Kunst der Nation
3
G. H. Thennissen:
Georg Kolbe
Oft genug ist das Werk dieses Plastikers mit
Worten umschrieben worden, die aus den Bereichen
des Tanzes und der Musik genommen wurden,
und so sicherlich dieses ost mit Recht und immer
mit einem tief innerlichen Erstaunen vor der Sub-
tilität der Formen und Bewegungen geschah, so
sehr auch übersah man die schöpferische Begren-
zung Rests Werkes, das eben durch diese Begren-
zung zum vollkommenen Ausdruck seines Schöp-
fers wurde, so sehr auch lief man der Gefahr
entgegen, das Eigentliche zu verkennen, indem
man Etwas veräußerlichte, von dem die unvergeß-
lich großartige Gebärde nur ein Teil ist: den
ganzere Menschen, und vor allem den einzig nur
menschlichen Menschen. Und oft ist dieser alles
Titanenhafte ausschließende und in diesem Ver-
stände gänzlich nnmonnmentale Mensch des Kolbe-
schen Werkes ohne Gebärde, er ist selbst Raum im
Raum, seine Gestalt ist mit einer solchen Un-
bedingtheit, kraft ihrer unerhörten Proportionali-
tät, die jede Bewegung nach innen zurückstrahlt
und verankert, daß sie ans das Einbegreifen des
Außenraumes verzichten kann. Da man dieses
Seltsame und Gesetzmäßige übersah, verkannte
man die Tiefen dieses reichen Schaffens und ver-
niedlichte und verbürgerlichte es in dem Maße,
wie Kolbe selber über sich hinausgriff, nämlich aus
der Sphäre der Sprache oder des Sprechenden, das
für ihn ins Plastisch-Räumliche übersetzt, der
Tanz war und ist, in die Region des Schweigens.
Nun ist es nicht so, daß diese Wandlung eine
Entwicklung wäre, wie aus der Knospe die Blume
wird, wie die breite Basis einer Pyramide sich zur
Spitze verjüngt, oder wie aus dem Jüngling der
Mann ersteht. Es gibt da in allem keinen An-
fang und kein Ende, die beide zusammenfassend
überspannt wären vom Bogen der ablanfenden
Jahre des Künstlerlebens. Gewiß werden die ein-
zelnen Werkzeiten von bestimmten Tendenzen be-
eindruckt, aber immer wieder taucht neben dem
Schweren das Leichte, neben dem Archaisch-
Strengen das Gelöste empor. In der Fülle der
Arten und Vorkommnisse liegt etwas Räumliches
verborgen, in dem Sinne einer Schichtung und
eines Nebeneinander. Diese breite, wenn auch
durchaus nicht tellurisch-massive Mannigfaltigkeit
rechnet, natürlich vollständig unbewußt, uicht mit
der Zeit, sie kennt sie nicht, weder in der Ganzheit
des bisherigen Schaffens, noch im einzelnen Werk.
Wenn man die Frage stellen würde, wie denn
das Werk Kolbes mit dem Urgrunde der Natur,
des Mütterlich-Kreativen verbunden sei, so müßte
man sagen: dadurch, daß es, wie die Natur, die
Zeit als mechanistischen Ablauf nicht kennt, son-
dern nur die Gleichzeitigkeit oder das sich wan-
delnde Unveränderliche, mit einem Wort: die
Periodizität für sich in Anspruch nimmt, sehr im
Gegensatz zn der: übrigen Bildhauern unserer
Zeit, und nicht nur unserer Zeit! Dieses eigen-
artige Phänomen ist der große unsichtbare Raum,
der alle Arbeiten umgibt. Es allein erklärt,
warum bei Kolbe nirgendwo Experimente ge-
wagt werden, ja warum bei ihm überhaupt das
alle Bindungen sprengende Wagemutige und Be-
sessene fehlt, und es macht, nicht zuletzt das ans,
was man Natürlichkeit nennen könnte, das nicht
nur Anmut und Grazie ist, viel öfters auch ge-
staute Kraft und festgefügte Stetigkeit und Stäu-
digkeit.
