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Kunst der Nation — 2.1934

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y-r.


Nr. 24 Zweiter Jahrgang

Verlag Kunst der Nation G. m. b. L., Berlin W 62, Kurfürstenstr. N 8. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz- und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W50, Tauenhienstratze 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Zweite Dezember-Nr., 1934

Zur Vielfältigkeit deutscher Kunst

Geb.


Alexander Zschokkc, Christian Rohlfs

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Der Totentanz in der Marienkirche in Berlin. Unbekannter Meister

(v

andere. Die Strömung der Zeit reißt auch ihn
mit sich fort. Man spürt frischen Morgenwind in
deutscher Kunst zu Anfang der 80er Jahre. Da
Rohlfs kein Geld hat, sich Modelle zu halten,

Wertschätzung, Repräsentant seiner Zeit sein kann,
denn neben ihm steht Grünewald, nebelt ihm er-
füllen sich Stilabläufe, die mit Veit Stoß etwa
begannen und sich im Meister H. L. und in
Morgenstern und in Klaus Berg vollenden. Das
tumultuarische Geschehen, das dem Zeitgenossen das
Bild seiner Zeit so sehr verwirrend macht, das
statische und dynamische, monumentale und grazile,
klare und ekstatische Vorgänge und Formungen
durcheinanderschüttelt, ist zur Zeit der Renaissance
nicht im geringsten beruhigter gewesen. Dabei

ist das eine Epoche, die noch vor ganz knrzer Zeit
als geschlossene und wuchtige vor allen anderen
verehrt wurde,, ihr „gesammeltes Sein" heutigen
Geschlechtern als Mahnmal entgegengehalten
wurde. Hellte zerfällt uns diese Anschauung, und
selbst (und gerade) die italienische Renaissance
wurde zu einer fiebernden Zeit, in der die Weis-
heit sich dem Dämonenglauben opferte, ein ein-
ziger heißer Krater voller Gebärmöglichkeiten die
Nntergangsstimmung der europäischen Welt
nährte, erhitzte Todesvorstcllungcn sich mit wahn-
witziger Anmaßung paarten (Baldnng, der sich
einmal selbst einen zweiten Apelles nennt, fiebert
in den Apotheosen vielfältiger Vergänglichkeit).
Im Florenz detz ausgehenden 15. Jahrhunderts
treten ganz dicht zusammen Humanismus und
Astrologie, antike Mythologie und orientalischer
Dämonenglanbe, dogmatische Rettungsversuche
verzweifelter Kleriker lind klirrende Angriffe Ab-
trünniger gegen die kirchliche und geistige
Hierarchie. Und über alles hinaus fieberte jeder
uach einem Ziel, das sich tausendfältig spaltete und
tausendfältig anders gesehen wurde und tausend-
fältige andere Wege nahm, denn es war ein Ziel,
das jedem allein sich stellte: der Aufmarsch zur
Freiheit der Person. Aber gegen welche Feinde:
es war eine theologische Metaphysik und die durch-
gängig verbindliche Astrologie, die den Menschen
abhängig sein ließen entweder von den Grund-
themen der göttlichen Gnade (des Uexnura g-ra.tia6)
logischen Sternenglanbens (des Uexuum rmturae).
In solchen Formen kämpfte, siegte oder unterlag
jeder für sich. Wie war es denn mit der pla-
tonischen Akademie, die so selbstbewußt begann;
Plötzlich begann sie zu zittern, wurde unverständ-
lich und warf sich in dem großen Aufruhr fana-
tischer Ekstase, den Savanarola auslöste, diesem
Mönche von S. Marco vor die Füße. Dann ver-
brannte man Savanarola. — Aber genug: wir
wollten nur zeigen, wie selbst eine Zeit, die so ge-
festigt und einheitlich-zielbewußt uns schien, bei
näherem Zusehen sich anflöst in ein bewegtes
Gegen- und Jneinanderarbeiten, das vom ge-
schichtlich-einheitlichen Bild, das wir uns allgemein
machen, allermindestens so weit entfernt ist, wie
es unsere Zeit von ihm ist.
Indessen ist mit der Feststellung der zeitlichen
Mannigfaltigkeit und deren geschichtlicher Sanktio-

