4
Kunst der Nation
Wiedergesundung des Staates und
Volkes stellt. Jeder soll das in seiner
Weise tun. Und die Art und Weise des
Künstlers ist keine laute, keine öffentliche. Jeder
echte Künstler weiß das, und ich berufe mich
darauf, daß der Führer selbst gejagt hat, man
solle den Künstler in Ruhe lassen, denn Ruhe,
Stille und Konzentration auf sich selbst sind die
unerläßlichen Voraussetzungen zu jeder wirklichen
und ernsten Kunstschöpfung.
Das Mitgliedsbuch ist kein Freibrief für alle
Zeiten! Wer seine Zuverlässigkeit und Eignung
nicht bewährt, kann jederzeit wieder aus-
geschlossen werden, und wer sich zu gar keiner
inneren Verpflichtung aufraffen kann, darf
sich nicht auf sein Mitgliedsbuch verlassen. Wer
anderseits glaubt, mit diktatorischer Geste allein
die Kunst in eine bestimmte Bahn zwingen
zu können, der gibt sich einem Irrtum hin.
Kunst ist die Geschichte, die die
Menschheit über sich selber schreibt,
und es ist eine schonungslose und unerbittliche
Geschichtsschreibung, die nach Jahrhunderten da-
von zeugen wird, was wir in Wahrheit für
Menschen gewesen sind.
Es ist der schönste Beruf, den wir Künstler
haben, aber es ist auch der schwerste Beruf.
Man kann ihn mit keinem anderen vergleichen,
und man kann sich nicht mit irgend einer
Parallele trösten. Wir nehmen unseren Beruf
ernst, aber es zeigt sich, daß wir ihn immer
noch nicht ernst genug nehmen. Es wird einmal
alles gewogen und alles zu leicht befunden
werden. Allen denen aber, die Künstler
werden wollen, möchte ich zurufen: Überlegt es
euch wieder und wieder, ob ihr die Voraussetzungen
zu diesem schwierigsten aller Berufe habt! Be-
denkt was es für eine Aufgabe ist, mit der Er-
weckung einer Illusion die Menschheit zu er-
schüttern und zu bezwingen. Denn wer nicht er-
schüttert und bezwingt, hat schon verspielt. Vergeßt
nicht, daß die wirkliche Kunst schon in eine höhere
Sphäre des Seins hinüberragt, wo das Be-
deutende sich immer mehr entfalten muß und das
Menschliche und Unwesentliche immer mehr abfällt
und versinkt. Wir wissen, wie einsam es in diesen
Regionen wird, wo uns niemand mehr hilft und
wo wir mit unserem künstlerischen Gewissen
ganz allein sind. Wer zur Kunst gehen
will, der lasse alle Hoffnung auf
ein bequemes und sicheres Leben!
Wer nicht auf alles gefaßt ist und nicht bereit ist,
alle Entbehrungen zu tragen um eines einzigen
hohen Gefühls willen, der lasse die Hand von
der Kunst! Wer aber dennoch diesen Beruf er-
greift, der bedenke, daß kein Maßstab zu groß
ist, den er an seine Arbeit anlegt und daß nur
der ganz Große überhaupt ein echter Künstler ist.
Franz Xaver Fuhr
Als Bilder Fuhrs zum ersten Male auftauch-
ten, vor etwa acht Jahren, mußte man in ihnen
sogleich das Werk einer fertigen, ganz geschlossenen
Persönlichkeit erkennen. Seine Form erschien
beinahe wie mit ihm geboren; wenig verdankte
er anderer Anregung, erstaunlich viel seiner
Kunst gehörte seiner eigensten Anschauung an.
Dies ist auch seither so geblieben, d. h. sein Stil
wie sein Darstellungskreis haben sich nur wenig
geändert, und lediglich in einem leichten Nach-
geben an die Neigung zu strengerer Natur-
anlehnung kündet sich eine Entwicklung im Geist
der Zeit an; wenn schon er auch bei seinem Auf-
treten auf die voll entwickelte Periode der Sach-
lichkeit traf und mit seiner Art ihr widersprach
Xaver Fuhr, Hub-Brücke. 1827. Mit Gen. d. Galerie Nierendors, Berlin
und ungefähr in die
Gegen von Hofer und
Feininger zu stehen kam.
Mit Feininger indes
verbindet ihn im Grunde
nur der gleiche Gegen-
stand, die Architektur-
landschaft, und die un-
realistische Art, ihn dar-
zustellen; in der eigent-
lichen Anschauungsweise
steht er ihm unendlich
fern. Und ebenso geht
es uns, wenn wir, ver-
blüfft durch eine gewisse
Art, farbige Flächen
gegeneinander in räum-
liche Spannung zu setzen,
zu Hofers Landschaften
hinüberschauen. Das sehr
feste Gefüge der Fuhr-
schen Bilder beruht nur
zur Hälfte oder noch
weniger auf einem Far-
benflachen-System. Wenn
wir nun aber wieder
auf das zweite Mittel
seines Bildbaues sehen,
die sehr auffällige Kon-
struktivität seines netz-
artig hervorstechenden
Liniengerüstes, das selbst-
herrlich die Flächen-
wirklichkeit seiner Far-
ben überzieht und tyran-
nisiert, so hält auch
diese zweite Parallele
nicht stand, und noch
weniger die letzte, an die
das Fuhrsche Spinnen-
netz anzuknüpfen scheint:
die Naivität der Kritze-
lei aus der Kinder-
erinnerung, die. wir so „ ,
Nachdrücklich bei Klee Fuhr, Kirche. 1831.
