§ i
2. Juli-Nr. II. Ihg., Nr. 14
Verlag Kunst der Nation G. m. b. L., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz- und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W50, Tauentzienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.
Einzelpreis 3d Pfennige
Vom kommenden Theater
Der Weg der Werk-Vühne
Bon
Günther Hadank
Trotz jahrelanger, unablässiger, eindeutiger
Forderung nach dem entsprechenden Ausdruck für
die innere Bewegtheit einer neuen Zeit verbietet
unser Schicksalglaube eine ablehnende Kritik an
der Vergangenheit.
Vergangenheit ist Form, Gegenwart: Prägung,
Zukunft: Stoff. Gerade diese Erkenntnis zwingt
uns zur klaren Stellungnahme gegen die, deren
Ablehnung der Vergangenheit unproduktiv ist
uud somit die eigene Verhaftung in den veralteten
Kräften und Formen beweist. Für uns ist allein
Ursprung und Ziel richtunggebend. Wir sehen in
einem neuen Namen nichts, in dem neuen
schlackenlosen Menschen alles.
Wir empfanden und erkannten schon vor
Jahren und haben uns offen durch Wort und Tat
dazu bekannt, daß das liberalistische Theater von
Rang — Minderwertiges bleibt hier außer Be-
tracht — keine innere zwingend zum Ausdruck
drängende Kraft mehr besitzt, die Welle des Lebens
in ihm ist ansgeklnngen, sein Dasein erstarrt.
Deutlich wird das Gesagte an der unzeitgemäßen,
überalterten Form. Dieses Theater gesellschaft-
licher Problemstellungen und Bildung, fast aus-
schließlich sprachlicher Erörterungen und Werte,
dient der Zerstreuung, der Unterhaltung, dem
Zeitvertreib.
Unsere Ablehnung des Vergangenen für die
Gegenwart bceuuret aber keineswegs eine
Wertung. Wir halten es mit der Würde des
Künstlers für nicht vereinbar, einer aus anderen
Bedingtheiten erwachsenen Leistung unsere
Achtung zu versagen.
Wenn das heutige Theater noch von den
Varianten des Reinhardtschen Formenschatzes lebt,
so erkennen und vor allem fühlen wir wiederum
deutlich, daß dies kein Anfang ist.
Eine vollendete Kunst form hat
keinen formenden Lebensgehalt und
keine Zeugnngskraft mehr. Deshalb
besitzt sie auch keinen Anknüpfungspunkt für
Kommendes.
Wir glauben auch nicht mehr an die lebendige
Schönheit dieses vollendeten Theaters, sondern
einzig und allein an den äußerlich mageren Be-
ginn aus innerer Fülle, an das Sein als blut-
volles, schöpferisches Bekenntnis.
Formal ist ein Ende erreicht, die Umkehrung,
d. h. die Schwergewichtsverlagerung von außen
nach innen erfolgt. So beginnt der neue Kreis-
lauf allen Werdens.
Der Mut zum Anfang ist die Vorbedingung
für eine zeitentsprechende Kultur.
Aber auch das Anknüpsen an uralte Formen
will uns keineswegs als ein lebendiges Vorwärts
erscheinen. Jede Form ist typisch zeitgebunden
und auch die edelste Gestaltung einer vergangenen
Epoche kann in ihrer Prägung nicht mehr gültig
sein.
Unsere Überzeugung ist, daß bei einem Neubau
mit dem Fundament begonnen werden muß und
die Ausstattung der Räume erst nach dem Bau
des Hauses erfolgen kann. Mit dem Wechsel der
Tapeten ist am Haus nichts Wesentliches geändert.
Deshalb setzen wir die Forderung nach der neuen
Hülle, dem Theaterbau, uicht an erste Stelle,
sondern sammeln die fundamentalen, produktiven
Kräfte und fördern deren Wachstum zum Aus-
druck. So wird zu ihrer Zeit auch die äußere
Gestalt, zentral bedingt, stch ergeben.
