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Kunst der Nation — 2.1934

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Redlich, Herbert: Paul Sinkwitz
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Schulz, F.T.: Die karolingische Legende vom Ursprung der Reichskleinodien
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Satz, E.R.: Dreißig deutsche Künstler
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Kunstsammeln
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0082

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4

Kunst der Nation

bis heute im deutschen Volksempfinden stark ver-
wurzelt sind und nicht nur einen legendären
Grundgehalt haben, sondern aufrufendes Sinnbild
für die Erneuerung des Menschen sind. An der
Spitze dieser Reihe steht der „Rufer", eine Gestalt
voll geballter Energie, die fordernd zum Einsatz
des letzten aufruft. In den Blättern „Christo-
phorus" und „St. Georg" offenbaren sich Grund-
züge deutschen Wesens: die kämpferische Haltung
St. Georgs, der hoch zu Roß gegen den Drachen
anrennt und der stille Liebesdienst des Christo-
phorus, der, ohne es zu wissen, die höchste, immer
schwerer werdende Last trägt: Gott selbst in der
Gestalt des Christuskindes. Von den anderen
Schnitten ist vor allem das Blatt der „Emmaus-
jünger" mit seiner plastischen Eindringlichkeit zu
nennen. Aus dieser Arbeit spricht die Sinkwitz
eigene Technik mit am unmittelbarsten und zeugt
von einer guten Beherrschung der rhythmischen
Zusammenhänge.
Doch damit ist die Vielseitigkeit seines
Schaffens noch keineswegs erschöpft: man darf
Sinkwitz heute mit zu den besten deutschen Schrift-
gestaltern rechnen. In seinen Plakatentwürfen
bemüht sich Sinkwitz immer wieder unablässig um
neuartige Wege, allem Schematismus auf das

Paul Sinkwitz, Die Mutter

gründlichste abfagend. Ein 1934 erschienener
Schriftkalender zeigt ganz ausgesprochen klare und
ruhige Schriftformen.
Es ist zu wünschen, daß die Öffentlichkeit seinen
Versuchen um eine Verlebendigung der Fraktur-
Schrift eine stärkere Beachtung schenkt.
Herbert Recllieb
Dreißig
Deutsche Künstler
Dreißig deutsche Künstler sind in der Galerie
Ferdinand Möller in Berlin zu einer Ausstellung
vereinigt, die auf einen vielfältigen Gesamtein-
druck abgestimmt ist, der einer sommerlichen Schau
Wohl ansteht. Es sind mancherlei bekannte Hände
am Werk gewesen, und wenn man auch von den
Bildern der Heckel, Feininger, Rohlfs, Schmidt-
Rottluff und auch denen der Herbig, Kaus und
Crodel nicht behaupten kann, daß sie den Ruhm
ihrer Schöpfer schmälern, werden sie ihn
anderseits auch kaum
nennenswert vermehren.
Von bisher noch nicht be-
kannten Malern zeigt der
Braunschweiger G. Hage-
mann in sparsamer
Farbengebung eine Reihe
ansprechender Aquarelle
von den Lofotten, Fritz
Lobeck, ein Schweizer
Gast, stellt zwei Mädchen-
bildnisse aus, die kaum
ausreichen, um sich eine
Vorstellung von seinem
Können zu machen. Die
heftig zupackende Art von
Christoph Drexel spricht
ebenso sympathisch an,
wie die charakteristische
Handschrift von Werner
Scholz, der mit dem vor
kurzem von uns abge-
bildeten „Blinden" und
dem Phantastischen Aste-
gewirr über nächtlichem
Sumps starke Belege für
seine unverkennbare Mal-
weise gibt. O.A. Schrei-
ber und Hans Weide-
mann haben sich auf ihre
Weise sichtbar weiter ent-
wickelt. W. Philipp ist
seinen Darstellungen aus
dem ländlichen Dasein
treu geblieben und
I. Benkert, der sonst das
Aquarell bevorzugt,
bringt das gute Ölbild
einer Mole. Schrimpf ist
mit den gewählten Bei-
spielen ausgezeichnet ver-
treten, ebenso Fr. Lenk.
Vom graphischen Schaf-
fen zeugen sehr stim-
mungsvoll gehaltene Blei-
stiftzeichnungen von G.


