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Kunst der Nation — 2.1934

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Paul, F.: Bildnis und Ähnlichkeit
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Kroll, Bruno: Anton Hiller
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0097

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1. September-Nr., II. Ihg. Nr. 17

Verlag Kunst der Nation G. m. b. K>., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz- und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W50, Tauenhienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Einzelpreis 30 Pfennige



Bildnis und Ähnlichkeit

Wenn Schopenhauer in einer berühmten, aber
etwas überspitzten Formulierung meint, vor ein
Bild habe jeder sich hinzustelleu wie vor einen
Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm
sprechen werde — andernfalls der Voreilige nur
sich selber vernehmen werde: so scheint die nega-
tive Seite davon dem Verhalten gegenüber
Portäts wie „auf den Leib geschrieben". Denn
wodurch entstehen die ewigen, bei jedem Auftrag,
jeder Ausstellung eines prominenten Bildnisses
sich wiederholenden Streitereien über Ähnlichkeit?
Durch die Gewohnheit der Menschen, in einem
Kunstwerk immer das sehen zu wollen, was ihrer
eigenen eng umgrenzten Vorstellung von dem
Gegenstand entspricht. Wenn dieser nun ein an-
scheinend wohlbekannter Zeitgenosse ist, so er-
wartet man das wiederzusinden, was man mit
mehr oder weniger Scharfsinn, meist nur mit
einem psychologischen Ungefähr an dem Dar-
gestellten für richtig hält. Kurzum, jedermann
glaubt, Porträt sei eine Sache der Identität,
und sein Vorstellungsbild kommt ihm wie der Be-
treffende selber vor, sozusagen als das Kantische
Ding an sich.
Dies ist der fundamentale Irrtum beim Be-
trachten jeder Art von Bildnis und beim Begriff
der Ähnlichkeit überhaupt. Es handelt sich da
letzten Grundes um nichts anderes als eine
Spezialsorm des uralten Streites zwischen
Realisten und Idealisten: um die metaphysische
Grundfrage, ob die von uns wahrgenommenen
Dinge „wirklich" sind oder nur unsere „Vor-
stellungen". Wer einigermaßen Bescheid weiß,
muß wohl oder übel aus der Erkenntnis, daß wir
mit unseren sehr bedingten Sinnen nur die Er-
scheinungen, nicht aber das Wesen der Dinge selbst
wahrnehmen können, den Schluß ziehen, daß es
eine Identität zwischen Bildnis und Porträtiertem
gar nicht geben kann; daß gerade in diesem Falle
die Relativität der Erscheinnngswelt flagrant sich
offenbart. Denn wie ein Mensch wirklich ist oder
auch nur aussieht, kann unsere gebrechliche Wahr-
nehmungsfähigkeit niemals feststellen. Was die
Bedingtheit menschlicher Erkenntnis aus dem
trüben Nebel sogenanter Wirklichkeit heraus-
fischt, ist nichts als ein Ausschnitt subjektivster
Vorstellung von der betreffenden Persönlichkeit.
Weil jeder einzelne einen anders funktionierenden
Sehapparat und gänzlich verschiedene Nerven und
Hirnwindungen besitzt, darum ist schon unter den
nächsten Angehörigen, bzw. denen, die einen am
besten zu kennen glauben, niemals eine Einhellig-
keit darüber zu erzielen — nicht etwa, was an
ihm dran sei, sondern nur, ob sein Abbild und
warum es nichts tauge und keine Ahnung von ihm
gebe.

Schon der photographische Apparat mit seiner
scheinbar ganz unbeeinflußt arbeitenden Mechanik
vermag darüber Aufklärung zu geben, daß es eine
Objektivität im Sinne des Identischen unter gar
keinen Umständen gibt. Denn auch über ver-
schiedene und zu gleicher Zeit aufgenommene Licht-
bilder entbrennt der Ahnlichkeitsstreit natürlich
mit denselben Motivierungen Persönlichster Auf-
fassung. Daß die Photographie, auch die von
künstlerischem Geiste geleitete, nichts weiter will
als möglichste Ähnlichkeit bis zur Gleichsetzung,
liegt in ihrer Natur und ist selbstverständlich.
Aber es steht so, daß sie als Menschenwerk ganz
und gar in die Nebelwelt unserer Sinne hinein-
gebaut ist und darum den Gesetzen ihrer Re-
lativität unterliegt. Wie kann man von einem
Mechanismus das verlangen, was der menschliche
Geist — der ihn hervorgebracht hat — selber nicht
leisten kann, weil es jenseits seiner Natur, jen-
seits aller Erkenntnisgrenzen liegt! Die Unter-
schiede, die selbstverständlich bei verschiedenen Auf-
nahmen herauskommen und nichts anderes sind
als mechanische Reflexe der eigensten Auffassung
des den Apparat Bedienenden, liegen in einem
etwas engeren Umkreis um das dunkle Zentrum
des Ahnlichkeitsproblems herum, weil hier das
Bemühen waltet, so objektiv wie möglich zu sein,
und weil der Mechanismus viel von der Sub-
jektivität der künstlerischen Arbeitsweise aus-
schaltet. Und dennoch ist der photographische Er-
folg keineswegs eine mathematisch feststellbare
Summe von Tatsächlichkeiten, sondern nur ein
Annäherungswert, der immer noch in
weitem Abstand um den Mittelpunkt der Sonne
„Wahrheit" kreist; eine Diagonale zwischen der
Identität körperlicher Erscheinung, wie sie etwa
die Wachsfigur erstrebt (aber beileibe nicht etwa
erreicht) und dem idealen Ausdruck des wahren
Menschen.
Der Schlüssel, der diese unentwirrbaren
Schwierigkeiten lösen könnte, findet sich in der
nirgends heimischen, in der unerklärlichen und
vom Geheimnis der Urschöpsung umwitterten
Idee der Persönlichkeit, der unwiederhol-
baren einmaligen Weise, Mensch zu sein. Weil
dies vor allem ein psychologischer und erst in ab-
geleiteter Weise körperlicher Begriff ist, so be-
greift es sich, daß der Annäherungswert der Ahn-
licksteit mehr seelischer Art ist; genauer ausge-
drückt: daß die körperlichen Merkmale einer
Individualität nur Anhaltspunkte für die
Deutung seelisch-geistiger Eigenschaften als des
Wesenskernes abgeben.
Soweit wären die Eigenschaften des Porträts
als eines Abbildes einigermaßen abgegrenzt gegen