Die Überwindung der Natur als der groben,
allen zugänglichen Tatsächlichkeit, die wir gemein-
Gcor» Kolbe
Photo Jutta Selle
hin Wirklichkeit nennen, , wie sie z. B. der Na-
turalismus umwirbt, geschieht durch das äußerst
wache Wissen von der Gefährdung des Menschen
als des Naturgeschöpfes, insofern als er sich von
der Natur abzulösen vermag und insofern ihm das
Bewußtsein seiner selbst gegeben ist, wodurch er
sich vom vegetativen und Animalischen zu scheiden
Georg Kolbe
Photo Jutta Selle
vermag. Betrachtet man die Kolbeschen Menschen
aufmerksam, so offenbaren sie eine vollkommene
Geschlossenheit des Leibes, sie sind keine Statuen,
sondern Plastiken, die zu atmen scheinen und ge-
zeichnet sind vom Erlebnis der Welt durch ihre
leibliche und seelische Existenz, aber wie nahe sie
auch der Natnr sein mögen, immer strahlen sie das
Fluidum eines feinnervigen, wenn nicht ner-
vösen Geistes aus. Diese Nervosität entspringt
eben dieser Gefährdung der Natur durch den Geist.
Das ist der schöpferische Sinn des Kolbeschen
Werkes und — aller Kultur. Nie hat es in
Deutschland einen geistigeren Plastiker ge-
geben als Kolbe, nie einen, bei dem Kul-
tur, im Sinne einer sehr selbstbewußten
und fanatischen Zähmung der chaotischen
Triebe, sinnlicher und zugleich geistiger zum Aus-
druck käme. Und wenn mall sich nicht mit der
zwar lobesvollen, doch recht billigen Etikettierung
„tänzerisch" und „musikalisch" begnügen will, wenn
man sich angesichts dieser Kunstwerke Rechenschaft
vor ihnen und vor uns selbst geben möchte, dann
ist es notwendig, die Spannungen abzulesen, aus
deuen die Physioguomie dieses Werkes erwächst. Es
sind dieselben Spannungen, wie sie in jedem Werke
großer Kunst gegenwärtig sind, doch sind sie bei
jedem Künstler voll der Art seiner eigenen, ihm
allein vom Schicksal zngesprochenen Begabung und
Genialität.
Rein lehrmäßig, so möchte man sagen, gesehen,
denn auch hier zeigt sich wie zum Beweise wieder
einmal, wie wellig der Begriff der Entwicklung
ans ihn Paßt, ist Kolbe durch das Schassen Rodins
hindnrchgegangen und hat von der Antike im Ver-
laufe seiner römischen Lehr- und Wanderjahre
manche Orientierung erfahren; welcher Plastiker
hätte das nicht! Aber er ist so wenig ein Schüler
Rodins geworden, wie ein Epigone mit hellenisti-
schen Allüren. Er ist schon im frühen Beginn er
selbst, gleich wie, um ein Beispiel der sich wan-
delnden Unveränderlichkeit aus der Literatur zu
nehmen, Hugo von Hosmannsthal es ist. Merk-
würdig übrigens, wie bei diesen beiden Künstlern
höchsten Ranges und derselben Generation die
streilge Klassizität des Schaffens der lebendigen,
warmen Menschlichkeit, durchzittert von heftigen
Erregungen einer ungemein gespannten Geistigkeit,
durchblutet von der wundervollen Leidenschaft sehr
sinnlicher Instinkte für das Charakterologische in
Stimmung lind Form, die größte Weiträumigkeit
zuspricht.
Kolbe ist der Gestalter des Menschen in seiner
Verkündung des Menschentumes. Er tritt nie aus
dem Bannkreis dieser Bestimmung: die Bereit-
schaft des Menschen zu seinem Schicksal, doch nicht
zur Opferung für die Götter, und nicht, um sich
selbst auszulöschen im Angesichte fremder Mächte.
