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Kunst der Nation — 2.1934

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Kroll, Bruno: Anton Hiller
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Haftmann, Werner: Grundsätzliches über neue Bildhauerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0098

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2

Kunst der Nation





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Grundsätzliches über neue Bildhauerei

Hermann Blumenthal, schreitender Jünftlina 193Ü

Anton Hiller, männliche Figur

Emil Fahrenkamp, Shcllshans, Berlin

unterstellt, zwingt er diesen, sich ebenso plastisch
lind ebenso einfach zu verhalten.
Ein historisch heute nötiger Rückblick bestätigt
diese Folgerung. Die archaische und etruskische
Sknlptur, die von den Grundbegriffen des Plasti-
schen ausging, verhält sich im Grundsätzlichen
ebenso wie die hier untersuchte Gruppe heutiger
Bildhauerei. Die höchste Schätzung der etruskischen
Skulptur ist deshalb heute unter den Bildhauern

fast ganz allgemein. Da eine Rückbesinnung auf
strukturelle Grundverhaltungen der Bildhauerei
vor sich geht, kommt mall naturgemäß, ohne daß
das historische Ereignis der etruskischen Plastik hier
direkt eingewirkt hätte, zu ganz ähnlichen Vorstel-
lungen, wenn mau diese auf das Grundsätzliche hin
betrachtet. Also beruht diese hohe Schätzung der
etruskischen Skulptur aus der ähnlichen Bewußt-
seinshaltung, nicht auf historischer Übernahme.
6. Die Grundform der Skulptur besteht aus
Plastischen und räumlichen Vorstellungen. Diese
Doppelelemente beziehen sich aber wieder aufein-
ander. Die plastische Vorstellung fordert eine ihr
gemäße räumliche Vorstellung. Diese räumliche Vor-
stellung ist uuil schon, dafern man die Plastische
Struktur begriffen, geradewegs vorherzusagen. Da
sich die plastische Forderung auf die Grundelemente
der Plastik besann, wird das Verhalten der Plasti-
schen Glieder im Raum sich genau so auf die For-
mel eines Grundverhaltens beziehen. Es setzt hier
die Vorstellung einer ideellen, selbstgegebenen
Grenze ein, die den bildhauerischen Bestand in sich
einkapselt. Diese Raumgrenze hält die Plastik in
sich zusammen in einem eignen bildhauerischen
Raum. Wir erinnern uns, daß sich das plastische
Glied ganz genau so verhielt, daß die Begebnisse
des Äußeren, Licht und Beschränktheit der optischen
Sicht uninteressant wurden. Dafür ein Beispiel:
Der Porträtkopf Kaspers findet sein plastisches
Ende in der großen, bildhauerischen Rundform, die
jedes Teilelement zusammenhält. (Dieser Kopf ist
überhaupt ein Beispiel struktureller Bildhauerei.)
Der räumliche, hier ja ganz unkomplizierte Be-
stand wird durch diese Grundform zusammen-
gehalten. Der räumlich kompliziertere Fall der
„Ruhenden" Stangls verlegt die Grenze bildhaue-
rischen Vorgangs räumlich genau so an die Grenze
der übergeordneten Grundform, die hier die vor-
gestellte des Blockes ist. Das räumliche Verhalten
antwortet also denselben Strukturgesetzen, die für
das plastische Verhalten verbindlich waren. Der
Raum bindet steh strikt ein in ein vorgestelltes, ku-
bisches Ganzes.
7. Innerhalb dieser einheitlichen Forderung
wird das Statische selbst verständlich, und selbst sta-
tische Grenzfälle sind einheitlich bedingt durch eine
sichere Funktion des Schreitens und Stehens.
Die bildhauerischen Grundverhaltungen, die wir
hier kernhaft zu sagen versuchten, sind (das kann
leider nicht weiter ausgeführt werden), Weiterden-
kungeu des großartigen Mareesschen Gedanken-
gutes, das Maroes und Konrad Fiedler entwickel-
ten. Eine zukunftsvolle Bildhauerei nimmt
Maroes in seinem Strukturbestand und formt ihn
weiter und neu. So ist Maroes der Klassiker einer
strukturellen Bildhauerei geworden, ebenso wie der
Bildhauer Maillol.
Eine irene Bildhauerei ist uns einen Weg vor-
gegangen, der aus einem unbändigen Struktur-
willen plötzlich einen bedeutungsvollen Kunstwillen
gebar, tief und ernst genug, nm einer zerfahrenen
Kunstsitnation kräftig und männlich ein festes
Bildgefüge entgegenzustellen. Eine Gruppe vou
Bildhauern, die sicher ihr Einheitsbewußtsein selbst
erst gewinnen müssen, haben ihre Stellung be-
zogen, die sie konfessionsstark verfechten. Nm eine
feste Konfession aber ging es in diesen Jahren,
wenn sie jetzt ansatzhaft da ist, können für und
gegen sie die Fronten bezogen werden. Denn die
Geschichte der Kunst fornrt sich nur aus gruppen-
hafteu Bekeuutuissen uud dereu Widerparte. So
wird das Bild lebendig.
Es wurde in vorstehenden Sähen ein Front-
bericht zu geben versucht von ganz wichtigen Vor-
gängen, die heute in vielen Bildhanerateliers ge-
sprächsweise immer wieder an erster Stelle stehen.
Dies immer erneut erfahren zu haben und an vie-
len Bildhauerarbeiten, die oft ganz unabhängig
voneinander entstanden, bestätigt zu sehen, gab die
Berechtigung, von dem Ansatz zu eiuem neuen Stil-
willen zu sprechen, gab auch damit die Notwendig-