kennengelernt haben als
überweltlicher Absichten. Bei Fuhr ist dieses
Gekritzel unverrückbarer Bestandteil seiner Land-
schaftsverwirklichung und steht doch in einem un-
heimlichen Zusammenhang mit der Hintergrün-
digkeit und Wesenlosigkeit aller irdischen Dinge.
Weil die farbige Flächigkeit für sich nicht ein
ganzes Raumbild ausmachen kann, ebenso wenig
aber allein das Spinnengewebe der Weißen
Linien: so ergibt ihr Neben- oder übereinander
in seinen Stadtbildern ein seltsames Dilemma
zwischen Wahrheit und Dichtung, zwischen Trug
und Uberwirklichkeit, und wir werden hingerissen
von Gegenwartsbildern, die modern und weltecht
anmuten, als Abbilder heutiger Städte, und
ebenso stark uns das Spukhafte einer reinen Film-
phantasie aufdrängen.
Dieser Doppelsinn seiner Bilder wirkt ebenso
anziehend bei den reinen Erfindungen, die aus
Reiseerinnernngen bunt und willkürlich zu-
sammengestellt scheinen, wie bei den Stadtbildern,
die, wenn unser Gedächtnis nicht trügt, das
Charakteristische von Konstanz, Erfurt, Mann-
heim oder was es sei, in nachdrücklicher oder un-
auffälliger Prägung auftragen und näher der
Wirklichkeit zu stehen scheinen. Das ganz Phan-
tastische überwog bei seinem Auftreten, Anlehnung
an Wirklichkeiten zeichnet die späteren Arbeiten
im allgemeinen. Es ist indessen nicht viel Unter-
schied in der künstlerischen Bewertung beider zu
finden. Auch die Abweichungen von der Senkrechten
Mit Gen. d. Gal. Nicrendorf, Berlin
und dem rechten Winkel, die besonders früher oft
in Fuhrs Bildern erstaunen machten, haben nicht
so viel zu bedeuten, wie es den Anschein hat.
Dieses Spiel mit unsern eingeborenen Vorstellun-
gen von irdischer Stabilität sind wir ja seit van
Gogh und den Expressionisten gewöhnt gewesen.
Fnhr treibt es phantasievoll und mit geschmack-
voller Zurückhaltung; wesentlich ist es seiner
Kunst nicht. Die geht immer auf eine imaginäre
Raumvorstellung und aus das prickelnde Gleich-
gewicht zwischen Tiefen- und Flächengefühl: so
aber, daß wir das Schwanken beständig spüren,
das vor dem Eintritt der Gleichgewichtslage
stattfindet, und diese Unsicherheit uns in einer
feinen Prägung das Scheinhafte unserer ganzen
Erdenexistenz spüren läßt. Wirklichkeit sprödester
und härtester Gestalt, als Darstellung heutiger
Städte, zu reiner Irrealität vergeistigt, ist das
Wesen der Fuhrschen Malerei; und hierin tritt er
allerdings jenen großen Künstlern, mit denen wir
ihn verglichen haben, vor allem zur Seite. Da-
neben bleibt das Raffinement seiner Farben, die
erstaunlichen Kontraste schwarzer Flächen und
weißer Liniensysteme, das Besondere seiner roten,
ultramarinblauen und schwefelgelben Töne und
die herbe Anmut seiuer Spinnenlinien doch iu der
zweiten Reihe; denn der Geist und sein Aus-
druckswille ist wertvoller als die allerschönste
Offenbarung auch des kultiviertesten Geschmacks.
Schön, wenn sich beides in einem findet.
Gedanken zur Geschichte
der deutschen bildenden Kunst des IS. Mrhunderis
Von
Herbert v. Einem
Schluß aus Nr. 18.
Diese Entwicklung gibt den Hintergrund, vor
dem die Geschichte der bildenden Kunst des späten
19. Jahrhunderts in ihrer Problematik erst voll
zu verstehen und gerecht zu würdigen ist. Die
Bedingtheit einer künstlerischen Form durch den
Geist ihrer Zeit kann sich negativ oder positiv
äußern. In den bisher von uns betrachteten
Richtungen äußerte sie sich negativ. Der Zwie-
spalt zwischen der offiziellen Kunst und den
eigentlichen Tendenzen der Zeit ist offensichtlich.
Je ängstlicher sie sich abschloß, um so mehr verlor
sie an Boden und innerer Kraft, und gewillt, der
Zeit obzusiegen, fiel sie ihr ost genug zum Opfer.
