Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst der Nation — 2.1934

DOI article:
Theunissen, Gert H.: Erziehung zur Stadt
DOI article:
Jahn, Johannes: Die Entdeckung der deutschen Kunst
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0007

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

H.3hg.,Nr.2,15.Ian.1§34

Verlag Kunst der Nation G. m. b. L., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz- und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W50, Tauenhienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Einzelpreis 3d Pfennige

Erziehung zur Stadt
Von
G. H. Theunissen

Nur geschichtsbildende Epochen schassen ein
neues Maß der Stadt; sie entwickeln es aus
ihren politischen und kulturellen Ansprüchen und
Leistungen. Es soll hier nicht die Rede sein von
städtebaulichen Möglichkeiten, sondern von der —
Erziehung znr Stadt, einein Thema, das zum
Widerspruch reizt, in einer Zeit, die die Landschaft
als den größere Muttergrnnd des Volkes wieder-
entdeckte und die allzu leicht geneigt ist, in der
Stadt den vernichtenden Widersacher zn erblicken.
Und dieser Widerspruch ist es, der Anlaß gibt,
diese auf die Dauer' unhaltbare Problematik zu
entwirren. Vor allem besteht heute die Gefahr,
das Verhältnis von Stadt und Land gegensätzlich
zu Überspannen, indem man die Scholle romanti-
siert und die Stadt im besten Falle als notwen-
diges Übel betrachtet. Man übersieht, daß es
zwei Urformen der soziologischen Existenz gibt,
von denen die städtische durchaus nicht erst aus
den Fortschritten der Technik rind der zunehmen-
den Dichte der Wirtschastsnetze entstanden ist,
wenngleich sie auch durch diese Faktoren heute
wesentlich bestimmt wird.
Der Stadt wird allgemein das Vermögen der
fruchtbaren Landschaftlichkeit abgestritten, und
kurzerhand wird sie mit der Bezeichnung Asphalt
abfällig genug umschrieben, weil bekanntlich auf
dem Asphalt keine Blumen wachsen. Millionen
Menschen leben in den Städten, die ihnen mehr als
nur eine materielle Lebensmöglichkeit bedeuten,
nickst io. dann würde eine rationa-
listische Auffassung der Stadt, wie sie künstlich
in Amerika hochgezüchtet und in Sowjetrußland
als Beispiel dankbar übernommen wurde, kein
Problem sein, — und das Wochenendhäuschen
wird zu einer idyllischen Entschädigung für brave
Verdienste im hochkapitalistischen Betrieb, auch
wenn er mit umgekehrten Vorzeichen, wie in Ruß-
land, unterhalten wird. Wie falsch Städte be-
urteilt werden, beweist die Deutung der amerika-
nischen Wolkenkratzerplantngen als Ausdruck
eines neugotischen Gefühles. Der Umstand, daß
gegenüber der gigantisch in eine Riesenhöhe sich
schwingenden Vertikale der Grundriß aus das
äußerste beschränkt ist, muß einfach genügen, in
der Gotik die Parallele zu sehen. Eine seltsame
Gotik, die da aus Grundstücksspekulationen er-

die nicht zum kleinsten Teil die Stadt mit ihren
sozialen, wirtschaftlichen, künstlerischen und
hygienischen Aspekten bestimmt. Es gibt kein
Zurück mehr. Nicht der Maschinenstürmer ist der
Herr seiner Lage, sondern nur der, welcher die
Überschneidungen zn übersehen vermag, also der
totale Volkspolitiker. Unmerklich setzen sich die
technischen Probleme in wirtschaftliche um. Und
was für die Technik gilt, das trifft auch ans die
Betrachtungsmöglichkeiten von Stadt und Land
zn; beide müssen und können nur zusammen-
gesehen werden, und es ist nicht damit getan, aus
Kosten der Stadt das Land als Basis des Volks-
körpers zu isolieren, insbesondere nicht in Deutsch-
land, das kein Agrarstaat mehr ist. Der mächtige
Ruf unserer Zeit heißt: Blut und Boden, Be-
sinnung ans die Kräfte der Erde. Keiner, der
gesunden Herzens ist, wird sich diesen! Rus ver-
schließen. Aber es handelt sich nicht um das
Entweder-Oder, das gleich einem riesigen Keil
eingetrieben wird zwischen Stadt und Land. Es
geht um das völkische Miteinander, nm die Kom-
munikation der Kräfte. Diese werden stets aus
der Landschaft erschlossen, sozusagen als Roh-
produkte, aber sie werden fast immer in den
Städten befruchtet und geformt. Wie die immer
größer werdende Technik nicht mehr in der Allein-
herrschaft des Technikers liegt, sondern allmählich
in die Hände des sozialen Wirtschaftspolitikers
übergehen muß, so setzt sich bei stetigem An-
wachsen der Städte, die Siedlnna ist nnr eine
spezifische Form, auch immer mehr Land in Stadt
nm, und der Schwerpunkt der Auseinander-
setzungen verschiebt sich zur Stadt hin, von der
ans ja dann auch die politischen und kulturellen
Ideen auf das Land znrückstrahlen.
Wer diesen Prozeß unvoreingenommen be-
trachtet, wird in ihm keinen Grund zn einem
Werturteil zugunsten der Stadt und zum Nach-
teil des Landes finden. Es ist lediglich die Ent-
wicklung einer ungeheueren Dynamik, die sich
zwischen den Polen Stadt und Land answirkt.
Erst derjenige, der diese Spannnngspole irrtüm-
lich als Gegensätze ansieht, verfällt in ein Wert-
urteil, das ost genug die widersinnigsten Meinun-
gen nährt, ein Urteil, das den Bauer über den
Städter stellen möchte. Eine andere Form des


