Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst der Nation — 2.1934

DOI article:
Kelter, Maler Willi: Neue Malerei, [4]
DOI article:
Theunissen, Gert H.: Der Romantiker Feininger
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0028

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
4

Kunst der Nation

Der Romantiker Feininger
Von
G. H. Theunissen

Die Galerie Nierendorf, Berlin, stellt
neue Arbeiten des Malers Feininger aus und
ruft uns mit dieser Schau das Schaffen eines
Mannes ins Gedächtnis, dessen Werk in seiner un-
beirrbaren Konsequenz der modernen Zeitgestal-
tung über alle ihm begegnenden Mißverständnisse
hinweg geeignet ist, die Voraussetzungen des
künstlerischen Schaffens und einer gerechten Inter-
pretation in unserer Zeit zu klären. Kunst-
betrachtungen, die sich um die Aufgaben und Not-
wendigkeiten der Gegenwart nicht kümmern und
bedenkenlos sich über die geistigen Möglichkeiten
Hinwegsetzen, haben besonders heute im National-
sozialismus, der immer wieder die Verpflichtung
der Kunst zum Ausdruck der gemeinsam uns alle
bewegenden Erlebnisse betont, keinerlei Berechti-
gung. Der Anruf „gefährlich leben tut not!",
der an alle ergeht, denen die Existenz des Staates
die Existenz des Volkes bedeutet und der einen
Strich unter die Bequemlichkeit und Trägheit

eines nur auf Genuß bedachten Bürgertums zu
ziehen befiehlt, findet in den Dingen der bilden-
den Kunst noch nicht das rechte Verständnis. Das
liegt nicht zum wenigsten daran, daß über dem
Wegräumen von Ballast und Schutt noch keine
Zeit gefunden werden konnte, neue Maße aus
einer neuen Zeit zu formen.
Ein Künstler, der ein solches neues Maß
der Beurteilung verlangt, ist Feininger. Er
verschanzt sich nicht hinter einer Wald- und
Wiesenmalerei mit witzig aufgesetzten Pointen, die
in ihrer banalen Primitivität — die etwas ganz
anderes ist als Einfachheit! — allen denen schmei-
chelt, die von der Kunst nicht mehr als einen
dünnen Naturaufguß fordern. Er aber steigt auf
die Barrikaden des Geistes und verteidigt ihn nach
zwei Seiten: einmal gegen die frechen Ansprüche
eines Intellektualismus und dann auch gegen den
rosenwangigen Optimismus der Naturburschen.
Die einen sehen in ihm den genialen Experimen-
tierkünstler, die anderen bezeichnen ihn als Lite-