Wir beginnen mit unserem Weg
nicht bei der Literatur- und
Theatergeschichte, wir entwickeln nicht aus vor-
handenen Formen des Theaters, wir stehen zu
Anfang am Quell künstlerischen Ausdrucks-
zwanges. Was Gültigkeit besitzt, ist gerade das
noch Ungeformte, das Elementare, das was noch
nicht Gestalt geworden ist und dasjenige, was den
Zentralpunkt und den Sinn unseres Lebens ewig
ausmacht und bestimmt. Hier am Wesenskern
haben wir zu beginnen, ohne starre Erfahrung
vernichtend eingreifen zu lassen.
Jeder Beginn ist die Einheit von Leben und
Werk.
Wir setzen die Erkenntnis unserer Arbeit vor-
an, daß es keine Knnstschöpfung an sich gibt, daß
vielmehr sämtliche Elemente des
Bühnenkun st Werks (M ensch , Ma-
terial, Licht (Farbe), Ton in ihrer
Vielfalt) zusammen einen sich abwandelnden
Akkord irrealer Wesenheiten erzeugen, der als das
Kunstwerk anzusprechen ist.
Wir erschaffen nichts, sondern wir schaffen
durch künstlerische Betonungsreihen (Erscheinungs-
reihen, Bewegungsreihen, Licht und Farbreihen
sowie Tonreihen) aus ewig vorhandenen übersinn-
lichen Werten sinnlich wahrnehmbare Harmonien
und Disharmonien, deren Gesamtgestalt unmittel-
bar zum wesentlichen Inhalt führt.
Fern von jeder Problematik ist dieser drama-
tische Akkord das direkt wirkende Werk. Dieses ist
durch seine wesentlich kosmische Bedingtheit
kultisch.
Wir legen den Schwerpunkt des künstlerischen
Geschehens nach innen. Durch die Intervalle der
Betonungen bewegen wir alle Bühnenelemente
aus innerer Rhythmik, in entsprechender Dynamik
bestimmt von den allgemeingültigen Gesetzen
des Organischen und der Materie und
stellen sie in die entsprechende und entscheidende
eindeutige kosmische Position, wodurch das Kunst-
werk seine monumentale Wirkung, seinen irratio-
nalen Wert erhält.
Die Erreichung der Ganzheit und Harmonie in
dieser Bedingtheit setzt die unterbewußte Be-
herrschung und die bewußte Kenutnis der ent-
sprechendem Kraftströme voraus. Natürlich ahnen
wir heute noch unendlich viel mehr als wir er-
kenntnismäßig bisher erfassen konnten.
Wir gestalten das Kunstwerk als
geschlossene Einheit nicht mehr
linear, sondern räumlich. Die Fugen-
losigteir des Werks erreichen wir dura) tue Weri'-
gleichsetzung sämtlicher Elemente und wir erzielen
hierdurch das organische Wachstum des Pausen-
losen — d. h. unzerbrochenen Bühnenkunstwerkes.
Ob menschlicher Ausdruck, Materie, Laut, Licht
oder Farbe, alles fügt sich als dramatisches
Element in den Strom und Ablauf des Ganzen.
Die Ebene der Sprache wird abgelöst durch die
Bewegtheit und farbige Vielgestalt der charakte-
ristischen Ausdrncksmittel.
Die Werk-Bühne bedarf des reinen meta-
physischen Menschen, des Künstlers, der die kos-
mische Verbundenheit und Einordnungssähigkeit
in des Wortes höchster Bedeutung besitzt, um
wesentlich wirken und die kultische Handlung voll-
ziehen zu können. Dieser Mensch wandelt sich
nicht, sondern verdichtet sich mehr und mehr zu
höchster allgemeingültiger Einfachheit. Er ist im
tiefsten Sinn Mittel. Die Verwandlung ist
Illusion, wir jedoch wollen Wirklichkeit.
So entsteht das dramatisch heroische Spiel.
Damit ist die Eigenart der Werk-Bühne um-
rissen, der Gegensatz zur bürgerlichen Form des
Theaters erkennbar.
