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Kunst der Nation — 2.1934

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Meister - Laie/ Virtuose - Dilettant
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Ein moderner Kirchenbau
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2. September-Nr., Il.Jhg. Nr. 18

Verlag Kunst der Nation G. m. b. L., Berlin W 62, Kurfürftenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
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Mister-Laie / Virtuose - Dilettant
Von
Günther Hadank

zu sein, wodurch dieses Leben einzig und allein
lebendig war, ging mehr und mehr verloren.
Getrennt von den bindenden Kraftquellen, den
speisenden letzten Wirklichkeiten, fand der Mensch
das eigene, selbständige, abgeschlossene Sein. Dieses
allein betonte Ich war das Ergebnis des herrschen-

Obwohl Oberflächlichkeit ein Symptom ist,
bleibt sie doch Oberflächlichkeit. Die Stagnation
der Wertung des Theaters als Oberflächen-
spiegelung erzeugt uud steigert andererseits die
lebendigen Kräfte des Wachstums. Der uner-
schütterliche Glaube des reinen Kämpfers gewinnt
durch Erkenntnis Richtung und Zielsicherheit. Das
ist der Sinn und Zweck, das Theater aus der
scheinbaren Isolation zu reißen, es in die große
Einheit des Lebens einzuglicdern und feine natür-
lichen Bindungen aufzudecken.
Die volklichen Abwandlungserscheinungen von
Einheit und Vielheit, Gemeinschaft und Kollektiv,
Volk und Masse, entsprechen den beiden gegensätz-
lichen Maßstäben der Lebensformen. Die Maß-
stäbe sind dem Wechsel und nicht dem Wandel
unterworfen, sie stehen unmittelbar klar und kraß
an- und hintereinander. Das Zeitmaß bis zur
völligen Durchdringung der Erscheinungswelt und
allgemeiner Angeglichenheit bestimmt dann die
dynamische Spannung des Durchbruchs: Evolu-
tion oder Revolution, Niedergang oder Zu-
sammenbruch. Dieser Wechsel ist das Ja uud
Nein, das Auf und Nieder, Ebbe und Flut, Ein-
atmen und Ausatmen, der Puls des Lebens. Die
Erbmasse von einer Epoche zur anderen ist einmal
Gebundenheit, die Jnnenrichtung, das andere Mal
Auflösung, die Außenrichtung. Beide Epochen,
Werden und Vergehen, bilden eine höhere Einheit.
Die Meisterschaftsidee erwuchs und stand auf
den Grundfesten innerster produktiver Gemein-
icyast. Die yohe tuuureue Eelusaussussung uuo
die Tiefe wesentlicher Verbundenheit kannte nicht
den Zwang von Raum und Zeit als Voraus-
setzung harmonischer Zusammenhänge und der ent-
scheidenden innerlichen Zusammengehörigkeit. Die
Einheit unterstand nicht Absicht und Wollen, son-
dern sie keimte aus ursächlich geistiger Verwandt-
schaft, aus der Erkenntnis und Bejahung eigener
Sendung. Die harmonisch-rhythmische Ordnung
und Klärung dieser Einheit reiste sie zum
Organismus.
Geist, Seele, Verstand waren die wesentlichen
Träger und Gestalter des Gemeinschaftskörpers.
Sie sanden ihre Vollendung und Vereinigung im
Meister, in dem sich Wissen, Gefühl und Können
zu höchstem Sein verbanden. Dieses Sein, das
über den Tod hinaus Mittel und Träger blieb,
zog in Harmonie Stehende an und band sie zu ein-
heitlicher Kraftäußerung und -steigerung bis zur
Erfüllung der der Gemeinschaft innewohnenden
Idee. Hier wuchs die Lebendigkeit des Wertmaß-
stabes innerhalb der Gemeinschaft von Meister und
Gefolgschaft klar und bedingt.
Dieser zentral-ideelle Maßstab schloß den zer-
störenden Individualismus aus.
Im Meister lag die allgemeingültige Aus-
gewogenheit von Pflicht und Recht. Er traf im
Bewußtsein seiner hohen Verantwortung gegen-
über der Idee die Auslese für seinen Kreis. So
schuf er Einheit. Zucht war der Schlüssel zur Teil-
hastigkeit.
Jede Tat und jedes Werk dieser Gemeinschaft
war religiös in der tiefsten Bedeutung dieses
Wortes, und diese wesentliche Verbundenheit von
Leben und Schöpfung kannte keinen materiellen
und dinglichen Wert. Höchstes Ziel des Lebens
und der Sinn jeder Tätigkeit war, sich durch die
Kraft des Bindungsstroms eigener Arbeit in den
All-Rhythmus einzuordnen und so in reiner Har-
monie zu stehen, sowie Leiter, Mittler und Misch-
punkt der Kraftströme von Himmel und Erde, von
Geist und Materie zu sein. Dieses Verhalten und
Streben in Form und sinnlich wahrnehmbaren,
wirkenden Ausdruck gebracht war das Meister-

in sich aufnahm. So wuchs die Gemeinde. In
ihr vollzog sich die Umformung der Kraft zu
neuen, rückwirkenden Energien, die neues Wachs-
tum nährten. Der Laie ist Empfangender und
Gebender. Die Übung des Laien wollte und sollte
nicht schöpferisches Werk sein, sondern Vör-

den dinglichen Maßstabes. Er setzte die materiell
privaten Bedürfnisse an erste Stelle. Die
Organismen zerfielen und die Teile wurden
organisiert. Das Eigenleben repräsentierte
materiell bewertete Ware, und alles wuchs aus dem
Gesichtswinkel der Selbsterhaltung. Der Maßstab
war der des Geschmackes und Geschmack war


