Kunst der Nation
L
München, nach einem
weiteren Jahr die Mün-
chener Akademie.
Vorsichtige und weise
Lehrer, zuerst Karl Kil-
ler, dann Balthasar
Schmitt und Hermann
Hahn, wissen des
Schülers Eigenart zu be-
reinigen und zu stärken.
Vor allem wird ihm klar
gemacht, daß es mit der
Fähigkeit des Schnitzens
allein noch nicht getan sei;
daß sich zwischen diese
Fähigkeit und den Gegen-
stand etwas schieben
müsse, - die künstlerisch-
schöpferische Form, die die
gegebene Naturform im
Sinne einer psychischen
Ausdeutung und Klärung
umforme, als Ausdruck,
Niederschlag einer be-
stimmten geistigen Ein-
stellung zu den Dingen
der sichtbaren Welt. Da
ward Plötzlich alles Vir-
tuosentum, worauf man
bisher so stolz gewesen,
hinfällig. Es fing der
dornenvolle Weg an, dem
bisherigen Können zu
entsagen, alles zu ver-
gessen und jeden einzelnen
Stein zum Neubau sich
selbst heranzutragen. In
zäher Tätigkeit, wie sie
nur harte Bauernschädel
gewöhnt sind, schreitet der
junge Akademiker —
trotz der neuerlichen Be-
lastung — von Erfolg zu
Erfolg. Reisen nach
Frankreich und Italien
erweitern den künstleri-
Jos. Henselmann, Bildnis der Gattin des Künstlers
Dadurch wurde die Sache verraten, und die Jungen mutzten
auf den Schulbänken sitzen bleiben. — In Leipzig wurden
vor zwei Jahren während der ersten Vorstellung dieses
Trauerspiels im Theater und in der Stadt ansehnliche
Summen gestohlen, welches natürlich viel Gerede verursachte
und den dortigen Magistrat bewog, nach der zweiten Vor-
stellung die fernere Aufführung des Stücks in der Stille zu
verbieten. So wenig sonst ein Verbot in Sachen des Ge-
schmacks zu loben ist, so scheint doch dieses sehr guten Grund
zu haben, nicht als ob man hätte befürchten dürfen, die
Leipziger Studenten möchten durch das Stück verführt worden
sein, sich in eine Räuberbande zusammenzurotten, sondern
weil ich glaube, datz die Absicht des Schauspiels ist zu ver-
gnügen, pöbelhafte Reden, welche in dem Stücke vorkommen,
durch die Vorstellung desselben zu sehr unter junge Leute
in Schwung zu kommen, und datz gräßliche Schauspiele ein
Volk ungesittet und das Herz junger Leute hart und zu
Grausamkeit geneigt machen.
scheu Horizont. Es fallen
die letzten genialischen
Wirkungen, das raffinierte
Belassen der Effekte des Schnitzmessers. Ein-
deutig uud klar spricht sich nun die Form aus,
auch in ihrem tektonischen und räumlichen Auf-
bau. Dennoch verlor das Werk nichts von der
triebhaften Sinnlichkeit. Es bleibt weiterhin ge-
tragen voll der inneren Menschlichkeit und von
der Hingabe an den unendlichen Reichtum der
ursprünglichen Natur. Der Künstler bleibt auch
jetzt trotz aller ehrenden Anerkennungen: 1925
großer preußischer Staatspreis, 1930 Villa Ro-
mana Preis, 1932 Berufung an die Staatsschule
für angewandte Kunst in München, — ein ein-
facher, unverbildeter Mensch, ein Mensch mit
einer unverbrauchten Seele und unverdorbenen
Augen.
Literatur- und Theater-Zeitung Berlin 1784
Kabinettsorder vom 13. September 1826
In der „Vossischen Zeitung" vom 30. und 31. v. M. ist
die Feier des Geburtstages des Geheimen Rats von Goethe
und des Professors Hegel, welche ein hiesiger Verein ver-
anstaltet hatte, mit einem ganz unangemessenen Wortgepränge
und mit einer Ausführlichkeit beschrieben, die nicht aus-
gedehnter sein könnte, wenn die Krönungsfeierlichkeiten
eines Monarchen angezeigt würden. In andern nicht öffent-
lichen Blättern mag über dergleichen von Privatpersonen
veranstalteten Festen ausgenommen werden, was der Re-
dakteur geeignet findet; für die Zeitungen patzt höchstens
nur eine kurze Anzeige von einem solchen Feste, und ich
beauftrage Sie daher, den Zensor der Berliner Zeitungen
danach anzuweisen.
