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Kunst der Nation — 2.1934

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Eckstein, Hans: Anton Kerschbaumer
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Hieber, Hermann: Ein altes Lied: der Künstler und die Behörde
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0119

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Kunst der Nation

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Tätigkeit beruht. Im eigenartigen Rhythmus vou
Querung und Schrägung wird die Architektonik
des Bildraums sinn- und hünenhaft, unmittel-
barer anschaulich als in guckkastenartiger Vedute,
ohne doch an Wahrhaftigkeit einzubüßen. Es sind
nicht selten recht banale Objekte, die sich Kersch-
baumer gewählt hat: Schleusen, Kanalböschungen,
ertötend öde Vorstadtstraßen, irgendwelche
Zimmerecke in einer Etagenwohuung. Aber er
verstand dem Alltäglichen sein persönliches Ge-
sicht aufzuprägen. In der geklärten Anschauung
des Bildes gewinnt die Landschaft, der sich Kersch-
baumer im besonderen zugewandt hatte, gewinnen
die Banalitäten des Motivs eine traumhafte, durch
die verdichtende Form vergeistigte Wirklichkeit. So
tragen die gedämpften Farbakkorde von stumpfem
Not und Oliv, von Braun und Gelb, Blau und
Grün bei aller Pracht doch keine kunstgewerblich-

Der Künstler und der Bürokrat: es gibt Wohl
keine größeren Gegensätze, Stolz gnf seine Indi-
vidualität, verabscheut der „freie" Künstler alles,
was nach Schablone riecht. Er will sich ausleben
dürfen: „Die wahre, echte Kunst ist ein Segen
des Himmels — der Träger derselben hat zunächst
die Aufgabe, das Kleinod gegen den Einfluß, deu
Schmutz der Welt zu schützen", schreibt Alfred
Rethelan seinen Bruder Otto, als dieser Maler
werden will. Andere haben diesen „Schmutz der
Welt" Banausentum" genannt oder „Alltäglich-
keit" und Hans von Marses hat einmal an
Fiedler geschrieben: „Wer sich der Ausübung der
Künste widmet, muß darauf bedacht sein, ein un-
befangenes Verhältnis zur Natur anzustreben und
zu erhalten, was eben nur dann möglich ist, wenn
er von den zufällig bestehenden sozialen Zuständen,
vom Spießbürgertum, möglichst wenig tangiert
wird".
Da haben wir's — er soll von den „zufällig
bestehenden" sozialen Zuständen so wenig wie mög-
lich berührt werden. Ganz von selbst muß er bei
diesem Bestreben, sich von der bürgerlichen Welt
zu isolieren, in Konflikte geraten. „Daß er
ein Mensch ist, das machte es ihm so schwer, ein
Künstler zu sein", sagt derselbe Marses an einer
andern Stelle. Die Bindungen der menschlichen
Gesellschaft ziehen den Künstler von seiner eigent-
lichen Aufgabe ab. Ein ähnlicher Gedanke liegt
dem Zölibat zugrunde: der katholische Priester
soll, um seinem geistlichen Berufe ganz anzuge-
hören, aller Fesseln der Familie, dieser elemen-
tarsten sozialen Bindungen, ledig sein. Dürfen
wir uns da Wundern, wenn sie beide, der Künstler
wie der Priester, mit den Gewalten zusammen-
prallen, die die Gesetze dieser „spießbürgerlichen"
Gesellschaft behüten? Diese Zusammenstöße wären
gewiß noch viel heftiger, wenn der materielle
Druck den Künstler nicht immer wieder zur Un-
terwerfung unter die sozialen Gesetze zwänge.
Aber aufgemuckt haben sie immer wieder. Im
Zeitalter Dürers mußten die Gebrüder Hans Se-
bald und Bartel Beham aus der Reichsstadt Nürn-
berg verwiesen werden, weil sie staatsgefährlicher
Umtriebe verdächtig waren, und der Bildhauer
Tilman Riemenschneider wurde eingesperrt und
seines Vermögens beraubt, weil er als Würz-
burger Bürgermeister den aufrührerischen Bauern
anhing; aus demselben Grunde ward der schwä-
bische Maler Jörg Rathgeb zu Pforzheim öffent-
lich enthauptet. Francisco Goya hat aus Spanien,
Gustave Courbet aus Frankreich fliehen müssen.
Richard Wagner hat viele Jahre lang als steck-
brieflich Verfolgter seine deutsche Heimat meiden
müssen.
Indessen wollen wir uns hier nicht über das
Thema „Kunst und Revolution" unterhalten, son-

