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Kunst der Nation — 2.1934

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Wieszner, Georg Gustav: Monumentalmalerei
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Bonatz, Paul: Brücke und Turm
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II. Ihg., Nr. 4, 1. Mai 1434

Verlag Kunst der Nation G. m. b. L., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
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Einzelpreis 3d Pfennige


Neckarlanal-Brücke in Heilbronn. Architekt: P. Bonatz, Stuttgart. Konstruktion: Wayst u. Freytag, Frankfurt a. M., und Neckarbaudirektion in Stuttgart

Momimentalmalerei
Von
Georg Gustav Wietzner

i.
Historische Orientierung
Nur dem Problem der Monnmentalmalerei,
wie es heute im 20. Jahrhundert gestellt ist, ge-
recht zu werden, dürfte es sich verlohnen, einige
Erinnerungsbilder aufzufrischen. Dabei werden
wir gleich erkennen, daß Monumentalmalerei
weder zeitlich noch völkisch betrachtet j e eine
gemeinsame Form besaß oder besitzt.
Auch wenn wir bei Monumentalmalerei ganz
zwangsläufig an Wandmalerei denken, so ist der
eindeutige Begriff: „W a n d" durchaus nicht fähig,
das, was der Künstler darauf geschehen läßt,
irgendwie formal zu bestimmen.
Die Fresken der Reichenau sind etwas Grund-
verschiedenes von denen Ghirlandajos in
S. M. Novella in Florenz, und der Anbetungszug
der Heiligen in S. Apollinare Nuovo in Ravenna
ist im innersten Wesen widersprechend dem Zuge
der Heiligen Drei Könige Gozzolis im Palazzo
Medici. Und doch ist das alles Wandmalerei in
Mosaik und in verschiedenen Techniken des Fresko.
Monumentale Form wird nicht gewonnen, in-
dem man ein Bild oder Mosaik direkt ans die
Wand anfträgt. Wie der Stein der Weisen eben
den Weisen braucht, der gerade ihn sieht, so
braucht die Wand den Meister, der sie beherrscht.
Schon Pompeji zeigt Musterbeispiele minu-
tiöser Kleinkunst auf deu Wäuden, bewußt intim
und unmonumental. Die Fresken Ghirladajos
könnten als Ersatz für Teppiche gelten, die die
hohe, kalte Wand mit Farben erwärmen.
Gozzolis Reiterzug verlangt den einsamen Be-
schauer, den etwas morbiden Ästheten, der da in
der Hauskapelle genießend betet, betend genießt.
Diese Kapellenwände wirken wie allerfeinste
Miniaturmalereien in einem Pergamcntbuch. Die
Buchgeschlossenheit wird von der Achtlosigkeit des
Raumes noch eindringlicher gemacht: eine Wand-
malerei ohne belichtende Fenster, ohne Beziehung
zu Raum und Wand, eine Naummalerei für aller-
intimsten Kreis! Bei aller Bewunderung für
den Geschmack Cosimo Medicis haben wir da den
Gegensatz aller monumentalen Malerei auf
Wänden. Lauter Paradoxa für Misere heutigen
Begriffe. Man denke dagegen an die Stanzen
Raffaels in Rom: Bilder, die Räume wurden!
Oder eine andere Erinnerung: Die Sixtina!
Ein Kamps um die Decke: Bilderrahmen
bringen Raumsprengungen nach oben! Malerei
im Kampf mit der Architektur, wie später bei den
Kuppelfresken Knollcrs in Neresheim oder bei
Tiepolo in Würzburg.
Mantegna hatte solchen Zanber der Raum-
sprengung in der Eremitani-Kapelle in Padna be-