Man vergegenwärtige sich einmal an anderen
Plastikern, was dieses besagen will: ihm ist alles
Mythische fremd, wie es Barlach eigen ist, es sei
denn der Mythus von den Geschlechtern, Mann und
Weib; ihm wird die Gewalt und der Trotz der rin-
genden und schlafenden Göttermenschen eines
Michelangelo niemals zum Symbol, wie er ja auch
der am wenigsten Symbolhafte ist, den man sich, bei
der Fülle der Gestalten, zu denken vermag. Es
gibt für ihn keine andere Beziehung des Menschen,
als die zu der auf sich selbst gestellten, aller Jen-
seitigkeit fremden Gestalt. Aus der Nur-Menschen-
haftigkeit gebiert sich im Kolbeschen Werke das
Heroische, aber es hält keine Zwiesprache mit über-
irdischen Mächten, es ist einsam und schweigend.
Wo dennoch das Metaphysische einbricht, da ge-
schieht es ohne die Flamme der Religiosität, die den
Leib aufzehrt in der Ekstase des Herzens.
Dieser Plastiker hat den Menschen leuchtend ge-
macht. er hat das Höchste hinübergerettet aus ver-
wahrloster und barbarischer Zeit in die Stille der
Kunst: die Gestalt des Leibes im lebendigen Geist.
Führung zur Kunst
Fortsetzung von S. 2
die ehemaligen Volksschüler zn Weitschweifigkeit
neigen. Zugleich ist vor: hier aus der volks-
erzieherisch praktische Ansatzpunkt gegeben für die
Aktivierung im Kampf gegen die übertriebene
Schlagwortverwendung in unserem modernen Le-
ben. Die von der führenden Kraft des neuen
Staates geprägten Aussprüche und Formeln dür-
fen ja nie und nimmer zu leeren Schlagworten
werden. Der Kamps gegen die falsche und leicht-
fertige Schlagwortverwendnng ist zugleich der
Kampf um die Würde mW Hoheit des neuen
Staates.
Schließlich eine letzte Gruppe von sprachlichen
Übungen führt zur Gestaltung des Dialogs.
Hier ist die Aufgabe, ein Thema in Frage und Ant-
wort zu behandeln, auch das wird mündlich und
schriftlich geschehen können. Diese Übungen können
sehr schön und folgerichtig zu Improvisation und
Laienspiel hinführen. Hier wird die sprach-
liche Teilgruppe auch wieder für die Gesamtgruppe
etwas Gestaltetes leisten können, indem sie für
einige Abende Laienspiele vorbereitet.
Hier wird vielleicht sogar die Möglichkeit sich ergeben,
den Gruppen ihren gemeinsamen Mittelpunkt zu geben. Die
Körperschulungsgruppe wird an solchem Spielabend vielleicht
eine Tanzspieleinlage machen. Die Zeichengruppe wird für
Dekoration und Kostüme sorgen. Die musikalische Gruppe
für Gesang und Jnstrumentaleinlagen, und die sprachliche
Gruppe wird den Text des Laienspiels einüben.
So ist hier die Möglichkeit gegeben, daß sich vielleicht
in einer solchen gemeinsamen Schlußarbeit die verschiedenen
Teilgruppen mit den Ergebnissen ihrer Übungsarbeit zu einer
höchst eindrücklichen Schlußvorstellung zusammenfinden, so daß
dann jeder einzelne das Gefühl hat, gestaltend an der Ge-
meinschaft mitgewirkt zu haben. Das, was er in ernsthafter
Bemühung im künstlerischen Ausdruck und unter Vergleich
mit dem beispielhaften Ausdruck künstlerischer Meisterschaft
im Laufe der Freizeit gelernt hat, wird nun fruchtbar als
Teil in dem mehr oder weniger gelungenen Laienspiel. Das
ist dann vielleicht der laienkünstlerische Ausdruck einer wirk-
lichen Gemeinschaft, die auch lrbensmaßig in den drei Wochen
Der Bildhauer Georg Kolbe Phot. Jutta Selle
stark zusammengewachsen ist, und ein Stück echter Volksver-
bundenheit nun im eigentlichen Sinne des Wortes darstellt.