raten. So findet der Irrtum, der von Unberufe-
nen ins Volk geschrien wurde, naturgemäß auch
sein eigenes Echo, das sich allerdings an Wänden
bricht, die zur Verteidigung aufgerichtet werden
mußten, um der sogeuannten Literatur in der
bildenden Kunst Einhalt zu gebieten. Um so vor-
urteilsloser sollte man sich bemühen, einem Werk
gerecht zu werden, das uns wirklich erlaubt, von
einer neuen Romantik zu sprechen, und das nns
nicht in den Verdacht bringt, einem Epigonentnm
zu huldigen, das sich allzu eifrig um Gestalten wie
Caspar David Friedrich und seine Zeitgenossen
angesiedelt hat. In Feininger finden wir den
Sinn einer Romantik bestätigt, die völlig aus deu
Voraussetzungen unserer Zeit entstanden ist.
Hüten wir uns vor einer Wohlfeilen Verallgemei-
nerung, denn diese Bilder haben ihr eigenes Ge-
sicht, und gerade ihre verwurzelte Einzigkeit sollte
sie vor dem Vorwurf bewahren, Spielereien des
Intellekts zu sein. Der Antrieb des Feininger-
schen Schaffens ist das Be-
wußtsein eines technischen
Zeitalters, in das wir
schicksalhaft hineingeboren
sind, um es menschlich zu
erfüllen.
Uud eben diese Mensch-
lichkeit, die sich von keinem
eiskalten konstruktiven Ra-
tionalismus überwältigen
läßt — wie es der In-
tellektualismus will —, ist
es, die hier sich ausformt
in Charakterzügen einer
sehr männlichen Zielstre-
bigkeit und lebenswarmen
Nüchternheit, einer uner-
sättlichen Sehnsucht nach
den Geheimnissen des
Lichtes. Der straffen
Gliederung der Bildele-
mente, kristallinisch durch-
brochen, in Prismen und
Facetten sich auflösend und
sammelnd, stählt die Weich-
heit der flutenden Farben.
Diese Irrationalität aber
ist stets an eine handfeste
Dinglichkeit gebunden. Die
Natur wird gepackt vom
Wirbelsturm der Idee, iu
die Höhe gerissen von der
Kraft der Lichtströme. Uber
Meer und Strand wölbt
sich die Fata Morgana,
über einsam dahingleitende
Segelschiffe und Barken
senken sich die Schleier bun-
ter Schatten und vielfälti-
ger Luftspiegelungen, die
die Wirklichkeit durchsichtig
machen, so daß man glaubt,
auf den schimmernden
Grund der Erscheinungen
zu sehen. Spitze Kirchtürme,
schmale Giebel und bunte Dächer werden von dem
reichen Überfluß des Lichtes überschwemmt. In
die Dunkelheit der Gassen und Häuserschluchten
ergießt sich die Helle der über ihnen gespannten
gläsernen Himmel. Solche Bilder sind Märchen-
dichtungen, nicht auf uns gekommen aus der
Fremdheit vergangener Zeiten, sondern geboren
aus deu lockenden Hintergründen der Dinge, unter
denen wir heute leben und sterben.
Natur und Kunst! Wäre die Kunst nur das
getreue Abbild der Natur, so wäre sie ihr Sklave,
willenlos, weil ohne eigenes Gesetz. Nun aber
steht zwischen beiden der Mensch in der Ordnung
des Geistes und der Erde, deren Rhythmen im
schöpferischen Künstler sich verfangen wie die
Klänge zu einer Melodie. In ihm überschneidet
sich die Wirklichkeit mit dem Unsichtbaren, dem
wir viele Namen geben, in ihm wird die Idee
zum Bild, uud die Realität offenbart ihren Sinn.
Das ist mehr als eine schöne Metapher: das Sym-
bol der Idee ist doch bei Feininger immer wieder