Friedrich Wilhelm
Eduard Heyck: Anselm Feuerbachs
„Heiliger Antonius"
Der Herr Hofsekretär Kreidel (iu Karlsruhe) erklärte
dem Künstler, es sei eine Unverschämtheit, zu einem solchen
Bilde Seine Königliche Hoheit (den Grotzherzog von Baden)
einzuladcn, und die Ministerialkommission, welche die Bilder
für Paris aussuchte, entschied, datz aus den vorliegenden
Bedenken die Sendung nach Paris nicht möglich sei . . .
(Der Künstler hat daraufhin das Bild vernichtet.)
„Hanneles Himmelfahrt" von Gerhart
Hauptmann
Ein gräßliches Machwerk, sozialdemokratisch-realistisch,
dabei von krankhaft sentimentaler Mystik, unheimlich, nerven-
angreifend, überhaupt einfach scheußlich . . . Wir gingen
nachher zu Borchardt, um uns durch Champagner und Kaviar
wieder in eine menschliche Stimmung zu versetzen . . .
Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-
Schillingsfürst 1893
Zvsef Henselmann
Von
Bruno Kroll
Henselmann ist Schwabe. Sproß einer alten
Bauernfamilie. In Laiz, im Sigmaringischen,
geboren. Geistlicher wollte er werden und be-
suchte deshalb das Gymnasium. Aber nach dem
„Einjährigen" verläßt er die Schule. Nun
arbeitet er in der „Christlichen Kunstwerkstätte
Marmon in Sigmaringen". Statt Bücher-
schränken und Studierpulten stehen Hobel- und
Fräsmaschinen uud schön gewachsene, getrocknete
Holzstämme um ihn herum. Auch Schuitzmesser
liegen umher, mit denen Gesellen ihre Arbeit
schaffen. Er — der Lehrbub — darf Holzkarren
durch die Straßen der schönen Stadt ziehen, Ma-
schinen Putzen, die Werkstätten reinigen, Stämme
präparieren; im zweiten Jahr dann nebensäch-
liche Ornamente nach Vorlagen nachschneiden, im
dritten schließlich auch Figuren von guter hand-
werklicher Gesinnung. Nach zweijähriger Unter-
brechung beim Militär und an der Front nimmt
der Geselle nochmals seine Tätigkeit in Sig-
maringen auf. Dann aber bezieht er die Ge-
werbeschule au der Westeuriederstraße in
Jos. Henselmann bei der Arbeit
Henselmann hat Porträtköpfe und Büsten ge-
schnitzt; hervorragende Leistungen edler Bild-
schnitzknnst und psychologischer Charakterisierung.
Er hat profane Figuren modelliert und profane
Denkmäler aus dem Stein herausgehauen für
Parkanlagen und öffentliche Plätze. Ein natür-
liches inneres Bedürfnis hat Henselmann auch zur
religiösen Kunst getrieben. Henselmanns Reli-
giosität besitzt die Naivität der Menschen vom
„Jung" nennen wir, was lebendige Kräfte
in sich führt, was kämpfen will, nicht, indem es
andere Vorwärtsstrebende hindert, sondern un-
bekümmert, indem es dem eigenen, eingegebenen,
gottgeborenen Willen zu einem hohen Ziel folgt,
indem es danach sucht, indem es mit sich ringt
und nicht mit anderen! „Alt", den, der sagt, es
sei ja längst das Große gesunden, um nur das
Neue zu verbieten. Wer den anderen verbieten
will — achten Sie einmal darauf, wer das tut —,
der ist wirklich alt, zu alt! „Junp" ist alles, was
es sich noch schwer macht, was nicht in ausgefah-
renen Gleisen schiebt und was so sehr nach seinem
Ziele blickt, daß es nicht einmal Zeit hat zum
neidvollen Blicke auf die anderen und also keine
Neigung zum Verbot der anderen.
Wilhelm Pindar in seinem Vortrag auf der
Tagung des Pädagogisch-psychologischen Instituts in München,
1. bis 5. August 1933.