Aber auch die wenigen Einsamen, die den Kamps
gegen die offizielle Kunst aufnahmen, kämpften
zugleich und mit vielleicht noch tieferer Erbitte-
rung gegen den Geist der Zeit. Die sogenannten
Deutschrömer entrückten die Kunst dem Leben und
bauten über der Wirklichkeit ein ideales Reich
eigener, freier Gesetzlichkeit. Die Künstler um
Leibl vermieden zwar das gegenständlich Beson-
dere, aber auch sie lösten ihre wirklichkeitsnahen
Themen aus dem Zusammenhang der Wirklich-
keit heraus und hielten an der Eigengesetzlichkeit
einer ganz strengen und gleichsam gegen die
Wirklichkeit gerichteten Form fest. Beide sind in
aller ihrer Verschiedenheit einig in dem Glauben
an den Bestand einer geistigen Welt, die sich mit
der Wirklichkeit nicht deckt, und setzen diesen Glau-
ben ihrer Zeit entgegen. Im Impressionismus
aber äußert sich die Bedingtheit der Kunstform
durch den Geist der Zeit Positiv. Auch auf ihm
lag die schwere Hand der offiziellen Kunst und
hinderte seine freie Entfaltung. Aber er kämpfte
doch nicht wie seine Leidensgenossen zugleich den
hoffnungslosen Kampf gegen die Zeit. In ihm
findet vielmehr die Zeit ihren eigentlichen künst-
lerischen Ausdruck. Der Impressionismus
repräsentiert in der Kunst die Entwicklungs-
tendenz und den Geist des späten 19. Jahr-
hunderts. Seine entscheidende künstlerische
Leistung und zugleich das, was ihn grundsätzlich
von der Kunst der Deutschrömer und des Kreises
der Künstler um Leibl trennt, ist, negativ, die
Preisgabe jener autonomen geistigen Welt, von
der wir gesprochen haben, Positiv, die entschlossene
Hinwendung zu dem Bereich des bloß Sichtbaren,
des bloß Erscheinenden, zur Augenwirklichkeit,
und ihre Eroberung für die Kunst. Wie der Geist
des späteren 19. Jahrhunderts einer doppelten Wer-
tung bedarf, so auch die Kunst des Impressionis-
mus. Aus der einen Seite bedeutet er eine un-
geheuere Verarmung. Die Bezirke des Geistigen,
des Religiösen, des Symbolischen, aus denen die
Kunst jahrhundertelang ihre Kraft geschöpft hatte,
sind für ihn verloren. Die Kunst wird im höch-
sten Grade unfähig, Gemeinschaftskunft zu sein.
Auf der anderen Seite aber bedeutet der Im-
pressionismus eine große Bereicherung. Indem
er die bisherige Art, Bilder zu komponieren
(ganz gleichgültig, ob es sich um freie dichterische
Erfindung oder um bildmäßige Verarbeitung von
Naturmotiven handelt) ablehnt, und durch seine
Methode der sogenannten Freilichtmalerei (also
des Malens vor der Natur) die ganze Unmittel-
barkeit und Zufälligkeit seines künstlerischen Vor-
wurfes zu erhalten sucht, schärfte er in bisher
unerhörter Weise die Empfindlichkeit des Auges
und entdeckte eine Welt von Schönheit, deren
Darstellung der bisherigen Kunst versagt geblie-
ben war. So eng in gewissem Betracht diese
neue Welt sein mag, es ist dem Impressionismus
gelungen, sie künstlerisch zu legitimieren.
Man kann nicht über den Impressionismus
sprechen, ohne nicht wenigstens mit einem Wort
die Frage seiner Beziehung zu den sozialen
Problemen und Tendenzen der Zeit zu berühren.
In seinen Anfängen beobachten wir eine Bevor-
zugung sozialer Themen. Aber man darf nicht
übersehen, daß diese Themenwahl in erster Linie
künstlerisch bedingt ist, daß sie nicht etwa einem be-
sonderen sozialen Mitgefühl entspricht, oder gar
den Impressionismus als Arbeiterkunst erweist.
Die Kampsesstellung des Impressionismus gegen
die offizielle Kunst führte zunächst dazu, die prinzi-
pielle Gleichordnung des Gegenständlichen überzu-
betonen durch Bevorzugung des bisher von der
Kunst Verachteten, des jozial Niedrigen, des Häß-
lichen, des Gewöhnlichen, des Gemeinen. Insofern
brachte er der Kunst eine stoffliche Bereicherung,
deren wichtigste die Entdeckung des Arbeiters als
künstlerischen Gegenstandes ist. Der arbeitende
Mensch, den die frühere Kunst nicht kennt, löst den
genießenden und den romantisch träumenden ab.
Führte diese Bevorzugung sozialer Themen zu
einer gelegentlichen Heroisierung des Arbeiters, w
liegt diese doch nicht in der eigentlichen Absicht des
Impressionismus. Denu Heroismus bedeutet
Überschreitung der vom Impressionismus gesetzten
Grenzen, bedeutet Anerkenntnis eines Geistes, den
man gerade zu überwinden trachtete. Die Phase
sozialer Malerei wird denn auch bald überwunden
und weicht stofflicher Gleichgültigkeit.