Es ist klar, daß die Arbeit der hier geschilderten
künstlerischen Aktivgruppen nur dann zn den hier
angedeuteten Ergebnissen führen kann, wenn die
ganze Freizeit unter fachkundiger Füh-
rung straff und sicher aufgebaut
wird. Die Arbeit der Ubungsgruppen darf nicht
isoliert vor sich gehen. Sie muß in einem gut auf-
gebauten gemeinsamen Tagesleben verwurzelt
sein; denn es gilt ja die gründliche Erholung aller
Teilnehmer. Sie haben nur diese kurze Freizeit
im Jahr.
Das Grundgesetz aller Freizeitgestaltung ist,
daß hier dem Menschen nicht seine Freizeit weg-
organisiert wird. Er muß in seinem Urlaub
das Gefühl haben, ganz frei und unbeschwert zu
leben, gemeinsam mit andern, die ebenso frei und
unbeschwert leben und sich ihres Lebens freuen.
Es darf nichts erzwungen werden in der Freizeit,
alles muß auf freudiger und freiwilliger Überein-
kunft beruhen. Die Führung muß also bei allen
Freizeitunternehmungen besonders tiefreichende
Erfahrungen in die wirklich vorhandenen körper-
lichen und geistigen Bedürfnisse der verschiedenen
Berufsgruppen und ihre Erholungsfähigkeit mit-
bringen. Das bedeutet jedoch keineswegs
das Fehlen eines straffen Aufbaues der
FreizeitgrupPeu zu einer wirklich volksver-
bundenen Gemeinschaft. Es wird Sache der
Erfahrung des Führers der Freizeitunter-
nehmung sein — wie ja auch erst die viel-
Eeora Kolbe
Photo Schwarzkopfs
3
G. H. Thennissen:
Georg Kolbe
Oft genug ist das Werk dieses Plastikers mit
Worten umschrieben worden, die aus den Bereichen
des Tanzes und der Musik genommen wurden,
und so sicherlich dieses ost mit Recht und immer
mit einem tief innerlichen Erstaunen vor der Sub-
tilität der Formen und Bewegungen geschah, so
sehr auch übersah man die schöpferische Begren-
zung Rests Werkes, das eben durch diese Begren-
zung zum vollkommenen Ausdruck seines Schöp-
fers wurde, so sehr auch lief man der Gefahr
entgegen, das Eigentliche zu verkennen, indem
man Etwas veräußerlichte, von dem die unvergeß-
lich großartige Gebärde nur ein Teil ist: den
ganzere Menschen, und vor allem den einzig nur
menschlichen Menschen. Und oft ist dieser alles
Titanenhafte ausschließende und in diesem Ver-
stände gänzlich nnmonnmentale Mensch des Kolbe-
schen Werkes ohne Gebärde, er ist selbst Raum im
Raum, seine Gestalt ist mit einer solchen Un-
bedingtheit, kraft ihrer unerhörten Proportionali-
tät, die jede Bewegung nach innen zurückstrahlt
und verankert, daß sie ans das Einbegreifen des
Außenraumes verzichten kann. Da man dieses
Seltsame und Gesetzmäßige übersah, verkannte
man die Tiefen dieses reichen Schaffens und ver-
niedlichte und verbürgerlichte es in dem Maße,
wie Kolbe selber über sich hinausgriff, nämlich aus
der Sphäre der Sprache oder des Sprechenden, das
für ihn ins Plastisch-Räumliche übersetzt, der
Tanz war und ist, in die Region des Schweigens.