Lande. Und aus der Sicherheit der geistigen Ge-
wißheit öffnet er seinen religiösen Werken alle
Tore einer lebensfrohen Sinnlichkeit, selbst bis in
die durch architektonische Bindungen bedingte
mehr abstrakte Bauplastik. Echtes volkstümliches
Verlangen nach bildhafter Schaubarkeit findet
überall beglückende Verwirklichung. Menschliches
wird aus dem Rohstoff des Schönen geformt. Und
wundervoll leicht, mühelos geht dieser Zauber,
diese Innigkeit der Empfindung auf die Gläu-
bigen über, — um sie hinzuführen in die noch
reineren Bezirke des Göttlichen. Das Kunst-
gewerbe atmet feinen Humor und Henselmanns
ganze Lust zu leichter Satire und Ironie. Eine
überaus glückliche Phantasie entfaltet Henselmann
in den Grabdenkmälern. Die menschlichen Be-
ziehungen treten hier besonders reizvoll in Er-
scheinung. Auch dringt der Auferstehungs-
gedanke immer wieder sinnfällig durch.
Richard Strauß
Zu seinem 70. Geburtstag am 11. Juni
Es will uns unwahrscheinlich dünken, daß
Richard Strauß, der gestern noch umkämpfte, der
uns vor ganz kurzer Zeit in ungebrochener
Arbeitskraft die „Arabella" schenkte, seinen sieb-
zigsten Geburtstag unter ungeheurer Anteilnahme
der ganzen Kulturwelt gefeiert hat. Unwahr-
scheinlich: weil dieser sich ständig erneuernde Geist,
diese ungeheuer vielseitige musikalische Vitalität
sich mit „Alt-Werden" so gar nicht verträgt. Die-
ses Ewig-Junge seiner Entwicklung, das seinen
Kritikern (auch den Gutgearteten) sehr oft als
artistische Willkür erschien, ist der eigentliche, nie
erlahmende Motor seines Schaffens. Mit einet
immer frischen Unbefangenheit, die seinen Er-
folgen stetig steigende Durchschlagskraft gab, be-
mächtigte sich Strauß neuer, bisher dem musika-
lischen Schaffen kaum zugänglicher Stoffgebiete.
In seiner Ausbildung ganz in klassischen Idealen
wurzelnd, fand er schon sehr früh den Mut zu der
Erkenntnis, daß hier für ihn der Weg nicht weiter
ginge: sein weltfroh und diesseitig gerichteter
Geist eroberte sich zunächst eine Welt greifbarer
Erscheinungen, die der musikalischen Gestaltung
bisher verschlossen war. In der Reihe seiner sin-
fonischen Dichtungen (etwa „Don Juan", „Tod
und Verklärung", „Don Quixote", „Also sprach
Zarathustra", „Ein Heldenleben" bis zur „Alpen-
sinfonie") entwickelte er — neben dem formalen
Ausbau der durch Liszt groß gewordenen „sinfo-
nischen Dichtung" — die musikalische Illustration
mit Hilfe einer an Raffinesse durch nichts mehr
zu überbietenden Technik der Instrumentation zu
ungeahnter Höhe. Er hält sich unbeschwert an
alles Greifbare, ohne je platt zu werden. Er
schafft sich mit sicherem Instinkt die Inhalte, die
sein musikalischer Genius zu erfüllen vermag:
darin liegt seine Kraft, die dem kaum 30jährigen
schon die Welt eroberte.
Merkwürdig spät gelangte Strauß zu der
Kunstform, die seiner stark dem Farbig-Illustra-
tiven zugewandten Art eigentlich näher hätte lie-
gen sollen als die sinfonische Dichtung: zur Oper.
Nach zwei Versagern („Guntram" und „Feuers-
not") gelang ihm mit „Salome" ein Wurf von
bleibender Bedeutung. Es bleibt ein kanm zu
deutendes Phänomen, wie der im Kern absolut
gesunde, manchmal bis zur Brutalität gesunde
Musiker Strauß einen psychologisch oft bis ins
Perverse gehenden Text, wie den der Salome,
ausschöpft. Kurz danach gibt er im nächsten
großen Wurf, der „Elektra", eine weitere Probe
einer eminent nervösen Fantasie. Die Klytem-
nästra-Szene ist auch heute noch, etwa 28 Jahre
nach ihrer Entstehung, eine Pathologische Studie
von unerhörter Feinnervigkeit. Dabei von einer
rücksichtslosen Modernität, die unseren jungen
„Atonalen" allerlei Achtung abnötigen müßte.
