Kunst der Nation
3
Das Problem der
Farbe in der Malerei
Zum Schaffen des Malers
Martin paatz
Dieser Maler ist ein Einzelgänger; er macht
den Registratnrkritikern ihre Arbeit des schema-
tischen Einordnens irr das Mosaik der modernen
deutschen Kunst recht schwer. Diese Selbständig-
keit allein, abgesehen von: Rang des künstlerischen
Wertes, könnte schon den Künstlern gegenüber
einen Vorzug bedeuten, die ihr ganzes Leben dorr
einem Stil träumen, der sie nur schon durch
M. Paatz, Bildnis. Photoaraphic
irgendeine Merkwürdigkeit oft rein technischer
Art aus der Masse heraushebeu soll, und das nur
um der Eitelkeit willen, der sie die besten Stunden
einer schöpferischen Wachsamkeit zu opfern bereit
sind. Diese Dinge mögen an sich vielleicht von
wenig starker Bedeutung sein, da sie sich gewöhn-
lich selbst vernichten, aber wie ein Maler von der
Art eines Martin Paatz zu dieser Eitelkeit steht,
ist durchaus nicht unwichtig, um ihm in seinen
Bildern bis zur Entscheidung des Menschlichen im
Künstlerischen folgen zu köuueu, Bilder, die im
besten Sinne verstandene Ironie des Geistigen nicht
kennen, eine Ironie, die eine so überaus große
Rolle in vielen Werken der alten und modernen
Kunst spielt. Die Bilder von Martin Paatz wollen
ganz aus der Farbe heraus verstanden werden.
Nun, das könnte eine glatte Phrase sein, wenn
man nicht das Wesentliche kennzeichnen würde.
Die moderne deutsche Malerei der letzten Jahr-
zehnte hat sich — Ausnahmen bestätigen nur diese
fast zur allgemeinen Ansicht gewordene Regel —
vorwiegend vom Graphischen aus der Farbe be-
mächtigt. Besonders die Generation der Maler,
zu der auch Martin Paatz, rein zeitlich gesehen,
gehört, also die Generation der Heckel, Kirchner,
Otto Mueller u. a., hatte eine viel größere Be-
ziehnngsmöglichkeit zur Komposition, als zum
Farbigen. Zweifellos ist da die Gegenfrontstellung
zum Impressionismus von tiefem Einfluß ge-
wesen, und ebenso zweifellos hat die dann neu ent-
deckte Gebärde der einfachen, aber straffen Linien-
führung, oft allerdings ins rein Dekorative ab-
gleitend, oft aber auch von einer bezwingenden
Gewalt der Zusammenschau, das Gesicht dieser
Malerei geformt. Aber — die Farbe wurde zu
etwas Sekundärem, ja zuweilen auch Nebensäch-
lichem. Die Malerei schwebte in der Gefahr, ihr
Ureigenes zu verlieren: die Farbe als das
spezifische Gewicht der Malerei. Paatz hat das
schon früh erkannt. Und nun mußte er auf einer
ganz anderen Ebene seine künstlerischen Kämpfe
austragen. Denn es galt, das Arbeiten aus dem
Farbigen abzugrenzen gegen das Französische,
gegen die große Erbschaft des Impressionismus,
der letzten ausgereiften Kunstanschauung des
Farbsehens. Paatz hätte es sich sehr leicht machen
und die Palette der Impressionisten übernehmen
können. Doch suchte er auf eigenem Wege wieder
zum Ursprung der Farbwirkung zu gelangen, die
nicht alle Struktur aufsaugt, um dann schließlich
nur noch eine Oberflächenwirknng zu erreichen.
