebot: Du
sollst den Kitsch riskieren. 2. Gebot: Du sollst
nicht für Ausstellungen malen. 3. Gebot: Du
sollst einen Baum für wichtiger halten als eine
Erfindung von Picasso. 4. Gebot: Du sollst dich
vor dem persönlichen Stil hüten. 5. Gebot: Du
sollst nur deinen Träumen trauen. 6. Gebot:
Du sollst deine schlechten Bilder schnell vergessen.
7. Gebot: Du sollst deine guten Bilder nicht an-
beten. 8. Gebot: Du sollst vor jedem Bild, das
du beginnst, das Gefühl haben, es wäre dein
erstes. 9. Gebot: Du sollst kraß ablehnen, was
dir nicht Paßt, und wäre es Rembrandt oder
Chagall. 10. Gebot: Du sollst das Publikum nicht
für dümmer halten als dich selbst.
Die Leichtigkeit. Der Maler ist oft
wie ein Seiltänzer. Tanzend gelingt ihm alles.
Die geringste Unruhe oder Unsicherheit erzeugt
Schwindelgesühl, und er bricht sich den Hals. Man
tut daher gut, ein Bild sofort in die Ecke zu stellen,
sobald eine Stockung bei der Arbeit eintritt.
Andererseits muß der Maler die leisesten Re-
gungen verstehen können. Ost bringt der leich-
teste Hauch eines Gedankens, der von irgendwo
daherweht, Licht und Ordnung in das Bild, so
wie uns ost eine Landschaft, durch die wir gehen,
verschlossen bleibt, bis Plötzlich ein Vogel hindurch-
fliegt, ein Mensch sie durchkreuzt, eine Schlange
über den Weg ringelt, Donner ertönt, Wind hin-
durchweht oder der Mond auftaucht. Plötzlich ver-
lieren die Dinge ihre Verschlossenheit, sie werden
sekundär und dienen einem Geschehnis.
Alles verlause naturgemäß, fern bleibe den
Dingen der Zwang, sagt Comenius.
Aus Pankok „Stern und Blume" 1930.
Kunstkritik
Von
Dr. Eska
Zu den umstrittensten Berufen gehört heute
der des Kritikers, der über Wert oder Unwert der
bildenden Kunst ein Urteil abzugeben hat. Eine
wenig erfreuliche Meinung hat sich darüber in den
letzten Jahren in der Öffentlichkeit gebildet. Man
nimmt die Kunstkritik nicht mehr ernst, man be-
gegnet ihr mit Mißtrauen. Die kritische Unbe-
fangenheit wird angezweifelt. Den Vorwurf des
Literarischen haben sich die Kunstkritiker zugezogen,
weil sich Elemente in ihren Stand eingeschüchen
haben, die hinter phrasenhaftem Wortgeklingel ihr
unbestimmtes Urteil verbergen. Konjunktur-
rittertum sagt man ihnen nach, weil es Kritiker
gibt, die je nach dem, wie es gerade genehm ist,
über die junge Kunst ablehnend oder zustimmend
schreiben. .
Nur das weiß die Öffentlichkeit nicht, daß der
ernsthafte Kunstkritiker diese Verwässerung seines
Standes mit Elementen, die nicht hineingehoren,
schmerzlich bedauert. Letzten Endes ist er aber
dagegen machtlos, solange sich immer noch Aus-
trcmgeber für zweifelhafte Berufsvertreter finden.
Kein Laie würde es sich emsallen lassen, über
schwierige technische oder medizinische Probleme
zu reden. Uber komplizierte Fragen wie die der
künstlerischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte
darf sich aber gleicherweise nicht jeder em kritisches
Urteil anmaßen. Der Einwand, daß der Wert
der Kunst öon jedem beurteilt tveroen könne,
ist die Anwendung eines marxistischen Prinzips,
die Masse u priori zum kritischen Maßstab zu
machen Wenn es nur nach der Masse ginge,
würde augenblicklich in den Theatern die leichte
Operette vorherrschen und Beethoven und Bach
bald von der Konzertfläche verschwunden sein.
Daß Beethoven und Bach aber heute von einer
großen Schicht verstanden und von den anderen
zum mindesten als geniale musikalische Er-
scheinungen respektiert werden, das ist der Er-
ziehung des Volkes durch die Leute zu danken, die
die Überzeugung von der Größe dieser Kunst be-
sitzen. Diese wenigen, die
den göttlichen Funken des
Genies am unmittelbar-
sten verspüren, sind es,
die den anderen mit der
ganzen Glut und Hingabe
an das Werk die Ohren
und Herzen zu öffnen
haben.
Nicht anders liegen
die Dinge auf dem Ge-
biete der bildenden Kunst.