gonnen, unmittelbar neben den Giotto-Fresken
in der Arena.
Giotto hat ein schlichtes Bilderbuch aus große
Wände anfgeteilt, Bild neben Bild: Aber jedes
einzelne eindringlich und großartig! Reale Wirk-
lichkeit gesteigert in stärkst wirkende Kunstsorm!
Darin scheint das Geheimnis auch für heutige
Augen zu liegen. Da unterstreichen Bergrücken
die Handlung, da umrollen ekstatisch geschwungene
Arme der Jünger und Frauen mit großartiger
Spirale den Kopf des toten Christus, unseren
Blick lenkend, zugleich unser Gefühl zu höchstem
Schmerz steigernd.
Bei solcher Kunst, bei Giotto, nicht bei
Mantegna, stellt sich uns heute wieder das Wort:
Monumental ein, wenn das Bild anch klein,
eines unter vielen in der Fläche erscheint.
Neben die nachempfundene imitativ gestaltete
Welt des Barock stellt sich wieder triumphierend
die schöpferisch gestaltende expressive der Gotik.
Mantegna mästet seine Gestalten, damit sie nach
außen rund und vollkommen erscheinen, Giotto
sättigt sie mit Geist. Er erfaßt uns wieder un-
mittelbarer als der andere, er lenkt unseren Be-
griff des Monumentalen sondernd zu den
Ägyptern, den frühen Kretern, den Byzantinern
und den Fresken der Reichenau. Es scheint, als
ob das alles Malereien für nur „Schauende" ge-
wesen wäre, für Menschen ohne Buch, ohne
Literatur.
Das Buch aber vergewaltigt die geschaute
Form, zwingt mehr und mehr zum Kleinformat,
zur Schilderung: der großzügige Geist wird geist-
reich in Apercus aufgelöst, das Bild trennt sich
vom Raum, kann ausgewechselt, soll nach Laune
umgehängt werden können, kommt momentaner
Stimmung entgegen, umschmeichelt schließlich
ästhetisch die Wirklichkeit, wird eine Angelegenheit
der Salons und überläßt die große Lebens-
gestaltung in Abstraktionen der Architektur.
So wird Geist in der Monumentalmalerei
unter dem Einfluß der Literatur zur Anekdote.
Das geschwätzige 19. Jahrhundert bemächtigt sich
ihrer.
Das große Format, qnadratmeterweise ge-
wertet, wie es Ludwig für seine Pinakotheken in
München verlangt, setzt neben den Rubens in der
Alten Kaulbach in die Neue. Diese „Zerstörung
Jerusalems", ein Miniatnrbildchen, nett anzu-
sehen als Stahlstich im Gesangbuch, wirkt im
Original (6:7 in!!) wie ein von bösen Buben
zur grauenvollen Groteskgestalt ausgeblasener
Frosch. Man sehnt sich nach einem Opernglas,
es umgekehrt vors Auge zu halten, solches
Monstrum in Verkleinerung genießbar zu machen.
Groß ist keinesfalls schon monu-
m ental.

Neue Lehrzeit
Der Maler mußte wieder in die Schicke des
Architekten gehen. Er mußte wieder spüren, was
eine Wand überhaupt ist, nm das Anekdotische,
seinen, meist vom Auftraggeber geforderten Bild-
inhalt, dem Geist des Raumes unterordnen zu
können. Einordnung mußte geschehen, erstes
kollektives Schaffen.
So entstanden die Cornelius-Fresken der
Münchener Glyptothek, in denen freilich die
Glieder der Figuren sich allzu oruamental, und
darum im schlechteu Sinn theatralisch wirkend,
den Gewölbefeldern sich anschmiegen, so entstanden
herber, unausgeglichener die Aachener Rathaus-
sresken Rethels.
Wurde Cornelius Lehrmeister der äußeren
Form, so Rethel der der inneren Form der
Monumentalmalerei.
Der Meister des Totentanzes 1848, dessen
kleine Holzschnittblättchen die Wirkungswucht
Giottos und der Reichenau-Fresken erreichen, ver-
stand es, die Wandbilder des Karls-Zyklus ein-
dringlich zu machen. Noch geschieht viel
Anekdotisches in der Fläche, aber selbst solches
Anekdotische hilft, das Gesamtbild zusammenzu-
fassen. Die Faust des Mohren in der „Schlacht
bei Cordova", die, dem Stier in die Nüstern grei-
fend, den Wagen des Kalifen zum Stillstand
bringt, bändigt zugleich den Aufruhr des ganzen
Bildes. Nun wird die Tradition der Naffaelischen
Stanzen in das bewegtere Jahrhundert gesteigert:
Der wichtige Kaiserkopf steht ruhig vor und zwi-
schen flatternden Fahnen. Überall finden sich Fer-
maten in den Bildern, die aus unerhörtes Cre-
scendo vorbereiten, bis dann der Kopf des toten
Kaisers, schleierverhängt, in strengster Frontale
in der Gruft erscheint. Ein Allerletztes innerer
Form: Respekt vor dem Unerhörten, nicht mehr
Darstellbaren: Abstand des sich zeitlich begrenzt
fühlenden Malers vor dem Ewigkeitswert der Le-
gende. Solche Psyche tut dem Monumentalmaler
not: Respekl vor seinem Thema, gesteigerte Be-
scheidenheit vor gesteigertem Vorwurf.
Das laute Jahrhundert mußte sich die innere
Stille in schwerstem Kampfe abringen. Aber nur
sie führt zu echter Monumentalmalerei an gegebe-
nen Wänden, wie sie unter der älteren Generation
einzig Hans von Marees in den Fresken des Bi-
bliotheksaales der deutschen zoologischen Station
in Neapel erreichte.
Da gehen alle Strukturen von der Wand ans:
der große Meereshorizont begleitet den Zug der
Breitseite des Raumes mit seinen langen Bücher-
reihen. Die gemalten Hausqnadern stufen sich an
der Schmalwand hinauf. Schlichte Horizontale
und Vertikale, die Grundpfeiler aller monumen-
talen Gestaltung, beherrschen diese Bilder. Sie
wollen kein Mehr erreichen, als was im Raum,
der Bücherzimmer ist, erreichbar ist. Aber stark
rhythmisch greifen die Schrägen der Ruderer ein
und in sich beruhend, monumental und still,
zeigen sich die Personen vor dem Hause.
Der Künstler lernte vom Architekten. Er hatte
freilich das Glück, eindringlichste Architektur vor
eindringlichster Landschaft bei seiner Arbeit vor

