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Kunst der Nation — 2.1934

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S., P.F.: Erster Versuch einer Erziehung zur Kunst durch die SA
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Wieszner, Georg Gustav: Norden und Süden
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0025

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II. Ihg., Nr. S, 1. März. 1434

Verlag Kunst der Nation G. m. b. L>., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz-und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M>, Berlin W 50, Tauentzienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Einzelpreis 30 Pfennige


Bronze-Adler aus Venlo. Niederrhein, 15. Jahrhundert. Berlin, Deutsches Museum

Erster Versuch
einer Erziehung zur Kunst durch die SA

Nicht ganz unbeachtet, in seiner programmati-
schen Bedeutung aber kaum erfaßt, ist ein kunst-
erzieherischer Versuch der jüugsten Zeit gebliebeu,
der nur dann Sinn hat, wenn er beispielhaft und
als Ansporn zu immer umfassenderer Nachfolge
wirken sollte. Der Kultnrwart des Motor-
sturmes 2/N. 29 in Tegel hat den klugen und
seiner Herkunft würdigen Einfall gehabt (er ist
der Sohn eines großen deutschen Malers), den
sonntäglichen Ilbungsmarsch seiner Staffel statt
ins Gelände in das Zentrum Berlins dirigieren
zu lassen, mit dem Zielpunkt der Museen. Mit
Trommeln und Pfeifen zogen die SA-Männer die
Linden entlang und nahmen Aufstellung in der
Nationalgalerie, deren Direktor eine volkstümlich
und durchaus im Geiste der SA gehaltene An-
sprache hielt über den Wert des Musenmsbesuches,
der nicht einer Art von Mottenkiste, sondern
lebendig fortwirkender Kunst gelte. Dann wurden
die Abteilungen, jeweils in einem Stockwerk des
Hauses, von Sachverständigen herumgeführt, deren
Empfindung für heutige und gestrige Kunst es
ihnen möglich machte, auch zum Herzeu dieser der
Kuust noch fernstehenden Menschen zu reden.
Ich sagte schon: der Sinn dieser „Marsch-
übung mit Knlturziel" könne nur der sein, eine
grundsätzliche Anregung zu geben. Als einmalige
Sensation hätte sie nicht viel Wert: sie hat den
Charakter eines Samenkorns, das erst in die Erde
gesenkt, tausendfach nützliche Frucht bringt. Hier
ist tatsächlich der Ort, um einen sehr langarmigen
und wirkungskräftigen Hebel anzusetzen. Die
Situation war diese: hundert SA-Männer, von
denen kaum einer jemals seinen Fuß in Kunst-

stätten gesetzt hat und bestimmt keiner eine
Ahnung von der beglückenden Wirkung großer
Kunst besaß, traten mit einemmal den schönsten,
tiefsinnigsten, heitersten Werken deutscher Meister
gegenüber und so, daß ein sachkundiger Berater
ihnen nahebrachte, was das Rührende, das
Deutsche uud Mächtige von einem Dutzend aus-
gesuchter Bilder war. Der Erfolg blieb auch nicht
aus: mehr echte Empfänglichkeit haben die
Führenden kaum je erlebt, wie bei diesen Men-
schen aus dem Volke. Anfragen und Herzens-
erleichterungen, die aus der anonymen Masse sich
lösten, verrieten ein primitives, aber recht tief-
gründiges Sehnen nach solchen feiertäglichen Er-
hebungsstunden, bei jedem anders formuliert;
Sehnsüchte, die wirklich die Parallele künst-
lerischer und religiöser Gemütswirknng aufs
augenscheinlichste erwiesen. Das Samenkorn war
auf fruchtbaren Boden gefallen; die jungen Men-
schen waren aus dem trüben Grau des Alltags zur
Ahnung einer höheren Bestimmung des Menschen
gerufen; einer Bestimmung, Wohl vereinbar mit
ihrem politischen und nationalen Idealismus. Es
handelte sich in diesem Fall zwar um Thoma,
Runge, Leibl, Schwind; aber ich bin überzeugt,
daß sie mit derselben dankbaren Empfänglichkeit
sich auch zu den lebenden Künstlern im Kron-
prinzenpalais gewendet hätten, wenn man ihnen
diese nahe bringen würde.
Hier wäre anzusetzeu. Da die Menschen von
selber nicht leicht den Weg zur Kunst finden und
nicht nur des Austoßes, sondern auch des beredten
Führers bedürfen, der das zuerst Unverständliche

oder Schwierige ihren Sinnen zugänglich macht,
so müßten systematisch die Staffeln und Stürme
auch zu sonntäglicher Gegenüberstellung mit der
Kunst geführt werden. Sorge wäre nur zu tragen
für eine nicht philologische, sondern herzliche, ver-
ständliche Deutertätigkeit; aus jedem Kunstwerk,
vom Pergamonaltar und Bamberger Dom bis
zur dörflichen Bauernstube und zur Künstler-
zeichnung, läßt sich der Funke wahrhaften Ver-
ständnisses durch angemessene Beschreibung hervor-
locken. Und wer einmal sehen gelernt hat, wird

nicht nur selber wiederkehren uud Kuust über-
haupt aufsuchen, sondern auch die Seinen nach sich
ziehen. Zum Kunstgenuß darf man das Volk
schon ein wenig kommandieren; es wird ganz von
selbst Geschmack daran bekommen. Und nur so
gewinnt man die breite Basis: nicht die, vielfach
für reine Kunstbegeisterung verdorbenen Halb-
und Ganzgebildeten, sondern das kräftig und ein-
fach empfindende deutsche Volk ist der wahre
Boden, aus den: eiue fruchtbare Kunstpslege er-
stehen kann. ?. U. 8.