Nun ist es nicht so, daß diese Wandlung eine
Entwicklung wäre, wie aus der Knospe die Blume
wird, wie die breite Basis einer Pyramide sich zur
Spitze verjüngt, oder wie aus dem Jüngling der
Mann ersteht. Es gibt da in allem keinen An-
fang und kein Ende, die beide zusammenfassend
überspannt wären vom Bogen der ablanfenden
Jahre des Künstlerlebens. Gewiß werden die ein-
zelnen Werkzeiten von bestimmten Tendenzen be-
eindruckt, aber immer wieder taucht neben dem
Schweren das Leichte, neben dem Archaisch-
Strengen das Gelöste empor. In der Fülle der
Arten und Vorkommnisse liegt etwas Räumliches
verborgen, in dem Sinne einer Schichtung und
eines Nebeneinander. Diese breite, wenn auch
durchaus nicht tellurisch-massive Mannigfaltigkeit
rechnet, natürlich vollständig unbewußt, uicht mit
der Zeit, sie kennt sie nicht, weder in der Ganzheit
des bisherigen Schaffens, noch im einzelnen Werk.
Wenn man die Frage stellen würde, wie denn
das Werk Kolbes mit dem Urgrunde der Natur,
des Mütterlich-Kreativen verbunden sei, so müßte
man sagen: dadurch, daß es, wie die Natur, die
Zeit als mechanistischen Ablauf nicht kennt, son-
dern nur die Gleichzeitigkeit oder das sich wan-
delnde Unveränderliche, mit einem Wort: die
Periodizität für sich in Anspruch nimmt, sehr im
Gegensatz zn der: übrigen Bildhauern unserer
Zeit, und nicht nur unserer Zeit! Dieses eigen-
artige Phänomen ist der große unsichtbare Raum,
der alle Arbeiten umgibt. Es allein erklärt,
warum bei Kolbe nirgendwo Experimente ge-
wagt werden, ja warum bei ihm überhaupt das
alle Bindungen sprengende Wagemutige und Be-
sessene fehlt, und es macht, nicht zuletzt das ans,
was man Natürlichkeit nennen könnte, das nicht
nur Anmut und Grazie ist, viel öfters auch ge-
staute Kraft und festgefügte Stetigkeit und Stäu-
digkeit.
Die Überwindung der Natur als der groben,
allen zugänglichen Tatsächlichkeit, die wir gemein-
Gcor» Kolbe
Photo Jutta Selle
hin Wirklichkeit nennen, , wie sie z. B. der Na-
turalismus umwirbt, geschieht durch das äußerst
wache Wissen von der Gefährdung des Menschen
als des Naturgeschöpfes, insofern als er sich von
der Natur abzulösen vermag und insofern ihm das
Bewußtsein seiner selbst gegeben ist, wodurch er
sich vom vegetativen und Animalischen zu scheiden
Georg Kolbe
Photo Jutta Selle
vermag. Betrachtet man die Kolbeschen Menschen
aufmerksam, so offenbaren sie eine vollkommene
Geschlossenheit des Leibes, sie sind keine Statuen,
sondern Plastiken, die zu atmen scheinen und ge-
zeichnet sind vom Erlebnis der Welt durch ihre
leibliche und seelische Existenz, aber wie nahe sie
auch der Natnr sein mögen, immer strahlen sie das
Fluidum eines feinnervigen, wenn nicht ner-
vösen Geistes aus. Diese Nervosität entspringt
eben dieser Gefährdung der Natur durch den Geist.
Das ist der schöpferische Sinn des Kolbeschen
Werkes und — aller Kultur. Nie hat es in
Deutschland einen geistigeren Plastiker ge-
geben als Kolbe, nie einen, bei dem Kul-
tur, im Sinne einer sehr selbstbewußten
und fanatischen Zähmung der chaotischen
Triebe, sinnlicher und zugleich geistiger zum Aus-
druck käme. Und wenn mall sich nicht mit der
zwar lobesvollen, doch recht billigen Etikettierung
„tänzerisch" und „musikalisch" begnügen will, wenn
man sich angesichts dieser Kunstwerke Rechenschaft
vor ihnen und vor uns selbst geben möchte, dann
ist es notwendig, die Spannungen abzulesen, aus
deuen die Physioguomie dieses Werkes erwächst. Es
sind dieselben Spannungen, wie sie in jedem Werke
großer Kunst gegenwärtig sind, doch sind sie bei
jedem Künstler voll der Art seiner eigenen, ihm
allein vom Schicksal zngesprochenen Begabung und
Genialität.