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dekorative Note ins Bild. Als raumschaffende,
raumanfschließende Elemente (besonders großartig
in der römischen Silhouette) dienen die Farb-
komplexe der bildnerischen Verwirklichung sinn-
licher und plastischer Anschauung im Raumbild.
Sie vermitteln in erster Linie Raumerlebnisse.
Ans seine Zeitgenossen ist Kerschbaumer nicht
ohne tiefere Wirkung geblieben: sein im Kriege
gefallener Freund Konrad Westermayr und der
Münchner Maler Otto Geigenberger sind ihm vor
allein verpflichtet. Auch hatte Kerschbaumer ver-
sucht, seine Erfahrungen und Erkenntnisse in sei-
ner mit Bloch zusammen geführten Malschule Jün-
geren zu vermitteln. Die junge deutsche Kunst
verlor in Kerschbaumer eine eigenartige und
wesentliche Erscheinung, vielleicht noch ehe dieses
Talent seine letzte Erfüllung gefunden hat.
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dern die gewöhnlicheren Reibungsflächen be-
trachten, die zwischen Künstlertum und Büro-
kratie entstehen —- dann nämlich, wenn der
Künstler in ein Beamtenverhältnis tritt.
Dann setzt es mitunter Tragikomödien; freilich
auch echte Tragödien. Und diese dürften in der
Überzahl sein. Schon deswegen, weil Künstler be-
sonders feinfühlige Menschen zu sein Pflegen und
sich jede Kränkung besonders zu Herzen nehmen.
Man stelle sich vor, was Johann Sebastian Bach
zuerst mit dem Gräflichen Konsistorium in Arn-
stadt ausgestanden hat, das ihn einem förmlichen
Disziplinarverfahren unterzog, nachdem er, erfüllt
von Begeisterung für den Organisten Sweelinck,
seinen Urlaub überschritten hatte und einige Wo-
chen länger als vereinbart in Lübeck geblieben
war. Die Geistlichen des Konsistoriums hatten
eine Dienstverletzung zu ahnden — indessen für
den Beklagten die künstlerische Entwicklung eines
Genies auf dem Spiele stand. Wie sollte dazwischen
eine Vermittlung möglich sein? Aber noch Jahr-
zehnte später, als reifer Meister, hat der Schöpfer
der „Matthäuspassion" und der „H-Moll-Messe"
sich mit banausischen Vorgesetzten, diesmal Mit-
gliedern des Leipziger Magistrats, herumärgern
müssen.
Er wird mehr als einmal die Kollegen beneidet
haben, die am Dresdner Hofe eine glänzende Stel-
lung bekleideten. Aber auch die, soweit sie Landes-
kinder waren und nicht Italiener oder Fran-
zosen, waren nicht ans Rosen gebettet. Der fürst-

