2
Kunst der Nation
Werner Scholz, Der Mond. 1834
Das hat der junge Scholz schon früh, wenn auch
dunkel, gespürt. „Seit zwanzig Jahren", schrieb
er soeben, „geh ich immer wieder an den gleichen
Ort in Tirol, zu den gleichen Menschen, und es
ist nicht die Fülle der dauernd neuen Äußerlich-
keiten, sondern die Sammlung auf die immer
gleiche Stelle, den gleichen alten Bergwald, den-
selben Bach, an dem die Kinder spielen, und oft
war es so, daß ein hundertmal gesehener Ort
dann plötzlich erst begriffen wurde, daß irgend-
welche besonderen Zusammenhänge nun erst das
Auge hineinsehen ließen in das Innere des
Dinges."
Erst wenn die Natur letzter Besitz wird, kann
man sie malen. Und so saugt sich Scholz an dieses
Stück Erde und an diese Bergmenschen fest, die
immer in der Erde und von der Erde leben. Das
Dumpfe, Gequälte, Triebhafte steigert er ins
Klobige, Schemenhafte, manchmal bis ins Ge-
svenUische Dann denkt man an Gestalten aus der
Welt Goyas. Doch sucht Scholz nicht die Grimasse,
sondern das wahre innere Gesicht; den letzten,
schlagenden Ausdruck. Er versenkt seine
Menschen, oft so tief ins Typische, daß sie nur wie
Vermenschlichungen von Wesen erscheinen, die noch
weit tiefer in den Regionen des Dumpfen und
Jnstinkthaften stecken. Die Augen fressen die
Anatomie dumpfer Gesichter, gestülpter Bauern-
nasen; in breiten Strömen von Schwarz und
Weiß, von Grau und Braun fließen die Farben
über die Fläche. Aus Blinden und Bettlern wer-
den klagende Harfen.
Es ist keine Armeleutemalerei, die von außen
her sentimentale „Elendsbilder" entwirft; viel-
mehr sieht Scholz seine Bauern mit den Augen
des erschütterten Menschen, der den Armen und
Gedrückten begreift, nicht
weil er arm, sondern
weil er Mensch ist. Kaum
ein Maler von heute hat
diesen aus Erde gemach-
ten Menschen so tief er-
lebt wie Scholz; das Zer-
rissene, Gespaltene, Schick-
salhafte wie das zugleich
Gebundene, an die Kräfte
der Erde Rückgebundene,
Religiöse.
Immer wieder taucht
dieses religiöse Element
dann auch als Thema
selbst auf; bei Priestern
und Ministranten, bei
Reliquien und Madon-
nen, die seit Jahrhunder-
ten in kleinen Dorfkirchen
stehen. Vielleicht werden
hier die Fundamente vor-
bereitet für eine religiöse
Malerei, die weder von
privater Symbolik, noch
von epigonenhafter Form,
sondern von der Wirklich-
keit selber ihren Antrieb
empfängt.
Und Kinder kehren
auf den Bildern Scholz'
immer wieder; auf die
Blumenwiesen des Kirch-
hofs gesetzt, oder hingege-
ben kniend oder in ver-
zücktem Singen in der
Kirche, oder in weißen
Kleidern mit Kränzen im
strohgelben Haar. Ein
Glanz ist um diese Kin-
der ausgebreitet, der von
unsäglicher Schönheit ist.
In letzter Zeit nimmt
die reine Landschaft grö-
ßeren Raum ein. Das Dunkle, Melancholische
herrscht vor. Nebelschwaden fließen über kalt-
grüne Hänge; ein gelblich-weißer Mond spiegelt
sich im blau-schwarzen See; starrende Äste legen
verschlungene Muster auf eine zartgraue Fläche;
ein Stern glitzert aus leuchtendem Himmel. Nicht
der farbige Schaum der Landschaft wird abge-
schöpft, sondern das Dämonische der Natur, die
Bedrohuug von der Nacht drängt in farbigen
Zeichen zum Ausdruck. Das Dunkle soll leuchtend
gemacht werden.
Das Werk Werner Scholz' zieht seine Kräfte
aus einem bestimmten und festumrissenen Stück
Wirklichkeit. Der ländlich-bäuerliche Grund-
charakter seiner Kunst ist unverkennbar. Wenn
dieser bäuerliche Lebensraum heute in der
Literatur wie in der Malerei stark in den Vorder-
grund tritt, so wird man sich vor seinen Ver-
fälschungen wie vor seiner Romanisierung zu
bitten haben. Scholz' Malerei ist eigengewachsen,
kompronntztos und echr. Er ist oer rypisch un^
klassische Maler; er ist Vertreter jener ur-
alten, und immer neu wiederkehrenden deutschen
Ausdruckskunst, die auf dem Grund metaphysischer
Ergriffenheit ruht.
'Das Stück Wirklichkeit, um dessen malerische
Übersetzung Scholz immer wieder kämpft, ist noch
als geschlossene Ganzheit faßbar. Daß er die
diesem Lebensraum zugeordnete Form gesunden
hat und mit den Mitteln eines starken Natur-
talentes immer von neuem sucht, ist sein Beitrag
zur Kunst der Zeit.
