2
Kun st der Nation
Karl Knappe, Entwurf für ein Portal einer landwirtschastl. Fachschule
Die Böttcherstrabe in Bremen, Dachterrasse des Paula Becker-
Modcrsohn-Hauscs
die
in
sich eine Architekturplastik im klassischen Sinne
versagt. Die moderne Architektur bedarf keiner
plastisch-bildhaften „Belebung" und die Versuche,
aneinander -m bin-
den, führen meist und nur zu leicht ms äußerlich
Dekorative. Die Plastik wird nicht zum notwen-
digen Architekturdetail wie an Renaissance- und
Barockballten, sondern zur untergeordneten, ja
störenden Dekoration, in der die Plastik ihr Eigen-
leben nicht mehr entwickeln kann. Knappe hat
diese Situation begriffen und Wege zu einer neuen
Lösung des Problems gesucht. Er hat neue Mög-
lichkeiten gezeigt, bei denen allerdings die Plastik
einen guten Teil ihres Eigenlebens opfert. Denn
sonst gibt es nur noch eine Möglichkeit, die der
Plastik ihren Eigenwert nicht beschneidet: daß
Plastik und Architektur völlig selbständig ein-
ander gegenübertreten, das heißt, daß
Architektur nur den Raum hergibt,
dem die Plastik, die „Rundplastik" die dyna-
mische Auswirkung findet, die sie von Natur aus
hat. Mies von der Rohe hat für diese
Lösung vortreffliche Beispiele gegeben in seinem
Ausstellungspavillon in Barcelona und früher
schon in dem Stuttgarter Glasraum. Hier bleibt
die Plastik ein selbständiges Wesen, dem der Raum
zur Auswirkung und Entwicklung dieses Eigen-
lebens dient. Es ist vollkommen falsch, zu behaup-
ten, die moderne Architektur sei grundsätzlich bild-
feindlich. Sie ist es so wenig wie der japanische
Jnnenraum, in dem die glatte ornamentlose Wand
eine ganz ähnliche ästhetische Funktion hat, wie in
der neuen Architektur. Im Gegenteil steigert der
moderne Raum das Eigenleben von Bild und
Plastik, er fordert es geradezu. Doch gibt es
Fälle, in denen eine stärkere Bindung des Plasti-
schen an die Architektur notwendig erscheint, wo
ein Bedürfnis nach dem Bildhaften besteht, das
mit den Gestaltungsgesetzen der modernen Archi-
tektur in Einklang gebracht werden muß. Hier hat
Knappe neben — und wir glauben noch vor Lud-
wig Gies — neue Möglichkeiten gezeigt und zur
Diskussion gestellt.
1926 schuf Knappe für Theodor Fischers Ledi-
genheim in München „Z i e g e l s ch n i t t e". Es
handelt sich dabei um Negativ-Reliefs,
die dem feuchten Lehmziegel vor dem Brand ein-
gegraben werden. (Man erinnere sich der babylo-
nischen Ziegelreliefs, die umgekehrt als hohes Re-
lief aus den Lehmziegeln geformt sind.) Das
Plastische wird dem Bau untergeordnet, das Bild
steckt in der Wand, wird aus ihr herausgeholt.
Eine gute Lösung, wo es sich etwa um die An-
bringung einer Art von Signet, eines andeuten-
den Symbols an einem Bau handelt, wie bei einem
Negativrelief in Kalkstein, das Knappe für Vor-
hoelzers Postbau an der Tegernseerlandstraße in
München schuf (vgl. Kunst der Nation II. I.
Nr. 11).
Am großartigsten hat Knappe seine Idee des
eingegrabenen Bildes und einer strengen Bindung
des Plastischen an die Architektur in dem Münch-
ner Mahnmal des Krieges verwirklicht. Hier hatte
diese besondere Gestaltungsart einen eigenen Sinn,
den Knappe mit folgenden Worten deutet:
„Proportion und Raum entstanden aus der
Begegnung heraus mit dem, was wir meinen:
das Gedenken an den Krieg ... Es hat eine Zeit
gegeben, die das Vaterland als Figur darstellte,
darunter aber stand geschrieben „Patria". Das
Vaterland ist nie eine Figur, sondern ein Zustand,
Rhythmus schien ihm die beweisstarke Analogie
zum Leben.