Mit dem „Rosenkavalier" aber errang sich Strauß
zu der Achtung vor seinem Können die Liebe sei-
ner Anhänger. Er hat Wien, seine Wahlheimat,
in sich ausgenommen, und schenkt ihr als Dank
dieses zauberhafte Werk (die letzte „Repertoire-
Oper"?). Die Kenner aber lieben noch mehr sein
Schmerzenskind, die „Ariadne auf Naxos", in die
er — auf der Höhe seiner Meisterschaft stehend —
eine unerhörte Fülle herrlichster Musik verschwen-
det hat. Nach einem nochmaligen (verunglückten)
Ausflug in die große Oper: „Die Frau ohne
Schatten", gestaltet Strauß im „Intermezzo" eine
wahre Begebenheit aus seinem Leben. Scheinbar
wieder eine völlige Wendung in seinem Schaffen:
in Wirklichkeit die Ausgestaltung eines neuartigen
Rezitativstils, der schon im „Rosenkavalier" und
„Ariadne" (Vorspiel) angebahnt wurde und in
„Arabella", der musikalischen Konversations-
komödie, zu höchster Meisterschaft gedieh. Diese
Entwicklung des Meisters seit „Intermezzo" zeigt
aber auch immer deutlicher, was er unserer Gene-
ration ist: der letzte große Exponent einer glanz-
vollen (vergangenen) bürgerlichen Epoche.
IVilllelrn Muckers
„Grammophon"
„Die Stimme seines Herrn"
Alljährlich, wenn die Theater das weiße Rössel auf-
zäumen und die Kinos Franz Seitz spielen, dann wissen wir,
daß Mai ist. Dann stellen die repräsentativen Schallplatten-
fabriken gewöhnlich ein Repertoire zusammen, meist auf klei-
neren Platten, die man ins Reisegrammophon stecken kann
und die auch dort noch gut klingen. Auf daß aber der
Mensch nicht noch stumpfsinniger werde, als es den vereinten
Kräften von Fimproduktion und Hitze ohnedies weit genug
gelang, sind immer auch ein paar Aufnahmen darunter, über
die zu diskutieren sich sehr wohl lohnt.
Das „heitereSpiel fürOrcheste,r" von Theo-
dor B l u m e r (25 190 6, RM 2,50) hat man gern mit dem
„Till Eulenspiegel" von Richard Strauß verglichen. Dazu
verleitet wohl die einsätzige Form, die klare beherrschte Be-
handlung des Orchesters und Reichtum und Durchführung
der musikalischen Einfälle. Was aber Blümers heiteres Spiel
von Eulenspiegels lustigen Streichen grundsätzlich unterschei-
det, ist eine verbindlichere Gedankenwelt. Das „Spiel" als
unmittelbarer Ausdruck des Lebensgefühls steht gegen den
wohlüberlegten Gedanken, gegen den „Streich". Das zeigt
Jos. Henselmann, Mutter und Kind. Große Münchener
Kunstausstellung 1934
schon das Fehlen des „Programms", hauptsächlich doch erst
ein treibender, zwingender Rhythmus, der unserer musikali-
schen Kultur sehr notwendig ist. — Alois Melichar hat das
Werk sehr fein ausgearbeitet und in großem Schwung mit
den Berliner Philharmonikern gestaltet. — Die Aufnahme
gehört, was Klarheit des Jnstrumentenklanges, Raumplastik
und das auf ein Minimum reduzierte Grundgeräusch betrifft,
zu den vollkommensten ihrer Gattung.
Loewes Vertonung der Ballade „O d i n s M e e r e s-
r i t t" (25 381 6, RM 2,50) ist zwar keines von den über-
wältigenden Dokumenten der deutschen Musikliteratur, allein
hier macht es die Art der Interpretation jedem Schallplatten-
freund wert. Wilhelm Rode, unser größter Gestalter auf
der Opernbühne, der Welt repräsentativster Heldenbariton,
schenkt uns das seltene Erlebnis, die schönste Männerstimme
zu hören, die immer schöner und vollkommener wird. — Die
besondere Sorgfalt der Aufnahme zeigt sich am deutlichsten in
der Natürlichkeit des Klavierklanges.
Mit dem Johann Strauß-Walzer „W ein, Weib
u n d G e s a n g" (15 052 LLl, RM 3.—) will „Grammophon"
einen weichen Übergang zur Sommersaison finden. Robert
Heger und die Kapelle der Staatsoper-Berlin musizieren
wundervoll exakt und leicht, aber manchmal ein bißchen herb,
besonders im ersten Teil.
