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Kunst der Nation
noble Realismus seines glücklichsten Jahrzehnts
um 1880 in der Schweiz Schule gemacht und ein
gutes Teil der bei uns leider viel zu wenig ge-
kannten und gewürdigten Produktion in der Eid-
genossenschaft' seit 1900 in glücklichem Sinne be-
fruchtet hat, konnte inan auf jener Karlsruher
Schau erkennen. Aber dies ist nicht das Wesent-
liche und trifft nicht die spezifische Problematik
Hodlers. Man wird spater einmal, wenn die zeit-
liche Entfernung zur „endgültigen" Sichtung groß
genug sein wird, in seinen Frühwerken bis zum
Ende der 80er Jahre seineil eigentlichen Wert er-
kennen und die Tatsache, daß gerade die ganz
tendenzreinen Werke seines männlichen „Natur-
beschreibens" ans die Schweizer Malerei glücklich
eingewirkt haben, als den unwiderleglichen Beweis
ihrer höheren Bedeutung gegenüber seinem Paral-
lelismus deuten.
Heute, wo man fast nur seine Spätwerke
kennt, mag das noch wunderlich klingen. Zn
denken gibt immerhin die Tatsache, daß der Paral-
lelismus Hodlers auch bei uns seine Rolle Wohl
ausgespielt hat und man nicht mehr geneigt ist,
ihn damit direkt neben Munch und van Gogh zu
stellen, auch wenn man alle politischen Ressen-
timents ansschaltet.
Nun ist aber auch seine frühe Periode bis 1890
keineswegs als eine zwiespaltlose Leistung anzu-
sehen. Schon früh, sofort mit dem Einsetzen
mehrfiguriger Kompositionen, wie dem „Gebet im
Kanton Bern" (1880) und der Andacht (1881) be-
ginnt der Kampf zwischen der strengen Größe
rein malerischer Natnrdarstellung und dem hef-
tigen Wunsch nach Verinnerlichung, der seine
Bildeinheit sprengt und ein fremdes, oft bis zur
unfreiwilligen Komik ge-
steigertes Element in
seine klare Anschaulich-
keit hineinträgt.
Die tiefe Tragik seines
Schaffens liegt hier
darin, daß er über seine
Kraft hinausstrebt; daß
seine Meisterwerke, das
Vorbildliche seines frühen
Realismus: Bildnisse,
figürliche Vorstudien, In-
terieurs und vor allem
Landschaften von herr-
licher Eindringlichkeit und
Lichtfülle, nur an der
Peripherie seines Wollens
liegen, ihm nicht das
Endgültige bedeuten, son-
dern nur Vorarbeiten
und Erholungswerk.
Schon in den 80er Jah-
ren genügt ihm, einge-
standcn oder nicht, die
Darstellung der Welt von
außen her nicht — in der
er doch ein Meister ist,
der sich mit Leibl und
Courbet messen kann und
ster Gesinnungsfreund zu
gelten hat. Sondern er
drängt, je länger desto
bewußter, zum Heraus-
arbeiten seelischer Moti-
vierungen und inhalt-
licher Gewichte. Alle
großen Bilder, an die er
sein Herz hängt, sind von
diesem Konflikt erfüllt,
z. B. die „Reformatoren
zu Genf" (1883—84),
„Zwiegespräch mit der
Natur" (1884) (ein einzel-
ner Knabenakt in wun-
derbarer Landschaft), „Der
Müller, sein Sohn und
der Esel" besonders die
zweite Fassung von
1888), endlich die „Nacht"
von 1890, die „Lebens-
müden", 1891, in denen der Parallelismns zum
Durchbruch gelangt, realistisches Können aber
noch im einzelnen die Bildung bestimmt.