Die lang gefundene Erkenntnis, daß die ver-
schiedenen Schichten menschlicher Ordnung und
menschlichen Bewußtseins gleichzeitig nach eigenem
Gesetz tätig sind — oft gegeneinander, stets un-
vergleichbar —, zerstört nur langsam das schön-
flächige Bild eines ausgleichenden, alles mit-
reißenden Entwicklungsstromes.
Überblickt man nur die deutsche Kunst der
letzten Jahrzehnte, und von den vollwertigen
Leistungen sei die Rede: nie wird sie sich diesen
einfachen Geschichtsschemen zuordnen. Ein kom-
pliziertes Getriebe; rasender Aufbruch und plötz-
liches Versiegen, verquältes Zurückdämmen und
die Gier nach vorne, Tumult und Stille. Im
größten Glück, derselben Qual oder in vollem
Übermut wurden alle Möglichkeiten bis zum letz-
ten geprobt, so daß wir heute die Hände leer
haben. Die Entstchungsgründe waren nie so
zahlreich, so konträr, lagen in so verschiedenen
Ebenen. Individuum und Gruppe, Führer und
Gemeinschaft, Volk und Sonderling, Klasse, Na-
tion, Landschaft und Welt; dumpfe Ahnung aus
dem Mutterboden und letzte glasbrüchige Span-
nung europäischer Geistigkeit; Leben und Zahl,
Trieb und Gestalt, Spiellnst und Gewissenszwang,
alle Grade der Primitivität und der Zucht, Ost-
West, Nord-Süd und hundert andere Kräfte und
Formen wirken für sich, zusammen, gegeneinander
und in allen Überschneidungen. Nur mit Mühe
und Zugeständnis lassen sich Gesetze finden. Eine
„Einheit", etwa als Stilbegrifs oder Entwick-
lungsgrade, läßt sich positiv sicher nicht formu-
lieren.
Eine klar sich abhebende Sonderstellung nimmt
nur die neue Architektur ein. Ihre Anfänge hat
man in der Revolutionsarchitektur Le Douxs, in
den Bauten Gillys auf brandenburgischem Kolo-
nistenboden und den mächtigen Staatsgebänden
der Planstadt Petersburg erkannt. Eine geistige
Gemeinschaft europäischer Architekten begründete
den neuen Stil. Die neue Bauidee des in sich
geschlossenen Blocks war gefunden und besaß so
viel Keimkraft, daß sie die Entwicklung der Archi-
tektur bis in unsere Tage Vortrieb und bestimmte.
Wurde sie zwar in der Folgezeit durch den Histo-
rismus überwuchert — nicht unterdrückt —, so
entstand sie um die letzte Jahrhundertwende durch
den reinigenden Geist der Technik in neu gereifter
Klarheit. So ist die neue Bauform keinesfalls
erdacht, von wenigen Reißbrettgespinsten ab-
gesehen, sondern durch die Jahrhunderte gewach-
sener Stil, gewachsen allerdings auf einer euro-
päischen Plattform, doch mit so zwingender Im-
manenz und Folgerichtigkeit, daß jenes vorhin
skizzierte Geschichtsideal an ihr glänzende Bestäti-
gung fand. Um 1780 verdichtete sich das antike
Erbgut zu neuem abendländischen Stilpathos, be-
gründete eine lange Entwicklung, die getragen
wurde von den Ideen des Zwecks, des Fort-
schritts, der Ökonomie, der Schönheit, und ihre
geistvollste Prägung in der Architektur fand. So-
und Städtewesen, solange qs
One selbstherrliche Industrie llno etuc emanzi-
pierte Technik geben wird, solange wird auch diese
Architektur ihr künstlerisches Recht behalten.
Unsere tief begründeten Wünsche und Hoffnun-
gen liegen ja heute ganz woanders, doch wenn
auch der Glaube immer mehr erstarkt, daß das
Abendland mit seinen geistigen Fortschrittswerten
die letzten Konsequenzen aus sich gezogen hat,
wir können es und damit uns nicht verleugnen.
Die an dieser neuen Architektur schöpferisch täti-
gen Nationen, Österreich, die Niederlande,
Deutschland und Frankreich, sie haben ihr nur
Färbung, nicht Wesen zu geben vermocht. Die
männliche Sicherheit des Bewußtseins hatte, wo
es nur zweckgebundene Dinge ging, ein leichtes
Spiel gegen den Zweifel im Blut. Aus dieser
Stärke nahm sie sich ihr Recht; ihr Alleinrecht, so
scheint es, denn während wir in allen anderen
Künsten den elementaren Ausbruch der Grund-
und Volksmächte erlebten, ihrer Art widersprach
es, über Untiefen und dunkle Schächte sich zu
erheben, und alles, was nicht in ihrer klaren Ge-
setzmäßigkeit aufging, hat sie aus ihrem Gesamt-
bereich ausgeschieden. So mischt sich in die schöne
Gewißheit, unsere Zeit
besitzt eine geschlossene,
festgefügte Architektur,
die trübe Erkenntnis, es
ging aus Kosten gerade
der Werte, die heute
unsere größte Hoffnung
sind.