V.
Eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung hat
immer den Fehler, daß sie ihre Aufgabe, in der
Vielfalt der Erscheinungen die Einheit des Wesens
und in dem bunten Spiel der Überschneidungen
die Notwendigkeit des Weges aufzuweisen, nur
durch den Verzicht auf die Darstellung eben jener
Vielfalt und Buntheit erfüllen kann. Diese
Schwierigkeit besteht auch bei dem Versuch, ein
Bild der Kunstentwicklung der jüngsten Zeit zu
entwerfen. Ja, sie ist hier besonders groß, inso-
fern in der Gegenwart die Überschneidung und
das Nebeneinander entwicklungsgeschichtlich nach-
einander gehöriger Richtungen (wohinzu noch das
Phänomen bewußt und unbewußt rückläufiger Be-
strebungen kommt) besonders groß ist. Aber viel-
leicht geben wir hier, wo wir selbst mitten in dem
fast undurchsichtigen Gewirr widersprechender Er-
scheinungen stehen, und berechtigt und unberechtigt
leidenschaftlich Partei ergreifen, eine Darstellung
willig Preis, die nur das, wovon wir selbst Augen-
zeugen sind, lebendiger reproduziert, und wenden
uns gern einer Betrachtung zu, die uns die Mög-
lichkeit gibt, unbeirrt von Parteiname und Tages-
meinung hinter der verwirrenden Oberfläche den
wahren Kern und hinter der scheinbaren Sinn-
losigkeit den Sinn zu erkennen. Wenn Verein-
fachung des Vielfältigen sonst ein Mangel ist, so
mag sie hier zum besonderen Bedürfnis werden.
Die neue Kunst, die man mit dem Schlagwort
Expressionismus nur sehr ungenügend bezeichnet,
setzt in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts
mit dem Spätwerk des großen Franzosen Paul
Cezanne ein. Van Gogh, der Holländer, und
Munch, der Norweger, folgen. In Deutschland
sind Christian Rohlfs und Emil Nolde ihre
ältesten Wortführer. Neben ihnen schafft der Kreis
der sog. „Brücke", ferner Paula Modersohn, Ernst
Barlach u. a. Zwischen 1900 und 1910 ist die neue
Bewegung in ihrer Zielsetzung fest ausgeprägt
(wobei mau freilich nicht vergeßen darf, daß die;e
ganze leidenschaftliche und tiefgreifende Ausein-
andersetzung hinter der Fassade der offiziellen
Kunst und ohne Kontakt mit der breiteren Öffent-
lichkeit sich vollzieht). Im gleichen Jahrzehnt be-
ginnen mit der Gründung des ,og. „Blauen
Reiters" die abstrakten Bestrebungen, die sich in
ganz verschiedener Form in Künstlern wie
Kandinsky, Marc, Feininger, Klee u. a. zeigen.
Diese ganze neue Kunst ist ein einziger Versuch,
den Impressionismus und m ihm den Geist des
19. Jahrhunderts zu überwinden und die Grund-
lagen zu einem neuen Beginn zu legen. Hatte
der Impressionismus die Bezirke des Religiösen,
des Geistigen, des Symbolischen aus der Kunst
ausgeschlossen, so suchte der Expressionismus sie
zurückzugewinnen. War der Impressionismus in
jeiner Leugnung einer geistigen, dem Wechsel
entzogenen Welt so weit vorgeschritten, daß er
auch in dem engen ihm gebliebenen Reich die
Festigkeit der Formen bis ins letzte auflockerte und
löste, indem er sie nicht mehr als unveränderliche
Substanzen, sondern als Produkte wechselnder Be-
dingungen betrachtete, so suchte der Expressionis-
mus, angewidert von solcher das Ewige negieren-
den Tendenz, aufs neue nach einer zeitlichem
Wandel enthobenen Ordnung und Gesetzlichkeit.
Hatte der Impressionismus mehr und mehr
sich von allen Funktionen der Kunst im Dienst
einer wie auch gearteten Gesamtheit losgesagt, war
er, je konsequenter er sich ausbildete, um so mehr
zu dem verfeinerten Instrument eines bloß indi-
viduellen ästhetischen Genußbedürfnisses geworden,
so suchte der Expressionismus diese Funktionen
wieder erlist zu nehmen und weniger ästhetischen
Genuß als seelischer Erschütterung zu dienen. —
Mit diesen Tendenzen verfolgte die Kunst (das
kann hier freilich nur angedeutet werden) nichts
anderes, als was wir in der gleichzeitigen Philo-
sophie und Dichtung beobachten können. Die
Philosophie, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts
immer stärker von der Naturwissenschaft ver-
drängt worden war, beginnt um die Wende des
20. Jahrhunderts wieder ihr Haupt zu heben und
dem naturwissenschaftlichen funktionellen Denken
ein neues substantielles Denken entgegenzustellen.