Den Besitz dieses Stückes Welt sichert er sich
im Bilde, und aus dem Malerstück wird mensch-
liche Begebenheit.
I? rit 2 bl 6 rnit 2
Ludwig Richter
Zum 50. Todestag am 19. Zum
Von
Arthur Nümann
Wir gedenken heute eines Mannes im Reiche
der Kunst, der kein ganz Großer, kein Gewaltiger
war wie etwa Dürer oder Rethel, dessen Werk
aber trotzdem tief ins deutsche Volk gedrungen ist,
wie kaum ein zweites, vom Palast bis zur
niedrigen Hütte; und als vor 50 Jahren die
Trauerbotschaft durchs deutsche Vaterland eilte:
Ludwig Richter ist gestorben, da löste sie in allen
Volksschichten Deutschlands tiefstes Mitgefühl aus;
jeder empfand Schmerz über den Verlust eines
Freundes stiller Stunden.
Wir wissen viel über den Künstler aus seinen
Tagebüchern, aus den bekannten „Lebens-
erinnerungen eines deutschen Malers", seiner
Selbstbiographie, aber noch mehr wissen wir über
den Menschen und Künstler Ludwig Richter aus
seinen Werken. Richter war Romatiker reinsten
Geblütes, sein tiefreligiöses Wesen spricht ans
jeder kleinsten Vignette, die er gezeichnet und mit
seinem tiefen ehrlichen Menschentum erfüllt hat.
Er führte seinen Herrgott weniger im Munde wie
im Herzen, und war dabei ein Dichter wie nur
je einer, wenn er in seinen gemütvoll-sonnigen
Blättern die Kinder, das deutsche Familienleben,
unsere Märchenwelt darstellte. Aber so einfach er
in seinen Worten und Werken scheint, so konnte
er doch zuweilen zum Grübler werden, wenn er
den Kampf gegen eine neue zerspaltene Zeit aus-
nehmen mußte, die nicht immer seinem friedvollen
Gemüt behagte. Wort und Werk verbanden sich
bei ihm zu harmonischer Einheit.
Richters Lebens floß im großen ganzen in
sanftem Gleichmaß dahin. Kämpfe, die jeder
einmal auszufechten hat, blieben auch ihm nicht
erspart, dazwischen aber lag so viel schönes, köst-
liches Erleben, eingesogen mit der Inbrunst des
tiefen naturverbundenen Menschen, der sich mit
den Worten zu bescheiden wußte: „Groß und
schön ist die Natur überall." In dieser Beschei-
denheit liegt vielleicht am ehesten auch das Geheim-
nis seiner Kunst, mit dem er sich in alle Herzen
einzuschleichen wußte, mit dem er die Liebe eines
ganzen Volkes zu gewinnen verstand. Sein
Schaffen ging nicht in die Breite, sondern in die
Tiefe, so umfangreich es in Bildern, Zeichnungen
und Illustrationen auch war. Der Meister hatte
einen schier unermeßlichen Born an schönheits-
trunkener Phantasie auszuschütten, der nie ver-
siegte. Warum? Weil er sich eben immer von
neuem am ewig frischen Quell der Natur erquickte.
Gewiß mag mauches in seinem großen Werke
nach Spießbürgertum schmecken, allzu gemütvoll
und vielleicht zu wenig genialisch scheinen. Man
hat ihm das oft mit bissigem Spott vorgeworfen,
um dann am Schluß doch immer wieder einge-
stehen zu müssen, wie tief man selber von Richters
gemütvoller Art ergriffen ward. Es sind das
kurze Strecken auf dem langen Weg seines
Schaffens, denn immer wieder quillt die Lebens-
freude, der erfrischende Humor, der mit sicherem
Instinkt angeschlagene deutsche Volkston hervor,
und macht uns seine Kleinkunst lebenswert und
lebendig.
Den Maler Richter hat man verhältnismäßig
spät entdeckt. Seine Bilder nehmen in seinem
Werk ja auch nur einen geringen Platz ein,
doch werden sein „Watzmann", unterm Ein-
fluß Joseph Anton Kochs entstanden, einige seiner
römischen Landschaften, vor allem aber seine
„Überfahrt am Schreckenstein" für immer in der
Kunstgeschichte ihren Platz gefunden haben. Die
damals so beliebten Künstlerreisen nach Italien,
die Vergötterung der italienischen Meister, darunter
oft gar nicht der besten, ist eine angreifbare An-
gelegenheit, wie manches auf kunsthistorischem Ge-
biet. Denn mancher deutsche Künstler ist dort
unten sich selber fremd und untreu geworden,
während andere wieder, besonders die wirklich
großen Persönlichkeiten, viel gewonnen haben.