Norden und Süden
Bon
Georg Gustav Meßner

i.
Der- Zustor-rscke Ir-r-turn
„Wiedererwachsnng" nannte Dürer das Schlag-
wort seiner Zeit, das als Sensation aus Italien
kam: Uinuseirnento! Wiedergeburt! „Gegen die
Gotik der Barbaren!" hieß das im Süden. Aber
auch im Norden war diese Gotik müde geworden.
Die Türme der großen Kathedralen in Straßburg,
Ulm, Regensburg und viele andere blieben un-
vollendet.
Man spürte eine neue Kunstgesinnung nahen.
Die Zeit aber war von der Gotik her Form-
sicherheit gewöhnt. Jede Bauhütte batte ihre
wcape, ;eve Materwertpatte yatte ryre Schemata
für die Einteilung ihrer Tafeln. Aber es war
Verwirrung in diese Wertung gekommen.
„Man hat bisher in unfern deutzschcn Landen — schreibt
Dürer in der Widmung des Messungs-Werkes an Pirk-
Heimer — viel geschickter Jungen zu der Kunst der Malerei
gethon, die man ahn allen Grund und allein aus einem
täglichen Brauch gelehrt hat. Sind dieselben also im Un-
verstand wie ein wilder unbeschnittener Baum auferwachsen.
Wiewol Etlich aus ihnen durch stetig Uebung ein freie Hand
erlangt, also das? sie ihre Werk gcwaltiglich, aber unbc-
dächtlich und allein nach ihrem Wolgefallen gemacht haben.
So aber die verständigen Maler und rechte Künstncr solchs
unbcsunnen Werk gesehen, haben sie, und nit unbillig, dieser
Leut Blindheit gelacht, dieweil einem rechten Verstand nichts
unangenehmer zu sehen ist dann Falschheit im Gemäl, un-
angesehen, ob auch das mit allem Fleiß gemalt wirdet.
Daß aber solche Maler Wolgefallen in ihren Jrrthumen ge-
habt, ist allein Ursach gewest, daß sie die Kunst der Messung
nit gelernet haben, ahn die kein rechter Werkmann werden
oder sein kann."
Die Maße verloren ihren Sinn, aber die Sehnsucht
nach dem Kunstgcsetz war noch lebendig und wollte nicht
warten, bis sich ein solches aus dem Chaos des Schaffens
genialer Stürmer und Dränger würde organisch herausent-
wickclt haben. Auch erfaßt die Menschen ein unbändiger
Wandertrieb. Bestanden bisher heimatgebundene Schulen,
nun werden die Humanisten Träger erster internationaler
Verbindungen. Auch Dürer hört Wunderdinge vom Aus-
land. Da drunten in Italien „haben" sie die Maße!
Und als der Verehrer Schongauers den heimatlichen Meister
nicht mehr am Leben trifft, wandert er über die Alpen und
begegnet statt dem feinen Vollender nordischer Gotik dem
derben Modernen Mantegna. Er will die „Maße" ab-
schauen, die „menschliche Proportion" kennenlernen in ihrer
absoluten Richtigkeit, aus der dann alles andere begriffen
werden kann.
In Padua mag Dürer in der engen und hohen
Kapelle der Eremitani gestanden sein, in der, drei
Stockwerke übereinander, die Fresken Mantegnas
auf ihn eindrangen, erschreckt und bewundernd
diesen Zauber im Raum. Giotto — hundert
Schritte weit in der Arenakapelle — ließ er im
Rücken. Den hatte wenige Jahre vorher noch
Savonarola gepriesen, aber Savonarola war ver-
brannt. Das war Mittelalter, dunkle Zeit, rneckio
evo, sagen die Italiener: Mittelzeit, Zwischenzeit.
Warum „zwischen"? Welchen Sinn hat dieses
„rnockio"?
Für den Italiener dieser Zeit hatte es einen
ganz prägnanten kulturpolitischen Sinn.
Da ist die große Zeit Roms, das Imperium,
die Weltmacht. In ihr fliegen die Adler der
Legionen bis hinauf ins neblige Nordland, bis an
die Elbmündung in ein kaltes, graues Meer. Das
war das Erste Reich.
Dann aber brach solcher Glanz und Ruhm zu-
sammen, und die Barbaren von da droben brachen
ins Land. Rom war schwach, Rom erlag, jetzt
erst, in der Generation um 1500, erholt es sich,
erstarkt es, träumt es vom Neuen Reich. Was ge-
schehen war in diesem halben Jahrtausend der
Kraftlosigkeit, das war rneclio evo, Mittelalter,
zwischen den Zeiten. Theodorich und Otto und
Barbarossa und der Sechste Heinrich, uns Namen
überschäumender Kraft, bezeichnen dem nationalen
Italiener die Epoche der Fremdherrschaft. Deutsche
Burgen krönen den Apennin von der Etsch bis
nach Sizilien und durchstreichen die ruhmvollen