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L
München, nach einem
weiteren Jahr die Mün-
chener Akademie.
Vorsichtige und weise
Lehrer, zuerst Karl Kil-
ler, dann Balthasar
Schmitt und Hermann
Hahn, wissen des
Schülers Eigenart zu be-
reinigen und zu stärken.
Vor allem wird ihm klar
gemacht, daß es mit der
Fähigkeit des Schnitzens
allein noch nicht getan sei;
daß sich zwischen diese
Fähigkeit und den Gegen-
stand etwas schieben
müsse, - die künstlerisch-
schöpferische Form, die die
gegebene Naturform im
Sinne einer psychischen
Ausdeutung und Klärung
umforme, als Ausdruck,
Niederschlag einer be-
stimmten geistigen Ein-
stellung zu den Dingen
der sichtbaren Welt. Da
ward Plötzlich alles Vir-
tuosentum, worauf man
bisher so stolz gewesen,
hinfällig. Es fing der
dornenvolle Weg an, dem
bisherigen Können zu
entsagen, alles zu ver-
gessen und jeden einzelnen
Stein zum Neubau sich
selbst heranzutragen. In
zäher Tätigkeit, wie sie
nur harte Bauernschädel
gewöhnt sind, schreitet der
junge Akademiker —
trotz der neuerlichen Be-
lastung — von Erfolg zu
Erfolg. Reisen nach
Frankreich und Italien
erweitern den künstleri-
Jos. Henselmann, Bildnis der Gattin des Künstlers
Dadurch wurde die Sache verraten, und die Jungen mutzten
auf den Schulbänken sitzen bleiben. — In Leipzig wurden
vor zwei Jahren während der ersten Vorstellung dieses
Trauerspiels im Theater und in der Stadt ansehnliche
Summen gestohlen, welches natürlich viel Gerede verursachte
und den dortigen Magistrat bewog, nach der zweiten Vor-
stellung die fernere Aufführung des Stücks in der Stille zu
verbieten. So wenig sonst ein Verbot in Sachen des Ge-
schmacks zu loben ist, so scheint doch dieses sehr guten Grund
zu haben, nicht als ob man hätte befürchten dürfen, die
Leipziger Studenten möchten durch das Stück verführt worden
sein, sich in eine Räuberbande zusammenzurotten, sondern
weil ich glaube, datz die Absicht des Schauspiels ist zu ver-
gnügen, pöbelhafte Reden, welche in dem Stücke vorkommen,
durch die Vorstellung desselben zu sehr unter junge Leute
in Schwung zu kommen, und datz gräßliche Schauspiele ein
Volk ungesittet und das Herz junger Leute hart und zu
Grausamkeit geneigt machen.
scheu Horizont. Es fallen
die letzten genialischen
Wirkungen, das raffinierte
Belassen der Effekte des Schnitzmessers. Ein-
deutig uud klar spricht sich nun die Form aus,
auch in ihrem tektonischen und räumlichen Auf-
bau. Dennoch verlor das Werk nichts von der
triebhaften Sinnlichkeit. Es bleibt weiterhin ge-
tragen voll der inneren Menschlichkeit und von
der Hingabe an den unendlichen Reichtum der
ursprünglichen Natur. Der Künstler bleibt auch
jetzt trotz aller ehrenden Anerkennungen: 1925
großer preußischer Staatspreis, 1930 Villa Ro-
mana Preis, 1932 Berufung an die Staatsschule
für angewandte Kunst in München, — ein ein-
facher, unverbildeter Mensch, ein Mensch mit
einer unverbrauchten Seele und unverdorbenen
Augen.
Literatur- und Theater-Zeitung Berlin 1784
Kabinettsorder vom 13. September 1826
In der „Vossischen Zeitung" vom 30. und 31. v. M. ist
die Feier des Geburtstages des Geheimen Rats von Goethe
und des Professors Hegel, welche ein hiesiger Verein ver-
anstaltet hatte, mit einem ganz unangemessenen Wortgepränge
und mit einer Ausführlichkeit beschrieben, die nicht aus-
gedehnter sein könnte, wenn die Krönungsfeierlichkeiten
eines Monarchen angezeigt würden. In andern nicht öffent-
lichen Blättern mag über dergleichen von Privatpersonen
veranstalteten Festen ausgenommen werden, was der Re-
dakteur geeignet findet; für die Zeitungen patzt höchstens
nur eine kurze Anzeige von einem solchen Feste, und ich
beauftrage Sie daher, den Zensor der Berliner Zeitungen
danach anzuweisen.