Bei Richter liegt der Fall Wohl so, daß er,
solange er in Italien weilte, sich recht und schlecht
um den „italienischen" Stil bemühte, daß er dort
unten tüchtige Arbeiten schuf, aber doch zu sehr
nach dem Rezeptbuch der damaligen Manier. Dann
aber, eben bei den Studien zu der „Überfahrt am
Schreckenstein" entdeckte er die Schönheiten der
heimischen Natur und Pflegte sie von da an mit
inniger Liebe, sich immer weiter von jenem frem-
den Stil entfernend.
Eines der wichtigsten Ereignisse seines Lebens
war Wohl die Bekanntschaft mit dem Leipziger
Verleger Wigand, denn hierdurch geriet er auf das
Gebiet, auf dem er immer sein Bestes geboten,
das ihn für alle Zeiten dem deutschen Volk ver-
bunden hat: aus die Buchillustration. Wigand
hätte wirklich keine glücklichere Wahl für die
Illustration seiner deutschen Volksbücher treffen
können. Wenn Richter die historischen Blätter zu
Dullers deutscher Geschichte, oder die ersten deut-
schen Illustrationen zu Oliver Goldsmith' „Land-
prediger von Wakefield", die zahlreichen Holz-
schnitte zu Bechsteins oder Musäus-Märchen zeich-
nete, wenn er die deutschen Volks- und Studenten-
lieder oder Peter Hebels „Alemannische Gedichte"
niit seinen teils heiteren, teils ernsten Bildern und
Ornamenten schmückte, wenn er in selbst erfun-
denen Zyklen wie „Beschauliches und Erbauliches",
„Fürs Haus", „Neuer Strauß fürs Haus" usw.
das Füllhorn seiner künstlerischen Phantasie aus-
schüttete, dann konnte man mit Recht behaupten,
daß die Fruchtbarkeit seines Geistes und die
Fertigkeit seiner Hand gegeben habe, was zu
geben war, daß selten ein Künstler seiner
Richtung das Heitere und Ernste so sest-
zuhalten vermochte wie er. Seine lebendig
und anmutig bewegten Gruppen, seine Frauen-
figuren und schmucken Mädchenköpfe, seine
frischwangigen gesunden Kindertypen, und schließ-
lich die Natur selbst mit allen ihren Kleinigkeiten,
das alles hat Richter mit genauer Kenutnis uud
mit leichter Hand gleichsam hingeschrieben.
Man ist gewohnt, Adolph Menzel das große
Verdienst um die Entwicklung des deutschen Holz-
schnittes allein zuzuschreiben. Ludwig Richter, der
genau dieselben Leiden eines Künstlers um seine
kleinen Werke von ungeübten und allzu routinier-
ten Technikern auszustehen hatte, gebührt nicht ge-
ringerer Anteil an dieser Entwicklung, in dem er
in 2500 Stöcken Gelegenheit genug hatte, die aus-
führenden Holzschneider zu überwachen und zu
korrigieren. Auch die auderen graphischen Tech-
niken, wie Lithographie und Radierung, hat er
eifrigst gepflegt, und daneben künden viele bis zum
letzten Blatt gefüllte Skizzenbücher von dem un-
ermüdlichen Fleiß und der schier unglaublicher:
Schaffenskraft und Freude des Meisters. Mit ihr
paart sich ein steter Drang, Neues kennenzulernen,
der ihn auf einige Reisen führte. In den Nieder-
landen fand er bei den alten Meistern gerade in
ihrer Heimat, weit mehr als in Italien, das, was
er selbst immer erstrebt hatte, das tiefste Eindrin-
gen der Künstler in die Idee und in die Er-
scheinung der Natur. Er wandte sich gegen das
allzu Abstrakte zeitgenössischer Kunst, weil der
Gegenstand dem Volksbewußtsein fremd sei und
der Beschauer nirgends an eigenes Erleben er-
innert werde: „Das alles, so recht treu, streng,
innig und lieblich wiedergegeben in Memlings
Sinn und frommer, einfältiger und liebevoller
Weise, das hätte gewiß Interesse und Bedeutung
genug. Wir können nicht immer und alle
Heiligenbilder machen!"
Der Gedankenkreis, in dem sein Werk sich be-
wegte, war in gewissem Sinne wohl eng, aber
Richters treffliche Charaktereigenschaften gruben
sich tief in sein Werk und spiegelten sich in' seiner
Kunst wider, daß seine herzlich-gütige, einfache
Art immer feine äMnst lebendig machte.
Selbst von allen Zeitgenossen tief verehrt —
bei Doro fand ein Besucher Richters sämtliche
Illustrationen und des französischen Meisters Be-
geisterung für unfern Künstler — konnte Richter
seinen Kollegen niemals mißgünstig gegenüber-
stehen. Das wäre wider seine Natur gewesen. Im
Gegenteil, über gute Leistungen seiner Schüler
konnte er sich wie ein Kind freuen und war in
seinem begeisterten Urteil ihnen immer wieder ein
Ansporn für ihr Schassen. Als Meister Schwind
im Februar 1871 starb, schreibt er ergriffen
nieder:
„Sein letztes, tief ergreifendes, mit Mozarti-
scher Schönheit erfülltes Werk: die schöne Me-
lusine läßt den unersetzlichen Verlust doppelt
schmerzlich empfinden. Die Melusine ist das weh-
mütige Ausklingen einer großen, herrlichen
Kunstepoche."