liche Despotismus des 18. Jahrhunderts hat, wie
der Fall Mozart beweist, der aufzubegehren wagte
und deswegen von dem sürsterzbischöflichen
Küchenmeister eigenfüßig die Treppe hinunter-
befördert wurde — im Jahre des Heils 1781 —
mit seinen als Kammerdiener oder Hofbeamten
angestellten Künstlern nicht viel Federlesens ge-
macht. Den „Tritt in den A . . .", von dem Mo-
zart seinem Vater schrieb, haben die preußischen
Hosarchitekten Schlüter und Knobels-
dorfs zwar nicht körperlich, Wohl aber moralisch
bekommen, und der Bauherr der Würzburger Re-
sidenz, des schönsten deutschen Barockschlosses,
Bischof Friedrich Karl von Schönborn, hat mit
dessen Schöpfer Balthasar Neumann nur im
wegwerfendsten Befehlston und mit der Anrede
„Du" verkehrt, obwohl Neumann den Rang eines
Artillerieobersten bekleidete. Diese Hofarchitekten
wurden maßlos ausgenützt, zu ganz unkünstleri-
schen Arbeiten herangezogen und obendrein mise-
rabel besoldet. Ihr Beamtenverhältnis beraubte
sie in der Regel jeder künstlerischen Selbständig-
keit.
Die Umgangsformen wurden vom Ende des
18. Jahrhunderts ab Wohl gemildert, aber die
unwürdige Abhängigkeit blieb auch im 19. Jahr-
hundert noch bestehen — solange es überhaupt
Fürstenhöse gab. Ein beliebtes Mittel, bildende
Künstler in dieser Abhängigkeir zu erhalten, be-
stand darin, daß man sie mit einem „Stipen-
dium" zu Studienzwecken ins Ausland schickte.
Der Maler Jacob Asmus Carstens wurde im
Jahre 1792 von dem Minister von.Heinitz, dem
Gönner Schadows, nach Rom geschickt. Bereits
im Juni 1791 hatte er „in tiefster Ehrfurcht er-
sterbend", als Professor an der Berliner Kunst-
akademie mit ganzen 250 Talern Gehalt, den
Vorschlag gemacht, mit einer Zulage von 200
Talern jährlich zwei Jahre in Rom zu verbrin-
gen. Endlich ein Jahr später konnte er ab-
reisen. Ende 1795 schickte ihm dann Heinitz eine
Rechnung über die genossenen „Wohltaten" in
Höhe von 1562 Talern 12 Groschen (einschließ-
lich 100 Talern zur Bezahlung seiner Schulden),
forderte „von wegen Sr. Kgl. Majestät", die ge-
nannte Summe zurück und kündigte an, er werde
die von Carstens eingesandten drei Gemälde „nach
Ablauf eines dreimonat-
lichen Termins verkaufen
und den Ertrag hiervon
auf eine Schuld abschrei-
ben lassen" und ihn „auf
gesetzmäßigem Wege zur
Bezahlung des Rückstan-
des belangen".
Carstens, durch diesen
Vorwurf der Undankbar-
keit tief beleidigt, stellte
die Behauptungen des
Ministers richtig, indem
er vor allem daran er-
innerte, daß er als Lehrer
in Berlin die „Wohl-
taten" der Akademie
längst abgegolten hat,
„noch anderthalb Jahre
hier (in Rom) mit kran-
ken Augen, als Folge
meiner dort geleisteten
Dienste habe studieren
müssen", und daß er ge-
gen die Akademie keine
Verbindlichkeiten habe,
weil er nicht einmal ihr
Mitglied sei. Die Aka-
demie habe kein Recht an
seine Bilder, die er zu
Ausstellungszwecken hingeschickt, könne sie also
„weder in Beschlag nehmen, noch verauktionieren".
Widrigenfalls werde er sich „öffentlich darüber,
als über eine Ungerechtigkeit eines öffentlichen
Kollegiums gegen einen Privatmann beschweren".
Carstens, einer der größten Hoffnungen der da-
maligen deutschen Malerei, ist nicht mehr nach
Deutschland zurückgekehrt. Zwei Jahre nach
seinem Protest an den Minister ist er, erst
44 Jahre alt, in Rom gestorben.
Noch schmerzlichere Erfahrungen hat Anselm
Feuerbach machen müssen. Um seiner über
alles verehrten Stiefmutter mit ihrer kargen
Witwenpension nicht auf der Tasche liegen zu
müssen, hat er sich mit 24 Jahren in Karlsruhe
niedergelassen, wo Lessing und Schirmer der
Kunstakademie Vorständen. „Länger als drei