Wir wollen kein Theater aus ästhetischen Ge-
sichtspunkten, kein Bildungstheater, kein wissen-
schaftlich-konstruktives, keiu Gesellschaftstheater,
auch keine Amüsierstätte.
Wir wollen überhaupt keiu Theater, sonderu
wir fühlen uns als Träger der kommenden, weil
notwendigen, gebunden-freien Kunsthandlung,
deren Gesetzmäßigkeit und seelisch-geistige Inten-
sität sie zum Mittler kosmischer Kraftströme macht,
zum Tor zwischen Irrealität und Realität,
zwischen uns und den Kraftzentren der Welt.
Trotz unablässiger Arbeit sind wir uns des
noch langen und schweren Weges zur Erreichung
dieses Ziels Wohl bewußt.
Der praktische Anfang muß gemacht werden.
Wir rufen auf zum Beginn. Die Werkbühne will
wirkliche Volkskunst im wahrhaften Volkstheater.
M»S Sieger
Ihr Aufstieg ging inr wesentlichen in jenen
Jahren vor sich, als der expressionistische Über-
schwang die alten Bilder zerschlug, ohne es doch
zu vermögen, neue an ihre Stelle zu setzen und
verlief, da ihr erster Förderer der einflußreiche
Karl Ernst Osthaus war, der bereits Aufträge
an Minne, Haller, Albiker und Maillol vermittelt
hatte, verhältnismäßig schnell. Sein Spürsinn ge-
riet, als es sich um Ausführung von plastischem
Schmuck für die öffentlichen Gebäude in Hagen
handelte, auf eine junge Bildhauerin, die in der
Berliner Sezession erstmalig ausstellte und er war
vorurteilsfrei genug, ihr, von der man damals
nicht viel mehr wissen konnte, als daß sie bei
Janssen in Düsseldorf gelernt und eine Zeitlang
bei Georg Kolbe in Florenz gearbeitet hatte, nach
der unverkennbaren Talentprobe eines „Mädchen-
torso" Haus, Atelier uud Wirkungskreis zn ver-
schaffen.
Milly Sieger, Große Kauernde. 1929/39
Phot. Rothschild
Milly Sieger ist volle acht Jahre Stadtbild-
hauerin von Hagen geblieben, eine Zeit des
Lernens, Suchens, voller Tätigkeit und An-
regungen. Was war nicht alles in diesem
rührigen Gemeinwesen am Werk, wo das Folk-
wang-Museum seine Schätze bot, in dem Bauten
von Peter Behrens, Riemerschmidt, van de Velde
und Bruno Taut entstanden, das Rohlfs aus
Weimar, E. R. Weiß aus Stuttgart und den Glas-
maler Thorn-Prikker aus Krefeld berufen hatte!
Es waren aber auch Jahre der äußeren Kämpfe,
die mit heftigsten Protesten aus der Bürgerschaft
einsetzten und vielfachen Gutachten von Museums-
leuten dagegen, als vier überlebensgroße Fassaden-
figuren der Sieger, dreißig Meter hoch über dem
Erdboden in ihrer nackten Pfeilerhaften Ruhe das
Empfinden der künstlerisch Rückständigen zu ver-
letzen drohten. Auch diese heute kaum noch be-
greiflichen Stürme, die trotz allem die Beglückung
des Sichfindens brachten, gingen vorbei und noch
immer stehen jene Figuren und vieles andere,
was damals, manchmal in harter Arbeit aus dem
Material heraus, an Skulpturen für Terrassen-
anlagen, an Reliefs, Portalgestalten und Gruppen
für die Stadthalle, Sparkassen und Schulen ge-
schaffen wurde. Architektonische Plastik, dienend,
aber ihren Schöpfer nicht in einer Art von künst-
lerischem Exil lassend und selbst in den zu unseren
Tagen noch möglichen und üblichen Formen jedem
geborenen Bildhauer ein Stück Sehnsucht. Bei
Milly Sieger überdies in jener Epoche der Um-
wertung aller künstlerischen Werte nachwirkende
Zucht zu maßvollem Ausdruck, als die Monu-
meutalaufträge nachließen und sie sich wieder
mehr auf lebensgroße und noch kleinere Ge-
staltungen beschränken mußte.