Der Maler Werner Scholz
Als er 70 und 80 Jahre alt wurde, freute sich
der greife Meister in dankbarer Bescheidenheit all
der Ehrungen, die ans aller Herren Länder ihm
zuteil wurden. Mit Stolz und innerer Befrie-
digung konnte er auf sein Werk zurückblicken,
durch das er auch für späte Generationen lebendig
geblieben ist. Denn er wird dem deutschen Volke
aus immer verbunden sein. Er ist ein Beispiel,
daß nur ein besinnlich gelebtes Leben, das in die
Tiefe, nicht in die Breite strebt, den späten Lor-
beer verbürgt, den wir Deutsche heute in dank-
barem Erinnern einem großen deutschen Manne
aufs Grab legen." ^.rtllur Aüinunn
Tradition und Modernität im Bauen
(Fortsetzung von S. 1)
Schinkel und Heinrich Hübsch, mindestens
Aufgabe und Ziel einer „mit dem Geist unserer
Zeit eine fruchtbare Verbindung eingehenden"
Architektur klar erkannt hatten. 1930 ist man
dem Ziel näher, aber 1830 schreiben Schinkel uud
Hübsch programmatische Sätze, wie sie ähnlich in
unseren Tagen geschrieben wurden: „Das größte
Verdienst" des „Neuen Styls", meint Schinkel,
bestehe „in der consequenten Anwendung einer
Menge im Zeitlaufe gemachter Erfindungen".
Hübsch sagt: „Der neue Styl wird mit aller Ge-
schmeidigkeit die verschiedenartigsten Aufgaben
immer auf dem nächsten Wege zu lösen ver-
mögen ... er wird sich frei in der Gegenwart be-
wegen und jeder billigen Anforderung ohne Scheu
entsprechen . . . Die Gebäude werden nicht mehr
einen historisch-conveutionellen Charakter er-
halten . . .; sondern sie werden einen wahren
natürlichen Charakter erhalten, wobei der Laie
dasselbe fühlt, wie der unterrichtete Künstler".
Hühsch ist für seine Zeit „Purist": „Man dürfe",
schreibt er 1826, „die leeren Wände, welche aus der
Bestimmung hervorgeheu, nicht durch fingierte
Construktionen verblenden". Nicht nur theoretisch
forderte Hübsch ein — im Gegensatz zu Klenzes
polyhistorischem Klassizismus — „sachliches"
Bauen; er baute schlichte, den praktischen Forde-
rungen gerecht werdende Zweckbauten und ver-
wandte echtes, billiges Material (Ziegelstein).
„Mit aller Geschmeidigkeit" löste er leine Bau-
aufgaben, d. h. er ging, wo es zweckmäßig war
und den Bedürfnissen entsprach, von dem klassi-
zistischen geschlossenen Mauerkubus ab, bei der
Karlsruher Kunsthalle auch von den geheiligten
Gesetzen einer symmetrischen Raumanordnung, ge-
nau wie Schinkel im Schloßbau Glienecke, der mit
seiner Berliner Bauakademie seinerzeit ebenso
revolutionär war, wie ein heutiger Architekt mit
einem konsequent durchgebildeten Eisen- oder Be-
tonskelettbau. München hatte seinen „sachlichen"
Architekten in Gaer tu er, der nicht nach der
Ludwigskirche, der Feldherrnhalle oder dem
Siegestor, wo er sich dem starren Willen seines
Bauherrn zu fügen hatte und zum Eklektiker
wurde, beurteilt werden darf, sondern nach seinen
modernen Verwaltungsbauten, etwa nach der
Staatsbibliothek, dem ersten, wirklich modernen
Bibliotheksbau.
Hier, in den „sachlichen" Verwaltungsbauten
von Hübsch, Schinkel, Gärtner, in den kühnen
Konstruktionen mit dem neuen Baumaterial Eisen
(Münchener Glaspalast 1854; erstes Warenhaus
aus Eisen und Glas von Boileau und Eissel in
Paris 1876 usw.) liegt die „Tradition", die wir
zwar nicht zu konservieren, aber — die heute
gegebenen technischen und ästhetischen Möglich-
keiten, die in den Materialien liegen, voll aus-
nützend — weiterzuführen haben. Gleichgültig
find die Formalismen. Wesentlich aber ist die
Herausbildung des inneren Bau-
organismns. In dieser Beziehung aber hat
das „neue" Bauen nichts anderes getan als er-
füllt, was Schinkel theoretisch forderte: es hat
„in konsequenter Anwendung einer Menge im
Zeitlaufe gemachter Erfindungen" die Architektur
Postamt München, Tcgernsccrlandstrabc. Prof. R. Vorhoelzer mit Reg.-Baumstr. W. Schmidt
Kunst der Nation
Werner Scholz, Der Mond. 1834
Das hat der junge Scholz schon früh, wenn auch
dunkel, gespürt. „Seit zwanzig Jahren", schrieb
er soeben, „geh ich immer wieder an den gleichen
Ort in Tirol, zu den gleichen Menschen, und es
ist nicht die Fülle der dauernd neuen Äußerlich-
keiten, sondern die Sammlung auf die immer
gleiche Stelle, den gleichen alten Bergwald, den-
selben Bach, an dem die Kinder spielen, und oft
war es so, daß ein hundertmal gesehener Ort
dann plötzlich erst begriffen wurde, daß irgend-
welche besonderen Zusammenhänge nun erst das
Auge hineinsehen ließen in das Innere des
Dinges."