Paul Sinkwitz, Lausitzer Weber. Görlitz, Museum


Muche und Holzschnitte von Karl Rössing, die
respektable Technik und auch Phantasie verraten.
Barlach, Kolbe und Scheibe vertreten die Plastik
spärlich. L. U. 8 ab 2

Kunstsammeln
Welche Bedeutung dem Kunstsammlertum zu-
kommt für den Aufbau unserer Kultur, das ist erst
seit dem Augenblick offenbar geworden, wo diest
früher weit verbreitete Sitte selten zu werden und
einzuschlafen droht. Zu allen Zeiten sind ja nur
die wenigsten Kunstwerke um ihrer selbst willen
entstanden; sie waren vielmehr fast stets für einen
bestimmten Gebrauch gedacht. Mit dem Auf-
hören dieses unmittelbaren Entstehungszwecks wird
an sich das Kunstwerk so unnütz wie jeder andere
Gegenstand, der zum Gerümpel wandert. Nähme
das Leben der Kunstwerke den natürlichen Weg
aller ausgedienten Dinge, so würden wir niemals
deutliche Kunde haben von dem Seelenleben, den
Vorstellungsinhalten vergangener Zeitalter; nie-
mals könnte sich ihr Wissen und Wollen uns mit-
teilen, in uns weiterwirken und so das schaffen,
was wir Kultur nennen.
Hiermit ist schon umschrieben, welchen Dienst
der echte Kunstsammler seinem Volk leistet.
Welche Bedeutung für die Volkwerdung gerade
unseres deutschen Volkes den Museen zukommt,

das haben unsere Führer Wohl erkannt; aber ohne
die Privatsammler gäbe es keine Museen. Und
wie die bestehenden Museen aus der Privaten
Sammeltätigkeit hervorgegangen sind, so können
sie auch in Zukunft nicht ihre Wirkung in die
Tiefe unseres Volkslebens hinein tun, wenn sich
nicht auch weiterhin um sie eine große Schar von
Kunstfreunden schließt, die im Verhältnis ihrer
Mittel und ihrer Persönlichen Interessen Kunst-
werke sammeln. Nicht aus den Geldwert der
Gegenstände kommt es an; eine mit geringen
Geldmitteln im Lauf der Jahre zusammenzu-
bringende Sammlung etwa von billigen Holz-
schnitten, von Zeichnungen junger Künstler, kann
zum Schluß eine höhere kulturelle Bedeutung er-
langen als eine Sammlung von lauter teueren
Prunkstücken, die ein Emporkömmling zusammen-
schleppt, ohne sie wirklich zu verstehen; ent-
scheidend ist die Liebe, die persönliche Hingabe
des Sammlers an seine Kunstwerke und an seine
Aufgabe als ihr Betreuer.
Köln hat auf dem Gebiet des privaten
Kunstsammelwesens eine ruhmvolle Vergangenheit.
Viele Jahrhunderte hindurch haben hier ganze Reihen großer
und kleiner Sammlungen bestanden, und erst in unserer Zeit
ist die Reihe dünn geworden und droht abzureiben. Der
Kunstverein veranstaltet jetzt eine umfassende Ausstellung
„Privater Kunstsinn als Bewahrer deutscher Kunst".
Museumsdirektor Dr. O. H. Förster schrieb dazu in den
dortigen Tageszeitungen oben angeführte Sätze.