Trotz aller weltweiten Verschiedenheiten kann
ma:l das Prinzipielle dieser Entwicklung Wohl mit
Böcklins großartigem Abirren ins Symbolhafte
vergleichen. Es sind beide Deutsch-Schweizer, von
starker Urwüchsigkeit, solange bildungsmächtig, als
sie sich an die nährende Erde halten; verführerisch
ill ihrem Irrtum, das Seelische mit Mitteln einer
suggestiven Vergegenwärtigung von Tatsächlich-
keiten geben zu wollen, in einer höchst ausdring-
lichen Unmittelbarkeit. Das Derbste dieser Art
hat Hodler vielleicht in den beiden Bootsbildern
„Das mutige Weib" und „Vom Sturm über-
rascht" (1886) gemalt. Will mall aber das Ver-
gebliche in diesem wilden Ringkampf um
naturalistischen Ausdruck erfassen, so betrachte man
den Bauern auf dem Esel voll 1888, wo der Drang
nach erschöpfendem Ausdruck in den drei Mädchen
zu lächerlicher Übertreibung des „Sprechens" führt
und überdies in einer erschreckenden Raumöde
der Zerfall der Bildkomposition sich offenbart;
oder in den „Reformatoren" von 1883—84, die
noch auffallender in zwei Raumschichten aus-
cinandertreten lind in der kleinbürgerlichen Bana-
lität der „beredten" Gestikulation dieser fünf
frommen Komödianten eine fast an ganz frühe
Filme erinnernde Komik zutage fördern.
Das ängstliche Trachten nach Naturechtheit ver-
wehrt ihm hier die Erkenntnis der Mittel für
wahren Gefühlsausdruck; vielmehr wurde das er-
strebte Ideelle durch rohe Materialität der Dar-
stellung verdorben: eine ziemlich häufig auf-
tretende Stilkrankheit des Naturalismus vom Ende
des 19. Jahrhunderts. Recht ähnlich wirken z. B.
die absurden Versuche von Trübner, Liebermann
oder Corinth, religiöse Themen durch Fleisch-
malerei trivialster Art zu versinnlichen. Man kann
darin ein allgemeines Gesetz erkennen. Es besagt,
daß dem germanischen Ausdruckswillen der Na-
tionalismus bloßer Naturabschrift absolut zu-
widerläuft; daß vielmehr jener immanente Drang
unserer Rasse, die Dinge von innen heraus zu ge-
stalten, sich anderer Mittel zu bedienen habe.
Diese Erkenntnis überkam nun auch (wie später
Nolde, Coriuth, Beckmanu u. a.) Hodler, der sich
um 1890 im wesentlichen ganz ans eigene Rech-
nung, nur sporadisch von den Symbolisten und
den Rosenkreuzern Sär Peladans in Paris er-
mutigt, seinen Weg zu abstrakter Form suchte, zu
seinem Parallelismns, der von Heller komplemen-
tär gestellter, den Neoimpressionisten zngeneigter
Farbigkeit unterstützt wurde. Das Prinzip in der
endgültigen Ausgestaltung senkrecht gereihter Ge-
stalten vor Hellen, keinen Nanni andentenden Far-
benflächen, war durchaus das rechte, vor allem
auch, weil es nach uralter germanischer Tradition
als Kompositionsträger die Umrißlinie in strenger
Isolierung zeigte. Es ist auch nicht abznstreiten,
daß er damit bisweilen starke Fresken in geistiger
Haltung geschaffen hat, mindestens bei historischen
Darstellungen wie dem Rückzug von Mariguano,
dem Jenenser Airszug der Freiwilligen 1813, dem
Schwnrbilde in Hannover. Den politischen Ge-
halt mit den: Ausdruck eiues großen Gemein-
schaftswillens konnte die vielfach wiederholte Ein-
heitsgebärde und die Abstraktion der Linie Wohl
erfüllen. Allein, wo diese fehlte, bei den vielen
symbolistischen Aktbildern und vielfach auch den
ans Maßlose grenzenden Porträts und Land-
schaften, mußte abermals ein Widerspruch zwischen
Form und Gehalt hervortreten — nur daß dieser
den seiner früheren Art genau entgegengesetzten
Charakter annahm. Das gewaltige Gerüst idealisti-
scher Form ward zu umfänglich für die persönliche
Idee, die es verkörpern sollte. Die Abstraktion
der Linie füllt sich nicht genügend mit Leben;
trockenes Allegorisieren tritt an die Stelle der
Anschaulichkeit, Menschen, auch die Individuali-
täten der Bildnisse, oder die Bestandteile von
Landschaften erstarren zu Schemen und werden
künstliches Spiel mit eingeübten Formeln, kurz
Artistik ersetzt die Kraft der Darstellung — gerade
da, wo diese Darstellung durch ihre Intensität
handgreifliche Lebenssymbole geben möchte.