Er löste die Konturen nicht aus, im Gegenteil: er
betonte sie in dem Maße, wie die Intensität der
Farben wuchs. Auf den ersten Blick zeigen viele
seiner Bilder einen einzigen Grundton, aber dann
beginnen das Rot gegen das Grün, das Braun
gegen das Blau uud Gelb aufzuklingen. Alle
Farben leben aus ihrer Eigenart. Sie werden
gegeneinander abgestuft, aber nicht untereinander
aufgelöst. Seltsam übrigens, daß dem Licht und
der Beleuchtung ein viel geringerer Anspruch zu-
geschrieben wird, als man es bei einem aus-
gesprochen farbigen Sehen annehmen könnte. Und
hier liegt dann auch der Unterschied gegenüber
den Impressionisten, die die Farbe nur im Licht
entdeckten. Bezeichnend und bestätigend ist es dann,
daß Paatz nur sehr selten direkt vor dem Natur-
objekt malt. „Das ist eigentlich im Traum ge-
malt", sagt er immer wieder. Doch dieser Traum
ist nicht eine wuchernde, die Wirklichkeit völlig um-
gestaltende Phantasie, sondern eine innige und
durch nichts gebrochene Verbindung mit der
Realität. Die Möglichkeit einer Zerstörung der
Wirklichkeit empfindet Paatz nicht, er würde das
als absurd ablehnen, aber daß das Farbige zum
Bunten wird, ist hier und dort sehr nahe. Wie
sehr dieser Maler aus sich selbst arbeitet, beweist
seine überraschend große Unabhängigkeit von Vor-
bildern der Kunstgeschichte. Die Natur ist ihm
M. Paatz, Küstcnlandschast
Getier und Menschen, die nicht mehr Staffage wie
bei Millet sind, bei aller Treue gegenüber den: un-
mittelbar wirkenden Eindruck eiue leise Romautik,
ja Poesie. Sie wäre den Franzosen leichter ein-
gegangen, hätte sich der leicht erregbare Künstler,
der nach allem anderen ohne eigentlichen Grund
auch noch den ihm verliehenen Orden der Ehren-
legion zurückgeschickt hatte, nicht in ein Unter-
nehmen stürzen lagen, das seinen Ruf grüudlich
verruchten sollte.
Nachdem Sedan gefallen und die französische
Armee von den Preußen vernichtend geschlagen
worden war, beteiligte sich Courbet als Aufseher
über die Kunstdenkmäler an der Kommune. Es
war sein gutes Recht, wenn er die pompöse
Vendomesäule für mordsschlecht hielt. Nachdem
er ihre Niederlegung nicht verhindern konnte oder
wollte, brach nach der Niederlage Gambettas und
dem schließlichen Sieg des Bürgertums mit dem
alten geriebenen Fuchs Thiers an der Spitze der
Entrüstungssturm gegen den ohnehin verhaßten
Schilderer von Steinklopfern und bäuerlichem
Leben los. Im Gefängnis schuf er, da er nur zu
malen vermochte, was er vor Augen sah und
Modelle nicht stellen durfte, Stilleben, Blumen,
Früchte, sein Eßgeschirr, Flaschen, Gläser und
signierte auf dunklem Grund mit Rot: „St. Pelagie
1871". Engländer sollen sich um diese Stücke ge-
rissen haben. Einige Monate Haft und der sich
auf ihn häufende Spott waren nicht das
Schlimmste. Kam doch der sogenannte „schöne
Mann", dem (wie bei Sudermann) der glänzende
tiefschwarze Vollbart eine besondere Note gab, in
seiner äußeren Erscheinung der Karikatur ohne-
hin entgegen. Und wenn man zu seiuer Haltung
vor dem Kriegsgericht bemerkte, sie ginge mehr
darauf aus, ein lebendiger Maler, als ein toter
Held zu sein, sprach sich schließlich der bei aller
äußeren Robustheit doch sensible Künstler aus, der
Monet und viele andere noch nicht durchgedrungene
junge Kollegen selbstlos unterstützt hatte. Aber
man verurteilte ihn auch zum Schadenersatz für
die Wiederaufrichtung der Säule, beschlagnahmte
sein Besitztum uud versteigerte seine Werke für
einer: Spottpreis.
Seitdem ging es abwärts mit Courbets Kunst.
Immer noch vital, produzierte er in hastigster
Weise, um die hohe Summe zusammenzubringen,
und signierte auch, nachdem er in die Schweiz
übergesiedelt war, zuweilen Schülerarbeiten mit
seinem Namen. Bis er am Genfer See starb,
zeigt nur uoch weniges den starken Impuls seiner
guten Werke, jenes unnachahmliche Ineinander-
fließen von erdhafter Schwere und traumhafter
Stimmuug, das alltägliche Dasein zu Gebilden
steigernd, die einen: so anspruchsvollen Kenner wie
Leibl höchste Bewunderung abnötigten. Zuletzt
fühlte er sich einsamer und abgehetzter denn je.
