Kunst der Nation
3
der mozartisch zauberhaften, sinnfrohen, klaren
Kunst! . . . Das Atelier ist halb Musikraum,
halb Malerwerkstätte. Ohne allen Komfort. Fast
nüchtern. Neben dem offenen Klavier steht das
Cello, stehen Notenpulte und Bücherregale. Aus
dem Tisch liegen neben der Radierplatte Noten-
blätter. Das Bild auf der Staffelei kaum an-
gegangen, wirkt in diesem Milieu wie eine über-
irdische Vision. An den Wänden hängen Bilder
der Vorkriegszeit. Schon ganz von der Persön-
lichen Art der heutigen. Die Jahre an der Münch-
ner Akademie und die bei Matisse in Paris haben
keinen Einfluß auf den Künstler gehabt. Vielleicht
war früher das Kolorit eine Idee stumpfer. Die
Akkorde noch nicht so frei, so bewegt und gelöst
wie später. Die Gestaltung noch nicht so bewußt
im Bildmäßigen. Da steht noch nicht alles so auf
Spannung und Ausgleich, auf räumliche Offen-
heit und flächige Begrenztheit. Seine Bücher auf
deu Regalen verraten Kultur und Geschmack.
Einige bibliophile Kostbarkeiten, wie die schmerz-
liche Liebesklage in „Venus und Adonis" von
Shakespeare, die geistvoll spielerische Koketterie der
„Musarion" von Wieland und die eleganten Verse
von Ovid hat Gött mit geistreichen aphoristischen
Radierungen versehen. Zwischen den Reimen wir-
ken sie wie Begleitakkorde. Mir verrieten sie nicht
nur den Humanisten und den Sohn eines Altphi-
lologen — sondern auch den sinnvoll freudigen
Lebensbejaher. Und ich begriff nun die Zurück-
gezogenheit dieses Künstlers, die ruhig-beschauliche
Art dieses Daseins, das seinen künstlerischen Nei-
gungen lebte aus Freude am künstlerischen
Schöpfertum. Vielleicht sind solche Künstler nur
auf Münchner Boden und in Münchner Atmo-
sphäre möglich! U. XroIl
Adolf Holzel
g e st. am 17. Oktober 1934
Von
G. G. Wietzner
Es gibt Künstler, die Lieblinge der Publizistik
sind; jedes Skizzenblatt wird ihnen entrissen, jeder
Entwurf wird gedruckt, jeder Gedanke wandelt sich
in schnell verbreitete Anekdote. Vergöttert oder
angegriffen: sie sind populär. Aber es gibt andere,
die bleiben ihr ganzes
Leben lang in großer Ein-
samkeit, trotzdem, ja viel-
leicht weilsie die großen
Schaffenden sind. Bei
denen entscheidet dann der
zufällige Glückszustand
ihres äußeren Lebens, ob
sie den Kampf um ihre
neu erkannten Welten
durchhalten können; ob Ire
schnell zugrunde gehen,
aufslammenund erlöschen,
wie ein Meteor, oder ob
ihnen sonnenhaftes Leuch-
ten vergönnt ist.
Adolf Hölzel war
ein Einsamer, dem glück-
haft sonnenartiges Leuch-
ten vergönnt war. Wre
die Sonne keiner schaut
und doch alle durch sre
leben, jo blieb Hölzet
im großen Betriebe fast
ungesehen und doch wuchs
und wächst der stärkste
Teil der deutschen Kunst
von seinem Licht, jener
Teil, der unter Kunst
nicht unkrautartiges
Wuchern versteht, sondern
baumgleiches Erstarken
von Stamm zu Ast, von
Ast zu Zweig, von Zweig
zu Blatt, der den flüch-
tigen Impressionen wie-
der Struktur geben will,
inneren Halt, wie ihn die
großen Meister der Ver-
gangenheit noch hatten.
Man frage, um Ent-
fernteste zu nennen, den
Deutschen Willy Bau-
meister, den Schweizer
Pellegrini, den Russen
Kandinsky nach dem
Meister und alle nennen Hölzel; alle Perspektiven
laufen in dem heute verwaisten Atelier in Stutt-
gart Degerloch zusammen.