Rein lehrmäßig, so möchte man sagen, gesehen,
denn auch hier zeigt sich wie zum Beweise wieder
einmal, wie wellig der Begriff der Entwicklung
ans ihn Paßt, ist Kolbe durch das Schassen Rodins
hindnrchgegangen und hat von der Antike im Ver-
laufe seiner römischen Lehr- und Wanderjahre
manche Orientierung erfahren; welcher Plastiker
hätte das nicht! Aber er ist so wenig ein Schüler
Rodins geworden, wie ein Epigone mit hellenisti-
schen Allüren. Er ist schon im frühen Beginn er
selbst, gleich wie, um ein Beispiel der sich wan-
delnden Unveränderlichkeit aus der Literatur zu
nehmen, Hugo von Hosmannsthal es ist. Merk-
würdig übrigens, wie bei diesen beiden Künstlern
höchsten Ranges und derselben Generation die
streilge Klassizität des Schaffens der lebendigen,
warmen Menschlichkeit, durchzittert von heftigen
Erregungen einer ungemein gespannten Geistigkeit,
durchblutet von der wundervollen Leidenschaft sehr
sinnlicher Instinkte für das Charakterologische in
Stimmung lind Form, die größte Weiträumigkeit
zuspricht.
Kolbe ist der Gestalter des Menschen in seiner
Verkündung des Menschentumes. Er tritt nie aus
dem Bannkreis dieser Bestimmung: die Bereit-
schaft des Menschen zu seinem Schicksal, doch nicht
zur Opferung für die Götter, und nicht, um sich
selbst auszulöschen im Angesichte fremder Mächte.
Man vergegenwärtige sich einmal an anderen
Plastikern, was dieses besagen will: ihm ist alles
Mythische fremd, wie es Barlach eigen ist, es sei
denn der Mythus von den Geschlechtern, Mann und
Weib; ihm wird die Gewalt und der Trotz der rin-
genden und schlafenden Göttermenschen eines
Michelangelo niemals zum Symbol, wie er ja auch
der am wenigsten Symbolhafte ist, den man sich, bei
der Fülle der Gestalten, zu denken vermag. Es
gibt für ihn keine andere Beziehung des Menschen,
als die zu der auf sich selbst gestellten, aller Jen-
seitigkeit fremden Gestalt. Aus der Nur-Menschen-
haftigkeit gebiert sich im Kolbeschen Werke das
Heroische, aber es hält keine Zwiesprache mit über-
irdischen Mächten, es ist einsam und schweigend.
Wo dennoch das Metaphysische einbricht, da ge-
schieht es ohne die Flamme der Religiosität, die den
Leib aufzehrt in der Ekstase des Herzens.
Dieser Plastiker hat den Menschen leuchtend ge-
macht. er hat das Höchste hinübergerettet aus ver-
wahrloster und barbarischer Zeit in die Stille der
Kunst: die Gestalt des Leibes im lebendigen Geist.
Führung zur Kunst
Fortsetzung von S. 2
die ehemaligen Volksschüler zn Weitschweifigkeit
neigen. Zugleich ist vor: hier aus der volks-
erzieherisch praktische Ansatzpunkt gegeben für die
Aktivierung im Kampf gegen die übertriebene
Schlagwortverwendung in unserem modernen Le-
ben. Die von der führenden Kraft des neuen
Staates geprägten Aussprüche und Formeln dür-
fen ja nie und nimmer zu leeren Schlagworten
werden. Der Kamps gegen die falsche und leicht-
fertige Schlagwortverwendnng ist zugleich der
Kampf um die Würde mW Hoheit des neuen
Staates.