Um dieser ganz aus persönlichste Stilisierung
gestützteil Einmaligkeit willen hat Hodler auch nicht
fortwirken können oder nur in zerstörendem Sinne
auf einige schwächere Gemüter, die der Kunst nicht
ans Rechnung zu setzen sind. Vielleicht war sein
fast übermenschliches Ringen um den Stil über-
haupt ein Irrtum Hodlers, dessen Wille noch
stärker war als sein gewaltiges Talent. Jedenfalls
hat die doppelte Problematik seiner beiden
Schaffenshälften denselben Grund, das Streben
über den einfachen Realismus, den er mit einem
fast Genie zu nennenden Temperament vertrat,
hinaus zur Verwirklichung von Symbolen. Fehlte
ihm in seiner Frühzeit das Ausdrucksmittel, so
überstieg seit 1890 die Ausdrucksdynamik seiner
Linie in den weitaus meisten Fällen die geistige
Tragfähigkeit der dargestellten Idee. Beide Male
steigerte sich die Spannung zwischen Gehalt und
Form oft bis zum Grotesken; Goethe würde ihn
zweifellos zu den „Manieristen" rechnen dürfen.
Dies bezieht sich aber nur auf die Kompositionen,
in denen Hodler freilich das ausschließliche Gewicht
seines Werkes sah. Die Vollkommenheit von
Hodlers malerischem Frühstil können wir mit dem-
selben Entzücken empfinden wie die besten Werke
Leibls und des frühen Trübner. bV ?uul
Audols Koch
zum Gedächtnis
Der Kunst-Dienst in Spandau hat das Ver-
dienst, kurze Zeit nach dem Tode Rudolf Kochs
(am 9. April) eine Übersicht über sein Werk im
alten K u n st g e w e r b e - M n s e u m in Ber-
l i n auszustellen. Wenige Wochen vor seinem
Tode konnte man Koch noch selber in Berlin über
„Das Deutsche in der Druckschrift" sprechen hören;
ein Thema, das ihm schwer auf der Seele lag
Ferdinand Hodler, Zwiegespräch mit der Natur. 1884
Ferdinand Hodler, Landschaft. 1874
und Wie ein Leitmotiv sein ganzes Leben und
Schassen begleitet hat. Denn wieviel Druckschriften
er, in treuer Gemeinschaft mit dem ideal gesinnten
Schriftgießer Dr. Karl Klingspor in Offenbach
am Main auch geschaffen hat, und darunter nicht
wenige, die ihre Grundform von der Antike
nahmen, seine Seele hing von Nrbeginn allein an
deutscher Form uud au handwerklicher Wahr-
haftigkeit: dies ist das Auszeichnende an Rudolf
Koch, dem Mann, dem Schriftkünstler, dem tief
religiös veranlagten Deutschen; und es wird Wohl
niemand geben, der dies nicht sogleich am gering-
sten seiner Werke erkennt. 'Der Kunstdienst hat
mit Recht diese Zwillingseigenschaft bei ihm
herausgehoben: das Deutsche, das handwerklich
Gesinnte, an der großen Tradition seiner Vater-
stadt Nürnberg Gebildete und das religiöse Gefühl
von protestantischer Färbung, das seiner Schöpfung
die eigentümliche Tiefe verleiht. Dem Schrist-
künstler Koch — oder, wie er in seinem Kreise
stets nur genannt wurde, dem Meister — strömte
alle Erfindung von Lettern, Symbolen, Illustra-
tionen aus der unbedingten Sicherheit graphischen
Gefühls, und das bedeutete bei ihm den ganz
ursprünglichen Sinn der Sache: aus der Hand-
habung der Schreibfeder, die den Sinn des ge-
sprochenen Wortes mit geschriebenen Buchstaben
uachtasteud formt. Wie keinem andern der Neu-
schöpfer unserer Schrift, die seit 1900 am Werke
sind, war ihm das Wort Geist und der Buch-
stabe Baustein des Geistes; ans dem lebendigsten
Verstehen Luthers und Goethes, aus Christi Wort
wie aus Zarathustra formten sich ihn: unmittelbar
, sein? Schriftzeichen in Schwarz Weiß. , Darum
kunst nicht zu beliebiger profaner Verwendung,
sondern zum Dienste Gottes und seines Geistes;
alles, was er je geschrieben oder mit Lettern ge-
setzt hat, ist vom Atem hoher Geistigkeit bewegt,
und er empfand es fast als Entwürdigung, wenn
man seine Typen zum Anzeigen-Akzidenzdruck be-
nutzte.