Ein nur leichtes Ge-
gengewicht erhält sie in
anpassungsbcreiten Sied-
lungs- und Landbauten
(Schmitthenner u. a.); es
entstand da manch hübsche
Leistung, sauber, selbst-
los und geftaltfern, und
wo der primitive und
lebendige Instinkt des
ländlichen Bauhandwer-
kers Wohl für immer er-
losch, da ist sie als einzige
Möglichkeit dankbar zu
begrüßen. Doch lassen
wir einmal die Pro-
gramme beiseite und sehen
wir klar: Nicht wirkliche
Schöpfungskraft, sondern
geschmackvolle Anempfin-
dung ist hier am Werke
Da aber nun einmal
Sentiment und Leben
verfeindet und künstle-
rische Werte Lebenswerte
sind, so ist ihr die an-
fpruchsvolle Höhe künst-
lerischer Gestaltung ver-
sagt und ihr Gewicht
schlägt nicht aus.
Formtrieb der Rasse
konnte nur im freien
Mal- und Bildwerk sich
entladen, während der
unwiderlegbare Zweck-
gedanke die Architekten
ein Aufenthalt oder Liebe
oder Ort. Und auch der
Krieg und seine Toten
sind nicht Augenweide
(Knappe meint: nicht
bildhaft darzustellen, etwa
durch die Figur eines
Kriegers oder sonstige
Sinnbilder), sondern Er-
innerung air ein Ge-
schehen. Und das Ge-
schehen ist kein Bild, son-
dern in der Erinnerung
hält es uns auf, und hier
(das Denkmal) soll der
Ort sein. Die Menschen,
die an einem Denkmal
aus anderer Zeit, aus an-
derem Sinn stehen, be-
gegnen sich nicht, sondern
schauen alle hinauf zu
einer Sache und stehen
um die Sache. Hier aber
begegnen sie sich unter-
einander zwischen glei-
chem Geschehen. Und es
ist kein Ort der Deu-
tungen von Bildern,
sondern ein einfachstes:
Auch Du!"
In der Tat ist dieses
Gefallenenmal weniger
ein „Denkmal" und was
wir uns unter diesem
Begriff gemeinhin vor-
stellen, als eine Stätte
der Sammlung und Ein-
kehr. Es ist ein Grab in
einem großen vertieften
Ehrenhof, in dessen
Wände die Namen der
Gefallenen und negativ-
schnitte des marschieren-
den Heeres eingegraben
sind. Jede Einzelheit ist
in diesen Schnitten in ab-
strakte Wirklichkeitsferne
gerückt. Der Mensch, der
in diesen Ehrenhof hinab-
fteigt, aber hat die „Be-
gegnung" mit den Toten
und dem marschierenden
Heere als einer gewal-
tigen, wogenden, in eine
Richtung drängenden
Masse.
Knappe schnf auch
„Rundplastiken". Sie sind
weniger auf das Spiel
des Volumens gestellt und
die kubische Funktion, die sich nach allen Seiten
gleichmäßig regt, als auf bestimmte, höchst geist-
volle uud originelle Sondereffekte. Seine Porträt-
köpke von Mar Liebermann oder des Malers Karl
East/ no niczn in oein yerwunw - > ' v '
Plastik, fondern in plastische Ausdrucksformen mm
gegossene Impressionen. Erstaunlich in der Knapp-
heit der skizzenhaften Charakteristik.