Notschreie an die wenigen, ihm gebliebenen
Freunde häufen sich. Zola in: „Oeuvre" charakte-
risiert ihn beze:chnenderweise nicht als Sieger, son-
dern nur als den Kämpfer und bahnbrechenden
Pfadsucher, der einmal von sich selbst gesagt hat,
er wolle „nicht nur Maler sein, sondern auch ein
Mensch, mit einem Wort, lebendige Kunst zu
machen, das ist mein Ziel". Tllorvealck
Anfang und Ende, mit ihr ringt er, zäh und ver-
bissen; jedes Bild, das er malt, ist zuerst voll-
kommen in Frage gestellt. Nur nach intensivster
Einsicht in die Beziehungen der Farben, einer Ein-
sicht, die immer wieder von neuem sich eröffnen
muß, kann das Werk gelingen. Er gestattet sich
keine, und wäre es auch nur die harmloseste
Routine, die bei vielen anderen zur einzigen
Arbeitsmöglichkeit wurde. Die deutsche Land-
schaftsmalerei der letzten dreißig Jahre wurde von
einer innerhalb der bildenden Kunst so peripheri-
schen Erscheinung, wie sie Van Gogh war, in eine
Richtung gedrängt, die aus dem Raum der bilden-
den Kunst hinausführen mußte. Es ist geradezu
ein Paradoxon der Kunstentwicklung, daß dieser
Van Gogh zum Mittelpunkt werden konnte. Das
Resultat war eine unübersehbare Schar hoffnungs-
loser Epigonen, die sich eines einmalig erlebten
und erlittenen Werkes bemächtigten, ohne die ge-
ringste menschliche Legitimation, aus der sich die
künstlerische bilden muß. Zu den Künstlern, die
abseits standen, gehört Paatz. Seine Bilder wider-
legen die grundlose Ansicht, daß die moderne
deutsche Kunst kein wesentliches Verhältnis zur
Farbe haben könne. Man bedenkt nicht, daß ja
dadurch eine Malerei überhaupt fragwürdig wird
und daß der Graphik die Aufgabe einer Souffleuse
zufällt, die immer dann einspringen muß, wenn
der Maler die Malerei vergißt. Der tapfer ver-
fochtene Standpunkt Martin Paatz' hat sich als
richtig erwiesen. Nicht der kleinste Teil seiner
Leistung liegt in dieser Behauptung des Farbigen.
Seine Arbeiten sind Beispiele dieser Kämpfe, die
oft zu Niederlagen, oft aber auch zu stillen und
großen Siegen führten.
6. H. Illonnissen
Falsche Ehrfurcht
vor Zeugen der Geschichte
Wie in fast allen Städten und Ortschaften, ist
auch u: der bekannten Bäderstadt P. ein Denk-
mal zu Ehren derer einst erbaut worden, die
den Heldentod für ihr Vaterland im Kriege
1870/71 gesunden haben. Wie in fast allen
Städten und Ortschaften hat auch hier viel guter
Wille einen wemg ersreuttchen Ausdruck gesun-
den. Die Ehrfurcht vor einem Zeugen der Ge-
schichte läßt das Denkmal aus se:nem Platze
sich behaupten. — Eine Reihe von Jahrzehnten
ist seit der Erbaung dieses, inmitten der Stadt
stehenden Males verflossen. Nun tritt eine
neue Aufgabe an die Bürger der Stadt her-
an, die Ehrung der vielen, in: Weltkriege Ge-
fallenen in würdiger Weise durchzuführen. Man
jcheint sich der Verantwortung vor Mit- und
Nachwelt wohl bewußt zu sein und erstrebt die,
für örtliche Verhältnisse denkbar beste Lösung —
der schöne Kurpark soll den Rahmen für das
geplante Ehrenzeichen abgeben. Der beste Platz
ist für die Tapferen gerade gut genug und
freudig kann man die Absicht begrüßen. Aber
— ist es in der Tat der beste Platz, der hier in
Aussicht genommen wurde? Der Ort an sich
verbürgt die Gewähr für eine stimmungsvolle
Anlage, und das künftige Ehrenzeichen wird,
dem Alltag entrückt, an einer der hervorragend-
sten Stellen des Parkes stehen, es wird diesen ver-
schönern und eine bislang unbetonte Endigung
einer schönen Allee wirkungsvoll abschließen.