Erinnerungen, die an den uralten Heerstraßen des
Quintus Fabius Maximus und des Gaius Julius
Cäsar hasten. Erst in der Sonne Siziliens ver-
trocknet dieses deutsche Blut. Mit dem Kopfe
Konradins rollt die letzte Hoffnuug dieses ersten
deutschen Weltmachttraumes über das Schafott
von Neapel. Der Vesuv, die nördlichste Brand-
fackel Afrikas, leuchtet solcher Tragödie.
Aber mit dem Ende der Hohenstaufen beginnt
für den Italiener die Neue Zeit. Nun knüpfen
die Erinnerungen wieder da an, wo die Denk-
mäler antiker Macht noch sichtbar sind. Man hört
aus, antike Theater und Tempel als Steinbrüche
zu verwenden. Götterstatuen, seit Odoakers, viel-
Halden versunken, unter Blumenhügeln begraben,
erleben die Auferstehung zum Licht: UinLsei-
rnento! Wiedergeburt.
Der Mittelmeergeist erwacht wieder mit neuer
Sinnenfreude und antiklerikalen Moralbegrisfen.
Savonarola, dieser letzte Vertreter gotischer Acho-
lntheit und ghibellinisch unbeugsamen Trotzes, der
letzte Kreuzfahrercharakter, wird verbrannt.
Lnkrezia Borgia wetteifert mit der Aphrodite des
Pygmalion.
Der italienische Mensch erwacht wieder. Die
Kraft des nordischen Blutes, das jahrhunderte-
lang den Apennin überspülte, wird dem Mittel-
meerlande dienstbar gemacht.
Und der Deutsche schaut und staunt, wieder von
der Sonne, nach der er sich sehnt, geblendet. Von
Dürers siegreichem Ringen hin zu Mozarts tragi-
schem Kampf, herein bis in unsere Zeit, da sich
der junge Heinrich Mann epigonenhaft an
Gabriele d'Annnnzio bindet, immer wieder taucht
zu allen Zeiten und in allen Künsten das
„Renaissance-Problem" aus.
Zumal die deutsche Kunstgeschichte ist ohne „Die
Renaissance in Italien" gar nicht zu denken. Von Winckel-
mann über Springer bis hinein in Burgers großes Hand-
bücherwerk bleibt dieser Zeit zentrale Betrachtung Vorbe-
halten, bleibt sie der Höhepunkt, zu dem alles steigt, seit
dem alles fällt, bleibt sie der Wertmesser der Kunst, von
dem sich auch ein Wölfflin nur ungern trennt. Und wenn
heute um Lionardo und Michelangelo als nordischblütige
Künstler gekämpft wird, so liegt selbst darin noch das ge-
heime Zugeständnis ihrer absoluten Überlegenheit über Witz
und Grünewald, Dürer und Holbein, Elsheimer und Rem-
brandt. In der Kunstgeschichte feiern die Euelfen heute noch
Triumphe, sie droht nordische Augen blind zu machen für
den Eigenwert nordalpiner Kunst.
Die Renaissance sängt an, dem
deutschen Gei st e gefährlich zu wer-
den. Sie war es nicht, solange die Zeit des
Barock, die für Deutschland in der „Renaissance"
begann und bis zum Impressionismus reicht, ihre
Probleme aus der ganzen Breite der völkischen
Kultur variieren konnte, sie wird es aber heute,
da ein neuer Geist nach neuen Formen sucht.
Und es ist fraglich, ob das Auge den Sinn der
Bilder und Bauten so wandeln kann, wie der
Geist den Sinn des Alten Testaments wandelte.
Nun sind freilich die Zeiten Tannhäusers vor-
bei, der „geschlossenen Auges, ihr Wunder nicht zu
schauen" durch Italien zieht. Wir kennen heute
„Das Andere" und wissen es als solches zu
schätzen, zu lieben, ja zu erleben, aber es soll aus-
hören, dem Eigenen Kanon zu sein.
Was ist dieses Eigene?
Es ist jedem Jtalienreisenden schon begegnet,
daß er, berauscht von den Wundern der Uffizien,
besonders wenn er vom Pitti herüberkam, aus
einmal sich geborgen fühlte wie unter einem
schattigen Baum nach langer Sommersonnen-
wanderung. Er rieb sich die Augen und sah sich
jetzt erst im Kabinett der mittelalterlichen Nord-
länder bei Dürer, Altdorfer, Brueghel und
v. d. Goes, er fühlte sich im „Eigenen" geborgen.
Und wenn es schwer zu sagen ist, was dieses
Eigene ist, dann ist vielleicht daran schuld, daß
wir Nordender unsere eigene
Renaissance, unsere eigene Wieder-
geburt noch nicht erlebt haben.
 
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