Architekturschicksal
Es ist eine alte Gewohnheit und wird wohl
immer Bedürfnis bleiben, die Ordnung künstleri-
scher Leistungen zuerst in zeitlicher Reihenfolge
vorzunehmen. Marr sah: das Erbe von Erfah-
rung und Gewinn trat der Vater dem Sohn, der
Meister dem Schüler ab. So entstand das Ideal
eines Geschichtsbildes, in dem alles au wenige
ununterbrochene Entwicklungslinien geknüpft ist,
eins aus dem anderen wuchs und den Keim zum
nächsten in sich barg. Versteckt oder offen wirkt
in ihm der Fortschrittsgedanke, in den nun einmal
der europäifche Mensch — ob er will oder nicht —
hineingeboren ist. Jene logisch-saubere, vor-
bestimmte, lückenlose Stetigkeit bestach seinen In-
tellekt, und das Wachsen und Weiterschreiten im
(Cornelius Ourlitt 85 alt
Die Gedanken Cornelius Gurlitts wirken, wie
der Artikel auf S. 1 zeigt, heute wie vor vierzig
Jahren gleich bedeutend und anregend. Er voll-
endet am 1. Januar 1935 sein 85. Lebensjahr. Als
Sohn des Landschaftsmalers Louis Gurlitt aus
niedersächsischem Handwerkergeschlecht lehrte und
schrieb er damals schon über die Bedeutung der
deutschen Barockarchitektur, als deren Wiederent-
decker er gilt. In Wort und Schrift kämpfte er
für Denkmalpflege und Heimatschutz. Als Ehren-
präsident der deutschen Akademie für Städtebau
und Präsident des Bundes deutscher Architekten
(BDA.) ist er für den Aufbau des Berufsschutzes
der Architektenfchast im Sinne der Reichskammer
der Bildenden Künste stets eingetreten. Gurlitts
Persönlichkeit ist durchdrungen von dem Geiste des
Handwerkers, Künstlers und Forschers. Ein ur-
wüchsiges Ethos der Pflicht führte ihn immer zum
Dienst an Volk und Vaterland.
unter ihr eisiges Primat zwang. Wie kann da
diese verzweifelte Antinomie gelöst, wie jene ge-
forderte Bodenständigkeit und jenes ersehnte
Bluterbe erfüllt werden? Die Antwort enthüllt
ein tragisches Schicksal, denn es standen notwendig
Pate bei einer volksgebundenen Architektur, die
nicht geistgesetzt, sondern aus dem Triebe geboren
wurde, Zufall und Ausnahme: Ein eigenwilliger
Baumeister mußte vom plastischen Handwerk
kommen, denn nur eine bildende Begabung kann
heute der Architektur urwüchsige Energien ein-
geben; ein uneigennütziger Bauherr, indem er
Idee und Gesinnung vor Zweck und Profit stellte,
mußte dieser bildenden Gestaltungskraft soviel
Freiheit belassen, daß sie nicht Beigabe und auf-
geklebtes Ornament, sondern Bau wurde, mit
Die Böttcherstratze in Bremen, Roseliushaus
ihm verwuchs. Als Roselius die Errichtung des
Paula-Modersohn-Becker-Hauses in Bremen Hoet-
ger übertrug, trat einmal dieser Glücksfall ein.
Hoetgers Bauteil in Bremen und Worpswede sind
in diesem Jahrhundert die einzigen, für die „Blut
und Boden" kein gehetztes Schlagwort ist. Diese
Behauptung scheint im ersten Moment sehr über-
trieben, besonders wenn man weiß, wie mancher
Deutsche vor dieser Wildheit erschrak. Doch was
er als skurril und absonderlich ansah, war plötz-
licher Ausbruch uralter Gewalten, die den nor-
dischen Menschen oft genug aufrieben und zum
Irrsinn führten, wo er sie nicht gewaltsam unter-
drückte. Ihre Ablehnung erfolgt oft aus un-
bewußter Angst vor dem ewig Friedlosen, und so
hielt er sich lieber an die glückvolle Sicherheit
abendländischer Schönheitsgesetze. Auch haben
Zweck- und Stofsbesessenheit unsere Augen und
damit das Erleben echter Formkräfte beständiger
Volkheit verdorben, so daß der eigne „Bruder im
Blut" selbst heute noch verkannt und verfolgt
wird. Wer jemals die angstgetriebene Unendlich-
keitssucht spätgcrmanischer Bandornamentik ver-
folgt oder in die schwindelnden Architekturphan-
tasien Ditterlins hineingesehen oder das abstruse
Nollwerk in Bückeburg erlebt hat, der wird auch
am Pausla-Modersohn-Becker-Haus dieselbe aus