Alle Vorzüge scheinen in dem Plane vereinigt zu
sein und doch will mir dieser Ort nicht der rich-
tige scheinen. Mich dünkt, die Gefallenen des
70er Krieges sind um so mehr im Nachteil, je
uachhaltiger das Mal für die Toten des Welt-
krieges auf Enkel und Urenkel einwirken wird.
Meine Ausführungen leiten zu Gedanken über,
die auszusprechen beinahe gewagt erscheint.
Wie wäre es, einem Plane zuzustreben, der
einen völligen Umbau des vorhandenen Denk-
mals vorsieht, der mit diesem Umbau die Eh-
rung der im Weltkrieg Gefallenen zu verknüp-
fen sucht? Aber — haben wir Heutigen über-
haupt ein Recht, Zeugen der Geschichte, von Väter-
hand geschaffen, anzutasten? Soll das Denkmal
von 1870 nicht als Ausdruck seiner Zeit in der
Form den Enkeln überliefert werden, wie es uns
überkommen ist? Kann der Gedanke einer Eh-
rung der im Kriege 1870/71 Gebliebenen mit
dem der Ehrung der Toten des Weltkrieges zu-
sammeugefaßt werden?
Die übergroße Mehrzahl der Bürger wird all
die Fragen in dem Sinne beantworten, daß aus
Pietätsgründen das vorhandene Denkmal unbe-
rührt bleiben muß, auch daun, wenn es unseren
derzeitigen Anschauungen über das Wesen der
Kunst nicht entspricht. Ja, gar viele werden
sagen, daß es sehr wohl möglich sein werde, daß
das bestehende Ehrenmal in späteren Zeiten einer
kommenden Geschmacksrichtung entspräche. — Da-
vor bewahre uns ein gütig Schicksal!
Das Denkmal auf dem Platze inmitten der
Stadt gibt einem Teil des Heimatbildes das Ge-
präge. Es trägt jedoch weder zu einer Steige-
rung des Stadtbildes, noch zu einer inneren Bin-
dung des Einzelnen mit der Geschichte bei. Man
täusche sich nicht über die Tatsachen hinweg, daß,
je weiter die Geschehnisse zurückliegen, um so
höher der künstlerische Ausdruck eines Erinne-
rungszeichens stehen muß, um auf den späten
Enkel zu wirken. Nur dann hat ein Denkmal seinen
Zweck erreicht.
Versetzen wir uns in Gedanken in
2000. Aus dem Platze, den heute das 70er Denk-
mal „ziert", steht ein Marktbrunnen. Sein
immerwährend fließender Wasserstrahl ist Sym-
bol für das treue Gedenken der Überlebenden.
Er gilt für alle Söhne der Stadt, die ihr Le-
ben innerhalb eines Jahrhunderts dem Vater-
lande Hingaben. Das Wesen der Bäderstadt wird
durch ein solches Zeichen hervorgehoben, das
Stadtbild wird nicht nur von einem wenig schönen
Denkmal befreit, sondern an jener Stelle gestei-
gert. Für die Heranwachsende Jugend ist das Bild
der Heimat von außerordentlicher Bedeutung,
seine erzieherische Wirkung ist für den Menschen
sein ganzes Leben lang nachhaltig. Es ist falsche
Ehrfurcht vor stummen Zeugen der Geschichte, sie
auch dann als unantastbar anzusehen, wenn ihr
geschichtlicher Wert nicht auch mit künstlerischem
Gehalt verbunden ist. Bei vollster Anerkennung
des guten Willens der Väter — die Berechtigung
zu dauernder Beeinträchtigung des Heimatbildes
läßt sich aus guten: Willen allein nicht ableiten.