Dabei war Rudolf Koch alles andere als ein
„Frommer" oder gar Ästhet. Das schönste Denk-
mal hat er dem deutschen Familiensinn in der
köstlichen Folge von Scherenschnitten gesetzt, die
als „Das Leben einer Familie in Schattenbildern"
1918 in den Rudolfinischen Drucken (bei Gerstung
in Offenbach) herauskamcn und ihn selbst im
Kreise seiner Familie in naiver und selbstver-
ständlicher Weise, so wahr wie anmutig.schildern.
Seine Schüler und Mitarbeiter hingen an ihm
wie an einem Vater, und wirklich verdankten sie
seinem niemals autoritativ betonten Vorbild das
Beste ihres Schaffens, als Schristzeichner,
Illustratoren (worin vor allem Fritz Kredel über
ihn hinausstrebte), Weber oder Sticker, und die
Offenbacher Schreibergilde führt auch nach seinem
Tode seine Tradition getreulich fort.
Rudolf Koch, als Sohn eines Bildhauers am 20. No-
vember 1876 in Nürnberg geboren, kam vom Handwerklichen
her, als gelernter Metallziselcur, autodidaktisch zur Schrift-
kunst, 1903; seine selbständige Tätigkeit begann, als ihn
Karl Klingspor 1906 an' seine Offenbacher Schriftgießerei
zog. 1908 vertraute ihm Hugo Eberhardt, der Leiter der
Technischen Lehranstalten in Offenbach, die Leitung der
Schriftklasse an, mit der er eine so beispielhafte Schule
begründete, und 1910 kam seine erste und berühmteste Type,
die Deutsche oder Koch-Schrift in drei Graden heraus, die
seinen Namen bekannt gemacht hat. Vis zu seinem Tode
hat er über 20 Schriften entworfen, zum Teil selbst direkt
in den Stempel geschnitten (z. B. die starke „Neuland");
ihre Formen sind so abweichend von einander und so phan-
tasievoll, daß man oft nur bei feinstem Verständnis die
Grundhaltung, den einheitlichen Geist, der sie beseelt, zu
durchschauen vermag, wie z. B. bei der kühnen, fast hand-
schriftlich wirkenden „Hella", seinen Grotesken und der
„Prisma", die nur mit Zirkel und Lineal aus vier Parallel-
linien konstruiert ist. Wer das Geistige in dieser ganz aus
dem Handwerk und den praktischen Bedürfnissen des Buch-
drucks hervorgegangenen Formen zu sehen vermag, wird
überall den großen, männlich empfindenden Menschen Koch
und sein tiefes Gemüt dahinter erkennen. Am unmittel-
barsten äußert sich sein Charakter in den herrlich geschrie-
benen, so unvergleichlich verschieden gestalteten Sprüchen,
die er aus der Bibel, aus Luthers Schriften, aus deutschen
weißkunst machte. Hier ist Koch überall untadelig, und man
empfindet mit Beglückung das ganz von Grund auf Deutsche
seiner Seele und seiner Handschrift, und immer auch das
religiöse Gefühl, das ihn bei der geringsten Arbeit durch-
drang.
Seit dem Kriege hatte Koch viel zu leiden unter der
Ungunst gewandelter Zeit, die sich im Buchgewerbe vor
allem als Mechanisierung, als Streben nach öder Gleich-
macherei (in antikischer Groteskschrift) äußerte. Sein Werk
schien unzeitgemäß und sein Kampf um die deutschen und
handwerklichen Eigenwerte der Schrift, in herrlichen Worten
oft und überall ausgesprochen, so gut wie aussichtslos. Erst
die Erneuerung der Nation durch den Nationalsozialismus
hat auch hier gründlich und endgültig Wandel geschaffen,
und wir können aufatmend bekennen, daß das Lebenswerk
dieses Mannes anfängt, die vorbildliche Stellung in unserm
Dasein einzunehmen, die ihm gebührt. —dt.
Sinn und Wesen der Buchillustration
Von
Arthur Rümarm
Man möchte glauben, die Antwort auf die iu
diesem Titel liegeude Frage sei einfach mit eiu,
zwei kurzen Sätzen zu geben, etwa so: Die Buch-
illustration soll den Text veranschaulichen; sie soll
den Text bildhaft ausdeuten. Gewiß ist dies eilt
Zweck, eine Ausgabe oder Pflicht der Illustration.