Die Dichtung sagt sich in Dichtern wie Stefan
Kunst der Nation
Wiedergesundung des Staates und
Volkes stellt. Jeder soll das in seiner
Weise tun. Und die Art und Weise des
Künstlers ist keine laute, keine öffentliche. Jeder
echte Künstler weiß das, und ich berufe mich
darauf, daß der Führer selbst gejagt hat, man
solle den Künstler in Ruhe lassen, denn Ruhe,
Stille und Konzentration auf sich selbst sind die
unerläßlichen Voraussetzungen zu jeder wirklichen
und ernsten Kunstschöpfung.
Das Mitgliedsbuch ist kein Freibrief für alle
Zeiten! Wer seine Zuverlässigkeit und Eignung
nicht bewährt, kann jederzeit wieder aus-
geschlossen werden, und wer sich zu gar keiner
inneren Verpflichtung aufraffen kann, darf
sich nicht auf sein Mitgliedsbuch verlassen. Wer
anderseits glaubt, mit diktatorischer Geste allein
die Kunst in eine bestimmte Bahn zwingen
zu können, der gibt sich einem Irrtum hin.
Kunst ist die Geschichte, die die
Menschheit über sich selber schreibt,
und es ist eine schonungslose und unerbittliche
Geschichtsschreibung, die nach Jahrhunderten da-
von zeugen wird, was wir in Wahrheit für
Menschen gewesen sind.
Es ist der schönste Beruf, den wir Künstler
haben, aber es ist auch der schwerste Beruf.
Man kann ihn mit keinem anderen vergleichen,
und man kann sich nicht mit irgend einer
Parallele trösten. Wir nehmen unseren Beruf
ernst, aber es zeigt sich, daß wir ihn immer
noch nicht ernst genug nehmen. Es wird einmal
alles gewogen und alles zu leicht befunden
werden. Allen denen aber, die Künstler
werden wollen, möchte ich zurufen: Überlegt es
euch wieder und wieder, ob ihr die Voraussetzungen
zu diesem schwierigsten aller Berufe habt! Be-
denkt was es für eine Aufgabe ist, mit der Er-
weckung einer Illusion die Menschheit zu er-
schüttern und zu bezwingen. Denn wer nicht er-
schüttert und bezwingt, hat schon verspielt. Vergeßt
nicht, daß die wirkliche Kunst schon in eine höhere
Sphäre des Seins hinüberragt, wo das Be-
deutende sich immer mehr entfalten muß und das
Menschliche und Unwesentliche immer mehr abfällt
und versinkt. Wir wissen, wie einsam es in diesen
Regionen wird, wo uns niemand mehr hilft und
wo wir mit unserem künstlerischen Gewissen
ganz allein sind. Wer zur Kunst gehen
will, der lasse alle Hoffnung auf
ein bequemes und sicheres Leben!
Wer nicht auf alles gefaßt ist und nicht bereit ist,
alle Entbehrungen zu tragen um eines einzigen
hohen Gefühls willen, der lasse die Hand von
der Kunst! Wer aber dennoch diesen Beruf er-
greift, der bedenke, daß kein Maßstab zu groß
ist, den er an seine Arbeit anlegt und daß nur
der ganz Große überhaupt ein echter Künstler ist.
Franz Xaver Fuhr
Als Bilder Fuhrs zum ersten Male auftauch-
ten, vor etwa acht Jahren, mußte man in ihnen
sogleich das Werk einer fertigen, ganz geschlossenen
Persönlichkeit erkennen. Seine Form erschien
beinahe wie mit ihm geboren; wenig verdankte
er anderer Anregung, erstaunlich viel seiner
Kunst gehörte seiner eigensten Anschauung an.
Dies ist auch seither so geblieben, d. h. sein Stil
wie sein Darstellungskreis haben sich nur wenig
geändert, und lediglich in einem leichten Nach-
geben an die Neigung zu strengerer Natur-
anlehnung kündet sich eine Entwicklung im Geist
der Zeit an; wenn schon er auch bei seinem Auf-
treten auf die voll entwickelte Periode der Sach-
lichkeit traf und mit seiner Art ihr widersprach
Xaver Fuhr, Hub-Brücke. 1827. Mit Gen. d. Galerie Nierendors, Berlin
und ungefähr in die
Gegen von Hofer und
Feininger zu stehen kam.
Mit Feininger indes
verbindet ihn im Grunde
nur der gleiche Gegen-
stand, die Architektur-
landschaft, und die un-
realistische Art, ihn dar-
zustellen; in der eigent-
lichen Anschauungsweise
steht er ihm unendlich
fern. Und ebenso geht
es uns, wenn wir, ver-
blüfft durch eine gewisse
Art, farbige Flächen
gegeneinander in räum-
liche Spannung zu setzen,
zu Hofers Landschaften
hinüberschauen. Das sehr
feste Gefüge der Fuhr-
schen Bilder beruht nur
zur Hälfte oder noch
weniger auf einem Far-
benflachen-System. Wenn
wir nun aber wieder
auf das zweite Mittel
seines Bildbaues sehen,
die sehr auffällige Kon-
struktivität seines netz-
artig hervorstechenden
Liniengerüstes, das selbst-
herrlich die Flächen-
wirklichkeit seiner Far-
ben überzieht und tyran-
nisiert, so hält auch
diese zweite Parallele
nicht stand, und noch
weniger die letzte, an die
das Fuhrsche Spinnen-
netz anzuknüpfen scheint:
die Naivität der Kritze-
lei aus der Kinder-
erinnerung, die. wir so „ ,
Nachdrücklich bei Klee Fuhr, Kirche. 1831.