von Kriegsdenkmalen. Eigenartigerweise fast stets
für Landgemeinden. Und das scheint mir ein be-
sonders günstiges Zeichen für das Ungebrochene,
d. h. Volksverwurzelte der Hillerschen Kunst zu
sein. Seit Jahren kauft die Münchner Städt.
Galerie und die Bayerische Staatssammlung des
Künstlers Werke. Um so schwerer fühlt er in
sich die Verpflichtung zu noch größerer Voll-
endung. Der schöne „Weibliche Torso" zeugt von
neuem und erfolgreichem Streben.
Geboren wurde Anton Hiller am 7. Januar

gegen Dürer Grünewald, und ihre Namen sind
doch auch wieder Repräsentanten gesonderter
Gruppen mit gesonderter historischer Entwicklung.
Indem wir also heute vou einer neuen
Bildhauerei reden, haben wir das Bewußtsein
einer oder mehrerer anderer im Gedächtnis. Dies
rettet uns vor einer begrifflichen Einengung der
Kunstvorgänge unserer Zeit.
Die Bildhanergrnppe, nur die es uns geht,
namhaft festznlegen ist heute noch verfrüht, da die
große Ausweitung erst jetzt in den Bildhauerate-
liers vor sich geht. Namen wie Marcks, Kasper,
der äußerst begabte junge Blumenthal u.a. sind
zwar Bedeutungspunkte, wichtig ist aber das Be-
kenntnis, das sie verfechten, und von ihm soll be-
richtet werden. Die von der Person losgelöste
Formanalyse soll allenthalben erkennbar machen,
wie weit die strukturelle Forderung dieser Bild-
hauerei schon vorgedrungen. Ihre besondere, bild-
hauerische Grundverhaltnng hat sich unvermittelt
zu einen: Stilbckenntnis ansgeweitet. Sie ist nicht
Lehrmethode, sie ist Bewußtseinshaltung geworden.
Sie zwang zu einer Formung von Grundgesetzen
der Plastik, die völlig die Art des Bildens von der
Wurzel her angriff.
1. Ist die Grundverhaltnng optisch oder for-
mal? Die Fragestellung beginnt also schon hier
bei der Auseinandersetzung mit der Form der
Wirklichkeit. Verhalte ich mich zum Objekt als

keit, diesen Stilwillen in seinen Grundverhaltun-
gen begrifflich zu bestimmen. Diese Grundverhal-
tungen wurden im Formalen zu fassen versucht.
So sind die Sätze gedacht, nicht nur für das Kunst-
publikum, sondern auch für deu Bildhauer selbst.
Kommt der Bildhauer zusammen mit Gleichgesinn-
ten und fühlt seine Front, soll der Weg schon gut
werden. Der Kunstschreiber weiß sich dann be-
lohnt. Huckt rn nun