Friedrich Wilhelm
Eduard Heyck: Anselm Feuerbachs
„Heiliger Antonius"
Der Herr Hofsekretär Kreidel (iu Karlsruhe) erklärte
dem Künstler, es sei eine Unverschämtheit, zu einem solchen
Bilde Seine Königliche Hoheit (den Grotzherzog von Baden)
einzuladcn, und die Ministerialkommission, welche die Bilder
für Paris aussuchte, entschied, datz aus den vorliegenden
Bedenken die Sendung nach Paris nicht möglich sei . . .
(Der Künstler hat daraufhin das Bild vernichtet.)
„Hanneles Himmelfahrt" von Gerhart
Hauptmann
Ein gräßliches Machwerk, sozialdemokratisch-realistisch,
dabei von krankhaft sentimentaler Mystik, unheimlich, nerven-
angreifend, überhaupt einfach scheußlich . . . Wir gingen
nachher zu Borchardt, um uns durch Champagner und Kaviar
wieder in eine menschliche Stimmung zu versetzen . . .
Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-
Schillingsfürst 1893
Zvsef Henselmann
Von
Bruno Kroll
Henselmann ist Schwabe. Sproß einer alten
Bauernfamilie. In Laiz, im Sigmaringischen,
geboren. Geistlicher wollte er werden und be-
suchte deshalb das Gymnasium. Aber nach dem
„Einjährigen" verläßt er die Schule. Nun
arbeitet er in der „Christlichen Kunstwerkstätte
Marmon in Sigmaringen". Statt Bücher-
schränken und Studierpulten stehen Hobel- und
Fräsmaschinen uud schön gewachsene, getrocknete
Holzstämme um ihn herum. Auch Schuitzmesser
liegen umher, mit denen Gesellen ihre Arbeit
schaffen. Er — der Lehrbub — darf Holzkarren
durch die Straßen der schönen Stadt ziehen, Ma-
schinen Putzen, die Werkstätten reinigen, Stämme
präparieren; im zweiten Jahr dann nebensäch-
liche Ornamente nach Vorlagen nachschneiden, im
dritten schließlich auch Figuren von guter hand-
werklicher Gesinnung. Nach zweijähriger Unter-
brechung beim Militär und an der Front nimmt
der Geselle nochmals seine Tätigkeit in Sig-
maringen auf. Dann aber bezieht er die Ge-
werbeschule au der Westeuriederstraße in
Jos. Henselmann bei der Arbeit
Henselmann hat Porträtköpfe und Büsten ge-
schnitzt; hervorragende Leistungen edler Bild-
schnitzknnst und psychologischer Charakterisierung.
Er hat profane Figuren modelliert und profane
Denkmäler aus dem Stein herausgehauen für
Parkanlagen und öffentliche Plätze. Ein natür-
liches inneres Bedürfnis hat Henselmann auch zur
religiösen Kunst getrieben. Henselmanns Reli-
giosität besitzt die Naivität der Menschen vom
„Jung" nennen wir, was lebendige Kräfte
in sich führt, was kämpfen will, nicht, indem es
andere Vorwärtsstrebende hindert, sondern un-
bekümmert, indem es dem eigenen, eingegebenen,
gottgeborenen Willen zu einem hohen Ziel folgt,
indem es danach sucht, indem es mit sich ringt
und nicht mit anderen! „Alt", den, der sagt, es
sei ja längst das Große gesunden, um nur das
Neue zu verbieten. Wer den anderen verbieten
will — achten Sie einmal darauf, wer das tut —,
der ist wirklich alt, zu alt! „Junp" ist alles, was
es sich noch schwer macht, was nicht in ausgefah-
renen Gleisen schiebt und was so sehr nach seinem
Ziele blickt, daß es nicht einmal Zeit hat zum
neidvollen Blicke auf die anderen und also keine
Neigung zum Verbot der anderen.
Wilhelm Pindar in seinem Vortrag auf der
Tagung des Pädagogisch-psychologischen Instituts in München,
1. bis 5. August 1933.