Es waren bei aller Eigenart ihrer besonderen
Haltung in dem meist klaren Verlauf der Flächen
doch noch mehr Bildungen als Darstellungen, nicht
so lebendig durch innere Spannung erfüllt, wie
später. Auch das Körperliche empfing bei dieser
Künstlerin, die dem Impressionismus kaum je
Tribut gezollt hat, durch die Beziehung und
Drehung der einzelnen Formen zueinander bei
allem rhythmisch Gelösten, Bewegten ein architek-
tonisches Gefüge, in dem das Sockelmäßige, der
stabile Unterbau der Beine, Schnitt der Hüften
und das Aufsteigen der oberen Teile mit dem An-
geschmiegten oder Schwingenden der Arme als
Träger einer plastischen, auf Rundansicht be-
rechneten Gestaltung mitsprach. Auch Arbeiten iu
Bronze, wie etwa die kleine Gruppe iu der Samm-
lung v. d. Heydt zu Elberfeld oder die „Schreitende"
des „Folkwang" zeigten noch diesen gewollt herben
Zug und einen Stilwillen, der sich erst in der
Folgezeit zugunsten stärkerer sinnlich-seelischer
Ausprägung mählich lockern und vom ekstatisch
Aufgelösten wieder zur Geschlossenheit einer neu
bereicherten Formenwelt führen sollte.
Gewiß konnte dieser Weg, diese Entwicklung,
wie das ja auch bei den männlichen Genossen der
Fall gewesen ist, in der Epoche des expressio-
nistischen Ubergangstaumels nicht ohne einige
Brüche abgehen, wenn auch immer wieder ver-
wunderlich und erstaunlich erscheinen wird, wie
wenig Zeitgebundenes, an fremde Vorbilder An-
klingendes dennoch in dem der Wirklichkeitsnach-
ahmung so abholden Werk der Künstlerin ent-
halten blieb.
2. Juli-Nr. II. Ihg., Nr. 14
Verlag Kunst der Nation G. m. b. L., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz- und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W50, Tauentzienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.
Einzelpreis 3d Pfennige
Vom kommenden Theater
Der Weg der Werk-Vühne
Bon
Günther Hadank
Trotz jahrelanger, unablässiger, eindeutiger
Forderung nach dem entsprechenden Ausdruck für
die innere Bewegtheit einer neuen Zeit verbietet
unser Schicksalglaube eine ablehnende Kritik an
der Vergangenheit.
Vergangenheit ist Form, Gegenwart: Prägung,
Zukunft: Stoff. Gerade diese Erkenntnis zwingt
uns zur klaren Stellungnahme gegen die, deren
Ablehnung der Vergangenheit unproduktiv ist
uud somit die eigene Verhaftung in den veralteten
Kräften und Formen beweist. Für uns ist allein
Ursprung und Ziel richtunggebend. Wir sehen in
einem neuen Namen nichts, in dem neuen
schlackenlosen Menschen alles.
Wir empfanden und erkannten schon vor
Jahren und haben uns offen durch Wort und Tat
dazu bekannt, daß das liberalistische Theater von
Rang — Minderwertiges bleibt hier außer Be-
tracht — keine innere zwingend zum Ausdruck
drängende Kraft mehr besitzt, die Welle des Lebens
in ihm ist ansgeklnngen, sein Dasein erstarrt.
Deutlich wird das Gesagte an der unzeitgemäßen,
überalterten Form. Dieses Theater gesellschaft-
licher Problemstellungen und Bildung, fast aus-
schließlich sprachlicher Erörterungen und Werte,
dient der Zerstreuung, der Unterhaltung, dem
Zeitvertreib.
Unsere Ablehnung des Vergangenen für die
Gegenwart bceuuret aber keineswegs eine
Wertung. Wir halten es mit der Würde des
Künstlers für nicht vereinbar, einer aus anderen
Bedingtheiten erwachsenen Leistung unsere
Achtung zu versagen.