1893 in München. Er besuchte die Schnitzwerk-
stätteu der Christlichen Kunst in Sigmaringen,
dann die Städt. Gewerbeschule in München an
der Westenriederschnle unter Prof. Killer und
seit 1913 die Akademie unter Hermann Hahn.
Seit Jahren ist Hiller Mitglied der Münchner
Sezession. In diesem Jahre ward er durch das
besondere Vertrauen ihres Präsidenten in die
Jury und „Hängekommission" der Großen Aus-
stellung der Neuen Pinakothek berufen.
öruno Kroll

Die gesonderte Herausarbeitung eines Teil-
bereiches neuer Bildhauerei, deren Ziel eine
Begriffsbestimmung formaler Vorgänge einer
innerlich einheitlichen Gruppe heutiger Bildhauer
ist, hat die Gefahr der Verengung eines zeitlichen
Bestandes von bildhauerischen Ansichten nicht mehr
zu fürchten. Indem eine Gruppenleistnng tatsäch-
lich sich bestimmen läßt, also ein Stilphänomen sich
zu verdichten beginnt, so daß man es begrifflich
untersuchen kann, verschwindet die Form indivi-
dualistischer Gegeneinanderarbeit in den Kunst-
parolen einer Zeit und weicht dem Bewußtsein
lebendiger, in sich einheitlicher Fronten, die in
ihrem schöpferischen Gegenüberstehen das Gesicht
der Zeit reich und lebendig machen. Denn so erlebt
es der Historiker: Blntvolle Zeiten voller Kraft
verketten Einzelleistungen der genialen Persönlich-
keiten mit einer schicksalshaft gewachsenen Gruppe.
Diese wieder kommt aus derselben: Voraussetzung,
aus der auch der Genius lebt: nämlich der des
kaum näher zu bestimmenden Begriffs der „Ent-
wicklung". Indessen ist nun aber, und wieder sagt
es der Historiker, eine Zeit nur in ihren Gegen-
sätzen zu erleben, gegen Raffael steht Michelangelo,