kennengelernt haben als
überweltlicher Absichten. Bei Fuhr ist dieses
Gekritzel unverrückbarer Bestandteil seiner Land-
schaftsverwirklichung und steht doch in einem un-
heimlichen Zusammenhang mit der Hintergrün-
digkeit und Wesenlosigkeit aller irdischen Dinge.
Weil die farbige Flächigkeit für sich nicht ein
ganzes Raumbild ausmachen kann, ebenso wenig
aber allein das Spinnengewebe der Weißen
Linien: so ergibt ihr Neben- oder übereinander
in seinen Stadtbildern ein seltsames Dilemma
zwischen Wahrheit und Dichtung, zwischen Trug
und Uberwirklichkeit, und wir werden hingerissen
von Gegenwartsbildern, die modern und weltecht
anmuten, als Abbilder heutiger Städte, und
ebenso stark uns das Spukhafte einer reinen Film-
phantasie aufdrängen.
Dieser Doppelsinn seiner Bilder wirkt ebenso
anziehend bei den reinen Erfindungen, die aus
Reiseerinnernngen bunt und willkürlich zu-
sammengestellt scheinen, wie bei den Stadtbildern,
die, wenn unser Gedächtnis nicht trügt, das
Charakteristische von Konstanz, Erfurt, Mann-
heim oder was es sei, in nachdrücklicher oder un-
auffälliger Prägung auftragen und näher der
Wirklichkeit zu stehen scheinen. Das ganz Phan-
tastische überwog bei seinem Auftreten, Anlehnung
an Wirklichkeiten zeichnet die späteren Arbeiten
im allgemeinen. Es ist indessen nicht viel Unter-
schied in der künstlerischen Bewertung beider zu
finden. Auch die Abweichungen von der Senkrechten
Mit Gen. d. Gal. Nicrendorf, Berlin
und dem rechten Winkel, die besonders früher oft
in Fuhrs Bildern erstaunen machten, haben nicht
so viel zu bedeuten, wie es den Anschein hat.
Dieses Spiel mit unsern eingeborenen Vorstellun-
gen von irdischer Stabilität sind wir ja seit van
Gogh und den Expressionisten gewöhnt gewesen.
Fnhr treibt es phantasievoll und mit geschmack-
voller Zurückhaltung; wesentlich ist es seiner
Kunst nicht. Die geht immer auf eine imaginäre
Raumvorstellung und aus das prickelnde Gleich-
gewicht zwischen Tiefen- und Flächengefühl: so
aber, daß wir das Schwanken beständig spüren,
das vor dem Eintritt der Gleichgewichtslage
stattfindet, und diese Unsicherheit uns in einer
feinen Prägung das Scheinhafte unserer ganzen
Erdenexistenz spüren läßt. Wirklichkeit sprödester
und härtester Gestalt, als Darstellung heutiger
Städte, zu reiner Irrealität vergeistigt, ist das
Wesen der Fuhrschen Malerei; und hierin tritt er
allerdings jenen großen Künstlern, mit denen wir
ihn verglichen haben, vor allem zur Seite. Da-
neben bleibt das Raffinement seiner Farben, die
erstaunlichen Kontraste schwarzer Flächen und
weißer Liniensysteme, das Besondere seiner roten,
ultramarinblauen und schwefelgelben Töne und
die herbe Anmut seiuer Spinnenlinien doch iu der
zweiten Reihe; denn der Geist und sein Aus-
druckswille ist wertvoller als die allerschönste
Offenbarung auch des kultiviertesten Geschmacks.
Schön, wenn sich beides in einem findet.
Gedanken zur Geschichte
der deutschen bildenden Kunst des IS. Mrhunderis
Von
Herbert v. Einem
Schluß aus Nr. 18.
Diese Entwicklung gibt den Hintergrund, vor
dem die Geschichte der bildenden Kunst des späten
19. Jahrhunderts in ihrer Problematik erst voll
zu verstehen und gerecht zu würdigen ist. Die
Bedingtheit einer künstlerischen Form durch den
Geist ihrer Zeit kann sich negativ oder positiv
äußern. In den bisher von uns betrachteten
Richtungen äußerte sie sich negativ. Der Zwie-
spalt zwischen der offiziellen Kunst und den
eigentlichen Tendenzen der Zeit ist offensichtlich.
Je ängstlicher sie sich abschloß, um so mehr verlor
sie an Boden und innerer Kraft, und gewillt, der
Zeit obzusiegen, fiel sie ihr ost genug zum Opfer.