Verwaist?
War der Einundachtzigjährige nicht längst schon
Legende geworden, stand nicht seine Meisterschaft
schon längst zur Diskussion im Werk und in der
Lehre, ist der Name Hölzel allen persönlich Fern-
stehenden nicht von jeher ein Begriff, entkleidet
jedes biographischen Interesses: ein Begriff un-
erhörten Könnens und Wissens, zu jdem der
Meister sein Leben selbst geformt hatte?
Adolf Hölzel wurde am 13. April 1853
in Olmütz in Mähren geboren. Sein Vater besaß
einen berühmten Kunstverlag, war einer von
jener aussterbenden Verlegergeneration, die Er-
folge hatte, weil sie der Kunst und dem Volke,
nicht bloß der Firma dienen wollte. Im Eltern-
hause empfing Hölzel Wohl die Grundeigenschaft
seines Wesens: der Kunst als einem Irrealen,
Höheren das persönliche Ich unterznordnen. Dar-
um ist er ein Lehrer geworden, der seinen
Schülern schenkt und nur schenkt: sogar die äuße-
ren Erfolge. Der begabte Brühlmann malt die
Pfullinger Fresken. Des frühgestorbenen Künst-
lers Name lebt von ihnen, die sein Meister Hölzel
geistig inspiriert hatte. Für die breite Öffentlich-
keit lebt Hölzel — man kennt vielleicht seine Stutt-
garter Rathausfenster und das Altarblid in Ulm,
das Gesamtwerk liegt, breiterer Öffentlichkeit kaum
bekannt (Ehrt Eure deutschen Meister!!) in Han-
nover — in seinem Schülerkreis, dem engeren,
den er persönlich fördern konnte, und dem weite-
ren, der sich zu ihm als einem Begriff bekannte:
Brühlmann und der gefallene Stenner, Pellegrini,
Meyer-Amden, Kandinsky, Baumeister, Schlem-
mer, Jtten, Eberz, Kerkovius, Eberhard, mit denen
dürfte der weitgedehnte Wirkungskreis begrenzbar
sein: eine Schule, keine Schablone wird damit um-
rissen. Sie alle einigt nicht eine formal übernom-
mene Tradition, sondern der fanatische Wille, zu
den Urgesetzen der Kunst vorzustoßen, die hinter
den Werken der alten Meister spürbar sind.
Brühlmann lenkt den Blick über Hodler zu
Giotto hin, Eberz und Kerkovius schließen an die
Adolf Hölzel
Photo: Clara Baur, Stuttgart
Hans Gött, In den Voralpen
Geistesquellen früher
deutscher Romantik an,
Kandinsky, Jtten ertasten
eine neue Bildform
grüblerisch und oft die
Staffelei mit demSchreib-
tisch vertauschend: alle
aber vereint mit dem Alt-
meister in heißem Be-
mühen, der Kunst ihre
Gesetze abzulauschen, das
Imitative in Gestaltung
umzuwerten, das Physi-
sche in Metaphysisches
hinter der sinnlichen
Erscheinung die Idee zu
erspüren, von skizzen-
hafter Vision über be-
wußt angewendete Struk-
tnrgesetze zum Meister-
werk zu kommen, zur
Harmonie, um die Hölzel
rang:
„Berühren sich die
im Kunstwerk darge-
stellten Maße und Ge-
setze mit den dem
Menschen eingeborenen
Maßen und Gesetzen,
so nennt er die Wirkung
Harmonie"
schreibt er, und diesen Ge-
setzen forscht er nach, diese
Gesetze umschreibt er für
den engeren Schülerkreis
in knappem Vortrag,
nachdem er sie in ehrlicher
Arbeit nicht bloß erahnt,
sondern auch erkannt hat:
„keiner meiner Lehr-
sätze hat zu seiner Ent-
stehung weniger als ein
halbes Jahrzehnt ge-
braucht!"