Wenn das heutige Theater noch von den
Varianten des Reinhardtschen Formenschatzes lebt,
so erkennen und vor allem fühlen wir wiederum
deutlich, daß dies kein Anfang ist.
Eine vollendete Kunst form hat
keinen formenden Lebensgehalt und
keine Zeugnngskraft mehr. Deshalb
besitzt sie auch keinen Anknüpfungspunkt für
Kommendes.
Wir glauben auch nicht mehr an die lebendige
Schönheit dieses vollendeten Theaters, sondern
einzig und allein an den äußerlich mageren Be-
ginn aus innerer Fülle, an das Sein als blut-
volles, schöpferisches Bekenntnis.
Formal ist ein Ende erreicht, die Umkehrung,
d. h. die Schwergewichtsverlagerung von außen
nach innen erfolgt. So beginnt der neue Kreis-
lauf allen Werdens.
Der Mut zum Anfang ist die Vorbedingung
für eine zeitentsprechende Kultur.
Aber auch das Anknüpsen an uralte Formen
will uns keineswegs als ein lebendiges Vorwärts
erscheinen. Jede Form ist typisch zeitgebunden
und auch die edelste Gestaltung einer vergangenen
Epoche kann in ihrer Prägung nicht mehr gültig
sein.
Unsere Überzeugung ist, daß bei einem Neubau
mit dem Fundament begonnen werden muß und
die Ausstattung der Räume erst nach dem Bau
des Hauses erfolgen kann. Mit dem Wechsel der
Tapeten ist am Haus nichts Wesentliches geändert.
Deshalb setzen wir die Forderung nach der neuen
Hülle, dem Theaterbau, uicht an erste Stelle,
sondern sammeln die fundamentalen, produktiven
Kräfte und fördern deren Wachstum zum Aus-
druck. So wird zu ihrer Zeit auch die äußere
Gestalt, zentral bedingt, stch ergeben.
Wir beginnen mit unserem Weg
nicht bei der Literatur- und
Theatergeschichte, wir entwickeln nicht aus vor-
handenen Formen des Theaters, wir stehen zu
Anfang am Quell künstlerischen Ausdrucks-
zwanges. Was Gültigkeit besitzt, ist gerade das
noch Ungeformte, das Elementare, das was noch
nicht Gestalt geworden ist und dasjenige, was den
Zentralpunkt und den Sinn unseres Lebens ewig
ausmacht und bestimmt. Hier am Wesenskern
haben wir zu beginnen, ohne starre Erfahrung
vernichtend eingreifen zu lassen.
Jeder Beginn ist die Einheit von Leben und
Werk.
Wir setzen die Erkenntnis unserer Arbeit vor-
an, daß es keine Knnstschöpfung an sich gibt, daß
vielmehr sämtliche Elemente des
Bühnenkun st Werks (M ensch , Ma-
terial, Licht (Farbe), Ton in ihrer
Vielfalt) zusammen einen sich abwandelnden
Akkord irrealer Wesenheiten erzeugen, der als das
Kunstwerk anzusprechen ist.
Wir erschaffen nichts, sondern wir schaffen
durch künstlerische Betonungsreihen (Erscheinungs-
reihen, Bewegungsreihen, Licht und Farbreihen
sowie Tonreihen) aus ewig vorhandenen übersinn-
lichen Werten sinnlich wahrnehmbare Harmonien
und Disharmonien, deren Gesamtgestalt unmittel-
bar zum wesentlichen Inhalt führt.
Fern von jeder Problematik ist dieser drama-
tische Akkord das direkt wirkende Werk. Dieses ist
durch seine wesentlich kosmische Bedingtheit
kultisch.
Wir legen den Schwerpunkt des künstlerischen
Geschehens nach innen. Durch die Intervalle der
Betonungen bewegen wir alle Bühnenelemente
aus innerer Rhythmik, in entsprechender Dynamik
bestimmt von den allgemeingültigen Gesetzen
des Organischen und der Materie und
stellen sie in die entsprechende und entscheidende
eindeutige kosmische Position, wodurch das Kunst-
werk seine monumentale Wirkung, seinen irratio-
nalen Wert erhält.