Aber auch die wenigen Einsamen, die den Kamps
gegen die offizielle Kunst aufnahmen, kämpften
zugleich und mit vielleicht noch tieferer Erbitte-
rung gegen den Geist der Zeit. Die sogenannten
Deutschrömer entrückten die Kunst dem Leben und
bauten über der Wirklichkeit ein ideales Reich
eigener, freier Gesetzlichkeit. Die Künstler um
Leibl vermieden zwar das gegenständlich Beson-
dere, aber auch sie lösten ihre wirklichkeitsnahen
Themen aus dem Zusammenhang der Wirklich-
keit heraus und hielten an der Eigengesetzlichkeit
einer ganz strengen und gleichsam gegen die
Wirklichkeit gerichteten Form fest. Beide sind in
aller ihrer Verschiedenheit einig in dem Glauben
an den Bestand einer geistigen Welt, die sich mit
der Wirklichkeit nicht deckt, und setzen diesen Glau-
ben ihrer Zeit entgegen. Im Impressionismus
aber äußert sich die Bedingtheit der Kunstform
durch den Geist der Zeit Positiv. Auch auf ihm
lag die schwere Hand der offiziellen Kunst und
hinderte seine freie Entfaltung. Aber er kämpfte
doch nicht wie seine Leidensgenossen zugleich den
hoffnungslosen Kampf gegen die Zeit. In ihm
findet vielmehr die Zeit ihren eigentlichen künst-
lerischen Ausdruck. Der Impressionismus
repräsentiert in der Kunst die Entwicklungs-
tendenz und den Geist des späten 19. Jahr-
hunderts. Seine entscheidende künstlerische
Leistung und zugleich das, was ihn grundsätzlich
von der Kunst der Deutschrömer und des Kreises
der Künstler um Leibl trennt, ist, negativ, die
Preisgabe jener autonomen geistigen Welt, von
der wir gesprochen haben, Positiv, die entschlossene
Hinwendung zu dem Bereich des bloß Sichtbaren,
des bloß Erscheinenden, zur Augenwirklichkeit,
und ihre Eroberung für die Kunst. Wie der Geist
des späteren 19. Jahrhunderts einer doppelten Wer-
tung bedarf, so auch die Kunst des Impressionis-
mus. Aus der einen Seite bedeutet er eine un-
geheuere Verarmung. Die Bezirke des Geistigen,
des Religiösen, des Symbolischen, aus denen die
Kunst jahrhundertelang ihre Kraft geschöpft hatte,
sind für ihn verloren. Die Kunst wird im höch-
sten Grade unfähig, Gemeinschaftskunft zu sein.
Auf der anderen Seite aber bedeutet der Im-
pressionismus eine große Bereicherung. Indem
er die bisherige Art, Bilder zu komponieren
(ganz gleichgültig, ob es sich um freie dichterische
Erfindung oder um bildmäßige Verarbeitung von
Naturmotiven handelt) ablehnt, und durch seine
Methode der sogenannten Freilichtmalerei (also
des Malens vor der Natur) die ganze Unmittel-
barkeit und Zufälligkeit seines künstlerischen Vor-
wurfes zu erhalten sucht, schärfte er in bisher
unerhörter Weise die Empfindlichkeit des Auges
und entdeckte eine Welt von Schönheit, deren
Darstellung der bisherigen Kunst versagt geblie-
ben war. So eng in gewissem Betracht diese
neue Welt sein mag, es ist dem Impressionismus
gelungen, sie künstlerisch zu legitimieren.
Man kann nicht über den Impressionismus
sprechen, ohne nicht wenigstens mit einem Wort
die Frage seiner Beziehung zu den sozialen
Problemen und Tendenzen der Zeit zu berühren.
In seinen Anfängen beobachten wir eine Bevor-
zugung sozialer Themen. Aber man darf nicht
übersehen, daß diese Themenwahl in erster Linie
künstlerisch bedingt ist, daß sie nicht etwa einem be-
sonderen sozialen Mitgefühl entspricht, oder gar
den Impressionismus als Arbeiterkunst erweist.
Die Kampsesstellung des Impressionismus gegen
die offizielle Kunst führte zunächst dazu, die prinzi-
pielle Gleichordnung des Gegenständlichen überzu-
betonen durch Bevorzugung des bisher von der
Kunst Verachteten, des jozial Niedrigen, des Häß-
lichen, des Gewöhnlichen, des Gemeinen. Insofern
brachte er der Kunst eine stoffliche Bereicherung,
deren wichtigste die Entdeckung des Arbeiters als
künstlerischen Gegenstandes ist. Der arbeitende
Mensch, den die frühere Kunst nicht kennt, löst den
genießenden und den romantisch träumenden ab.
Führte diese Bevorzugung sozialer Themen zu
einer gelegentlichen Heroisierung des Arbeiters, w
liegt diese doch nicht in der eigentlichen Absicht des
Impressionismus. Denu Heroismus bedeutet
Überschreitung der vom Impressionismus gesetzten
Grenzen, bedeutet Anerkenntnis eines Geistes, den
man gerade zu überwinden trachtete. Die Phase
sozialer Malerei wird denn auch bald überwunden
und weicht stofflicher Gleichgültigkeit.