Ein unüberwindbarer
Hang zur Selbstdisziplin,
dem es Wohl auch zuzu-
schreiben ist, daß der junge
Hölzel einmal die Ofsi-
zierslaufbahn einschlagen
wollte, bewirkt eine uner-
hörte Diszipliniertheit des
Kunstwerks. Er ist keines-
falls mehr Genie im
romantischen Begriff,
das, wie Eichendorffs
„Taugenichts" die Welt
durchschweift und auf Ein-
fälle wartet; aber er ist
manuel Kants, das zu den Ideen hinabstergt, wre
Faust zu den Müttern, um dort die Gesetze zu er-
halten, „der Natur die Regel" zu geben (Kritrk
d. Urteilskraft 8 46). Die genaue Untersuchung
der Mittel und Gesetze eines Kunstwerks, beson-
ders der Komposition und Farbe, verknüpft ihn
mit den Analytikern seiner Generation (1853!).
Wenn er aber dem allen:
Photo: Rudolpf, Dresden
Und so ist Adolf Hölzel im Sinne Goethes schon
längst unsterblich: Gingen doch Kräfte von ihm
aus und wirken weiter in der nächsten Generation,
ohne daß sich diese des Namens ihres Urmeisters
ganz bewußt wäre. Was aber ist wertvoller, der
Name auf Stein oder die Seele in tausendfältigen
Werken? So ist er der Begriff des Am-Ziele-seim
geworden, der Anstoß eines Wirkens durch die
Palucca: „Arabeske"
Genie im Sinne Jm-
das schaffende Ich ent-
gegenstellt, ringt er mit
der Jugend um eine neue
Synthese.
Das Ich ist der Künst-
ler in seiner höheren Be-
gnadung. Die Form-
elemente verbinden ihn
mit dem Beschauer, der,
wie der Künstler, eben
Mensch, von ihnen aus
Stellung zum Werk be-
kommt, denn sie bewirken
den Eindruck auf den Be-
schauer. Gleiche Wirkungs-
elemente sieht er hinter
jedem großen Kunstwerk,
sei es nun von Rembrandt
(vielleicht!) unbewußt, sei
es von Dürer oder Lio-
nardo sehr bewußt ge-
staltet.
Der Hang, Menschheits-
gesetzen auf die Spur zu
kommen,verknüpft ihnmit
allen großen Konstrukti-
visten der Form, insbe-
sondere mit den deutschen
Malerschulen vor dem Re-
naissance-Einbruch, läßt
ihn als Farbentheoretiker
das realistische Werk Dela-
croix', das mystische Run-
ges vollenden. Da er die
Wirkung der Farben aus
den Menschen, nicht die
Farben als objektive Er-
scheinungen untersucht,
wird er der eigentliche
Nachfolger Goethes.
Hölzel ist nur zwanzig
Jahre nach Goethes Tod
geboren. Er lebt als Kind
und Mann noch in der
gediegenen Atmosphäre
Gustav Freytags und
Gottfried Kellers. Im
Dachauer Kreis mit Dill
und Langhammer „reißt"
Hans Gött, Mädchen mit Zöpfen
er, um mit Dürer zu
sprechen, seine „Kunst aus der Natur", erlebt aber
schon die großen Konturen der Abenddämmerung,
in der die Dinge zu Schemen werden, die der
Mensch beseelt. So geht sein Weg vom Ding über
die Vereinfachung zur einfachen Form, zur Ab-
straktion. Wie Goethe seine Urpflanze ein (geisti-
ges) „Modell" nannte, „mit dem man noch
Pflanzen ins Unendliche erfinden kann, die kon-
sequent sein müssen, d. h. die, wenn sie auch nicht
existieren, doch existieren könnten (an Frau
v. Stein, Rom: 8. 6. 87)", so könnle man alle
Skizzen und Gemälde, insbesondere Glas-
gemälde Hölzels solche Modelle nennen, denen
Formen tausendfach entströmen.
Natur, das nicht aufzuhalten ist, da es organisch
wächst, seine Kräfte aus den Urkräften der Mensch-
heit nimmt und sich in abertausend Samen ver-
breitet.
Dicht voraussehen, hecht schon verzweifeln
"Leonardo da Vinci
„Man könnte eigentlich den Satz aufstellen:
Alles, was mit hingebendster Liebe gemacht ist, ist
Kunst.