optischer Tatsache, die ich nachzubilden mich be-
mühe, oder durchsuche ich es formal nach Plastisch
ergiebigen Beständen? Die Antwort umgreift in
einer besonderen Weise beides: Die optische Erfah-
rung schaltet nicht ans, sie wird aber durch das
Mittel einer inneren Vorstellung nmgesetzt in eine
plastisch bedeutsame Form. Die Bemühung ver-
schmilzt also Beobachtetes (Modell) und formale
Absicht einer vorstellungsmäßigen Einheit. Das
geht mitunter so weit, daß sich eine formale Vor-
stellung nicht eher bilden kann, als bei der Betrach-
tung des Modells, dessen optisch nachtastbare For-
men nun erst kristallhaft zu formalen Vorstellun-
gen zusammenschießen. Das ist au: Porträt beson-
ders einleuchtend zu beobachten. Von dem Zustand
eines Gesichtes, von seinen Formen, Mnskeln und
Proportionen kann ich einen Tatsachenbericht
geben, ich erhalte ein naturalistisches Porträt; ich
kann aber diesem Tatsacheubericht ein formales
Verhältnis unterstellen, eine große plastische Form,
etwa eine plastische Ovalform, nach der ich nun die
modellmäßigen Befunde vorstellungsmäßig nm-
wandle. In diesem Fall ersetze ich die Natur-
form durch eine Vorstellung, die
in: äußerlichen Tatbestand jener etwa gleicht,
innerlich aber sich nicht mehr mit ihr
identifiziert. Ich sage es handwerklich und
drastisch: der Übergang von der Nasenwurzel zum
Augenbrauenbogen etwa verliert, so gesehen, seinen
naturalistischen Sinn und wird zu einer bildhaue-
rischen Form, zu einem abstrakten, formalen Wert.
2. Die besondere Art dieser inneren, bildhaue-
rischen Vorstellung führt zurück zu den plastischen
Nrvorstellungen, die auch gleichzeitig die einfachsten
Grundformen selbst sind. Ein Bein oder ein Arm
beispielsweise deckt sich in der Grundvorstellung mit
der einfach-plastischen Form der Walze und wird
von dieser Grnndvorstellung aus Plastisch gewan-
delt. Ein modellierter Rücken wird zuerst als ko-
nische Einheit bewußt (also in seiner Grundstruk-
tur), ehe er im einzelnen dnrchgearbeitet wird. Die
Verhaltungsweise ist also die der formal zu-
s a m m e n g e n o m m e n e n Einheitlich-
keit in Primäre p la st i s ch e n Formen.
3. Das ernste Fragen nach den: ganz ursprüng-
lichen Sinn der Bildhauerei verlangt bis aufs
letzte die Reiuheit der bildhauerischen Form. Die
C.LiJinduM^, arbeitet iin e!>.suche»-Wsttz eine.,
ganz festen kubischen Verhaltens. Der Angriff
geht also gegen jede Verwässerung dieser
Form; die Übernahme malerischer oder zeichneri-
scher Werte in die Bildhalterei ist damit hinfällig.
Das bedeutet in dieser knappen Präzision eilten
großen Allgriff gegen einen historischen Teilbereich
Plastischen Schassens. Mall hat in der Bildhauerei
allenthalben Irrtümer begangen. Das geht so seit
Carpeaux. Rodin hat in seiner unerhörten bild-
nerischen Kraft diese Irrtümer sanktioniert. Hellte
steht der Angriff einer Gruppe von Bildhauern
gegen Rodin, und aus den strukturellen Erforder-
nissen ihrer Kunst ist ihr Angriff gut uud richtig.
(Der Historiker weiß vou Rodins Bedeutung, für
dell Künstler ist er mit
Recht dann Feind, wenn ,
er gegen seine Kunst stebt.
Wie anders verhält man
sich dagegen heute zu
Maillol und Despiau?)
Darin liegt eine schölle
Wahrheit, es ist ein An-
fangsetzen in der Rein-
heit des Formbegriffs
„Bildhauerei",das fremd-
zonige (malerische, zeich-
nerische) Eindringungen
nicht mehr dulden will.
4. Die unbedingte Auf-
stellung eines autono -
ln e ll plastischen Bekennt-
nisses erfordert auch vom
Beschauer eine neue Auf-
fassuug der Skulptur, die
deu Strukturgesetzen der
Bildhauerei gemäß ist.
Die optischen Zusällig-
keiteu, wie die des Lich-
tes, der Silhouettensicht
und der planen Um-
setzung, die das Auge vor-
nimmt, haben keine Gel-
tung mehr. Auch die
Erfassung der
Skulptur ist Vor-
st e l l u ll g s m ä ß i g, in-
sofern, als ja ihre Kunst-
szene, da sie losgelöst ist
von den Bedingnissen der
Optik, ill einem eignen
kubischen Bereich liegt.
Die autonome Bildhaueeri_
setzt die einfache, plastische
Form voraus, sie nimmt
diese Form abstrackt, als
bildhauerische Form, sie
treibt gewissermaßen Formen als Plastische Kör-
per, von innen nach außen. Ein Vorgang, der im
umgekehrten Verhältnis steht zur Arbeit des Anges,
das von einem Oberflächenbestand erst auf einen
plastischen Körper schließt; die Arbeitsauf-
fassnng verlagert sich also fast wörtlich von außen
nach innen.
5. So erlebt diese Auffassung auch das Innen
einer Plastik strukturell, sie sieht dem Bestaub eiuer

Plastik eine Urform eiugelagert, die die Plastischen
Anßenvorgänge schon bestimmte. Ich sage es wie-
der handwerklich: Eine stehende Figur etwa wird
um ihreu Grundbegriff von Primär-Plastischer
Form, die Säule, errichtet.
Eine Bildhauerei, die sich zu deu strukturellen
Eigenheiten ihrer Knnstzone znrückfinden will,
kommt programmatisch zu der Festlegung ein-
facher, frontaler Motive des Stehens, Sitzens und
Schreitens, die, im Motiv nnaktiv, den Begriff der
reinen, für sich bestehenden Form nicht angreifen.
Das einfach-plastische Grundelement, die letzte bild-
hauerische Voraussetzuug gewissermaßen, ordnet
den Körper von selbst, d.h. indem der Bildhauer
einem Körper eine einfache, plastische Grundform




8 zW-KssL
 
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