V.
Eine entwicklungsgeschichtliche Darstellung hat
immer den Fehler, daß sie ihre Aufgabe, in der
Vielfalt der Erscheinungen die Einheit des Wesens
und in dem bunten Spiel der Überschneidungen
die Notwendigkeit des Weges aufzuweisen, nur
durch den Verzicht auf die Darstellung eben jener
Vielfalt und Buntheit erfüllen kann. Diese
Schwierigkeit besteht auch bei dem Versuch, ein
Bild der Kunstentwicklung der jüngsten Zeit zu
entwerfen. Ja, sie ist hier besonders groß, inso-
fern in der Gegenwart die Überschneidung und
das Nebeneinander entwicklungsgeschichtlich nach-
einander gehöriger Richtungen (wohinzu noch das
Phänomen bewußt und unbewußt rückläufiger Be-
strebungen kommt) besonders groß ist. Aber viel-
leicht geben wir hier, wo wir selbst mitten in dem
fast undurchsichtigen Gewirr widersprechender Er-
scheinungen stehen, und berechtigt und unberechtigt
leidenschaftlich Partei ergreifen, eine Darstellung
willig Preis, die nur das, wovon wir selbst Augen-
zeugen sind, lebendiger reproduziert, und wenden
uns gern einer Betrachtung zu, die uns die Mög-
lichkeit gibt, unbeirrt von Parteiname und Tages-
meinung hinter der verwirrenden Oberfläche den
wahren Kern und hinter der scheinbaren Sinn-
losigkeit den Sinn zu erkennen. Wenn Verein-
fachung des Vielfältigen sonst ein Mangel ist, so
mag sie hier zum besonderen Bedürfnis werden.
Die neue Kunst, die man mit dem Schlagwort
Expressionismus nur sehr ungenügend bezeichnet,
setzt in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts
mit dem Spätwerk des großen Franzosen Paul
Cezanne ein. Van Gogh, der Holländer, und
Munch, der Norweger, folgen. In Deutschland
sind Christian Rohlfs und Emil Nolde ihre
ältesten Wortführer. Neben ihnen schafft der Kreis
der sog. „Brücke", ferner Paula Modersohn, Ernst
Barlach u. a. Zwischen 1900 und 1910 ist die neue
Bewegung in ihrer Zielsetzung fest ausgeprägt
(wobei mau freilich nicht vergeßen darf, daß die;e
ganze leidenschaftliche und tiefgreifende Ausein-
andersetzung hinter der Fassade der offiziellen
Kunst und ohne Kontakt mit der breiteren Öffent-
lichkeit sich vollzieht). Im gleichen Jahrzehnt be-
ginnen mit der Gründung des ,og. „Blauen
Reiters" die abstrakten Bestrebungen, die sich in
ganz verschiedener Form in Künstlern wie
Kandinsky, Marc, Feininger, Klee u. a. zeigen.
Diese ganze neue Kunst ist ein einziger Versuch,
den Impressionismus und m ihm den Geist des
19. Jahrhunderts zu überwinden und die Grund-
lagen zu einem neuen Beginn zu legen. Hatte
der Impressionismus die Bezirke des Religiösen,
des Geistigen, des Symbolischen aus der Kunst
ausgeschlossen, so suchte der Expressionismus sie
zurückzugewinnen. War der Impressionismus in
jeiner Leugnung einer geistigen, dem Wechsel
entzogenen Welt so weit vorgeschritten, daß er
auch in dem engen ihm gebliebenen Reich die
Festigkeit der Formen bis ins letzte auflockerte und
löste, indem er sie nicht mehr als unveränderliche
Substanzen, sondern als Produkte wechselnder Be-
dingungen betrachtete, so suchte der Expressionis-
mus, angewidert von solcher das Ewige negieren-
den Tendenz, aufs neue nach einer zeitlichem
Wandel enthobenen Ordnung und Gesetzlichkeit.
Hatte der Impressionismus mehr und mehr
sich von allen Funktionen der Kunst im Dienst
einer wie auch gearteten Gesamtheit losgesagt, war
er, je konsequenter er sich ausbildete, um so mehr
zu dem verfeinerten Instrument eines bloß indi-
viduellen ästhetischen Genußbedürfnisses geworden,
so suchte der Expressionismus diese Funktionen
wieder erlist zu nehmen und weniger ästhetischen
Genuß als seelischer Erschütterung zu dienen. —
Mit diesen Tendenzen verfolgte die Kunst (das
kann hier freilich nur angedeutet werden) nichts
anderes, als was wir in der gleichzeitigen Philo-
sophie und Dichtung beobachten können. Die
Philosophie, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts
immer stärker von der Naturwissenschaft ver-
drängt worden war, beginnt um die Wende des
20. Jahrhunderts wieder ihr Haupt zu heben und
dem naturwissenschaftlichen funktionellen Denken
ein neues substantielles Denken entgegenzustellen.
Die Dichtung sagt sich in Dichtern wie Stefan