verschütteten Tiefen gewaltsam empordrängende
Kraft am Werke finden, unbändig und mit all
den Schlacken und Unreinlichkeiten, wie sie einen
Ausbruch immer begleiten. Sie treibt den Bau
vor und zurück, buckelt und wellt, dehnt und häuft
Kun st der Nation
Karl Knappe, Entwurf für ein Portal einer landwirtschastl. Fachschule
Die Böttcherstrabe in Bremen, Dachterrasse des Paula Becker-
Modcrsohn-Hauscs
die
in
sich eine Architekturplastik im klassischen Sinne
versagt. Die moderne Architektur bedarf keiner
plastisch-bildhaften „Belebung" und die Versuche,
aneinander -m bin-
den, führen meist und nur zu leicht ms äußerlich
Dekorative. Die Plastik wird nicht zum notwen-
digen Architekturdetail wie an Renaissance- und
Barockballten, sondern zur untergeordneten, ja
störenden Dekoration, in der die Plastik ihr Eigen-
leben nicht mehr entwickeln kann. Knappe hat
diese Situation begriffen und Wege zu einer neuen
Lösung des Problems gesucht. Er hat neue Mög-
lichkeiten gezeigt, bei denen allerdings die Plastik
einen guten Teil ihres Eigenlebens opfert. Denn
sonst gibt es nur noch eine Möglichkeit, die der
Plastik ihren Eigenwert nicht beschneidet: daß
Plastik und Architektur völlig selbständig ein-
ander gegenübertreten, das heißt, daß
Architektur nur den Raum hergibt,
dem die Plastik, die „Rundplastik" die dyna-
mische Auswirkung findet, die sie von Natur aus
hat. Mies von der Rohe hat für diese
Lösung vortreffliche Beispiele gegeben in seinem
Ausstellungspavillon in Barcelona und früher
schon in dem Stuttgarter Glasraum. Hier bleibt
die Plastik ein selbständiges Wesen, dem der Raum
zur Auswirkung und Entwicklung dieses Eigen-
lebens dient. Es ist vollkommen falsch, zu behaup-
ten, die moderne Architektur sei grundsätzlich bild-
feindlich. Sie ist es so wenig wie der japanische
Jnnenraum, in dem die glatte ornamentlose Wand
eine ganz ähnliche ästhetische Funktion hat, wie in
der neuen Architektur. Im Gegenteil steigert der
moderne Raum das Eigenleben von Bild und
Plastik, er fordert es geradezu. Doch gibt es
Fälle, in denen eine stärkere Bindung des Plasti-
schen an die Architektur notwendig erscheint, wo
ein Bedürfnis nach dem Bildhaften besteht, das
mit den Gestaltungsgesetzen der modernen Archi-
tektur in Einklang gebracht werden muß. Hier hat
Knappe neben — und wir glauben noch vor Lud-
wig Gies — neue Möglichkeiten gezeigt und zur
Diskussion gestellt.
1926 schuf Knappe für Theodor Fischers Ledi-
genheim in München „Z i e g e l s ch n i t t e". Es
handelt sich dabei um Negativ-Reliefs,
die dem feuchten Lehmziegel vor dem Brand ein-
gegraben werden. (Man erinnere sich der babylo-
nischen Ziegelreliefs, die umgekehrt als hohes Re-
lief aus den Lehmziegeln geformt sind.) Das
Plastische wird dem Bau untergeordnet, das Bild
steckt in der Wand, wird aus ihr herausgeholt.
Eine gute Lösung, wo es sich etwa um die An-
bringung einer Art von Signet, eines andeuten-
den Symbols an einem Bau handelt, wie bei einem
Negativrelief in Kalkstein, das Knappe für Vor-
hoelzers Postbau an der Tegernseerlandstraße in
München schuf (vgl. Kunst der Nation II. I.
Nr. 11).
Am großartigsten hat Knappe seine Idee des
eingegrabenen Bildes und einer strengen Bindung
des Plastischen an die Architektur in dem Münch-
ner Mahnmal des Krieges verwirklicht. Hier hatte
diese besondere Gestaltungsart einen eigenen Sinn,
den Knappe mit folgenden Worten deutet:
„Proportion und Raum entstanden aus der
Begegnung heraus mit dem, was wir meinen:
das Gedenken an den Krieg ... Es hat eine Zeit
gegeben, die das Vaterland als Figur darstellte,
darunter aber stand geschrieben „Patria". Das
Vaterland ist nie eine Figur, sondern ein Zustand,
Rhythmus schien ihm die beweisstarke Analogie
zum Leben.