die uferlosen Ansprüche der Auftraggeber, wenn
sie ins Atelier eines Photographen oder, gleich-
viel, auch eines Malers treten, um ihr Angesicht
der Nachwelt im Konterfei zu hinterlassen. Für
diese wäre der Abguß nach der Natur, möglichst
lebensecht bemalt, das wahre Ziel, mit dem der
sogenannten Wirklichkeit ohne Zweifel und Streit
am nächsten zu kommen wäre. Man sieht: der
Effekt müßte unerträglich sein.
Überlassen wir das Wort nur dem Künstler,
so verschwindet der gesamte so umschriebene
Fragenkomplex von Ähnlichkeiten radikal in der
Versenkung. Es ist überraschend, wie einmütig
die Künstler darin sind, diese Laienfordernng ab-
zulehnen, und Goethe ist es, der ihre Bedrängnis
wieder einmal endgültig formuliert hat:
„Mit einem Porträt von Personen, die man
kennt, ist man niemals zufrieden. Deshalb habe
ich die Porträtmaler immer bedauert. Man ver-
langt so selten von den Leuten das Unmögliche,
und gerade von diesen fordert man es. Sie sollen
einem jeden sein Verhältnis zu der Person, seine
Neigung und Abneigung mit in ihr Bild auf-
nehmen; sie sollen nicht bloß darstellen, wie sie
einen Menschen fassen, sondern wie ihn jeder
fassen würde".
Denn diese Ähnlichkeit gehört überhaupt nicht
in künstlerische Kategorien. Vielleicht ist es das
äußerste, zu sagen: daß der überzeugende An-
schein der Ähnlichkeit eine Voraussetzung
k ü n st l e r i s ch e r P o r t r ä t w i r k u n g sei, in-
dem ein offenbar allgemeiner Menschentyp mit
Porträt nichts zu tim habe, sondern zu den er-
fundenen Jdealbildungen zu rechnen sei, wie die
Götterbilder der Hellenen.
Um zum Kern des Problems vorzudringen, so
lichkeitswirknng man untersuchen will, ein gänz-
lich Unbekannter, also am besten eine althistorische
Person sei. Tatsache ist, daß uns die Bilder Hol-
beins oder Velasquez' durch „Ähnlichkeit" über-
zeugen: allein, was ist uns diese hier, wo wir
nicht die Möglichkeit haben, das Urbild zum Ver-
gleich heranzuziehen? Offenbar ist diese künst-
lerische Form von Porträtwirkung eine grundver-
schiedene von jener photographischen. Diese
Kunstform des Bildnisses beruht auf
nichts anderem als der gleichen Intuition, die
jedes wahre Kunstwerk zur Voraussetzung hat;
auf einer Vision des Malers von dem wahren
Charakter des Dargestellten, der jenseits seiner
augenblicklichen Erscheinung liegt. Selbstverständ-
lich ist sein Körperliches Grundlage der Dar-
stellung. Aber ihre „Identität" existiert nicht für
den Künstler. Nicht der Vergleich mit dem Vor-