Der Maler Feininger

Meister des 17. Jahrhunderts, Stilleben



Feininger, Gemälde

Mit Een. d. Galerie Nierendorf

das Licht, das die Schwere der Erde lockert und
die Formen der Natur bis in ihre tiefsten Ver-
borgenheiten entfaltet. Und der Sinn der Reali-
tät ist nicht das Dogma eines alles verneinenden
Nihilismus, sondern die freudige Bejahung des
Lebens, das erst in den Spannungen zwischen
Natur und Geist lebenswert wird. Das Wort
voil der „stählernen Romantik" erfüllt sich voll-
kommen im Werke Feiningers, das nie in die
Leere des Dekorativen absinkt und nie sich iu blut-
losen Abstraktionen verflüchtigt.
Die Architektur der Feiniuger-Bilder ist von
den Gesetzen der Musik bestimmt. Unendliche
Variationen der Farbtöne und sphärischen Inter-
valle überwinden die meßbaren und veränderlichen
Endlichkeiten und Begrenzungen der Natur.
Feininger, dessen Vater Geiger und Komponist,
dessen Mutter Orgauistin uud Säugeriu war, trat
selbst mit zwölf Jahreu schon in Konzerten auf
uud komponierte eine Anzahl Fugen. Von allen
sogenannten abstrakten Malern trägt er die
strengste Musikalität in das bildnerische Schaffen;
er erfaßt die Gegenständlichkeit der Welt, die er
nicht leugnet, wie die anderen Maler es zuweilen
tun, die ebenfalls musikalische Erlebnisse iu visuelle
übersetzen wollen, mit einer Phantasie, die neue
Raumvorstelluugen verlangt. Dieser Raum ist
der Kristall, der ihm die letztmögliche Fornr zu
sein scheint, in der sich das Urelement der Zeit, in
welche die Musik eingewoben ist, am reinsten in
das Urelement des Raumes verwandeln läßt. Es
ist kein Zufall, daß sich unter den Gemälden,
Aquarellen und Zeichnungen nur ganz wenige
Darstellungen von Menschen, Tieren und Pflan-
zen befinden; weil das Organische, animalisch
oder vegetativ, nur in irgendeinem Zeitpunkt des
Wachsens begriffen werden kann: der Zeit-
anspruch des Werdens würde die vollkommene
Ruhe und Raumhaftigkeit durchbrechen.
Das, was dem unsichtbaren Wesen der Musik
am tiefsten im Sichtbaren entspricht, ist das Licht,
aus beiden gebiert sich unaufhörlich neu die Welt-
seele, die aristotelische „Quintessenz", der Urstoff
oder das griechische Pneuma, der Geist also, aus
dem alles entsteht. Das Licht erlaubt die feinsten
Registrierungen jeder Erschütterung, von der der
schöpferische Mensch heimgesncht wird, um sie zu
deuten. Die Sensibilität eines so feinnervigen
Künstlers vom Charakter eines Feininger benötigt
die empfindlichsten Mittel zur Gestaltung seiner
vor der Natur empfangenen Eindrücke und Stim-
mungen, die sich in Farbrhythmen niederschlagen.
Das Thema seiner Bilder ist kaum veränderlich,
wird aber von jeder Farbe und Form selbständig
ausgenommen und weitergeführt. So bauen sich
die Bilder von den Segelschiffen und Fischkuttern,
von den Molen, Brücken und Straßen zu groß-
artigen Fugen auf.
Die kunstgeschichtliche Bedeutung gründet sich
auf die Entdeckung des anorganischen Formen-
reiches der Natur für die Kunst. Eiue neue Di-
sziplin, wie man es fast nennen möchte, der Farb-
behandlung erschließt neue Möglichkeiten. Die
prismatischen Formen geben ihm den Anstoß zu
der, wie er einmal sagte: „letzten Form für den
Gedanken", die ausschließlich Ziel ist und
allein Bestand hat. Diese „letzte Form" ist
die bildnerische Musik, deren furchtbares
Mysterium ihre Beziehung zur Mathematik und
Zahlenmystik ist. Musik und Zahl, Licht und
Kristall, das sind die kosmischen Phänomene dieser
Kunst. Aus dem Dreiklaug von Wirklichkeit,
Musik und Zahl entsteht der allem Nnr-Ver-
standesmäßigen sich verschließende Stil, der uns
die künstlerische Einheit voll Mensch und Welt in
einer seltsam magischen Schau erleben läßt. Ein
Stück deutscher romantischer Naturphilosophie ver-
birgt sich ill dem Werk Feiningers, das die welt-
trunkene Sinnlichkeit des Sehens noch ill der fast
bis zur Abstraktion gespannten Geistigkeit be-
wahrt.
Jedes künstlerische Schaffen wird von dem
Willen entfacht, über die Relativität aller Werte
und Beziehungell eines belanglosen Alltages hin-
auszuwachsen in das Absolute, das wir in der
Kunstgeschichte Stil nennen. Ihm kann mall
nichts hinzufügen, und nichts kann von ihm ge-
nommen werden, ohne daß er nicht selbst ver-
nichtet würde. Hier liegt der wesentlichste Unter-
schied zwischen der Natur und der Kunst. Und
wie der Stil ganzer Epochen das Absolute eines

Volkes bedeutet, die einzig mögliche und höchste
Form, zu der eine völkische Gemeinschaft fähig
war, so ist der Stil einer einzelnen Künstler-
persönlichkeit das Absolute ihrer Erkeuutuisse und
Erfahrungen. Den Wert eines Künstlers ent-
scheidet die Fähigkeit zum Stil, also zu eiuer
Formgebuug, uebeu der keiue zweite mehr möglich
sein kann, oder es sei denn, daß es sich um einen
spielerischeu Eklektizismus handelt, den man nie-
mals schöpferisch heißen darf, und wäre es auch
der ails Geuialische grenzeude Eklektizismus
Picassos. Der Stil des Feiniugerscheu Werkes
vereinigt iu sich zwei Weseuszüge der Kuust, die
sich ill Deutschland so oft gegenseitig ausschließeu:
die hünenhafte Schönheit der Bildhaftigkeit lind
den seelischen Ausdruck der menschlichen uud
geistigen Erlebnisse.