Die Erreichung der Ganzheit und Harmonie in
dieser Bedingtheit setzt die unterbewußte Be-
herrschung und die bewußte Kenutnis der ent-
sprechendem Kraftströme voraus. Natürlich ahnen
wir heute noch unendlich viel mehr als wir er-
kenntnismäßig bisher erfassen konnten.
Wir gestalten das Kunstwerk als
geschlossene Einheit nicht mehr
linear, sondern räumlich. Die Fugen-
losigteir des Werks erreichen wir dura) tue Weri'-
gleichsetzung sämtlicher Elemente und wir erzielen
hierdurch das organische Wachstum des Pausen-
losen — d. h. unzerbrochenen Bühnenkunstwerkes.
Ob menschlicher Ausdruck, Materie, Laut, Licht
oder Farbe, alles fügt sich als dramatisches
Element in den Strom und Ablauf des Ganzen.
Die Ebene der Sprache wird abgelöst durch die
Bewegtheit und farbige Vielgestalt der charakte-
ristischen Ausdrncksmittel.
Die Werk-Bühne bedarf des reinen meta-
physischen Menschen, des Künstlers, der die kos-
mische Verbundenheit und Einordnungssähigkeit
in des Wortes höchster Bedeutung besitzt, um
wesentlich wirken und die kultische Handlung voll-
ziehen zu können. Dieser Mensch wandelt sich
nicht, sondern verdichtet sich mehr und mehr zu
höchster allgemeingültiger Einfachheit. Er ist im
tiefsten Sinn Mittel. Die Verwandlung ist
Illusion, wir jedoch wollen Wirklichkeit.
So entsteht das dramatisch heroische Spiel.
Damit ist die Eigenart der Werk-Bühne um-
rissen, der Gegensatz zur bürgerlichen Form des
Theaters erkennbar.
Wir wollen kein Theater aus ästhetischen Ge-
sichtspunkten, kein Bildungstheater, kein wissen-
schaftlich-konstruktives, keiu Gesellschaftstheater,
auch keine Amüsierstätte.
Wir wollen überhaupt keiu Theater, sonderu
wir fühlen uns als Träger der kommenden, weil
notwendigen, gebunden-freien Kunsthandlung,
deren Gesetzmäßigkeit und seelisch-geistige Inten-
sität sie zum Mittler kosmischer Kraftströme macht,
zum Tor zwischen Irrealität und Realität,
zwischen uns und den Kraftzentren der Welt.
Trotz unablässiger Arbeit sind wir uns des
noch langen und schweren Weges zur Erreichung
dieses Ziels Wohl bewußt.
Der praktische Anfang muß gemacht werden.
Wir rufen auf zum Beginn. Die Werkbühne will
wirkliche Volkskunst im wahrhaften Volkstheater.
M»S Sieger
Ihr Aufstieg ging inr wesentlichen in jenen
Jahren vor sich, als der expressionistische Über-
schwang die alten Bilder zerschlug, ohne es doch
zu vermögen, neue an ihre Stelle zu setzen und
verlief, da ihr erster Förderer der einflußreiche
Karl Ernst Osthaus war, der bereits Aufträge
an Minne, Haller, Albiker und Maillol vermittelt
hatte, verhältnismäßig schnell. Sein Spürsinn ge-
riet, als es sich um Ausführung von plastischem
Schmuck für die öffentlichen Gebäude in Hagen
handelte, auf eine junge Bildhauerin, die in der
Berliner Sezession erstmalig ausstellte und er war
vorurteilsfrei genug, ihr, von der man damals
nicht viel mehr wissen konnte, als daß sie bei
Janssen in Düsseldorf gelernt und eine Zeitlang
bei Georg Kolbe in Florenz gearbeitet hatte, nach
der unverkennbaren Talentprobe eines „Mädchen-
torso" Haus, Atelier uud Wirkungskreis zn ver-
schaffen.