Lande. Und aus der Sicherheit der geistigen Ge-
wißheit öffnet er seinen religiösen Werken alle
Tore einer lebensfrohen Sinnlichkeit, selbst bis in
die durch architektonische Bindungen bedingte
mehr abstrakte Bauplastik. Echtes volkstümliches
Verlangen nach bildhafter Schaubarkeit findet
überall beglückende Verwirklichung. Menschliches
wird aus dem Rohstoff des Schönen geformt. Und
wundervoll leicht, mühelos geht dieser Zauber,
diese Innigkeit der Empfindung auf die Gläu-
bigen über, — um sie hinzuführen in die noch
reineren Bezirke des Göttlichen. Das Kunst-
gewerbe atmet feinen Humor und Henselmanns
ganze Lust zu leichter Satire und Ironie. Eine
überaus glückliche Phantasie entfaltet Henselmann
in den Grabdenkmälern. Die menschlichen Be-
ziehungen treten hier besonders reizvoll in Er-
scheinung. Auch dringt der Auferstehungs-
gedanke immer wieder sinnfällig durch.
Richard Strauß
Zu seinem 70. Geburtstag am 11. Juni
Es will uns unwahrscheinlich dünken, daß
Richard Strauß, der gestern noch umkämpfte, der
uns vor ganz kurzer Zeit in ungebrochener
Arbeitskraft die „Arabella" schenkte, seinen sieb-
zigsten Geburtstag unter ungeheurer Anteilnahme
der ganzen Kulturwelt gefeiert hat. Unwahr-
scheinlich: weil dieser sich ständig erneuernde Geist,
diese ungeheuer vielseitige musikalische Vitalität
sich mit „Alt-Werden" so gar nicht verträgt. Die-
ses Ewig-Junge seiner Entwicklung, das seinen
Kritikern (auch den Gutgearteten) sehr oft als
artistische Willkür erschien, ist der eigentliche, nie
erlahmende Motor seines Schaffens. Mit einet
immer frischen Unbefangenheit, die seinen Er-
folgen stetig steigende Durchschlagskraft gab, be-
mächtigte sich Strauß neuer, bisher dem musika-
lischen Schaffen kaum zugänglicher Stoffgebiete.
In seiner Ausbildung ganz in klassischen Idealen
wurzelnd, fand er schon sehr früh den Mut zu der
Erkenntnis, daß hier für ihn der Weg nicht weiter
ginge: sein weltfroh und diesseitig gerichteter
Geist eroberte sich zunächst eine Welt greifbarer
Erscheinungen, die der musikalischen Gestaltung
bisher verschlossen war. In der Reihe seiner sin-
fonischen Dichtungen (etwa „Don Juan", „Tod
und Verklärung", „Don Quixote", „Also sprach
Zarathustra", „Ein Heldenleben" bis zur „Alpen-
sinfonie") entwickelte er — neben dem formalen
Ausbau der durch Liszt groß gewordenen „sinfo-
nischen Dichtung" — die musikalische Illustration
mit Hilfe einer an Raffinesse durch nichts mehr
zu überbietenden Technik der Instrumentation zu
ungeahnter Höhe. Er hält sich unbeschwert an
alles Greifbare, ohne je platt zu werden. Er
schafft sich mit sicherem Instinkt die Inhalte, die
sein musikalischer Genius zu erfüllen vermag:
darin liegt seine Kraft, die dem kaum 30jährigen
schon die Welt eroberte.
Merkwürdig spät gelangte Strauß zu der
Kunstform, die seiner stark dem Farbig-Illustra-
tiven zugewandten Art eigentlich näher hätte lie-
gen sollen als die sinfonische Dichtung: zur Oper.
Nach zwei Versagern („Guntram" und „Feuers-
not") gelang ihm mit „Salome" ein Wurf von
bleibender Bedeutung. Es bleibt ein kanm zu
deutendes Phänomen, wie der im Kern absolut
gesunde, manchmal bis zur Brutalität gesunde
Musiker Strauß einen psychologisch oft bis ins
Perverse gehenden Text, wie den der Salome,
ausschöpft. Kurz danach gibt er im nächsten
großen Wurf, der „Elektra", eine weitere Probe
einer eminent nervösen Fantasie. Die Klytem-
nästra-Szene ist auch heute noch, etwa 28 Jahre
nach ihrer Entstehung, eine Pathologische Studie
von unerhörter Feinnervigkeit. Dabei von einer
rücksichtslosen Modernität, die unseren jungen
„Atonalen" allerlei Achtung abnötigen müßte.