Aber darin liegt noch nicht der tiefere Sinn, das
eigentliche Wesen dieses leider viel zu sehr ver-
nachlässigten Kunstzweiges. Die Antwort kann
nur richtig sein, wenn man den Horizont weiter
Ferdinand Hodler, der Frühling. 1901
Kunst der Nation
noble Realismus seines glücklichsten Jahrzehnts
um 1880 in der Schweiz Schule gemacht und ein
gutes Teil der bei uns leider viel zu wenig ge-
kannten und gewürdigten Produktion in der Eid-
genossenschaft' seit 1900 in glücklichem Sinne be-
fruchtet hat, konnte inan auf jener Karlsruher
Schau erkennen. Aber dies ist nicht das Wesent-
liche und trifft nicht die spezifische Problematik
Hodlers. Man wird spater einmal, wenn die zeit-
liche Entfernung zur „endgültigen" Sichtung groß
genug sein wird, in seinen Frühwerken bis zum
Ende der 80er Jahre seineil eigentlichen Wert er-
kennen und die Tatsache, daß gerade die ganz
tendenzreinen Werke seines männlichen „Natur-
beschreibens" ans die Schweizer Malerei glücklich
eingewirkt haben, als den unwiderleglichen Beweis
ihrer höheren Bedeutung gegenüber seinem Paral-
lelismus deuten.
Heute, wo man fast nur seine Spätwerke
kennt, mag das noch wunderlich klingen. Zn
denken gibt immerhin die Tatsache, daß der Paral-
lelismus Hodlers auch bei uns seine Rolle Wohl
ausgespielt hat und man nicht mehr geneigt ist,
ihn damit direkt neben Munch und van Gogh zu
stellen, auch wenn man alle politischen Ressen-
timents ansschaltet.
Nun ist aber auch seine frühe Periode bis 1890
keineswegs als eine zwiespaltlose Leistung anzu-
sehen. Schon früh, sofort mit dem Einsetzen
mehrfiguriger Kompositionen, wie dem „Gebet im
Kanton Bern" (1880) und der Andacht (1881) be-
ginnt der Kampf zwischen der strengen Größe
rein malerischer Natnrdarstellung und dem hef-
tigen Wunsch nach Verinnerlichung, der seine
Bildeinheit sprengt und ein fremdes, oft bis zur
unfreiwilligen Komik ge-
steigertes Element in
seine klare Anschaulich-
keit hineinträgt.
Die tiefe Tragik seines
Schaffens liegt hier
darin, daß er über seine
Kraft hinausstrebt; daß
seine Meisterwerke, das
Vorbildliche seines frühen
Realismus: Bildnisse,
figürliche Vorstudien, In-
terieurs und vor allem
Landschaften von herr-
licher Eindringlichkeit und
Lichtfülle, nur an der
Peripherie seines Wollens
liegen, ihm nicht das
Endgültige bedeuten, son-
dern nur Vorarbeiten
und Erholungswerk.
Schon in den 80er Jah-
ren genügt ihm, einge-
standcn oder nicht, die
Darstellung der Welt von
außen her nicht — in der
er doch ein Meister ist,
der sich mit Leibl und
Courbet messen kann und
ster Gesinnungsfreund zu
gelten hat. Sondern er
drängt, je länger desto
bewußter, zum Heraus-
arbeiten seelischer Moti-
vierungen und inhalt-
licher Gewichte. Alle
großen Bilder, an die er
sein Herz hängt, sind von
diesem Konflikt erfüllt,
z. B. die „Reformatoren
zu Genf" (1883—84),
„Zwiegespräch mit der
Natur" (1884) (ein einzel-
ner Knabenakt in wun-
derbarer Landschaft), „Der
Müller, sein Sohn und
der Esel" besonders die
zweite Fassung von
1888), endlich die „Nacht"
von 1890, die „Lebens-
müden", 1891, in denen der Parallelismns zum
Durchbruch gelangt, realistisches Können aber
noch im einzelnen die Bildung bestimmt.