Gott steht höher als der Mensch, also nehmt
lieber was von Gott kommt, als vom Menschen,
3
der mozartisch zauberhaften, sinnfrohen, klaren
Kunst! . . . Das Atelier ist halb Musikraum,
halb Malerwerkstätte. Ohne allen Komfort. Fast
nüchtern. Neben dem offenen Klavier steht das
Cello, stehen Notenpulte und Bücherregale. Aus
dem Tisch liegen neben der Radierplatte Noten-
blätter. Das Bild auf der Staffelei kaum an-
gegangen, wirkt in diesem Milieu wie eine über-
irdische Vision. An den Wänden hängen Bilder
der Vorkriegszeit. Schon ganz von der Persön-
lichen Art der heutigen. Die Jahre an der Münch-
ner Akademie und die bei Matisse in Paris haben
keinen Einfluß auf den Künstler gehabt. Vielleicht
war früher das Kolorit eine Idee stumpfer. Die
Akkorde noch nicht so frei, so bewegt und gelöst
wie später. Die Gestaltung noch nicht so bewußt
im Bildmäßigen. Da steht noch nicht alles so auf
Spannung und Ausgleich, auf räumliche Offen-
heit und flächige Begrenztheit. Seine Bücher auf
deu Regalen verraten Kultur und Geschmack.
Einige bibliophile Kostbarkeiten, wie die schmerz-
liche Liebesklage in „Venus und Adonis" von
Shakespeare, die geistvoll spielerische Koketterie der
„Musarion" von Wieland und die eleganten Verse
von Ovid hat Gött mit geistreichen aphoristischen
Radierungen versehen. Zwischen den Reimen wir-
ken sie wie Begleitakkorde. Mir verrieten sie nicht
nur den Humanisten und den Sohn eines Altphi-
lologen — sondern auch den sinnvoll freudigen
Lebensbejaher. Und ich begriff nun die Zurück-
gezogenheit dieses Künstlers, die ruhig-beschauliche
Art dieses Daseins, das seinen künstlerischen Nei-
gungen lebte aus Freude am künstlerischen
Schöpfertum. Vielleicht sind solche Künstler nur
auf Münchner Boden und in Münchner Atmo-
sphäre möglich! U. XroIl
Adolf Holzel
g e st. am 17. Oktober 1934
Von
G. G. Wietzner
Es gibt Künstler, die Lieblinge der Publizistik
sind; jedes Skizzenblatt wird ihnen entrissen, jeder
Entwurf wird gedruckt, jeder Gedanke wandelt sich
in schnell verbreitete Anekdote. Vergöttert oder
angegriffen: sie sind populär. Aber es gibt andere,
die bleiben ihr ganzes
Leben lang in großer Ein-
samkeit, trotzdem, ja viel-
leicht weilsie die großen
Schaffenden sind. Bei
denen entscheidet dann der
zufällige Glückszustand
ihres äußeren Lebens, ob
sie den Kampf um ihre
neu erkannten Welten
durchhalten können; ob Ire
schnell zugrunde gehen,
aufslammenund erlöschen,
wie ein Meteor, oder ob
ihnen sonnenhaftes Leuch-
ten vergönnt ist.
Adolf Hölzel war
ein Einsamer, dem glück-
haft sonnenartiges Leuch-
ten vergönnt war. Wre
die Sonne keiner schaut
und doch alle durch sre
leben, jo blieb Hölzet
im großen Betriebe fast
ungesehen und doch wuchs
und wächst der stärkste
Teil der deutschen Kunst
von seinem Licht, jener
Teil, der unter Kunst
nicht unkrautartiges
Wuchern versteht, sondern
baumgleiches Erstarken
von Stamm zu Ast, von
Ast zu Zweig, von Zweig
zu Blatt, der den flüch-
tigen Impressionen wie-
der Struktur geben will,
inneren Halt, wie ihn die
großen Meister der Ver-
gangenheit noch hatten.
Man frage, um Ent-
fernteste zu nennen, den
Deutschen Willy Bau-
meister, den Schweizer
Pellegrini, den Russen
Kandinsky nach dem
Meister und alle nennen Hölzel; alle Perspektiven
laufen in dem heute verwaisten Atelier in Stutt-
gart Degerloch zusammen.