Otto Bartning, Eustav-Sldols-Kirchc, Berlin (193t)

Zu dieser Zeit stand der Glaube über dem
Wissen. Er war das Lebendige, das Zeugende,
das Band höchsten und letzten Anschlusses, des
völligen Eingehens ins Göttlich-Allgemeine. Der
Glaube floß allein aus der Gewißheit eindeutigen,
klaren und zur Harmonie strebenden Seins. Nur
der Glaube konnte die innerste Gewißheit mit Gott
verknüpfen. Um Glauben mußte gerungen wer-
den. Nur auf organischem Wissen konnte reiner
Glaube Leben gewinnen und wirksam werden.
Die Meister waren Träger und Zentren der
Kultur. Uud doch waren sie die nie Vollendeten,
die immer Wachsenden, die Sehnsüchtigen. Sie
wuchsen aus dem Scheitelpunkt von Geist und
Materie unablässig in beiden Richtungen zur Höhe
und Tiefe zu immer umfassenderem Sein.
Die Zeit des Meisters war gleichzeitig die Zeit
des Laien. Sie stellen die zwei sich bedingenden
Hälften dar. Einer ohne den anderen ist undenk-
bar, denn der Laie bildet den tragfähigen Grund
für die Schöpfung des Meisters. Die Laienschaft
war der Boden, der die zeugende Kraft des Werkes

bereitung zur reineren Aufnahme, zur voll-
ständigen Wirksamkeit des Meisterwerks.
Solange dieser organische Zusammenhang be-
stand, war der Sinn des Laienberufs, des be-
rufenen Laien, vollgültig. Erst die Beibehaltung
der Bezeichnung über diese Zeit hinaus ließ sie
sinnlos erscheinen und minderte den Wert dieses
Begriffs. Denn in dem Laien schläft der Meister.
Er ist der Ahnende, noch nicht Erwachte. Die
Laienzeit ist die Zeit der Klärung, der Voraus-
setzung, der Sammlung, des Speicherns der Kräfte
— der Vorbereitung. Die Meister—Laie-Zeit ver-
lor für den entgegengesetzten Maßstab Sinn und
Bedeutung.
Der periphere-materielle Maßstab gewinnt
Gültigkeit.
Die Bindungen lösen sich auf. Der Mensch
wird aus seinen haltenden und erhaltenden Polen
gerissen. Durch die Wertverlagerung von seinem
Mittlerdasein in die Eigenpersönlichkeit als Selbst-
zweck. Der Sinn des menschlichen Lebens, Leiter
und Bindeglied zwischen realer und irrealer Welt

marktgängige Vereinbarung. Jeglichem Wert lag
Angebot und Nachfrage zugrunde.
Gemeinschaft und Kultur hatten nun ihr
Gegenstück in Kollektiv und Zivilisation erreicht.
Dies ist die Zeit des Dilettanten und Virtuosen.
Mit der völligen Reife ist der Kulminationspunkt
einer Epoche erreicht. Es beginnt der Verfall,
die Auflösung. Die Erfüllung ist das Ende. Es
setzt unmittelbar die neue Epoche ein. Gleichzeitig
ist das entsprechende Gesetz und der entsprechende
Wertmaßstab wesentlich gültig. Das Be-
harrungsvermögen erhält äußerlich noch altes Maß
und alte Form. Die Umwertung vollzieht sich.
Durch Vereinzelung entstand Masse. Die
Masse bedingte die Entscheidung der Mehrheit.
Mehrheit war die Summe von Einzclinteressen,
ihr Zusammenschluß die Gesellschaft.
Der alleinige Kampf um die Erhaltung
selbstischer Existenz entstand durch deren Wert-
steigerung innerhalb allgemeiner Bindungs- und
daher Verantwortungslosigkeit gegenüber einer
Gesamtheit, einer Gemeinsamkeit, einer Einheit.