Die lang gefundene Erkenntnis, daß die ver-
schiedenen Schichten menschlicher Ordnung und
menschlichen Bewußtseins gleichzeitig nach eigenem
Gesetz tätig sind — oft gegeneinander, stets un-
vergleichbar —, zerstört nur langsam das schön-
flächige Bild eines ausgleichenden, alles mit-
reißenden Entwicklungsstromes.
Überblickt man nur die deutsche Kunst der
letzten Jahrzehnte, und von den vollwertigen
Leistungen sei die Rede: nie wird sie sich diesen
einfachen Geschichtsschemen zuordnen. Ein kom-
pliziertes Getriebe; rasender Aufbruch und plötz-
liches Versiegen, verquältes Zurückdämmen und
die Gier nach vorne, Tumult und Stille. Im
größten Glück, derselben Qual oder in vollem
Übermut wurden alle Möglichkeiten bis zum letz-
ten geprobt, so daß wir heute die Hände leer
haben. Die Entstchungsgründe waren nie so
zahlreich, so konträr, lagen in so verschiedenen
Ebenen. Individuum und Gruppe, Führer und
Gemeinschaft, Volk und Sonderling, Klasse, Na-
tion, Landschaft und Welt; dumpfe Ahnung aus
dem Mutterboden und letzte glasbrüchige Span-
nung europäischer Geistigkeit; Leben und Zahl,
Trieb und Gestalt, Spiellnst und Gewissenszwang,
alle Grade der Primitivität und der Zucht, Ost-
West, Nord-Süd und hundert andere Kräfte und
Formen wirken für sich, zusammen, gegeneinander
und in allen Überschneidungen. Nur mit Mühe
und Zugeständnis lassen sich Gesetze finden. Eine
„Einheit", etwa als Stilbegrifs oder Entwick-
lungsgrade, läßt sich positiv sicher nicht formu-
lieren.
Eine klar sich abhebende Sonderstellung nimmt
nur die neue Architektur ein. Ihre Anfänge hat
man in der Revolutionsarchitektur Le Douxs, in
den Bauten Gillys auf brandenburgischem Kolo-
nistenboden und den mächtigen Staatsgebänden
der Planstadt Petersburg erkannt. Eine geistige
Gemeinschaft europäischer Architekten begründete
den neuen Stil. Die neue Bauidee des in sich
geschlossenen Blocks war gefunden und besaß so
viel Keimkraft, daß sie die Entwicklung der Archi-
tektur bis in unsere Tage Vortrieb und bestimmte.
Wurde sie zwar in der Folgezeit durch den Histo-
rismus überwuchert — nicht unterdrückt —, so
entstand sie um die letzte Jahrhundertwende durch
den reinigenden Geist der Technik in neu gereifter
Klarheit. So ist die neue Bauform keinesfalls
erdacht, von wenigen Reißbrettgespinsten ab-
gesehen, sondern durch die Jahrhunderte gewach-
sener Stil, gewachsen allerdings auf einer euro-
päischen Plattform, doch mit so zwingender Im-
manenz und Folgerichtigkeit, daß jenes vorhin
skizzierte Geschichtsideal an ihr glänzende Bestäti-
gung fand. Um 1780 verdichtete sich das antike
Erbgut zu neuem abendländischen Stilpathos, be-
gründete eine lange Entwicklung, die getragen
wurde von den Ideen des Zwecks, des Fort-
schritts, der Ökonomie, der Schönheit, und ihre
geistvollste Prägung in der Architektur fand. So-
und Städtewesen, solange qs
One selbstherrliche Industrie llno etuc emanzi-
pierte Technik geben wird, solange wird auch diese
Architektur ihr künstlerisches Recht behalten.
Unsere tief begründeten Wünsche und Hoffnun-
gen liegen ja heute ganz woanders, doch wenn
auch der Glaube immer mehr erstarkt, daß das
Abendland mit seinen geistigen Fortschrittswerten
die letzten Konsequenzen aus sich gezogen hat,
wir können es und damit uns nicht verleugnen.
Die an dieser neuen Architektur schöpferisch täti-
gen Nationen, Österreich, die Niederlande,
Deutschland und Frankreich, sie haben ihr nur
Färbung, nicht Wesen zu geben vermocht. Die
männliche Sicherheit des Bewußtseins hatte, wo
es nur zweckgebundene Dinge ging, ein leichtes
Spiel gegen den Zweifel im Blut. Aus dieser
Stärke nahm sie sich ihr Recht; ihr Alleinrecht, so
scheint es, denn während wir in allen anderen
Künsten den elementaren Ausbruch der Grund-
und Volksmächte erlebten, ihrer Art widersprach
es, über Untiefen und dunkle Schächte sich zu
erheben, und alles, was nicht in ihrer klaren Ge-
setzmäßigkeit aufging, hat sie aus ihrem Gesamt-
bereich ausgeschieden. So mischt sich in die schöne
Gewißheit, unsere Zeit
besitzt eine geschlossene,
festgefügte Architektur,
die trübe Erkenntnis, es
ging aus Kosten gerade
der Werte, die heute
unsere größte Hoffnung
sind.