förmigen Silberplättchen bekleidet, die ab-
wechselnd den Jungsrauenadler und das geteilte
Stadtwappen zeigen, und vermutlich eine Arbeit
des Nürnberger Goldschmieds Hans Scheßlitzer,
der von 1427—1472 nachweisbar ist. Nach alter
deutscher Sitte, die Reliquien hervorragender
Kirchen an bestimmten Tagen dem Volke vorzu-
zeigen, wurden die Reichsheiligtümer am vier-
zehnten Tage nach Karfreitag aus dem Heiltums-
stuhl vor dem Schopperschen Hause am Adolf-
Hitler-Platz zur Schau gestellt und erklärt — ein
Brauch, der bis zum Jahre 1523 in Übung blieb.
Jedesmal, wenn eine Kaiserkrönung stattfand,
hatten Abgesandte der Stadt Nürnberg die
Kleinodien dorthin zu verbringen, ebenso wie die
Abgeordneten von Aachen die ihrigen.
Es ist nun im höchsten Grade auffallend, daß
der »edel stein, den man nennet den Weissen«,
also Wohl ein Milchopal und ein besonders kost-
barer Stein, der ernst die Kaiserkrone an ihrer
markantesten Stelle unmittelbar unter dem Kreuz
zierte, in der Urkunde Kaiser Sigismunds v. I.
1423 nicht mehr vorkommt, während er in der
lateinischen Ubergabeurkunde Ludwigs von Bran-
denburg und in der deutschen Empsangsurkunde
Karls IV., die beide aus dem Jahre 1350 stammen,
noch erwähnt wird. An seiner Stelle sitzt heute ein
indischer Saphir von herzförmiger Gestalt, wäh-
rend sein Vorgänger oval umrissen war. Ob es
wirklich wahr ist, daß ihn Kaiser Karl IV. der
Krone entnehmen ließ, sei dahingestellt. Jeden-
falls wird dies in Johann David Köhlers 1751
erschienener Deutschen Reichs-Historie mit Be-
stimmtheit behauptet, und Tatsache ist, daß
Karl IV. mancherlei Umgestaltungen an des Deut-
schen Reiches Kronschatz hat vornehmen lassen.
Unerwähnt aber konnte diese Veränderung des-
wegen nicht bleiben, weil Walter von der
Vogelweide in seinem Spruch auf den
»Waisen« und die Krönung seines »echten« Königs
Philipp von Schwaben im Jahre 1198 singt:
„Swer nü des raches irre gs
der schouwe, wem des weise ob stme nacke sts:
der stein ist aller fürsten leitesterne."
Volle 372 Jahre blieb die Stadt Nürnberg die
ihrenwerte Treuhänderin und „beständige Bewah-
rerin der Reichs-Insignien und Reichskleinodien".
Große Opfer hatte sie der Obhut und Pflege des
iyr anvertrauten kostbaren und unersetzlichen
Reichsgutes gebracht und sich damit als die echt
deutsche Stadt erwiesen, deren Geschichte ein gut
Teil deutsche Reichsgeschichte, deren Kunst und
Kultur von deutschem Geiste durchtränkt ist und
deren Mauern, Kirchen, öffentliche Bauten,
Wohnhäuser, Plätze, Straßen und Gassen deut-
sches Grundgepräge tragen. Da sollte auch sie die
Raubgier französischer Revolutionshorden zu ver-

spüren bekommen, und allzu gerne hätte der fran-
zösische General Jourdan, als er 1796 in Nürn-
berg einrückte, die von lOOOjähriger deutscher Ge-
schichte zeugenden Symbole in stine Gewalt be-
kommen. Doch als er lüstern die Hand danach
ausstreckte, waren sowohl die Heiltrumstruhe wie
auch das Sakristeigewölbe der Heilig-Geistkirche
bereits leer. Vorsicht, mit heiliger Scheu gepaart,
hatte sie unauffällig und rechtzeitig beiseite ge-
schasst. Doch diese Treue sollte der Stadt der-
einst übel gelohnt werden! Unter eigenartigen
Umständen, welche durch die herrschende allgemeine
Unsicherheit geboten waren — in einer Mrstsuhre
versteckt! —, hatte man sie zunächst nach Prag ge-
flüchtet, wovet allerdings verschiedene Stücke, wie
vor allem die sog. »Gugel Karls des Großen«, Ver-
loren gegangen find. Von dort verbrachte sie der
K. K. Prinzipal-Commissär am Regensburger
Reichstag, Freiherr von Hügel, nach Regensburg,
woselbst sie im Reichstagsarchiv in Verwahrung
genommen wurden. »Im Jahre 1800«, so heißt
es in dem amtlichen Promemoria des Regie-
rungsrats Chmel, »als die Gefahr auch für Re-
gensburg drohte, läßt Freiherr von Hügel diese
Nürnberger Schätze zuerst nach Passau, dann nach
Linz, zuletzt nach Wien absühren, wo sie auf Be-
fehl des römisch-deutschen Kaisers Franz des
zweiten einstweilen (!) in der K. K. Schatz-
kammer aufbewahrt werden sollten«. Am 29. Ok-
tober 1800 händigte er sie samt den Originalver-
zerchnissen des Losungsamtes der Stadt Nürnberg,
datiert vom 22. Juli und vom 27. September
1796, dem K. K. Schatzmeister Leopold Edlem von
Wolfskron ein. Es handelte sich also um eine aus
Pflichtgemäßer Vorsicht erfolgte Abgabe zum
Zweck der einstweiligen, nicht der dauernden
Jnverwahrungnahme. Anders war es mit den
drei Aachener Reichskleinodien. Ihre Abgabe
erfolgte nicht auf freiwilligem Wege, sondern ist
von einem bitteren Beigeschmatt begleitet. Sie
waren bei der Annäherung der Franzosen im
Jahre 1794 mit den übrigen Kirchenschätzen des
Aachener Stiftes nach Paderborn geflüchtet wor-
den, wohin sich auch der Probst und mehrere Ka-
noniker zurückgezogen hatten. Dort nun machte
im Jahre 1797 der Aachener Kanonikus Blees den
K. K. Gesandten beim Bischof von Hildesheim
und Paderborn, Graf Westphal zu Fürstenberg,
darauf aufmerksam, daß sich unter den im Kapu-
zinerkloster aufgehobenen Kirchenschätzen auch die
drei Aachener Reichskleinodien befänden. Auf
Veranlassung der Reichskanzlei wurden in Gegen-
wart des vom Bischof zur Assistenz beorderten Hof-
rats Wichmann die Kisten erbrochen (!), die
drei Kleinodien (sog. Säbel Karls des Großen),
Stephansbursa und Evangeliar herausgenommen
und dem Gesandten übergeben. Nicht gefunden