Erst wenn die Natur letzter Besitz wird, kann
man sie malen. Und so saugt sich Scholz an dieses
Stück Erde und an diese Bergmenschen fest, die
immer in der Erde und von der Erde leben. Das
Dumpfe, Gequälte, Triebhafte steigert er ins
Klobige, Schemenhafte, manchmal bis ins Ge-
svenUische Dann denkt man an Gestalten aus der
Welt Goyas. Doch sucht Scholz nicht die Grimasse,
sondern das wahre innere Gesicht; den letzten,
schlagenden Ausdruck. Er versenkt seine
Menschen, oft so tief ins Typische, daß sie nur wie
Vermenschlichungen von Wesen erscheinen, die noch
weit tiefer in den Regionen des Dumpfen und
Jnstinkthaften stecken. Die Augen fressen die
Anatomie dumpfer Gesichter, gestülpter Bauern-
nasen; in breiten Strömen von Schwarz und
Weiß, von Grau und Braun fließen die Farben
über die Fläche. Aus Blinden und Bettlern wer-
den klagende Harfen.
Es ist keine Armeleutemalerei, die von außen
her sentimentale „Elendsbilder" entwirft; viel-
mehr sieht Scholz seine Bauern mit den Augen
des erschütterten Menschen, der den Armen und
Gedrückten begreift, nicht
weil er arm, sondern
weil er Mensch ist. Kaum
ein Maler von heute hat
diesen aus Erde gemach-
ten Menschen so tief er-
lebt wie Scholz; das Zer-
rissene, Gespaltene, Schick-
salhafte wie das zugleich
Gebundene, an die Kräfte
der Erde Rückgebundene,
Religiöse.
Immer wieder taucht
dieses religiöse Element
dann auch als Thema
selbst auf; bei Priestern
und Ministranten, bei
Reliquien und Madon-
nen, die seit Jahrhunder-
ten in kleinen Dorfkirchen
stehen. Vielleicht werden
hier die Fundamente vor-
bereitet für eine religiöse
Malerei, die weder von
privater Symbolik, noch
von epigonenhafter Form,
sondern von der Wirklich-
keit selber ihren Antrieb
empfängt.
Und Kinder kehren
auf den Bildern Scholz'
immer wieder; auf die
Blumenwiesen des Kirch-
hofs gesetzt, oder hingege-
ben kniend oder in ver-
zücktem Singen in der
Kirche, oder in weißen
Kleidern mit Kränzen im
strohgelben Haar. Ein
Glanz ist um diese Kin-
der ausgebreitet, der von
unsäglicher Schönheit ist.
In letzter Zeit nimmt
die reine Landschaft grö-
ßeren Raum ein. Das Dunkle, Melancholische
herrscht vor. Nebelschwaden fließen über kalt-
grüne Hänge; ein gelblich-weißer Mond spiegelt
sich im blau-schwarzen See; starrende Äste legen
verschlungene Muster auf eine zartgraue Fläche;
ein Stern glitzert aus leuchtendem Himmel. Nicht
der farbige Schaum der Landschaft wird abge-
schöpft, sondern das Dämonische der Natur, die
Bedrohuug von der Nacht drängt in farbigen
Zeichen zum Ausdruck. Das Dunkle soll leuchtend
gemacht werden.
Das Werk Werner Scholz' zieht seine Kräfte
aus einem bestimmten und festumrissenen Stück
Wirklichkeit. Der ländlich-bäuerliche Grund-
charakter seiner Kunst ist unverkennbar. Wenn
dieser bäuerliche Lebensraum heute in der
Literatur wie in der Malerei stark in den Vorder-
grund tritt, so wird man sich vor seinen Ver-
fälschungen wie vor seiner Romanisierung zu
bitten haben. Scholz' Malerei ist eigengewachsen,
kompronntztos und echr. Er ist oer rypisch un^
klassische Maler; er ist Vertreter jener ur-
alten, und immer neu wiederkehrenden deutschen
Ausdruckskunst, die auf dem Grund metaphysischer
Ergriffenheit ruht.
'Das Stück Wirklichkeit, um dessen malerische
Übersetzung Scholz immer wieder kämpft, ist noch
als geschlossene Ganzheit faßbar. Daß er die
diesem Lebensraum zugeordnete Form gesunden
hat und mit den Mitteln eines starken Natur-
talentes immer von neuem sucht, ist sein Beitrag
zur Kunst der Zeit.