Milly Sieger, Große Kauernde. 1929/39
Phot. Rothschild
Milly Sieger ist volle acht Jahre Stadtbild-
hauerin von Hagen geblieben, eine Zeit des
Lernens, Suchens, voller Tätigkeit und An-
regungen. Was war nicht alles in diesem
rührigen Gemeinwesen am Werk, wo das Folk-
wang-Museum seine Schätze bot, in dem Bauten
von Peter Behrens, Riemerschmidt, van de Velde
und Bruno Taut entstanden, das Rohlfs aus
Weimar, E. R. Weiß aus Stuttgart und den Glas-
maler Thorn-Prikker aus Krefeld berufen hatte!
Es waren aber auch Jahre der äußeren Kämpfe,
die mit heftigsten Protesten aus der Bürgerschaft
einsetzten und vielfachen Gutachten von Museums-
leuten dagegen, als vier überlebensgroße Fassaden-
figuren der Sieger, dreißig Meter hoch über dem
Erdboden in ihrer nackten Pfeilerhaften Ruhe das
Empfinden der künstlerisch Rückständigen zu ver-
letzen drohten. Auch diese heute kaum noch be-
greiflichen Stürme, die trotz allem die Beglückung
des Sichfindens brachten, gingen vorbei und noch
immer stehen jene Figuren und vieles andere,
was damals, manchmal in harter Arbeit aus dem
Material heraus, an Skulpturen für Terrassen-
anlagen, an Reliefs, Portalgestalten und Gruppen
für die Stadthalle, Sparkassen und Schulen ge-
schaffen wurde. Architektonische Plastik, dienend,
aber ihren Schöpfer nicht in einer Art von künst-
lerischem Exil lassend und selbst in den zu unseren
Tagen noch möglichen und üblichen Formen jedem
geborenen Bildhauer ein Stück Sehnsucht. Bei
Milly Sieger überdies in jener Epoche der Um-
wertung aller künstlerischen Werte nachwirkende
Zucht zu maßvollem Ausdruck, als die Monu-
meutalaufträge nachließen und sie sich wieder
mehr auf lebensgroße und noch kleinere Ge-
staltungen beschränken mußte.
Es waren bei aller Eigenart ihrer besonderen
Haltung in dem meist klaren Verlauf der Flächen
doch noch mehr Bildungen als Darstellungen, nicht
so lebendig durch innere Spannung erfüllt, wie
später. Auch das Körperliche empfing bei dieser
Künstlerin, die dem Impressionismus kaum je
Tribut gezollt hat, durch die Beziehung und
Drehung der einzelnen Formen zueinander bei
allem rhythmisch Gelösten, Bewegten ein architek-
tonisches Gefüge, in dem das Sockelmäßige, der
stabile Unterbau der Beine, Schnitt der Hüften
und das Aufsteigen der oberen Teile mit dem An-
geschmiegten oder Schwingenden der Arme als
Träger einer plastischen, auf Rundansicht be-
rechneten Gestaltung mitsprach. Auch Arbeiten iu
Bronze, wie etwa die kleine Gruppe iu der Samm-
lung v. d. Heydt zu Elberfeld oder die „Schreitende"
des „Folkwang" zeigten noch diesen gewollt herben
Zug und einen Stilwillen, der sich erst in der
Folgezeit zugunsten stärkerer sinnlich-seelischer
Ausprägung mählich lockern und vom ekstatisch
Aufgelösten wieder zur Geschlossenheit einer neu
bereicherten Formenwelt führen sollte.
Gewiß konnte dieser Weg, diese Entwicklung,
wie das ja auch bei den männlichen Genossen der
Fall gewesen ist, in der Epoche des expressio-
nistischen Ubergangstaumels nicht ohne einige
Brüche abgehen, wenn auch immer wieder ver-
wunderlich und erstaunlich erscheinen wird, wie
wenig Zeitgebundenes, an fremde Vorbilder An-
klingendes dennoch in dem der Wirklichkeitsnach-
ahmung so abholden Werk der Künstlerin ent-
halten blieb.