Der Wunsch in uns, die Heimat mit allen
Kräften zu verschönen, muß um der Jugend, um
kommender Geschlechter willen stärker sein, als
alle Rücksichtnahmen. Doch noch einige grund-
sätzliche Betrachtungen sind hier notwendig, die
sich mit der Platzwahl für ein Ehrenzeichen be-
M. Paatz, Kindcrbild
Winterhilfe ist Pflicht jedes Deutfchen
3
Das Problem der
Farbe in der Malerei
Zum Schaffen des Malers
Martin paatz
Dieser Maler ist ein Einzelgänger; er macht
den Registratnrkritikern ihre Arbeit des schema-
tischen Einordnens irr das Mosaik der modernen
deutschen Kunst recht schwer. Diese Selbständig-
keit allein, abgesehen von: Rang des künstlerischen
Wertes, könnte schon den Künstlern gegenüber
einen Vorzug bedeuten, die ihr ganzes Leben dorr
einem Stil träumen, der sie nur schon durch
M. Paatz, Bildnis. Photoaraphic
irgendeine Merkwürdigkeit oft rein technischer
Art aus der Masse heraushebeu soll, und das nur
um der Eitelkeit willen, der sie die besten Stunden
einer schöpferischen Wachsamkeit zu opfern bereit
sind. Diese Dinge mögen an sich vielleicht von
wenig starker Bedeutung sein, da sie sich gewöhn-
lich selbst vernichten, aber wie ein Maler von der
Art eines Martin Paatz zu dieser Eitelkeit steht,
ist durchaus nicht unwichtig, um ihm in seinen
Bildern bis zur Entscheidung des Menschlichen im
Künstlerischen folgen zu köuueu, Bilder, die im
besten Sinne verstandene Ironie des Geistigen nicht
kennen, eine Ironie, die eine so überaus große
Rolle in vielen Werken der alten und modernen
Kunst spielt. Die Bilder von Martin Paatz wollen
ganz aus der Farbe heraus verstanden werden.
Nun, das könnte eine glatte Phrase sein, wenn
man nicht das Wesentliche kennzeichnen würde.
Die moderne deutsche Malerei der letzten Jahr-
zehnte hat sich — Ausnahmen bestätigen nur diese
fast zur allgemeinen Ansicht gewordene Regel —
vorwiegend vom Graphischen aus der Farbe be-
mächtigt. Besonders die Generation der Maler,
zu der auch Martin Paatz, rein zeitlich gesehen,
gehört, also die Generation der Heckel, Kirchner,
Otto Mueller u. a., hatte eine viel größere Be-
ziehnngsmöglichkeit zur Komposition, als zum
Farbigen. Zweifellos ist da die Gegenfrontstellung
zum Impressionismus von tiefem Einfluß ge-
wesen, und ebenso zweifellos hat die dann neu ent-
deckte Gebärde der einfachen, aber straffen Linien-
führung, oft allerdings ins rein Dekorative ab-
gleitend, oft aber auch von einer bezwingenden
Gewalt der Zusammenschau, das Gesicht dieser
Malerei geformt. Aber — die Farbe wurde zu
etwas Sekundärem, ja zuweilen auch Nebensäch-
lichem. Die Malerei schwebte in der Gefahr, ihr
Ureigenes zu verlieren: die Farbe als das
spezifische Gewicht der Malerei. Paatz hat das
schon früh erkannt. Und nun mußte er auf einer
ganz anderen Ebene seine künstlerischen Kämpfe
austragen. Denn es galt, das Arbeiten aus dem
Farbigen abzugrenzen gegen das Französische,
gegen die große Erbschaft des Impressionismus,
der letzten ausgereiften Kunstanschauung des
Farbsehens. Paatz hätte es sich sehr leicht machen
und die Palette der Impressionisten übernehmen
können. Doch suchte er auf eigenem Wege wieder
zum Ursprung der Farbwirkung zu gelangen, die
nicht alle Struktur aufsaugt, um dann schließlich
nur noch eine Oberflächenwirknng zu erreichen.