Den Besitz dieses Stückes Welt sichert er sich
im Bilde, und aus dem Malerstück wird mensch-
liche Begebenheit.
I? rit 2 bl 6 rnit 2
Ludwig Richter
Zum 50. Todestag am 19. Zum
Von
Arthur Nümann
Wir gedenken heute eines Mannes im Reiche
der Kunst, der kein ganz Großer, kein Gewaltiger
war wie etwa Dürer oder Rethel, dessen Werk
aber trotzdem tief ins deutsche Volk gedrungen ist,
wie kaum ein zweites, vom Palast bis zur
niedrigen Hütte; und als vor 50 Jahren die
Trauerbotschaft durchs deutsche Vaterland eilte:
Ludwig Richter ist gestorben, da löste sie in allen
Volksschichten Deutschlands tiefstes Mitgefühl aus;
jeder empfand Schmerz über den Verlust eines
Freundes stiller Stunden.
Wir wissen viel über den Künstler aus seinen
Tagebüchern, aus den bekannten „Lebens-
erinnerungen eines deutschen Malers", seiner
Selbstbiographie, aber noch mehr wissen wir über
den Menschen und Künstler Ludwig Richter aus
seinen Werken. Richter war Romatiker reinsten
Geblütes, sein tiefreligiöses Wesen spricht ans
jeder kleinsten Vignette, die er gezeichnet und mit
seinem tiefen ehrlichen Menschentum erfüllt hat.
Er führte seinen Herrgott weniger im Munde wie
im Herzen, und war dabei ein Dichter wie nur
je einer, wenn er in seinen gemütvoll-sonnigen
Blättern die Kinder, das deutsche Familienleben,
unsere Märchenwelt darstellte. Aber so einfach er
in seinen Worten und Werken scheint, so konnte
er doch zuweilen zum Grübler werden, wenn er
den Kampf gegen eine neue zerspaltene Zeit aus-
nehmen mußte, die nicht immer seinem friedvollen
Gemüt behagte. Wort und Werk verbanden sich
bei ihm zu harmonischer Einheit.
Richters Lebens floß im großen ganzen in
sanftem Gleichmaß dahin. Kämpfe, die jeder
einmal auszufechten hat, blieben auch ihm nicht
erspart, dazwischen aber lag so viel schönes, köst-
liches Erleben, eingesogen mit der Inbrunst des
tiefen naturverbundenen Menschen, der sich mit
den Worten zu bescheiden wußte: „Groß und
schön ist die Natur überall." In dieser Beschei-
denheit liegt vielleicht am ehesten auch das Geheim-
nis seiner Kunst, mit dem er sich in alle Herzen
einzuschleichen wußte, mit dem er die Liebe eines
ganzen Volkes zu gewinnen verstand. Sein
Schaffen ging nicht in die Breite, sondern in die
Tiefe, so umfangreich es in Bildern, Zeichnungen
und Illustrationen auch war. Der Meister hatte
einen schier unermeßlichen Born an schönheits-
trunkener Phantasie auszuschütten, der nie ver-
siegte. Warum? Weil er sich eben immer von
neuem am ewig frischen Quell der Natur erquickte.
Gewiß mag mauches in seinem großen Werke
nach Spießbürgertum schmecken, allzu gemütvoll
und vielleicht zu wenig genialisch scheinen. Man
hat ihm das oft mit bissigem Spott vorgeworfen,
um dann am Schluß doch immer wieder einge-
stehen zu müssen, wie tief man selber von Richters
gemütvoller Art ergriffen ward. Es sind das
kurze Strecken auf dem langen Weg seines
Schaffens, denn immer wieder quillt die Lebens-
freude, der erfrischende Humor, der mit sicherem
Instinkt angeschlagene deutsche Volkston hervor,
und macht uns seine Kleinkunst lebenswert und
lebendig.
Den Maler Richter hat man verhältnismäßig
spät entdeckt. Seine Bilder nehmen in seinem
Werk ja auch nur einen geringen Platz ein,
doch werden sein „Watzmann", unterm Ein-
fluß Joseph Anton Kochs entstanden, einige seiner
römischen Landschaften, vor allem aber seine
„Überfahrt am Schreckenstein" für immer in der
Kunstgeschichte ihren Platz gefunden haben. Die
damals so beliebten Künstlerreisen nach Italien,
die Vergötterung der italienischen Meister, darunter
oft gar nicht der besten, ist eine angreifbare An-
gelegenheit, wie manches auf kunsthistorischem Ge-
biet. Denn mancher deutsche Künstler ist dort
unten sich selber fremd und untreu geworden,
während andere wieder, besonders die wirklich
großen Persönlichkeiten, viel gewonnen haben.