Trotz aller weltweiten Verschiedenheiten kann
ma:l das Prinzipielle dieser Entwicklung Wohl mit
Böcklins großartigem Abirren ins Symbolhafte
vergleichen. Es sind beide Deutsch-Schweizer, von
starker Urwüchsigkeit, solange bildungsmächtig, als
sie sich an die nährende Erde halten; verführerisch
ill ihrem Irrtum, das Seelische mit Mitteln einer
suggestiven Vergegenwärtigung von Tatsächlich-
keiten geben zu wollen, in einer höchst ausdring-
lichen Unmittelbarkeit. Das Derbste dieser Art
hat Hodler vielleicht in den beiden Bootsbildern
„Das mutige Weib" und „Vom Sturm über-
rascht" (1886) gemalt. Will mall aber das Ver-
gebliche in diesem wilden Ringkampf um
naturalistischen Ausdruck erfassen, so betrachte man
den Bauern auf dem Esel voll 1888, wo der Drang
nach erschöpfendem Ausdruck in den drei Mädchen
zu lächerlicher Übertreibung des „Sprechens" führt
und überdies in einer erschreckenden Raumöde
der Zerfall der Bildkomposition sich offenbart;
oder in den „Reformatoren" von 1883—84, die
noch auffallender in zwei Raumschichten aus-
cinandertreten lind in der kleinbürgerlichen Bana-
lität der „beredten" Gestikulation dieser fünf
frommen Komödianten eine fast an ganz frühe
Filme erinnernde Komik zutage fördern.
Das ängstliche Trachten nach Naturechtheit ver-
wehrt ihm hier die Erkenntnis der Mittel für
wahren Gefühlsausdruck; vielmehr wurde das er-
strebte Ideelle durch rohe Materialität der Dar-
stellung verdorben: eine ziemlich häufig auf-
tretende Stilkrankheit des Naturalismus vom Ende
des 19. Jahrhunderts. Recht ähnlich wirken z. B.
die absurden Versuche von Trübner, Liebermann
oder Corinth, religiöse Themen durch Fleisch-
malerei trivialster Art zu versinnlichen. Man kann
darin ein allgemeines Gesetz erkennen. Es besagt,
daß dem germanischen Ausdruckswillen der Na-
tionalismus bloßer Naturabschrift absolut zu-
widerläuft; daß vielmehr jener immanente Drang
unserer Rasse, die Dinge von innen heraus zu ge-
stalten, sich anderer Mittel zu bedienen habe.
Diese Erkenntnis überkam nun auch (wie später
Nolde, Coriuth, Beckmanu u. a.) Hodler, der sich
um 1890 im wesentlichen ganz ans eigene Rech-
nung, nur sporadisch von den Symbolisten und
den Rosenkreuzern Sär Peladans in Paris er-
mutigt, seinen Weg zu abstrakter Form suchte, zu
seinem Parallelismns, der von Heller komplemen-
tär gestellter, den Neoimpressionisten zngeneigter
Farbigkeit unterstützt wurde. Das Prinzip in der
endgültigen Ausgestaltung senkrecht gereihter Ge-
stalten vor Hellen, keinen Nanni andentenden Far-
benflächen, war durchaus das rechte, vor allem
auch, weil es nach uralter germanischer Tradition
als Kompositionsträger die Umrißlinie in strenger
Isolierung zeigte. Es ist auch nicht abznstreiten,
daß er damit bisweilen starke Fresken in geistiger
Haltung geschaffen hat, mindestens bei historischen
Darstellungen wie dem Rückzug von Mariguano,
dem Jenenser Airszug der Freiwilligen 1813, dem
Schwnrbilde in Hannover. Den politischen Ge-
halt mit den: Ausdruck eiues großen Gemein-
schaftswillens konnte die vielfach wiederholte Ein-
heitsgebärde und die Abstraktion der Linie Wohl
erfüllen. Allein, wo diese fehlte, bei den vielen
symbolistischen Aktbildern und vielfach auch den
ans Maßlose grenzenden Porträts und Land-
schaften, mußte abermals ein Widerspruch zwischen
Form und Gehalt hervortreten — nur daß dieser
den seiner früheren Art genau entgegengesetzten
Charakter annahm. Das gewaltige Gerüst idealisti-
scher Form ward zu umfänglich für die persönliche
Idee, die es verkörpern sollte. Die Abstraktion
der Linie füllt sich nicht genügend mit Leben;
trockenes Allegorisieren tritt an die Stelle der
Anschaulichkeit, Menschen, auch die Individuali-
täten der Bildnisse, oder die Bestandteile von
Landschaften erstarren zu Schemen und werden
künstliches Spiel mit eingeübten Formeln, kurz
Artistik ersetzt die Kraft der Darstellung — gerade
da, wo diese Darstellung durch ihre Intensität
handgreifliche Lebenssymbole geben möchte.