Schließlich eine letzte Gruppe von sprachlichen
Übungen führt zur Gestaltung des Dialogs.
Hier ist die Aufgabe, ein Thema in Frage und Ant-
wort zu behandeln, auch das wird mündlich und
schriftlich geschehen können. Diese Übungen können
sehr schön und folgerichtig zu Improvisation und
Laienspiel hinführen. Hier wird die sprach-
liche Teilgruppe auch wieder für die Gesamtgruppe
etwas Gestaltetes leisten können, indem sie für
einige Abende Laienspiele vorbereitet.
Hier wird vielleicht sogar die Möglichkeit sich ergeben,
den Gruppen ihren gemeinsamen Mittelpunkt zu geben. Die
Körperschulungsgruppe wird an solchem Spielabend vielleicht
eine Tanzspieleinlage machen. Die Zeichengruppe wird für
Dekoration und Kostüme sorgen. Die musikalische Gruppe
für Gesang und Jnstrumentaleinlagen, und die sprachliche
Gruppe wird den Text des Laienspiels einüben.
So ist hier die Möglichkeit gegeben, daß sich vielleicht
in einer solchen gemeinsamen Schlußarbeit die verschiedenen
Teilgruppen mit den Ergebnissen ihrer Übungsarbeit zu einer
höchst eindrücklichen Schlußvorstellung zusammenfinden, so daß
dann jeder einzelne das Gefühl hat, gestaltend an der Ge-
meinschaft mitgewirkt zu haben. Das, was er in ernsthafter
Bemühung im künstlerischen Ausdruck und unter Vergleich
mit dem beispielhaften Ausdruck künstlerischer Meisterschaft
im Laufe der Freizeit gelernt hat, wird nun fruchtbar als
Teil in dem mehr oder weniger gelungenen Laienspiel. Das
ist dann vielleicht der laienkünstlerische Ausdruck einer wirk-
lichen Gemeinschaft, die auch lrbensmaßig in den drei Wochen
Der Bildhauer Georg Kolbe Phot. Jutta Selle
stark zusammengewachsen ist, und ein Stück echter Volksver-
bundenheit nun im eigentlichen Sinne des Wortes darstellt.
Es ist klar, daß die Arbeit der hier geschilderten
künstlerischen Aktivgruppen nur dann zn den hier
angedeuteten Ergebnissen führen kann, wenn die
ganze Freizeit unter fachkundiger Füh-
rung straff und sicher aufgebaut
wird. Die Arbeit der Ubungsgruppen darf nicht
isoliert vor sich gehen. Sie muß in einem gut auf-
gebauten gemeinsamen Tagesleben verwurzelt
sein; denn es gilt ja die gründliche Erholung aller
Teilnehmer. Sie haben nur diese kurze Freizeit
im Jahr.
Das Grundgesetz aller Freizeitgestaltung ist,
daß hier dem Menschen nicht seine Freizeit weg-
organisiert wird. Er muß in seinem Urlaub
das Gefühl haben, ganz frei und unbeschwert zu
leben, gemeinsam mit andern, die ebenso frei und
unbeschwert leben und sich ihres Lebens freuen.
Es darf nichts erzwungen werden in der Freizeit,
alles muß auf freudiger und freiwilliger Überein-
kunft beruhen. Die Führung muß also bei allen
Freizeitunternehmungen besonders tiefreichende
Erfahrungen in die wirklich vorhandenen körper-
lichen und geistigen Bedürfnisse der verschiedenen
Berufsgruppen und ihre Erholungsfähigkeit mit-
bringen. Das bedeutet jedoch keineswegs
das Fehlen eines straffen Aufbaues der
FreizeitgrupPeu zu einer wirklich volksver-
bundenen Gemeinschaft. Es wird Sache der
Erfahrung des Führers der Freizeitunter-
nehmung sein — wie ja auch erst die viel-
Eeora Kolbe
Photo Schwarzkopfs