Bei Richter liegt der Fall Wohl so, daß er,
solange er in Italien weilte, sich recht und schlecht
um den „italienischen" Stil bemühte, daß er dort
unten tüchtige Arbeiten schuf, aber doch zu sehr
nach dem Rezeptbuch der damaligen Manier. Dann
aber, eben bei den Studien zu der „Überfahrt am
Schreckenstein" entdeckte er die Schönheiten der
heimischen Natur und Pflegte sie von da an mit
inniger Liebe, sich immer weiter von jenem frem-
den Stil entfernend.
Eines der wichtigsten Ereignisse seines Lebens
war Wohl die Bekanntschaft mit dem Leipziger
Verleger Wigand, denn hierdurch geriet er auf das
Gebiet, auf dem er immer sein Bestes geboten,
das ihn für alle Zeiten dem deutschen Volk ver-
bunden hat: aus die Buchillustration. Wigand
hätte wirklich keine glücklichere Wahl für die
Illustration seiner deutschen Volksbücher treffen
können. Wenn Richter die historischen Blätter zu
Dullers deutscher Geschichte, oder die ersten deut-
schen Illustrationen zu Oliver Goldsmith' „Land-
prediger von Wakefield", die zahlreichen Holz-
schnitte zu Bechsteins oder Musäus-Märchen zeich-
nete, wenn er die deutschen Volks- und Studenten-
lieder oder Peter Hebels „Alemannische Gedichte"
niit seinen teils heiteren, teils ernsten Bildern und
Ornamenten schmückte, wenn er in selbst erfun-
denen Zyklen wie „Beschauliches und Erbauliches",
„Fürs Haus", „Neuer Strauß fürs Haus" usw.
das Füllhorn seiner künstlerischen Phantasie aus-
schüttete, dann konnte man mit Recht behaupten,
daß die Fruchtbarkeit seines Geistes und die
Fertigkeit seiner Hand gegeben habe, was zu
geben war, daß selten ein Künstler seiner
Richtung das Heitere und Ernste so sest-
zuhalten vermochte wie er. Seine lebendig
und anmutig bewegten Gruppen, seine Frauen-
figuren und schmucken Mädchenköpfe, seine
frischwangigen gesunden Kindertypen, und schließ-
lich die Natur selbst mit allen ihren Kleinigkeiten,
das alles hat Richter mit genauer Kenutnis uud
mit leichter Hand gleichsam hingeschrieben.
Man ist gewohnt, Adolph Menzel das große
Verdienst um die Entwicklung des deutschen Holz-
schnittes allein zuzuschreiben. Ludwig Richter, der
genau dieselben Leiden eines Künstlers um seine
kleinen Werke von ungeübten und allzu routinier-
ten Technikern auszustehen hatte, gebührt nicht ge-
ringerer Anteil an dieser Entwicklung, in dem er
in 2500 Stöcken Gelegenheit genug hatte, die aus-
führenden Holzschneider zu überwachen und zu
korrigieren. Auch die auderen graphischen Tech-
niken, wie Lithographie und Radierung, hat er
eifrigst gepflegt, und daneben künden viele bis zum
letzten Blatt gefüllte Skizzenbücher von dem un-
ermüdlichen Fleiß und der schier unglaublicher:
Schaffenskraft und Freude des Meisters. Mit ihr
paart sich ein steter Drang, Neues kennenzulernen,
der ihn auf einige Reisen führte. In den Nieder-
landen fand er bei den alten Meistern gerade in
ihrer Heimat, weit mehr als in Italien, das, was
er selbst immer erstrebt hatte, das tiefste Eindrin-
gen der Künstler in die Idee und in die Er-
scheinung der Natur. Er wandte sich gegen das
allzu Abstrakte zeitgenössischer Kunst, weil der
Gegenstand dem Volksbewußtsein fremd sei und
der Beschauer nirgends an eigenes Erleben er-
innert werde: „Das alles, so recht treu, streng,
innig und lieblich wiedergegeben in Memlings
Sinn und frommer, einfältiger und liebevoller
Weise, das hätte gewiß Interesse und Bedeutung
genug. Wir können nicht immer und alle
Heiligenbilder machen!"
Der Gedankenkreis, in dem sein Werk sich be-
wegte, war in gewissem Sinne wohl eng, aber
Richters treffliche Charaktereigenschaften gruben
sich tief in sein Werk und spiegelten sich in' seiner
Kunst wider, daß seine herzlich-gütige, einfache
Art immer feine äMnst lebendig machte.
Selbst von allen Zeitgenossen tief verehrt —
bei Doro fand ein Besucher Richters sämtliche
Illustrationen und des französischen Meisters Be-
geisterung für unfern Künstler — konnte Richter
seinen Kollegen niemals mißgünstig gegenüber-
stehen. Das wäre wider seine Natur gewesen. Im
Gegenteil, über gute Leistungen seiner Schüler
konnte er sich wie ein Kind freuen und war in
seinem begeisterten Urteil ihnen immer wieder ein
Ansporn für ihr Schassen. Als Meister Schwind
im Februar 1871 starb, schreibt er ergriffen
nieder:
„Sein letztes, tief ergreifendes, mit Mozarti-
scher Schönheit erfülltes Werk: die schöne Me-
lusine läßt den unersetzlichen Verlust doppelt
schmerzlich empfinden. Die Melusine ist das weh-
mütige Ausklingen einer großen, herrlichen
Kunstepoche."