Mit dem „Rosenkavalier" aber errang sich Strauß
zu der Achtung vor seinem Können die Liebe sei-
ner Anhänger. Er hat Wien, seine Wahlheimat,
in sich ausgenommen, und schenkt ihr als Dank
dieses zauberhafte Werk (die letzte „Repertoire-
Oper"?). Die Kenner aber lieben noch mehr sein
Schmerzenskind, die „Ariadne auf Naxos", in die
er — auf der Höhe seiner Meisterschaft stehend —
eine unerhörte Fülle herrlichster Musik verschwen-
det hat. Nach einem nochmaligen (verunglückten)
Ausflug in die große Oper: „Die Frau ohne
Schatten", gestaltet Strauß im „Intermezzo" eine
wahre Begebenheit aus seinem Leben. Scheinbar
wieder eine völlige Wendung in seinem Schaffen:
in Wirklichkeit die Ausgestaltung eines neuartigen
Rezitativstils, der schon im „Rosenkavalier" und
„Ariadne" (Vorspiel) angebahnt wurde und in
„Arabella", der musikalischen Konversations-
komödie, zu höchster Meisterschaft gedieh. Diese
Entwicklung des Meisters seit „Intermezzo" zeigt
aber auch immer deutlicher, was er unserer Gene-
ration ist: der letzte große Exponent einer glanz-
vollen (vergangenen) bürgerlichen Epoche.
IVilllelrn Muckers
„Grammophon"
„Die Stimme seines Herrn"
Alljährlich, wenn die Theater das weiße Rössel auf-
zäumen und die Kinos Franz Seitz spielen, dann wissen wir,
daß Mai ist. Dann stellen die repräsentativen Schallplatten-
fabriken gewöhnlich ein Repertoire zusammen, meist auf klei-
neren Platten, die man ins Reisegrammophon stecken kann
und die auch dort noch gut klingen. Auf daß aber der
Mensch nicht noch stumpfsinniger werde, als es den vereinten
Kräften von Fimproduktion und Hitze ohnedies weit genug
gelang, sind immer auch ein paar Aufnahmen darunter, über
die zu diskutieren sich sehr wohl lohnt.
Das „heitereSpiel fürOrcheste,r" von Theo-
dor B l u m e r (25 190 6, RM 2,50) hat man gern mit dem
„Till Eulenspiegel" von Richard Strauß verglichen. Dazu
verleitet wohl die einsätzige Form, die klare beherrschte Be-
handlung des Orchesters und Reichtum und Durchführung
der musikalischen Einfälle. Was aber Blümers heiteres Spiel
von Eulenspiegels lustigen Streichen grundsätzlich unterschei-
det, ist eine verbindlichere Gedankenwelt. Das „Spiel" als
unmittelbarer Ausdruck des Lebensgefühls steht gegen den
wohlüberlegten Gedanken, gegen den „Streich". Das zeigt
Jos. Henselmann, Mutter und Kind. Große Münchener
Kunstausstellung 1934
schon das Fehlen des „Programms", hauptsächlich doch erst
ein treibender, zwingender Rhythmus, der unserer musikali-
schen Kultur sehr notwendig ist. — Alois Melichar hat das
Werk sehr fein ausgearbeitet und in großem Schwung mit
den Berliner Philharmonikern gestaltet. — Die Aufnahme
gehört, was Klarheit des Jnstrumentenklanges, Raumplastik
und das auf ein Minimum reduzierte Grundgeräusch betrifft,
zu den vollkommensten ihrer Gattung.
Loewes Vertonung der Ballade „O d i n s M e e r e s-
r i t t" (25 381 6, RM 2,50) ist zwar keines von den über-
wältigenden Dokumenten der deutschen Musikliteratur, allein
hier macht es die Art der Interpretation jedem Schallplatten-
freund wert. Wilhelm Rode, unser größter Gestalter auf
der Opernbühne, der Welt repräsentativster Heldenbariton,
schenkt uns das seltene Erlebnis, die schönste Männerstimme
zu hören, die immer schöner und vollkommener wird. — Die
besondere Sorgfalt der Aufnahme zeigt sich am deutlichsten in
der Natürlichkeit des Klavierklanges.
Mit dem Johann Strauß-Walzer „W ein, Weib
u n d G e s a n g" (15 052 LLl, RM 3.—) will „Grammophon"
einen weichen Übergang zur Sommersaison finden. Robert
Heger und die Kapelle der Staatsoper-Berlin musizieren
wundervoll exakt und leicht, aber manchmal ein bißchen herb,
besonders im ersten Teil.
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