Franz Marc oder Corinth
gehen ebenso, wenig
leicht ein wie ein schweres
Musikwerk. Was nun
aber im Konzertsaal der
Dirigent bedeutet, das
leisten für die Malerei
und Bildhauerei der
Kunstkenner, der Mu-
seumsdirektor, der Aus-
stellungsleiter und der
Kunstkritiker. Sie alle
sollen Mittler sein, Ver-
ständnis Wecken, die Her-
zen dem Wesen und der
Tiefe der in den Kunst-
werken zum Ausdruck
kommenden Gefühlswerte
erschließen. Darüber hin-
aus erwächst der Kunst-
kritik in unserer Zeit der
völkischen Wiedergeburt
noch die ganz besondere
Aufgabe, die Erkenntnis
für das spezifische Deut-
sche im modernen Kunst-
schaffen unseres Landes
zu Wecken. Dies ist aber
nicht möglich mit vagen
geschmäcklerischen oder mo-
dischen Vorstellungen, son-
dern nur mit einer inni-
gen Vertrautheit mit dem
Wesen deutscher Kunst zu
allen Zeiten. Nur aus
dem Verstehen und Be-
greifen der genialen deut-
Deutscher Meister um 1500, Bildnis
Kasper, Bauernmädchen. 1932
sehen Kunstschöpfungen der Vergangenheit ge-
winnt man die Kriterien zur Erkenntnis dessen,
was deutsch und groß ist. Man kommt da nicht
mit einigen Vorstellungen vom Bamberger Reiter
und den Nazarenern des vorigen Jahrhunderts
aus. Den ganzen Kunstschatz unseres Volkes von
der germanischen Ornamentik und der frühmittel-
alterlichen Buchmalerei über die Gotik, Grüne-
wald bis zum Barock und Caspar David Friedrich
muß man in sich miterlebend ausgenommen haben,
um zum Begreifen des trotz der mannigfaltigen
Abwandlung der deutschen Kunst sich in den ge-
waltigsten Schöpfungen stets gleich gebliebenen
Gehalts zu gelangen. Es ist nicht nötig, daß dieses
Wissen nm das Wesen deutscher Kunst auf der
Universität erworben wird. Es kann auch aus
unabhängiger persönlicher Versenkung in die
Materie resultieren, die sich ja auch auf der Uni-
versität nicht dem Nurlernenden, sondern dem
innerlich Aufnahmebereiten erschließt. Vorhanden
muß dieses Wissen nm das Wesen deutscher Kunst
aber sein, denn nur danach kann geurteilt werden.
Die größte Gefahr sind für die Kunstkritik noch
immer die „gebildeten" Kritiker, die ihre
humanistischeGymnasialbildung zum
zum Maßstab aller Dinge machen. Mit der ihnen
seit frühester Jugend auf der Schule eingehäm-
merten Vorstellung vom Wesen der griechischen
und römischen Kunst glauben sie einen Wertmesser
zur Beurteilung jeden Kunstschaffens überhaupt
zu besitzen. Von hier aus führt kein sicherer Weg
zum Verständnis der deutschen Kunst. Man
vergleiche doch nur die ruhige harmonische Ge-
lagertl-Lit der griechischen Tempel mit den Feuer-
garben gotischer Kirchtürme, oder die in Schön-
heit sterbende Amazone von Polyklet mit dem
wahnsinnigen Schmerzensausbruch der Figuren
um den Gekreuzigten am Naumburger Lettner.
Eher findet man einen dem antiken Temperament
verwandten Ausdruck in der italienischen und
französischen als in der deutschen Kunst.
Über die Möglichkeit
einer staatlichen
Almproduktion
Von
Leonhard Fürst
Die geistige und künstlerische Unreife des
Films wird aus dem Studium seiner Entwick-
lungsgeschichte verständlich, ist aber trotzdem nicht
zu billigen. Dieser Auffassung wird sich jeder
ernsthafte Mensch, dem an einer nicht nur körper-
lichen und wirtschaftlichen Entwicklung seines
Volkes etwas gelegen ist, anschließen müssen. In
diesen geistigen und künstlerischen Dingen nach
jahrelanger Arbeit von ebensolcher praktischen Er-
fahrung wie theoretischen Erkenntnis ein Ziel zu
setzen, heißt an vergangene, an gegenwärtige und
zukünftige Werke absolute Maßstäbe anlegen.
Ausschließlich aus dem Grund, weil das Ergebnis
in seinen Auswirkungen doch immer nur ein
relatives sein kann, denn das Geschaffene nähert
sich der Vorstellung im günstigsten Fall nur
asymptotisch, kommt also dem Ziel unendlich nahe,
ohne es jemals zu erreichen.
Die Ausflucht vor dem künstlerischen Film ist
die Angst der Filmindustrie vor dem Risiko. Es
hat sich aber gezeigt, daß das Kunstwerk
immer auch ein geschäftlicher Erfolg war und daß
die übliche Filmkonfektionsware auf die Dauer
jedenfalls keine sichere Garantie bot, daß also
das qualitativ Hochwertige auch immer die im
volkswirtschaftlichen Sinn richtige Linie traf. Aber
nichts ist trostloser als die Bemühung, die Film-
industrie davon zu überzeugen. Und selbst wenn
alle Argumente als richtig anerkannt werden
sollten, so fehlte ihr doch die Fähigkeit, den rich-
tigen Weg mit Erfolg zu beschreiten.
Aus verschiedenen Gründen herrscht heute die
Meinung, die Filmindustrie dürfe in ihrer Tätig-
keit möglichst nicht gestört werden und im allge-
meinen wären ihre Erzeugnisse Wohl oder übel
hinzunehmen, wie sie gerade kämen. Alle ernst-
haften Versuche, etwas Neues, ein reifes Kunst-
werk zu verlangen, sind ja Wohl fehlgeschlagen.
Und nichts ist deprimierender als immer wieder
die alten Fehler, die eingefressenen Albernheiten
und geistlosen Geschmacklosigkeiten festzustellen; die
Filmindustrie hat auf solche Positive Kritik immer
negativ reagiert und immer nur sich und die