wurde das zum Säbel gehörige Wehrgehänge. Im
Auftrag der Reichskanzlei wurden nun sämtliche
Kisten geöffnet; das Wehrgehänge aber blieb ver-
schollen. Es kam erst 1802 bei der Besetzung von
Paderborn durch die Preußen wieder zum Vor-
schein und wurde auf Befehl des Königs an Seine
Kaiserliche Majestät ausgeliefert. Der Empfang
des Stückes wurde am 11. März 1803 vom K. K.

Gesuche der Stadt Nürnberg vom 22. April 1804
und vom 1. Februar 1805 um deren Zurück-
bringung aus Gründen der Sicherheit abgelehnt,
ohne daß man österreichischerseits, als sich die
äußeren Verhältnisse geändert hatten, darauf zu-
rückgekommen wäre, wie es der Wortlaut der Ur-
kunde Kaiser Sigismunds erfordert hätte.
(Forts, folgt) bV i'. 8 ellu12

Schatzmeister Wolfskron
bestätigt, nachdem er be-
reits am 14. Juli 1801
den richtigen Eingang der
drei Hauptstücke quittiert
hatte. Der Hinweis des
Kanonikus Blees auf die
Anwesenheit der Reichs-
kleinodien in Paderborn
war aber nicht ganz
selbstlos erfolgt. In dem
Vortrag, den der Reichs-
vizekanzler am 8. Ok-
tober 1805 dem Kaiser
erstattete, ist direkt von
„der von Canonicus Blees
nachgesuchten Entschädi-
gung" die Rede, zu der
aber kein beruhigender
Rechtsgrund vorhanden
sei, „die, wenn sie
auch stattfände, eigentlich
von dem Reiche,
dessen Eigentum
die Reichsinsig-
nien sind, und nicht
von Eurer Kaiserlichen
Majestät zu leisten
wäre". Trotzdem stellt es
der Reichsvizekanzler der
Großmut des Kaisers
anheim, „ob nicht Aller-
höchstdieselbe ihm einige
allergnädigst - beliebige
Unterstützung oder ein
kaiserliches Gnaden-
geschenk zukommen zu
lassen geruhen wollen".
Klipp und klar ist damit
von der amtlich allein
zuständigen Stelle zum
Ausdruck gebracht, daß
weder der Kaiser für
seine Person noch der
Österreichische Staat
einen Rechtsanspruch aus
die Reichskleinodien und
Reichsheiligtümer besitzen.
Trotzdem wurden die


Hans Baldung-Erien, Hexensabbath. Holzschnitt
 
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