Verwaist?
War der Einundachtzigjährige nicht längst schon
Legende geworden, stand nicht seine Meisterschaft
schon längst zur Diskussion im Werk und in der
Lehre, ist der Name Hölzel allen persönlich Fern-
stehenden nicht von jeher ein Begriff, entkleidet
jedes biographischen Interesses: ein Begriff un-
erhörten Könnens und Wissens, zu jdem der
Meister sein Leben selbst geformt hatte?
Adolf Hölzel wurde am 13. April 1853
in Olmütz in Mähren geboren. Sein Vater besaß
einen berühmten Kunstverlag, war einer von
jener aussterbenden Verlegergeneration, die Er-
folge hatte, weil sie der Kunst und dem Volke,
nicht bloß der Firma dienen wollte. Im Eltern-
hause empfing Hölzel Wohl die Grundeigenschaft
seines Wesens: der Kunst als einem Irrealen,
Höheren das persönliche Ich unterznordnen. Dar-
um ist er ein Lehrer geworden, der seinen
Schülern schenkt und nur schenkt: sogar die äuße-
ren Erfolge. Der begabte Brühlmann malt die
Pfullinger Fresken. Des frühgestorbenen Künst-
lers Name lebt von ihnen, die sein Meister Hölzel
geistig inspiriert hatte. Für die breite Öffentlich-
keit lebt Hölzel — man kennt vielleicht seine Stutt-
garter Rathausfenster und das Altarblid in Ulm,
das Gesamtwerk liegt, breiterer Öffentlichkeit kaum
bekannt (Ehrt Eure deutschen Meister!!) in Han-
nover — in seinem Schülerkreis, dem engeren,
den er persönlich fördern konnte, und dem weite-
ren, der sich zu ihm als einem Begriff bekannte:
Brühlmann und der gefallene Stenner, Pellegrini,
Meyer-Amden, Kandinsky, Baumeister, Schlem-
mer, Jtten, Eberz, Kerkovius, Eberhard, mit denen
dürfte der weitgedehnte Wirkungskreis begrenzbar
sein: eine Schule, keine Schablone wird damit um-
rissen. Sie alle einigt nicht eine formal übernom-
mene Tradition, sondern der fanatische Wille, zu
den Urgesetzen der Kunst vorzustoßen, die hinter
den Werken der alten Meister spürbar sind.
Brühlmann lenkt den Blick über Hodler zu
Giotto hin, Eberz und Kerkovius schließen an die
Adolf Hölzel
Photo: Clara Baur, Stuttgart
Hans Gött, In den Voralpen
Geistesquellen früher
deutscher Romantik an,
Kandinsky, Jtten ertasten
eine neue Bildform
grüblerisch und oft die
Staffelei mit demSchreib-
tisch vertauschend: alle
aber vereint mit dem Alt-
meister in heißem Be-
mühen, der Kunst ihre
Gesetze abzulauschen, das
Imitative in Gestaltung
umzuwerten, das Physi-
sche in Metaphysisches
hinter der sinnlichen
Erscheinung die Idee zu
erspüren, von skizzen-
hafter Vision über be-
wußt angewendete Struk-
tnrgesetze zum Meister-
werk zu kommen, zur
Harmonie, um die Hölzel
rang:
„Berühren sich die
im Kunstwerk darge-
stellten Maße und Ge-
setze mit den dem
Menschen eingeborenen
Maßen und Gesetzen,
so nennt er die Wirkung
Harmonie"
schreibt er, und diesen Ge-
setzen forscht er nach, diese
Gesetze umschreibt er für
den engeren Schülerkreis
in knappem Vortrag,
nachdem er sie in ehrlicher
Arbeit nicht bloß erahnt,
sondern auch erkannt hat:
„keiner meiner Lehr-
sätze hat zu seiner Ent-
stehung weniger als ein
halbes Jahrzehnt ge-
braucht!"