Er löste die Konturen nicht aus, im Gegenteil: er
betonte sie in dem Maße, wie die Intensität der
Farben wuchs. Auf den ersten Blick zeigen viele
seiner Bilder einen einzigen Grundton, aber dann
beginnen das Rot gegen das Grün, das Braun
gegen das Blau uud Gelb aufzuklingen. Alle
Farben leben aus ihrer Eigenart. Sie werden
gegeneinander abgestuft, aber nicht untereinander
aufgelöst. Seltsam übrigens, daß dem Licht und
der Beleuchtung ein viel geringerer Anspruch zu-
geschrieben wird, als man es bei einem aus-
gesprochen farbigen Sehen annehmen könnte. Und
hier liegt dann auch der Unterschied gegenüber
den Impressionisten, die die Farbe nur im Licht
entdeckten. Bezeichnend und bestätigend ist es dann,
daß Paatz nur sehr selten direkt vor dem Natur-
objekt malt. „Das ist eigentlich im Traum ge-
malt", sagt er immer wieder. Doch dieser Traum
ist nicht eine wuchernde, die Wirklichkeit völlig um-
gestaltende Phantasie, sondern eine innige und
durch nichts gebrochene Verbindung mit der
Realität. Die Möglichkeit einer Zerstörung der
Wirklichkeit empfindet Paatz nicht, er würde das
als absurd ablehnen, aber daß das Farbige zum
Bunten wird, ist hier und dort sehr nahe. Wie
sehr dieser Maler aus sich selbst arbeitet, beweist
seine überraschend große Unabhängigkeit von Vor-
bildern der Kunstgeschichte. Die Natur ist ihm
M. Paatz, Küstcnlandschast
Getier und Menschen, die nicht mehr Staffage wie
bei Millet sind, bei aller Treue gegenüber den: un-
mittelbar wirkenden Eindruck eiue leise Romautik,
ja Poesie. Sie wäre den Franzosen leichter ein-
gegangen, hätte sich der leicht erregbare Künstler,
der nach allem anderen ohne eigentlichen Grund
auch noch den ihm verliehenen Orden der Ehren-
legion zurückgeschickt hatte, nicht in ein Unter-
nehmen stürzen lagen, das seinen Ruf grüudlich
verruchten sollte.
Nachdem Sedan gefallen und die französische
Armee von den Preußen vernichtend geschlagen
worden war, beteiligte sich Courbet als Aufseher
über die Kunstdenkmäler an der Kommune. Es
war sein gutes Recht, wenn er die pompöse
Vendomesäule für mordsschlecht hielt. Nachdem
er ihre Niederlegung nicht verhindern konnte oder
wollte, brach nach der Niederlage Gambettas und
dem schließlichen Sieg des Bürgertums mit dem
alten geriebenen Fuchs Thiers an der Spitze der
Entrüstungssturm gegen den ohnehin verhaßten
Schilderer von Steinklopfern und bäuerlichem
Leben los. Im Gefängnis schuf er, da er nur zu
malen vermochte, was er vor Augen sah und
Modelle nicht stellen durfte, Stilleben, Blumen,
Früchte, sein Eßgeschirr, Flaschen, Gläser und
signierte auf dunklem Grund mit Rot: „St. Pelagie
1871". Engländer sollen sich um diese Stücke ge-
rissen haben. Einige Monate Haft und der sich
auf ihn häufende Spott waren nicht das
Schlimmste. Kam doch der sogenannte „schöne
Mann", dem (wie bei Sudermann) der glänzende
tiefschwarze Vollbart eine besondere Note gab, in
seiner äußeren Erscheinung der Karikatur ohne-
hin entgegen. Und wenn man zu seiuer Haltung
vor dem Kriegsgericht bemerkte, sie ginge mehr
darauf aus, ein lebendiger Maler, als ein toter
Held zu sein, sprach sich schließlich der bei aller
äußeren Robustheit doch sensible Künstler aus, der
Monet und viele andere noch nicht durchgedrungene
junge Kollegen selbstlos unterstützt hatte. Aber
man verurteilte ihn auch zum Schadenersatz für
die Wiederaufrichtung der Säule, beschlagnahmte
sein Besitztum uud versteigerte seine Werke für
einer: Spottpreis.
Seitdem ging es abwärts mit Courbets Kunst.
Immer noch vital, produzierte er in hastigster
Weise, um die hohe Summe zusammenzubringen,
und signierte auch, nachdem er in die Schweiz
übergesiedelt war, zuweilen Schülerarbeiten mit
seinem Namen. Bis er am Genfer See starb,
zeigt nur uoch weniges den starken Impuls seiner
guten Werke, jenes unnachahmliche Ineinander-
fließen von erdhafter Schwere und traumhafter
Stimmuug, das alltägliche Dasein zu Gebilden
steigernd, die einen: so anspruchsvollen Kenner wie
Leibl höchste Bewunderung abnötigten. Zuletzt
fühlte er sich einsamer und abgehetzter denn je.