Der geltende Maßstab erzeugte durch unabhängig
verstandesmäßige Tätigkeit nach materiellen Ge-
sichtspunkten nur dingliche Werte. Die Masse war
Addition, und jede Zahl suchte ihre Erweiterung
nach den Grundsätzen des herrschenden Maßstabes.
Die allgemeine Gleichsetzung gab dem Dilettanten
das unbestreitbare Übergewicht. Er erfüllte den
dilettantischen Maßstab in der höchstmöglichen in-
tellektuellen Mechanisierung als Virtuose. Das
Maß eigener Isolierung bestimmte die Größe der
Persönlichkeit. Die Epoche des herrschenden
Dilettantismus ist die Hochzeit der Konjunkturen.
Mit der Ablösung der Epochen fällt diesmal der
Beginn eines neuen Zeitabschnittes (Wassermann)
zusammen.
Der Wechsel der Maßstäbe beider Epochen hat
stattgefunden. Der neue ist wesentlich gültig,
während noch nach dem toten alten Äußerung und

Ein moderner Kirchenbau
Professor Otto Bartnings soeben
Vollendete Gustav-Adolf-Kirche in Ber-
lin-Charlottenburg stellt den bis jetzt auf dem
Gebiet des modernen Kirchenbaus kousequentest
durchgeführten Versuch des Einraum-Baus dar,
der mit eindeutig konstruktiven Mitteln Bau-
körper gleich Raumkörper setzt und damit ent-
wicklungsmäßig eine moderne Parallele zu der
spätgotischen Hallenkirche oder der protestanti-
schen Predigerkirche des 17. Jahrhunderts schasst.
Der Grundriß entwickelt sich folgerichtig aus dem
zur Verfügung stehenden Bauplatz, einem
zwischen zwei spitzwinklig zulaufenden Straßen-
sparten Kreissegment: fächerförmig stoßen die
mit Lichtgaden versehenen sechs Betongerippe, die
tragenden Bestandteile des Baues, von dem süd-
lich über dem Altar gelegenen Glockenturm nach
Norden vor, um hier in einer breitgelagerten
und hohen, die konstruktive Gliederung klar zum
Ausdruck bringenden konkaven Backsteinwand,
der eine schmale Vorhalle vorgelagert ist, ihren
Abschluß zu finden. Im Innern tritt diese An-
lage in dem nach hinten mächtig sich verbreitern-
den Raum in Erscheinung, vor allem jedoch in
der Lagerung der offenen, holzgedeckten, direkt
auf den Beton-Lichtgaden lagernden Dachstühlen,
die, gegen den Altarraum sich verjüngend, dort
von den hochstrcbenden Pfeilern ausgefangen wer-
den und den Blick zwangsläufig nach der klar
gegliederten Altarwand mit ihren hohen, dunkel-
blauen Glasfenstern zwingen, auf denen in den
Vormittagsstunden das ganze Licht sich konzen-
triert, während am Nachmittag die Sonne durch
die bräunlichgelben Glaswände der Seiten-
fronten den Raum warm durchflutet. Eine
niedrige Empore schwingt an der Nordwand und
saßt den Raum nochmals kräftig zusammen.
Das Prinzip des Baukünstlers, den Raum in
letzter struktiver Klarheit aus den Mitteln des
Materials und der Technik zu entwickeln, läßt
aus jedes schmückende Beiwerk verzichten. Ein-
deutig tritt der Beton als das struktive Element
in Erscheinung, der Backsteinziegel und das Glas
als füllende Wand, das Holz, abgesehen vom
Dachstuhl, als Verkleidung an den Stellen, da es
mit dem Menschen in Berührung kommt. Alle
dekorativ-belebenden Elemente des Jnnenraums
werden aus dem Material bestritten. Von seiner
einfachsten Art bis zum glasierten Klinker, wie
er an der Altarwand auftritt, ist der Ziegel ver-
wandt, in besonders gelungener Weise als Loch-
ziegel an der Emporenbrüstung oder in verstellter
Lage an der Emporenhochwand. Das Holz ist in
dem offenen Dachstuhl, der an frühmittelalter-
liche Kirchen Italiens erinnert, in kunstvoller
Weise durch Ubereinanderlegen verschiedener
Schichten zu einem filigranartigen Muster ver-
arbeitet, das dem Beschauer den Eindruck eines
Schindeldaches macht (in Wirklichkeit liegt über
dem Holzgerüst ohne Zwischenschaltung eines
Dachgeschosses das kupferne Dach); die hölzerne
Wandverkleidung ist ebenfalls durch Hochliegende
Leisten überspannt, was, ebenso wie am Dach-
stuhl, uicht nur zu einer ruhigen Belebung bei-
trägt, sondern auch den besonderen akustischen Be-
dingungen des Kirchenraumes zugute kommt, die
in einwandfreier Art erfüllt sind. Diese zweck-
und sachliche Verwendung des Materials bestimmt
den eigentlichen Eindruck des Raumes: Körper,
Raum, Licht, Schall und Schmuck sind sozusagen
auf denselben Nenner gebracht, eine gedämpfte
Großräumigkeit von strenger und feierlicher Ge-
tragenheit und schlichter Wärme. Die „Fassade",
nur mit einem hohen eisernen Kreuz auf der
Mittelwand geziert, erhält ihre Belebung allein
aus der Farbe der Ziegel und steht in ihrer ein-
dringlichen Wucht und Monumentalität als
Signum eines Bauwillens, dem zweckmäßige
Klarheit höchstes Schönheitsgesetz ist. M. R. v.
 
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