Hcrmann Blumenthal, Porträtkopf
bild entscheidet, sondern die Überzeugungs-
kraft der künstlerischen Gestaltung.
Je genialer, ja charaktervoller seine Anschauungs-
weise, desto nachdrücklicher wird auch seine Porträt-
wirkung sein. Gerade das, was den Meister vom
Laien unterscheidet: seine Eigenwilligkeit, die Welt
zu erleben, macht die Größe seines Porträts aus.
In letzter Zuspitzung kann man sagen: je weniger

zufrieden die Mitwelt, die Angehörigen über das
Bild sind oder sein würden, um so näher steht es
der Unsterblichkeit. Das hat Rembrandt bitter er-
fahren müssen. Aber heute gehört seine Nacht-
wache, die refüsiert und zum Anstoß seines
materiellen Untergangs wurde, zu den unver-
gänglichen Werken.
Ewig wird der Zwiespalt zwischen dem ge-
nialen Künstler und der Mitwelt sein, die den
hohen Sinn seiner Form nicht begreift. Her-
komers oder Kaulbachs Porträts wurden bejubelt,
weil sie den Ansprüchen des Durchschnitts ent-
sprachen; die Alterswerke Corinths fanden eine
mehr als kühle Ausnahme, da sie nicht Abbilder,
sondern Visionen waren. Um zu beurteilen, ob
ein Bildnis echt und groß sei, muß man den Maß-
stab des Ewiggültigen anlegen.
kV U^ul

Anton Hiller
Kurz nach dem Kriege fiel in der Großen
Ausstellung des Münchner Glaspalastes eine
überlebensgroße Gruppe auf: sich gegenüber-
sitzende Menschen, die sehnsüchtig und doch
zögernd, wie von einem inneren Gefühl zurück-
gehalten, die Arme sich entgegenstreckten. Das
starke innere Leben, welches dieses „Erste
Menschenpaar", das so ganz anders als es die
bisherige Tradition kannte, dargestellt war, aus-
zeichnete, packte, belebte die von sicherem statischem
Empfinden unterbaute, in den Einzelsormen
schwellende und durch den Rhythmus zu einer
vollen Komposition zusammengefaßte Gruppe.
Hahn-Klllsse der Münchner Akademie saß, ver-
wunderte noch mehr. Demi von dem Formalis-
mus, dem die jungen Akademiker damals in
sklavischer Verehrung des Hildebrandschen
Systems vielfach verfielen, war hier nicht die
Spur. Hatte das Kriegserlebnis, die zwei Jahre
Frontkrieg und das darauffolgende Jahr im
Lazarett den jungen Bildhauer frühzeitig von
dem Wahn eines bloßen formalen Virtuosentums
geheilt? Ohne Zweifel hatten sich die künst-
lerischen Empfindungen während dieser Zeit der
bildnerischen Untätigkeit vertieft, Empfindungen,
die zuerst einer mehr handwerklichen Geschicklich-
keit, wie man sie sich in jeder Schnitzwerkstätte
erwerben konnte, zuneigten. Diese innere Be-
sinnlichkeit ist dem Künstler bis aus den heutigen
Tag geblieben. Sie gibt seinen Bildnisbüsten
eine schöne menschliche und beseelte Haltung. Sie
zähmt den Realismus, dem Hiller, ein glühender
Verehrer der Gotik und Feind aller Renaissance,
leicht verfallen könnte und verleiht seinen Werken
eine wohltuende Neigung ins Stilisierende. Ein
bemerkenswerter Wille zur Transzendenz, zum
Jenseitswirklichen, reckt gern seine, vor allem
männlichen „Akte" ins Uberschlanke. Das Geistige
triumphiert über die Verehrung des Bloß-sinn-
lich-Wohlgeformten. Man möchte diese „Jüng-
linge" auf hohe Postamente stellen, an schlanke
Pfeiler, nicht als Dekorationen: keiner von den
jungen Münchner Bildhauern ist der Dekora-
tiven oder Bauplastik, die ja hier bekanntlich
klassische Höhen erreichte, weiter entfernt als
Hiller: sondern als die vermenschlichte Darstellung
eines ähnlichen unbegrenzten Dranges nach oben.
(Johannes, Der Jüngling.) Interessant, wie
Hiller selbst in dem nicht sehr geeigneten Motiv
der Pietü diese formale Transzendenz hat ob-
walten lassen. Die stimmungsvolle Gruppe be-
findet sich in einem Franziskanerkloster in West-
falen.
In den letzten Jahren ist in dem Schaffen
Hillers ein Wandel spürbar. Ein Wandel nach
einer stärkeren Zusammenfassung des Ganzen.
Das Statische löst sich aus dem Bewußt-Starren
in einen leichten barocken Rhythmus. Die Formen
gewinnen an Volumen. Trotz der Komplizierung
ins Bewegtere geht der Grundzug der großen
Bewegung, der sich alle Binnensormen unter-
ordnen, aufs Einfache. Auch das noch ist wahr-
nehmbar: das Sehen und Formen aus dem
Schnitzhandwerk, dem sich der Künstler zuerst zu-
wandte und dem er sich auch heute noch mit
Leidenschaft hingibt, gewinnt eine Bereicherung
durch das Eindringen in die Gesetzmäßigkeiten
anderer Materialien, wie Stein und Bronze. Es
ist ein unermüdliches, stilles, erfolgreiches Be-
mühen und Wachsen, das in dem verstorbenen
Kunsthistoriker Jos. Popp frühzeitig Förderung
fand. Im übrigen finden Hillers Werke bei
Privaten viel Anklang. Der Zierbrunnen am
Habsburger Platz in München erfreut sich ge-
radezu volkstümlicher Beliebtheit. Immer wieder
wurde der Künstler für die Schmückung von
Häuserfronten herangezogen und zur Herstellung
 
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