Notschreie an die wenigen, ihm gebliebenen
Freunde häufen sich. Zola in: „Oeuvre" charakte-
risiert ihn beze:chnenderweise nicht als Sieger, son-
dern nur als den Kämpfer und bahnbrechenden
Pfadsucher, der einmal von sich selbst gesagt hat,
er wolle „nicht nur Maler sein, sondern auch ein
Mensch, mit einem Wort, lebendige Kunst zu
machen, das ist mein Ziel". Tllorvealck
Anfang und Ende, mit ihr ringt er, zäh und ver-
bissen; jedes Bild, das er malt, ist zuerst voll-
kommen in Frage gestellt. Nur nach intensivster
Einsicht in die Beziehungen der Farben, einer Ein-
sicht, die immer wieder von neuem sich eröffnen
muß, kann das Werk gelingen. Er gestattet sich
keine, und wäre es auch nur die harmloseste
Routine, die bei vielen anderen zur einzigen
Arbeitsmöglichkeit wurde. Die deutsche Land-
schaftsmalerei der letzten dreißig Jahre wurde von
einer innerhalb der bildenden Kunst so peripheri-
schen Erscheinung, wie sie Van Gogh war, in eine
Richtung gedrängt, die aus dem Raum der bilden-
den Kunst hinausführen mußte. Es ist geradezu
ein Paradoxon der Kunstentwicklung, daß dieser
Van Gogh zum Mittelpunkt werden konnte. Das
Resultat war eine unübersehbare Schar hoffnungs-
loser Epigonen, die sich eines einmalig erlebten
und erlittenen Werkes bemächtigten, ohne die ge-
ringste menschliche Legitimation, aus der sich die
künstlerische bilden muß. Zu den Künstlern, die
abseits standen, gehört Paatz. Seine Bilder wider-
legen die grundlose Ansicht, daß die moderne
deutsche Kunst kein wesentliches Verhältnis zur
Farbe haben könne. Man bedenkt nicht, daß ja
dadurch eine Malerei überhaupt fragwürdig wird
und daß der Graphik die Aufgabe einer Souffleuse
zufällt, die immer dann einspringen muß, wenn
der Maler die Malerei vergißt. Der tapfer ver-
fochtene Standpunkt Martin Paatz' hat sich als
richtig erwiesen. Nicht der kleinste Teil seiner
Leistung liegt in dieser Behauptung des Farbigen.
Seine Arbeiten sind Beispiele dieser Kämpfe, die
oft zu Niederlagen, oft aber auch zu stillen und
großen Siegen führten.
6. H. Illonnissen
Falsche Ehrfurcht
vor Zeugen der Geschichte
Wie in fast allen Städten und Ortschaften, ist
auch u: der bekannten Bäderstadt P. ein Denk-
mal zu Ehren derer einst erbaut worden, die
den Heldentod für ihr Vaterland im Kriege
1870/71 gesunden haben. Wie in fast allen
Städten und Ortschaften hat auch hier viel guter
Wille einen wemg ersreuttchen Ausdruck gesun-
den. Die Ehrfurcht vor einem Zeugen der Ge-
schichte läßt das Denkmal aus se:nem Platze
sich behaupten. — Eine Reihe von Jahrzehnten
ist seit der Erbaung dieses, inmitten der Stadt
stehenden Males verflossen. Nun tritt eine
neue Aufgabe an die Bürger der Stadt her-
an, die Ehrung der vielen, in: Weltkriege Ge-
fallenen in würdiger Weise durchzuführen. Man
jcheint sich der Verantwortung vor Mit- und
Nachwelt wohl bewußt zu sein und erstrebt die,
für örtliche Verhältnisse denkbar beste Lösung —
der schöne Kurpark soll den Rahmen für das
geplante Ehrenzeichen abgeben. Der beste Platz
ist für die Tapferen gerade gut genug und
freudig kann man die Absicht begrüßen. Aber
— ist es in der Tat der beste Platz, der hier in
Aussicht genommen wurde? Der Ort an sich
verbürgt die Gewähr für eine stimmungsvolle
Anlage, und das künftige Ehrenzeichen wird,
dem Alltag entrückt, an einer der hervorragend-
sten Stellen des Parkes stehen, es wird diesen ver-
schönern und eine bislang unbetonte Endigung
einer schönen Allee wirkungsvoll abschließen.