Um dieser ganz aus persönlichste Stilisierung
gestützteil Einmaligkeit willen hat Hodler auch nicht
fortwirken können oder nur in zerstörendem Sinne
auf einige schwächere Gemüter, die der Kunst nicht
ans Rechnung zu setzen sind. Vielleicht war sein
fast übermenschliches Ringen um den Stil über-
haupt ein Irrtum Hodlers, dessen Wille noch
stärker war als sein gewaltiges Talent. Jedenfalls
hat die doppelte Problematik seiner beiden
Schaffenshälften denselben Grund, das Streben
über den einfachen Realismus, den er mit einem
fast Genie zu nennenden Temperament vertrat,
hinaus zur Verwirklichung von Symbolen. Fehlte
ihm in seiner Frühzeit das Ausdrucksmittel, so
überstieg seit 1890 die Ausdrucksdynamik seiner
Linie in den weitaus meisten Fällen die geistige
Tragfähigkeit der dargestellten Idee. Beide Male
steigerte sich die Spannung zwischen Gehalt und
Form oft bis zum Grotesken; Goethe würde ihn
zweifellos zu den „Manieristen" rechnen dürfen.
Dies bezieht sich aber nur auf die Kompositionen,
in denen Hodler freilich das ausschließliche Gewicht
seines Werkes sah. Die Vollkommenheit von
Hodlers malerischem Frühstil können wir mit dem-
selben Entzücken empfinden wie die besten Werke
Leibls und des frühen Trübner. bV ?uul
Audols Koch
zum Gedächtnis
Der Kunst-Dienst in Spandau hat das Ver-
dienst, kurze Zeit nach dem Tode Rudolf Kochs
(am 9. April) eine Übersicht über sein Werk im
alten K u n st g e w e r b e - M n s e u m in Ber-
l i n auszustellen. Wenige Wochen vor seinem
Tode konnte man Koch noch selber in Berlin über
„Das Deutsche in der Druckschrift" sprechen hören;
ein Thema, das ihm schwer auf der Seele lag
Ferdinand Hodler, Zwiegespräch mit der Natur. 1884
Ferdinand Hodler, Landschaft. 1874
und Wie ein Leitmotiv sein ganzes Leben und
Schassen begleitet hat. Denn wieviel Druckschriften
er, in treuer Gemeinschaft mit dem ideal gesinnten
Schriftgießer Dr. Karl Klingspor in Offenbach
am Main auch geschaffen hat, und darunter nicht
wenige, die ihre Grundform von der Antike
nahmen, seine Seele hing von Nrbeginn allein an
deutscher Form uud au handwerklicher Wahr-
haftigkeit: dies ist das Auszeichnende an Rudolf
Koch, dem Mann, dem Schriftkünstler, dem tief
religiös veranlagten Deutschen; und es wird Wohl
niemand geben, der dies nicht sogleich am gering-
sten seiner Werke erkennt. 'Der Kunstdienst hat
mit Recht diese Zwillingseigenschaft bei ihm
herausgehoben: das Deutsche, das handwerklich
Gesinnte, an der großen Tradition seiner Vater-
stadt Nürnberg Gebildete und das religiöse Gefühl
von protestantischer Färbung, das seiner Schöpfung
die eigentümliche Tiefe verleiht. Dem Schrist-
künstler Koch — oder, wie er in seinem Kreise
stets nur genannt wurde, dem Meister — strömte
alle Erfindung von Lettern, Symbolen, Illustra-
tionen aus der unbedingten Sicherheit graphischen
Gefühls, und das bedeutete bei ihm den ganz
ursprünglichen Sinn der Sache: aus der Hand-
habung der Schreibfeder, die den Sinn des ge-
sprochenen Wortes mit geschriebenen Buchstaben
uachtasteud formt. Wie keinem andern der Neu-
schöpfer unserer Schrift, die seit 1900 am Werke
sind, war ihm das Wort Geist und der Buch-
stabe Baustein des Geistes; ans dem lebendigsten
Verstehen Luthers und Goethes, aus Christi Wort
wie aus Zarathustra formten sich ihn: unmittelbar
, sein? Schriftzeichen in Schwarz Weiß. , Darum
kunst nicht zu beliebiger profaner Verwendung,
sondern zum Dienste Gottes und seines Geistes;
alles, was er je geschrieben oder mit Lettern ge-
setzt hat, ist vom Atem hoher Geistigkeit bewegt,
und er empfand es fast als Entwürdigung, wenn
man seine Typen zum Anzeigen-Akzidenzdruck be-
nutzte.