Ein nur leichtes Ge-
gengewicht erhält sie in
anpassungsbcreiten Sied-
lungs- und Landbauten
(Schmitthenner u. a.); es
entstand da manch hübsche
Leistung, sauber, selbst-
los und geftaltfern, und
wo der primitive und
lebendige Instinkt des
ländlichen Bauhandwer-
kers Wohl für immer er-
losch, da ist sie als einzige
Möglichkeit dankbar zu
begrüßen. Doch lassen
wir einmal die Pro-
gramme beiseite und sehen
wir klar: Nicht wirkliche
Schöpfungskraft, sondern
geschmackvolle Anempfin-
dung ist hier am Werke
Da aber nun einmal
Sentiment und Leben
verfeindet und künstle-
rische Werte Lebenswerte
sind, so ist ihr die an-
fpruchsvolle Höhe künst-
lerischer Gestaltung ver-
sagt und ihr Gewicht
schlägt nicht aus.
Formtrieb der Rasse
konnte nur im freien
Mal- und Bildwerk sich
entladen, während der
unwiderlegbare Zweck-
gedanke die Architekten
ein Aufenthalt oder Liebe
oder Ort. Und auch der
Krieg und seine Toten
sind nicht Augenweide
(Knappe meint: nicht
bildhaft darzustellen, etwa
durch die Figur eines
Kriegers oder sonstige
Sinnbilder), sondern Er-
innerung air ein Ge-
schehen. Und das Ge-
schehen ist kein Bild, son-
dern in der Erinnerung
hält es uns auf, und hier
(das Denkmal) soll der
Ort sein. Die Menschen,
die an einem Denkmal
aus anderer Zeit, aus an-
derem Sinn stehen, be-
gegnen sich nicht, sondern
schauen alle hinauf zu
einer Sache und stehen
um die Sache. Hier aber
begegnen sie sich unter-
einander zwischen glei-
chem Geschehen. Und es
ist kein Ort der Deu-
tungen von Bildern,
sondern ein einfachstes:
Auch Du!"
In der Tat ist dieses
Gefallenenmal weniger
ein „Denkmal" und was
wir uns unter diesem
Begriff gemeinhin vor-
stellen, als eine Stätte
der Sammlung und Ein-
kehr. Es ist ein Grab in
einem großen vertieften
Ehrenhof, in dessen
Wände die Namen der
Gefallenen und negativ-
schnitte des marschieren-
den Heeres eingegraben
sind. Jede Einzelheit ist
in diesen Schnitten in ab-
strakte Wirklichkeitsferne
gerückt. Der Mensch, der
in diesen Ehrenhof hinab-
fteigt, aber hat die „Be-
gegnung" mit den Toten
und dem marschierenden
Heere als einer gewal-
tigen, wogenden, in eine
Richtung drängenden
Masse.
Knappe schnf auch
„Rundplastiken". Sie sind
weniger auf das Spiel
des Volumens gestellt und
die kubische Funktion, die sich nach allen Seiten
gleichmäßig regt, als auf bestimmte, höchst geist-
volle uud originelle Sondereffekte. Seine Porträt-
köpke von Mar Liebermann oder des Malers Karl
East/ no niczn in oein yerwunw - > ' v '
Plastik, fondern in plastische Ausdrucksformen mm
gegossene Impressionen. Erstaunlich in der Knapp-
heit der skizzenhaften Charakteristik.