Neue Malerei
Fortsetzung von Seite 3
licheu und Politischen Gefüges rechnen zu können.
An der Erfüllung dieses Wunsches ist nicht zu
zweifeln. Damit besteht dann die Tatsache, daß
auch das fast versiegende Rinnsal künstlerischen
Lebens wieder einmündet in einen einheitlichen
Strom großen völkischen Lebens. Wie einst in
verflossenen Zeiten stellt auch die neue Volksge-
meinschaft ihre Aufgaben. Zwar fehlen uns die
großen Mäzene fürstlicher Abkunft und ebenso der
Reichtum und die Selbstherrlichkeit ehemaliger
Stadtstaaten, aber die Aufgaben, die uns die neue
Gemeinschaft stellt, sind nicht minder ehrenvoll
und sicherlich größer wie einst.
Der Nationalsozialismus will die Durch-
dringung unseres Volkes mit einem einheitlichen
Weltbild und die Zusammenfassung unter einem
politischen Willen, in sich gegliedert nach Stän-
den. Das treibende und geistig bewegende Mo-
ment fällt der weder durch Adel noch durch Pro-
tektion vorbestimmten, sondern lediglich der durch
tatfrohe Leistungen sich auszeichnenden und sich
als Glied in der Kette der Volksgemeinschaft
fühlenden Persönlichkeit zu.
Unser Zeitalter wird mit Recht das Zeitalter
der Arbeit genannt, denn nie war eine solch un-
erhörte Arbeitsfreudigkeit wie heute verspürt. Die
Arbeit gilt uicht mehr als etwas Entwürdigeudes
und wird nicht mehr als irgendeine Tätigkeit
angesehen, deren man sich so schnell als irgend
möglich entledigt. Wir wissen, daß der Arbeits-
wille den Menschen adelt. Das neue Arbeiter-
tum wird unserem Vaterlands den Weg in die
Zukunft weisen.
Waren einmal in früheren Zeiten Kirche und
politische Machthaber die Auftraggeber, so ist es
heute das Volk in seiner Gesamtheit. Gottes-
häuser sind soviel vorhanden, wie wir brauchen.
Leer und öde aber noch sind jene Stätten, in
denen unser Jahrhundert sein Gesicht prägt: Ar-
beitsstätte und Arbeitsstadt. Die Adlung der Ar-
beiter und der Arbeit wird sich uicht nur im
Politischen uud Wirtschaftlichen vollziehen. Es ist
natürlich, wenn die Arbeit in neuen Symbolen,
die zu gestalten die Kunst da ist, den künstlerischen
Glorienschein erhalten wird. Das ist die Aufgabe
der heutigen bildenden Kunst insgefamt, von der
Architektur bis zur Malerei. Uud diese Aufgabe
besteht nicht seit gestern. Nur eine von geivinn-
süchtigen Trieben beherrschte Gesellschaftsordnung,
wie sie die überwundene Vergangenheit bot,
konnte neben all den anderen Vernachlässigungen
auch diese Aufgabe übersehen. Schaffen wir die
Arbeitsstätten der Gegenwart um in Knltstätten
der Arbeit. Hier wird die Architektur ungeahnte
Möglichkeiten finden: Die Heimstätte des Ar-
beiters, das Straßenbild der Arbeiterstadt, die
künstlerische Einordnung der Fabrikbauten in die
Gesamtstadt. Alles das sind Probleme von nie
gekannter Größe. Hier wird sich auch der Architekt
zu gemeinsamem Wollen und zu gemeinsamer
Planung mit den übrigen bildenden Künstlern zn-
sammenfinden. Der neue Aufstieg der bildendem
Kunst insgesamt zu einer neuen großen Ge-
schlofsenheit liegt greifbar nahe. In dem Augen-
blick, wo wir praktisch mit der Erfüllung und
Lösung dieser Aufgaben beginnen, ist auch der
Anfang gemacht zur Überwindung subjektivistischer
Willkür, wie in den Künsten allgemein, so in der
Malerei besonders. Denn die Gebundenheit wird,
wie in allen anderen großen Epochen kunst-
 
Annotationen