Ein unüberwindbarer
Hang zur Selbstdisziplin,
dem es Wohl auch zuzu-
schreiben ist, daß der junge
Hölzel einmal die Ofsi-
zierslaufbahn einschlagen
wollte, bewirkt eine uner-
hörte Diszipliniertheit des
Kunstwerks. Er ist keines-
falls mehr Genie im
romantischen Begriff,
das, wie Eichendorffs
„Taugenichts" die Welt
durchschweift und auf Ein-
fälle wartet; aber er ist
manuel Kants, das zu den Ideen hinabstergt, wre
Faust zu den Müttern, um dort die Gesetze zu er-
halten, „der Natur die Regel" zu geben (Kritrk
d. Urteilskraft 8 46). Die genaue Untersuchung
der Mittel und Gesetze eines Kunstwerks, beson-
ders der Komposition und Farbe, verknüpft ihn
mit den Analytikern seiner Generation (1853!).
Wenn er aber dem allen:
Photo: Rudolpf, Dresden
Und so ist Adolf Hölzel im Sinne Goethes schon
längst unsterblich: Gingen doch Kräfte von ihm
aus und wirken weiter in der nächsten Generation,
ohne daß sich diese des Namens ihres Urmeisters
ganz bewußt wäre. Was aber ist wertvoller, der
Name auf Stein oder die Seele in tausendfältigen
Werken? So ist er der Begriff des Am-Ziele-seim
geworden, der Anstoß eines Wirkens durch die
Palucca: „Arabeske"
Genie im Sinne Jm-
das schaffende Ich ent-
gegenstellt, ringt er mit
der Jugend um eine neue
Synthese.
Das Ich ist der Künst-
ler in seiner höheren Be-
gnadung. Die Form-
elemente verbinden ihn
mit dem Beschauer, der,
wie der Künstler, eben
Mensch, von ihnen aus
Stellung zum Werk be-
kommt, denn sie bewirken
den Eindruck auf den Be-
schauer. Gleiche Wirkungs-
elemente sieht er hinter
jedem großen Kunstwerk,
sei es nun von Rembrandt
(vielleicht!) unbewußt, sei
es von Dürer oder Lio-
nardo sehr bewußt ge-
staltet.
Der Hang, Menschheits-
gesetzen auf die Spur zu
kommen,verknüpft ihnmit
allen großen Konstrukti-
visten der Form, insbe-
sondere mit den deutschen
Malerschulen vor dem Re-
naissance-Einbruch, läßt
ihn als Farbentheoretiker
das realistische Werk Dela-
croix', das mystische Run-
ges vollenden. Da er die
Wirkung der Farben aus
den Menschen, nicht die
Farben als objektive Er-
scheinungen untersucht,
wird er der eigentliche
Nachfolger Goethes.
Hölzel ist nur zwanzig
Jahre nach Goethes Tod
geboren. Er lebt als Kind
und Mann noch in der
gediegenen Atmosphäre
Gustav Freytags und
Gottfried Kellers. Im
Dachauer Kreis mit Dill
und Langhammer „reißt"
Hans Gött, Mädchen mit Zöpfen
er, um mit Dürer zu
sprechen, seine „Kunst aus der Natur", erlebt aber
schon die großen Konturen der Abenddämmerung,
in der die Dinge zu Schemen werden, die der
Mensch beseelt. So geht sein Weg vom Ding über
die Vereinfachung zur einfachen Form, zur Ab-
straktion. Wie Goethe seine Urpflanze ein (geisti-
ges) „Modell" nannte, „mit dem man noch
Pflanzen ins Unendliche erfinden kann, die kon-
sequent sein müssen, d. h. die, wenn sie auch nicht
existieren, doch existieren könnten (an Frau
v. Stein, Rom: 8. 6. 87)", so könnle man alle
Skizzen und Gemälde, insbesondere Glas-
gemälde Hölzels solche Modelle nennen, denen
Formen tausendfach entströmen.
Natur, das nicht aufzuhalten ist, da es organisch
wächst, seine Kräfte aus den Urkräften der Mensch-
heit nimmt und sich in abertausend Samen ver-
breitet.
Dicht voraussehen, hecht schon verzweifeln
"Leonardo da Vinci
„Man könnte eigentlich den Satz aufstellen:
Alles, was mit hingebendster Liebe gemacht ist, ist
Kunst.
Gott steht höher als der Mensch, also nehmt
lieber was von Gott kommt, als vom Menschen,