Alle Vorzüge scheinen in dem Plane vereinigt zu
sein und doch will mir dieser Ort nicht der rich-
tige scheinen. Mich dünkt, die Gefallenen des
70er Krieges sind um so mehr im Nachteil, je
uachhaltiger das Mal für die Toten des Welt-
krieges auf Enkel und Urenkel einwirken wird.
Meine Ausführungen leiten zu Gedanken über,
die auszusprechen beinahe gewagt erscheint.
Wie wäre es, einem Plane zuzustreben, der
einen völligen Umbau des vorhandenen Denk-
mals vorsieht, der mit diesem Umbau die Eh-
rung der im Weltkrieg Gefallenen zu verknüp-
fen sucht? Aber — haben wir Heutigen über-
haupt ein Recht, Zeugen der Geschichte, von Väter-
hand geschaffen, anzutasten? Soll das Denkmal
von 1870 nicht als Ausdruck seiner Zeit in der
Form den Enkeln überliefert werden, wie es uns
überkommen ist? Kann der Gedanke einer Eh-
rung der im Kriege 1870/71 Gebliebenen mit
dem der Ehrung der Toten des Weltkrieges zu-
sammeugefaßt werden?
Die übergroße Mehrzahl der Bürger wird all
die Fragen in dem Sinne beantworten, daß aus
Pietätsgründen das vorhandene Denkmal unbe-
rührt bleiben muß, auch daun, wenn es unseren
derzeitigen Anschauungen über das Wesen der
Kunst nicht entspricht. Ja, gar viele werden
sagen, daß es sehr wohl möglich sein werde, daß
das bestehende Ehrenmal in späteren Zeiten einer
kommenden Geschmacksrichtung entspräche. — Da-
vor bewahre uns ein gütig Schicksal!
Das Denkmal auf dem Platze inmitten der
Stadt gibt einem Teil des Heimatbildes das Ge-
präge. Es trägt jedoch weder zu einer Steige-
rung des Stadtbildes, noch zu einer inneren Bin-
dung des Einzelnen mit der Geschichte bei. Man
täusche sich nicht über die Tatsachen hinweg, daß,
je weiter die Geschehnisse zurückliegen, um so
höher der künstlerische Ausdruck eines Erinne-
rungszeichens stehen muß, um auf den späten
Enkel zu wirken. Nur dann hat ein Denkmal seinen
Zweck erreicht.
Versetzen wir uns in Gedanken in
2000. Aus dem Platze, den heute das 70er Denk-
mal „ziert", steht ein Marktbrunnen. Sein
immerwährend fließender Wasserstrahl ist Sym-
bol für das treue Gedenken der Überlebenden.
Er gilt für alle Söhne der Stadt, die ihr Le-
ben innerhalb eines Jahrhunderts dem Vater-
lande Hingaben. Das Wesen der Bäderstadt wird
durch ein solches Zeichen hervorgehoben, das
Stadtbild wird nicht nur von einem wenig schönen
Denkmal befreit, sondern an jener Stelle gestei-
gert. Für die Heranwachsende Jugend ist das Bild
der Heimat von außerordentlicher Bedeutung,
seine erzieherische Wirkung ist für den Menschen
sein ganzes Leben lang nachhaltig. Es ist falsche
Ehrfurcht vor stummen Zeugen der Geschichte, sie
auch dann als unantastbar anzusehen, wenn ihr
geschichtlicher Wert nicht auch mit künstlerischem
Gehalt verbunden ist. Bei vollster Anerkennung
des guten Willens der Väter — die Berechtigung
zu dauernder Beeinträchtigung des Heimatbildes
läßt sich aus guten: Willen allein nicht ableiten.
Der Wunsch in uns, die Heimat mit allen
Kräften zu verschönen, muß um der Jugend, um
kommender Geschlechter willen stärker sein, als
alle Rücksichtnahmen. Doch noch einige grund-
sätzliche Betrachtungen sind hier notwendig, die
sich mit der Platzwahl für ein Ehrenzeichen be-
M. Paatz, Kindcrbild
Winterhilfe ist Pflicht jedes Deutfchen