Von
Werner Haftmann

niernng noch nichts getan, so sehr es auch wichtig
ist hinzuweisen ans das notwendig „Chaotische"
jeder Zeit. Mair kann platterdings keine Zeit, und
sei sie selbst unsere moderne, diffamieren, indem
man sie als „chaotisch" abtnt; man charakterisiert
sie nicht einmal damit, denn jede Zeit erscheint
jedem Kundigen so, nur der Einfältige glaubt an
ein historisches Ruhekissen, auf das er sich beschaulich
rrnd die unruhige Zeit verklagend niederläßt.
(Fortsetzung Seite 2)

Die heutige deutsche Kunst werden wir nicht
überschauen können, wir werden sie nicht einmal
begrifflich fassen können, geschweige denn verstehen
können, wenn wir unter allen arr die Kunst her-
angetragenen Voraussetzungen einen Nenner
suchen wollen, der alle Erscheinungen der Moderne
unter seine Einheit begreift. Jede Voraussetzung,
sei es eine religiöse, eine Politische oder eine
ästhetische, wird vor der bloßen und reinen Er-
scheinung der Kunst gegenstandslos werden.
Eine dieser außerkünstlerischen Voraussetzungen
ist jene immer wieder neu auftaucheude Forderung
nach einheitlicher Dnrchgestaltung unseres künst-
lerischen Vorstellungsbildes, nach einheitlicher Er-
scheinung der künstlerischen Phänomene; man sagt:
das mache das Gesicht der Zeit, mache seinen Stil
aus. Der Gedanke ist Wohl so, als unterliege
jede Zeit einmal festgelegtcn Absichten, als bekäme
jede Zeit gewissermaßen bestimmte unumstößlich
zu leistende Aufgaben vom Schicksal gestellt, die
nun die in der Zeit bestehende Knnst einheitlich zu
lösen hätte. Vom abstrakten Denken der Ge-
schichte aus ist diese Vorstellung richtig, sie ver-
sagt aber gegenüber der Erfahrung. Geschichtlich
abstrakt gesehen (also mit der Erfahrung von jetzt
vier Jahrhunderten) bestand etwa die Renaissance
als wirklich festes, geschichtliches Phänomen, als
zeitliche Aufgabe, cla t'aeto aber, und das sagt
uns unsere geschichtliche Erfahrung, bestand neben
den Formen der Renaissance noch eine Vielfalt
genossen diese uns heilte so bestimmend er-
scheinende „renaissancische Aufgabe" sicher über-
deckten, bestenfalls diese neuen Formen der Re-
naissance als zukünftig gelten ließen. Die uns
heute zugängliche Geschichtsausgabe, die wir als
solche zu erkennen meinen, deckt sich also noch lange
nicht mit dem Gesicht der Zeit, wie es damals dem
Zeitgenossen erschien. Gliedern wir unsere Ge-
schichte starr und unbedingt nach einheitlicher ge-
schichtlicher Kontinuität, nach Jahrzehnten und nacb
Jahrhunderten, indem wir für jede zeitliche Ver-
gangenheit eine einzige bestimmte Stilabsicht
setzen, vergewaltigen wir die Erscheinung und das,
was hinter der Erscheinung steht, — das Leben.
Es ist historisch nicht zu begründen und Psycho-
logisch nicht einzusehen, daß etwa Dürer absolut
uud relativ, d. h. nach Frage der absoluten
Qualität und nach Seiten der zeitgenössischen