Der Maler Werner Scholz
Als er 70 und 80 Jahre alt wurde, freute sich
der greife Meister in dankbarer Bescheidenheit all
der Ehrungen, die ans aller Herren Länder ihm
zuteil wurden. Mit Stolz und innerer Befrie-
digung konnte er auf sein Werk zurückblicken,
durch das er auch für späte Generationen lebendig
geblieben ist. Denn er wird dem deutschen Volke
aus immer verbunden sein. Er ist ein Beispiel,
daß nur ein besinnlich gelebtes Leben, das in die
Tiefe, nicht in die Breite strebt, den späten Lor-
beer verbürgt, den wir Deutsche heute in dank-
barem Erinnern einem großen deutschen Manne
aufs Grab legen." ^.rtllur Aüinunn
Tradition und Modernität im Bauen
(Fortsetzung von S. 1)
Schinkel und Heinrich Hübsch, mindestens
Aufgabe und Ziel einer „mit dem Geist unserer
Zeit eine fruchtbare Verbindung eingehenden"
Architektur klar erkannt hatten. 1930 ist man
dem Ziel näher, aber 1830 schreiben Schinkel uud
Hübsch programmatische Sätze, wie sie ähnlich in
unseren Tagen geschrieben wurden: „Das größte
Verdienst" des „Neuen Styls", meint Schinkel,
bestehe „in der consequenten Anwendung einer
Menge im Zeitlaufe gemachter Erfindungen".
Hübsch sagt: „Der neue Styl wird mit aller Ge-
schmeidigkeit die verschiedenartigsten Aufgaben
immer auf dem nächsten Wege zu lösen ver-
mögen ... er wird sich frei in der Gegenwart be-
wegen und jeder billigen Anforderung ohne Scheu
entsprechen . . . Die Gebäude werden nicht mehr
einen historisch-conveutionellen Charakter er-
halten . . .; sondern sie werden einen wahren
natürlichen Charakter erhalten, wobei der Laie
dasselbe fühlt, wie der unterrichtete Künstler".
Hühsch ist für seine Zeit „Purist": „Man dürfe",
schreibt er 1826, „die leeren Wände, welche aus der
Bestimmung hervorgeheu, nicht durch fingierte
Construktionen verblenden". Nicht nur theoretisch
forderte Hübsch ein — im Gegensatz zu Klenzes
polyhistorischem Klassizismus — „sachliches"
Bauen; er baute schlichte, den praktischen Forde-
rungen gerecht werdende Zweckbauten und ver-
wandte echtes, billiges Material (Ziegelstein).
„Mit aller Geschmeidigkeit" löste er leine Bau-
aufgaben, d. h. er ging, wo es zweckmäßig war
und den Bedürfnissen entsprach, von dem klassi-
zistischen geschlossenen Mauerkubus ab, bei der
Karlsruher Kunsthalle auch von den geheiligten
Gesetzen einer symmetrischen Raumanordnung, ge-
nau wie Schinkel im Schloßbau Glienecke, der mit
seiner Berliner Bauakademie seinerzeit ebenso
revolutionär war, wie ein heutiger Architekt mit
einem konsequent durchgebildeten Eisen- oder Be-
tonskelettbau. München hatte seinen „sachlichen"
Architekten in Gaer tu er, der nicht nach der
Ludwigskirche, der Feldherrnhalle oder dem
Siegestor, wo er sich dem starren Willen seines
Bauherrn zu fügen hatte und zum Eklektiker
wurde, beurteilt werden darf, sondern nach seinen
modernen Verwaltungsbauten, etwa nach der
Staatsbibliothek, dem ersten, wirklich modernen
Bibliotheksbau.
Hier, in den „sachlichen" Verwaltungsbauten
von Hübsch, Schinkel, Gärtner, in den kühnen
Konstruktionen mit dem neuen Baumaterial Eisen
(Münchener Glaspalast 1854; erstes Warenhaus
aus Eisen und Glas von Boileau und Eissel in
Paris 1876 usw.) liegt die „Tradition", die wir
zwar nicht zu konservieren, aber — die heute
gegebenen technischen und ästhetischen Möglich-
keiten, die in den Materialien liegen, voll aus-
nützend — weiterzuführen haben. Gleichgültig
find die Formalismen. Wesentlich aber ist die
Herausbildung des inneren Bau-
organismns. In dieser Beziehung aber hat
das „neue" Bauen nichts anderes getan als er-
füllt, was Schinkel theoretisch forderte: es hat
„in konsequenter Anwendung einer Menge im
Zeitlaufe gemachter Erfindungen" die Architektur
Postamt München, Tcgernsccrlandstrabc. Prof. R. Vorhoelzer mit Reg.-Baumstr. W. Schmidt