Ruhrgebiet. Photo W. Fitzenthaler

Aus „Das Deutsche Lichtbild", 1930

Wächst. Aber das vergessen die nach Amerika
reisenden europäischen Hymniker vollständig. Das
ist nur ein einziges Exempel für die bodenlose
Naivität der Städtebenrteilung.
Jede Nasse schafft ihre eigenen Kultnrformen,
und die Stadt ist die große Landschaft der Kultur.
Die Entdeckung der Landschaft führt zur Wieder-
geburt der deutschen Romantik, die, vor hundert-
dreißig Jahren die Herrschaft des Klassizismus
ablösend, heute, geschichtlich geseheu, eine Front
gegen den Intellektualismus bildet. Das Welt-
bild der damaligen Romantik aber war rein land-
schaftlich, und es wäre ein grobes Mißverständnis
unserer Zeit, würde man dieselben Formen in die
Gegenwart übertragen. Und nicht nur die Formen,
auch die Inhalte haben sich inzwischen gewandelt,

Klassenkampfes. Der materialistische Sozialis-
mus kümmert sich nicht um den Wesensunterschied
zwischen Stadt- und Landgeborenen; für beide
gilt nur das Prinzip der größtmöglichen Produk-
tivität, ungeachtet der Eigenarten. Dabei wird
also die geistige Existenzfrage und -form nicht be-
rücksichtigt, und da der Materialismus in der
Technik den willfährigsten Diener erblickt, wird
hier der bäuerliche Mensch vergewaltigt, weil ihm
städtische Methoden mechanistisch anfgegezwungen
werden. Die Erde ist eine Art Maschine gewor-
den, die der Bauer zu bedienen hat. In dem
Augenblick, als der materialistische Sozialismus
ansgewirtschaftet hatte, als man einsah, daß der
Geist die Materie bildet, berief man sich ans den
Landmenschen und befreite ihn von der drohenden

Gefahr der Mechanisierung. Er wurde wieder
als der Urtyp des Schaffenden erkannt und ein-
geordnet in den Ban des Staates und der Wirt-
schaft. In dieser Phase stehen wir augenblicklich.
Die nächste Aufgabe wird die sein, diese Phase
abzuschließen und sich der Neubildung der Stadt-
existenz zuzuwenden. Keine falsche Romantik
darf uns bewegen, über dem Landvolk den Städter
zu vergessen, und das heißt: Erziehung zur Stadt.
Würden wir an sie nicht mit allem Ernst und mit
tiefer völkischer Verantwortung.Herangehen, dann

kennen. Hier beginnt die Erziehung zur Stadt,
hier formt sich das neue Weltbild. Die Stadt
als Organismus, nicht als Kollektiv willenloser
Massen, nicht als organisatorischer Mechanismus.
Und auch nicht als Kopie fremder Kulturen.
Die große Verführerin des deutschen Städtebaues
war immer wieder Paris, Symbol des französi-
schen Geistes, wundersamste Entfaltung aller Ge-
heimnisse einer Rasse, die aber anderen Gesetzen
verschrieben ist, als die unserige. Paris bezeugt,
daß Städte der gewaltigste Ausdruck der Rasse

Bernardo Belotto gen. Canaletto, Ansicht von Verona


gingen wir den umgekehrten Weg der materialisti-
schen Anschauungsweise, indem wir einem be-
deutenden Teil des Volkes die seelische Daseins-
möglichkeit entzögen. Davor aber bewahrt uns
das nationalsozialistische Prinzip der totalen Ein-
beziehung; mit seiner Hilfe wird es möglich sein,
die Stadt als Kontrapunkt des Landes zu er-

sein können. Eine Stadt der Vollendung der
romanischen Volksseele. Und welch ein Frevel
ist es, ihre Schönheiten auszubrechen ans dem
Steinwerk dieser Landschaft des Geistes, nm sie
in deutschen Großstädten zu neuem Leben zn er-
wecken. Denn sie sind schon erstorben, als sie in
Fortsetzung Seite 2, Spalte 3