Architekturschicksal
Es ist eine alte Gewohnheit und wird wohl
immer Bedürfnis bleiben, die Ordnung künstleri-
scher Leistungen zuerst in zeitlicher Reihenfolge
vorzunehmen. Marr sah: das Erbe von Erfah-
rung und Gewinn trat der Vater dem Sohn, der
Meister dem Schüler ab. So entstand das Ideal
eines Geschichtsbildes, in dem alles au wenige
ununterbrochene Entwicklungslinien geknüpft ist,
eins aus dem anderen wuchs und den Keim zum
nächsten in sich barg. Versteckt oder offen wirkt
in ihm der Fortschrittsgedanke, in den nun einmal
der europäifche Mensch — ob er will oder nicht —
hineingeboren ist. Jene logisch-saubere, vor-
bestimmte, lückenlose Stetigkeit bestach seinen In-
tellekt, und das Wachsen und Weiterschreiten im
(Cornelius Ourlitt 85 alt
Die Gedanken Cornelius Gurlitts wirken, wie
der Artikel auf S. 1 zeigt, heute wie vor vierzig
Jahren gleich bedeutend und anregend. Er voll-
endet am 1. Januar 1935 sein 85. Lebensjahr. Als
Sohn des Landschaftsmalers Louis Gurlitt aus
niedersächsischem Handwerkergeschlecht lehrte und
schrieb er damals schon über die Bedeutung der
deutschen Barockarchitektur, als deren Wiederent-
decker er gilt. In Wort und Schrift kämpfte er
für Denkmalpflege und Heimatschutz. Als Ehren-
präsident der deutschen Akademie für Städtebau
und Präsident des Bundes deutscher Architekten
(BDA.) ist er für den Aufbau des Berufsschutzes
der Architektenfchast im Sinne der Reichskammer
der Bildenden Künste stets eingetreten. Gurlitts
Persönlichkeit ist durchdrungen von dem Geiste des
Handwerkers, Künstlers und Forschers. Ein ur-
wüchsiges Ethos der Pflicht führte ihn immer zum
Dienst an Volk und Vaterland.
unter ihr eisiges Primat zwang. Wie kann da
diese verzweifelte Antinomie gelöst, wie jene ge-
forderte Bodenständigkeit und jenes ersehnte
Bluterbe erfüllt werden? Die Antwort enthüllt
ein tragisches Schicksal, denn es standen notwendig
Pate bei einer volksgebundenen Architektur, die
nicht geistgesetzt, sondern aus dem Triebe geboren
wurde, Zufall und Ausnahme: Ein eigenwilliger
Baumeister mußte vom plastischen Handwerk
kommen, denn nur eine bildende Begabung kann
heute der Architektur urwüchsige Energien ein-
geben; ein uneigennütziger Bauherr, indem er
Idee und Gesinnung vor Zweck und Profit stellte,
mußte dieser bildenden Gestaltungskraft soviel
Freiheit belassen, daß sie nicht Beigabe und auf-
geklebtes Ornament, sondern Bau wurde, mit
Die Böttcherstratze in Bremen, Roseliushaus
ihm verwuchs. Als Roselius die Errichtung des
Paula-Modersohn-Becker-Hauses in Bremen Hoet-
ger übertrug, trat einmal dieser Glücksfall ein.
Hoetgers Bauteil in Bremen und Worpswede sind
in diesem Jahrhundert die einzigen, für die „Blut
und Boden" kein gehetztes Schlagwort ist. Diese
Behauptung scheint im ersten Moment sehr über-
trieben, besonders wenn man weiß, wie mancher
Deutsche vor dieser Wildheit erschrak. Doch was
er als skurril und absonderlich ansah, war plötz-
licher Ausbruch uralter Gewalten, die den nor-
dischen Menschen oft genug aufrieben und zum
Irrsinn führten, wo er sie nicht gewaltsam unter-
drückte. Ihre Ablehnung erfolgt oft aus un-
bewußter Angst vor dem ewig Friedlosen, und so
hielt er sich lieber an die glückvolle Sicherheit
abendländischer Schönheitsgesetze. Auch haben
Zweck- und Stofsbesessenheit unsere Augen und
damit das Erleben echter Formkräfte beständiger
Volkheit verdorben, so daß der eigne „Bruder im
Blut" selbst heute noch verkannt und verfolgt
wird. Wer jemals die angstgetriebene Unendlich-
keitssucht spätgcrmanischer Bandornamentik ver-
folgt oder in die schwindelnden Architekturphan-
tasien Ditterlins hineingesehen oder das abstruse
Nollwerk in Bückeburg erlebt hat, der wird auch
am Pausla-Modersohn-Becker-Haus dieselbe aus
verschütteten Tiefen gewaltsam empordrängende
Kraft am Werke finden, unbändig und mit all
den Schlacken und Unreinlichkeiten, wie sie einen
Ausbruch immer begleiten. Sie treibt den Bau
vor und zurück, buckelt und wellt, dehnt und häuft