II 8 OLN I N H I, T :
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Christian Rohlfs
2UNI 85.
d. 22. XII. 1849 zu Niendorf bei Segeberg
(Holstein)
„Daß dll nicht enden kannst,
das macht dich groß!
Goethe
Wie einen Van Gogh, diesen Wikinger des
Geistes, der Drang in die Ferne bis nach Süd-
srankreich trieb, von wo er nie wieder heimkehrte,
anscheinend Sprache und Sitte Hollands vergaß,
während er in Wahrheit in jeder Faser seines
ZZüns. in jedeni Strich seiner vulkanisch heraus-
'/schleuoert'en Werke nur den Blutst^om des
nordischen Menschen offenbart, ebenso ist auch
Christian Rohlfs früh der Enge heimischer Land-
schaft entlaufen und blieb doch ein Kind der
niedersächsischen Erde, deren Wesen sich in ihm
verkörpern sollte. Denn in seinen Adern fließt
edles Bauernblnt. Noch heute steht die schlichte
Räucherkate, in der er geboren ward. Beim Kühe-
hüten draußen im Felde schloß der Knabe seinen
Bund mit dieser Erde. 20 Jahre später schritt im
Norden desselben Landes wieder ein anderer
Bauernjunge hinter dem Pfluge her und erlebte
offenen Auges, wie Rohlfs, das Wunder der Natur,
hegte hohe Träume künftiger Künstlerbestimmung
im Herzen: Emil Nolde! Im Niedersachsenvolk
springen die Quellen des Wesens beider Künstler;
aus diesem Mutterboden strömte in ihre Kunst das
Urgesunde, die erdgeborene Kraft. Rohlfs zumal
erscheint wie ein sommerlich reifes Ährenfeld, das,
aus schwerem Marschboden anfschießend, reiche
Frucht trägt. Seine Kunst ist so einfach wie
Naturgewächse. Noch der alte Rohlfs bekennt sich
zu dieser Natur in seinem Wort: „Die Natur soll
man nicht als seinen Wein wie Wasser saufen,
aber froh sein, daß es eine gibt!"
Schließlich dankt Rohlfs — wie Nolde — seiner
Rasse dies eine: er blieb sich selber treu, machte
nie irgendwelche Zugeständnisse, sondern hielt sein
Auge unverrückt ans sein Ziel gerichtet; Ehrlichkeit
und Unbestechlichkeit und Wahrheit sind seine
Eigenschaften.
Früh schon beginnt die Tragödie seines Lebens;
der Knabe fällt vom Baum, wurde zehn Jahre
ans Krankenbett gefesselt, sein Bein mußte abge-
nommen werden. Auf dem Krankenlager erwacht
in ihm der Trieb zu zeichnen. Ist es nicht er-
schütternd, wie sich die Kunst zu diesem armen
Knaben herabneigt, ihn weiht, ihm für alle ver-
lorene Jugend Freude zu spenden? Daher be-
greifen wir von Anfang an den tiefen Ernst seiner
Knnstbemühnngen. Sein Herz, durch Schmerzen
geläutert, hat immerdar viel zarte Empfindung
für Wundmale bewiesen. So beginnt in dieser
Stille der Werdeprozeß dieses Künstlers. Diese
seine ältesten Zeichnungen sind noch erhalten, sie
offenbaren einen scharfen beobachtenden Sinn; das
Töten einer Kuh z. B. ist fast impressionistisch mit
wenigen Strichen sicher festgehalten, daß man un-
willkürlich an japanische Meister, wie Hokusai,
denken muß.
Durch Vermittlung des Dichters Theodor
Storm wird Rohlfs 1874 Schüler der Weimarer
Akademie. Äußerlich fließt sein Leben ruhig da-
hin, etwas von epischer Breite alter Erzählungen
lagert darüber, daß man bedauert, daß Rohlfs uns
keine Lebenserinnerungen hinterlassen hat — wie
L. Richter. Doch gärt es unter der Oberfläche,
faustisches Suchen quält ihn. Das liegt im Blut.
Wieder tritt die Sorge an ihn heran. Weil
er kein Bett hat, schläft er in einer Kiste; schlim-
mer als das, ihn hungert. Wochenlang lebt er von
einer Semmel am Tage, bis er ohnmächtig vor der
Staffelei zusammenbricht.
Auf künstlerischem Gebiet findet Rohlfs Mit-
streiter: Buchholz, Th. Hagen, P. Baum und

wendet er sich der Landschaftsmalerei zu. Er wird
Entdecker der Schönheit Thüringischer Landschaft.
Wie sie zumal im Herbst alle Einzelheiten im ver-
dampfenden Licht anflöst, die mächtige Symphonie
von Farbe- und ——————
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