Dabei war Rudolf Koch alles andere als ein
„Frommer" oder gar Ästhet. Das schönste Denk-
mal hat er dem deutschen Familiensinn in der
köstlichen Folge von Scherenschnitten gesetzt, die
als „Das Leben einer Familie in Schattenbildern"
1918 in den Rudolfinischen Drucken (bei Gerstung
in Offenbach) herauskamcn und ihn selbst im
Kreise seiner Familie in naiver und selbstver-
ständlicher Weise, so wahr wie anmutig.schildern.
Seine Schüler und Mitarbeiter hingen an ihm
wie an einem Vater, und wirklich verdankten sie
seinem niemals autoritativ betonten Vorbild das
Beste ihres Schaffens, als Schristzeichner,
Illustratoren (worin vor allem Fritz Kredel über
ihn hinausstrebte), Weber oder Sticker, und die
Offenbacher Schreibergilde führt auch nach seinem
Tode seine Tradition getreulich fort.
Rudolf Koch, als Sohn eines Bildhauers am 20. No-
vember 1876 in Nürnberg geboren, kam vom Handwerklichen
her, als gelernter Metallziselcur, autodidaktisch zur Schrift-
kunst, 1903; seine selbständige Tätigkeit begann, als ihn
Karl Klingspor 1906 an' seine Offenbacher Schriftgießerei
zog. 1908 vertraute ihm Hugo Eberhardt, der Leiter der
Technischen Lehranstalten in Offenbach, die Leitung der
Schriftklasse an, mit der er eine so beispielhafte Schule
begründete, und 1910 kam seine erste und berühmteste Type,
die Deutsche oder Koch-Schrift in drei Graden heraus, die
seinen Namen bekannt gemacht hat. Vis zu seinem Tode
hat er über 20 Schriften entworfen, zum Teil selbst direkt
in den Stempel geschnitten (z. B. die starke „Neuland");
ihre Formen sind so abweichend von einander und so phan-
tasievoll, daß man oft nur bei feinstem Verständnis die
Grundhaltung, den einheitlichen Geist, der sie beseelt, zu
durchschauen vermag, wie z. B. bei der kühnen, fast hand-
schriftlich wirkenden „Hella", seinen Grotesken und der
„Prisma", die nur mit Zirkel und Lineal aus vier Parallel-
linien konstruiert ist. Wer das Geistige in dieser ganz aus
dem Handwerk und den praktischen Bedürfnissen des Buch-
drucks hervorgegangenen Formen zu sehen vermag, wird
überall den großen, männlich empfindenden Menschen Koch
und sein tiefes Gemüt dahinter erkennen. Am unmittel-
barsten äußert sich sein Charakter in den herrlich geschrie-
benen, so unvergleichlich verschieden gestalteten Sprüchen,
die er aus der Bibel, aus Luthers Schriften, aus deutschen
weißkunst machte. Hier ist Koch überall untadelig, und man
empfindet mit Beglückung das ganz von Grund auf Deutsche
seiner Seele und seiner Handschrift, und immer auch das
religiöse Gefühl, das ihn bei der geringsten Arbeit durch-
drang.
Seit dem Kriege hatte Koch viel zu leiden unter der
Ungunst gewandelter Zeit, die sich im Buchgewerbe vor
allem als Mechanisierung, als Streben nach öder Gleich-
macherei (in antikischer Groteskschrift) äußerte. Sein Werk
schien unzeitgemäß und sein Kampf um die deutschen und
handwerklichen Eigenwerte der Schrift, in herrlichen Worten
oft und überall ausgesprochen, so gut wie aussichtslos. Erst
die Erneuerung der Nation durch den Nationalsozialismus
hat auch hier gründlich und endgültig Wandel geschaffen,
und wir können aufatmend bekennen, daß das Lebenswerk
dieses Mannes anfängt, die vorbildliche Stellung in unserm
Dasein einzunehmen, die ihm gebührt. —dt.
Sinn und Wesen der Buchillustration
Von
Arthur Rümarm
Man möchte glauben, die Antwort auf die iu
diesem Titel liegeude Frage sei einfach mit eiu,
zwei kurzen Sätzen zu geben, etwa so: Die Buch-
illustration soll den Text veranschaulichen; sie soll
den Text bildhaft ausdeuten. Gewiß ist dies eilt
Zweck, eine Ausgabe oder Pflicht der Illustration.
Aber darin liegt noch nicht der tiefere Sinn, das
eigentliche Wesen dieses leider viel zu sehr ver-
nachlässigten Kunstzweiges. Die Antwort kann
nur richtig sein, wenn man den Horizont weiter
Ferdinand Hodler, der Frühling. 1901