Die Entdeckung der deutschen Kunst
Von
Johannes Jahn

Ist es schon eine im tiefsten Grnnde nicht zn
erklärende Erscheinung, daß fremde Geistesleistun-
gen, etwa die der Antike, immer wieder einmal
im Verlaufe unserer Geschichte emportanchen und
zur Auseinandersetzung herausfordern, nm dann
unter die Oberfläche unseres Kulturbewußtseins
zurückzusinken, so ist es noch weit rätselhafter, ja
oft geradezu unfaßbar, wie eigene Kulturgüter
allerersten Ranges uns verloren gehen, d. h. un-
bekannt bleiben können, nm erst viel später wieder
zn lebendigen Werten emporzusteigen.
Das 19. Jahrhundert hat die Grundlagen für
eine wissenschaftliche Erforschung der Kunst-
geschichte gelegt, aber nur einzelne Teile jenes von
der bildenden Kunst im Laufe der Jahrtausende
gewobenen Riesenteppichs scharf beleuchtet und
untersucht, anderes im Halbdunkel oder völligem
Dunkel gelassen. Und fragen wir, welche Teile
sich die deutschen Kunstgelehrten zu solch näherer
Untersuchung ansersehen haben, so überwiegt dabei
keineswegs die Kunst ihres eigenen Landes, son-
dern der Blick der meisten war ans Italien ge-
richtet, das alte Sehnsnchtsland der Deutschen.
Der Name Jakob Burckhardts kann dafür als
Symbol gelten, und in seinem Gefolge segelten
nicht wenige, die über dem Kultus der italieni-
schen Renaissance unsere nordische Kunstwelt nicht
nur vergessen, sondern geradezu in Acht und Bann
getan hatten. Der Vorwurf ist uns heute leicht
znr Hand, darin eine gröbliche Vernachlässigung
der nationalerzieherischen Verpflichtungen zu er-
blicken, die Studium und Wissen anferlegen. Aber
die Einsicht, daß die bildende Kunst unserer Ver-
gangenheit zum Wertvollsten unserer nationalen
Habe gehört, war damals wenig verbreitet und
— das kann nicht laut genug gesagt werden — sie
hat sich auch heute noch nicht in breiteren Schichten
dnrchgesetzt. Zudem ist gerade der Kunsthistoriker
in der Auswahl seines Forschungsgebietes vom
Geschmack seiner Zeit in besonderem Maße ab-
hängig, was man von einem rein wissenschaftlichen
Standpunkt ans bedauern mag, was aber anderer-
seits die enge Verbundenheit des Kunsthistorikers
mit dem Leben bezeugt. Da nun der Geschmack
des 19. Jahrhunderts Italienischem sehr stark zn-
neigte — ein Blick auf seine Bauwerke beweist

es —> so darf man sich nicht Wundern, Ähnliches
auch bei den Kunsthistorikern dieser Zeit vorzu-
finden.
Schon einmal hatte die Forschung in der Ro-
mantik, vom Panegyrikus Goethes auf das Straß-
burger Münster mächtig eingelcitet, Verständnis
und Erkenntnis deutscher Art und Kunst sich als
edles Ziel gesetzt. Aber in welch geringem Maße
ist dieses Ziel erreicht worden und wie wenig
wußte man am Ende der Romantik von deutscher
Art und Kunst! Nichts von der Plastik des
deutschen Mittelalters, wenig von der Baukunst
und einiges von der altdeutschen Malerei. Wäre
jener Drang zur Erkenntnis der nordischen Heimat
geblieben, dann hätte die in der Spätromantik
einsetzende exakte Knnstgeschichtsforschung sehr
balo das Versäumte nachgeholt; aber das Steuer
drehte eben gerade jetzt nach Süden. Mit beson-
derer Deutlichkeit ist dieser Vorgang im Leben
Burckhardts zu verfolgen: er fühlte anfangs die
Berufung in sich, deutsche Kunstgeschichte zumal
des Mittelalters zu schreiben, denn eine glühende
Begeisterung für Deutschland erfüllte ihn; doch
langsam nnd von manchen Rückschlägen unter-
brochen löste er sich von Deutschland los und
wandte sich Italien zu. Er wandte sich ihm so
völlig zu, daß sich sogar so etwas wie Abneigung
gegen Nordisches in ihm herausbildete, spürbar am
deutlichsten in seinem Rembrandt-Vortrag von
1877, in dem er beständig zwischen der An-
erkennung der genialen Leistung jenes Meisters
und seiner Abneigung gegen ihn hin und her
schwankt. Mit dem Namen Rembrandt ist eine
der ersten Entdeckungstaten jener zunächst
schwachen, gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber
immer stärker werdenden Strömung kunstgeschicht-
licher Forschung bezeichnet, die sich der Kunst dies-
seits der Alpen nicht nur in wissenschaftlichem
Vollständigkeitstrieb, sondern in wirklicher Liebe
znwandte. Daß es nötig war, Rembrandt zu
entdecken, wird manchem kaum begreiflich sein.
Natürlich wußte man in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts von ihm, aber seine Erscheinung
war durch die des Rubens, mehr noch durch die
der großen Italiener verdunkelt, das Bild seiner
Persönlichkeit durch die Legende verzerrt. Wie
 
Annotationen