A MnterhUfsioerL desDeutfcheirvEes-


Wochen kann und darf ich nicht mehr hier-
bleiben", schrieb er an die Stiefmutter, „sonst
bin ich Physisch und moralisch tot". Der Hof be-
anstandete seine Monumentalgemälde „Tod des
Aretino" und „Versuchung des heiligen An-
tonius", das er dann in der Wut selber vernich-
tet hat. Endlich gelang es ihm, ein Reisestipen-
dium von 1000 Gulden von dem Regenten, dem
Prinzen Friedrich, zu erhalten, aber mit der
lächerlichen Bedingung, schon nach drei Monaten
eine Probe seines Fleißes einzusenden. Aber
jedesmal, wenn er eine „Probe seines Fleißes"
aus Rom schickte, wurde sie mit Entrüstung zu-
rückgewiesen. Als er einmal „Dantes Tod"
übersandt hatte, bot man ihm „namhafte Vor-
schüsse" an, wenn er sich verpflichtete, Skizzen
sür ein neues Gemälde vorzulegen und dieses
dann in Karlsruhe auszusühren. Daraus ant-
wortet er: „Wir kennen solche „namhaften Vor-
schüsse", die dann nach vielen unter Ekel einge-
reichten Vorlagen unter der hohen Kunstägide
Lessing und Schirmer, nach unendlichem Arger,
Zeitverlust, nur am Ende soviel gewähren, daß
ich meinen Schuster bezahlen könnte, die Hälfte

der Heimreise und dann mit dem, was mir übrig-
bleibt, eine Wiederexistenzgeburt zu beginnen,
was ich schon vor fünf Jahren gekonnt hätte —
und wodurch jene römischen Leidensjahre eine
Komödie gewesen wären, die ich mir hätte er-
sparen können. — Je heilloser meine Lage ist,
um so mehr Gewicht und Grund muß der Mensch
haben, eine solche Hilfe von sich zu weisen".
Der Landschaftsmaler Johann Christian
Dahl, Norweger von Geburt, schrieb an den
sächsischen Minister Vitzthum von Eckstädt, der
ihm einen Lehrauftrag an der Dresdner Akademie
angeboten hatte, im Jahre 1828: „Aus meine
Eigentümlichkeit würde es bei dem besten Willen
störend und niederdrückend wirken, müßte ich
meinen akademischen Unterricht, wenn ich so
sagen darf, an die Uhr binden, oft mitten in
der Begeisterung sür meinen Gegenstand daraus
denken, nicht die Unterrichtsstunde zu versäumen,
müßte ich zugleich mehr im Malersaale als in der
Natur lehren und — neben manchem talentvollen
— vielleicht noch mehr unberufene Jünglinge für
die Kunst bilden". Kurz, er schlägt die ihm zu-
gedachte Ehre, obwohl er vier Kinder zu ver-
sorgen hat, glattweg aus.
Der Österreicher Ferdinand Waldmüller
war ein noch viel entschiedener Feind der aka-
demischen Schablone. In einer Eingabe an den
Staatsminister von Schmerling beklagt er sich
über die „Verfolgungen und moralischen Miß-
handlungen", denen man ihn ausgesetzt hat: „Die
in der Broschüre „Andeutungen zur Belebung der
vaterländischen Kunst" ausgesprochenen Enthül-
lungen über den in dem akademischen Lehrsystem
herrschenden Schlendrian erweckten das größte
Mißfallen in den akademischen Kreisen und es
ward das Anathema über den kühnen Reformator
ausgesprochen, der es unerschrocken aussprach,
was nottue, um dem Verfalle der Kunst entgegen
zu treten. Der damalige Herr Minister des
Unterrichts, Gras Leo Thun, gestand mir münd-
lich, daß er zwar die Wahrheit der Enthüllungen
des gänzlich mangelhaften kunsttötenden statt
kunstbelebenden akademischen Unterrichts nicht
bestreite, daß aber Enthüllungen solcher Art, von
einem Professor der Akademie ausgehend, offen-
bar als ein Disziplinarvergehen betrachtet wer-
den müsse, welches mit der Enthebung von meiner
Anstellung bei der Akademie zu bestrafen sei.
Diese Bestrafung ward dann auch vollzogen, da
ich am 4. September 1857 in Pension gesetzt


Anton Kerschbaumer, Charlottenburger Brücke. 1920


Anton Kerschbaumer, Römische Silhouetten. 1930

Ein altes Lied

Der Künstler und

die Behörde


Anton Kerschbaumer, Stilleben mit Fruchtschale. 1928
 
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