drücke und Turm
Bon
Architekt Paul Bonatz
Die Neckarbrücke bei Heilbronn
Jede Aufgabe hat ihr eigenes Gesetz. Ob es
sich um ein Bild, um Musik oder Architektur han-
delt: es kommt darauf au, ob der Grundwille
durchgehalten ist.
Bei dieser Brücke ist das Gesetz einfach erkenn-
bar. Es ist der Wille zu größter Leichtigkeit, Be-
schwingtheit, Eleganz im Spiel der Kräfte. Es
kommt darauf an, daß sich der Bogen gewisser-
maßen ohne Mühe trägt, mit dem kleinsten Auf-
wand von Dicke, Masse und Schwere. Die Dünne
des Scheitels wird unterstrichen durch den Schatten
des weit ausgekragten Gehwegs. Die Balken
der Seitenöffnungen, die mit den Hauptbogen nur
lose verbunden sind, liegen zurück. Die feine
Lichtkante des Gehwegs ist die Bindung der ganzen
Länge.
Der Flaggen- und Aussichtsturm des Deutschen
Turnfestes 1933 in Stuttgart (Abb. S. 2)
Der Turm stand im Schwerpunkt der Anlage,
flankierte den Eingang, rückwärts die Verpfle-
gungsstadt, geradeaus die Turnselder. Er hatte
11 Stockwerke, Gesamthöhe 40 Meter. Er war nur
ans Last berechnet, nicht auf Winddruck. Die Wind-
kräfte wurden durch Drahtseile in den Diagonalen
aufgefangen. Er stand nur während der Dauer
des Turnfestes. Der Zimmermann hatte auch den
Abbruch vorzunshmen und das Holz znrückzuneh-
men. Diese Bedingungen führten dazu, die mo-
derne Fabrikationstechnik zu wählen, nicht die alte
Zimmermannsart.
Technischen Bauten dieser Art wohnt stilbil-
dende Kraft inne, wenn sie in letzter Folgerichtig-
keit das Herstellungsgesetz zum Ausdruck bringen.
Die Merkmale sind:
Die Holzverbindungcn sind durchweg durch
Eisenbolzen hergestellt. Meist liegt Holz an Holz
ohne jeden Verschnitt. Die Geländerstütze ist nicht
in den Balken eingezapft, sondern daneben gelegt
und durch Bolzen gehalten, die Geländerbretter
liegen wieder flach vor der Stütze. Alle freien
Balkenendcn stehen ein gutes Stück vor. Das
Ausrichten und Abbrechen ist aus diese Weise ein
Zusammensetzspiel wie der bekannte Mechanobau-
kasten.
Reizvoll wird der Turm erst durch die zwei
nebeneinanderliegenden Aus- und Abgangs-
treppen. Das große Podest rechts liegt zwischen
den Pfosten, das kleine Podest links ragt frei her-
aus. Das unterstreicht die anspringeirde Bewe-
gung und dieses Anspringen wird gleichmäßig
und ohne jede Veränderung bis oben hin durch-
gehalten. Die gleichmäßige Wiederholung gibt
den Rhythmus und den Charakter des Turms. Die
Hölzer sind nicht stärker als sie der Statiker for-
dert.
Zu dem Notwendigen kommt keinerlei Zutat.
Die besten mittelalterlichen Fachwerkbauten sind
von gleicher Sachlichkeit. Das Spiel von Licht
und Schatten, die Fahnen ringsum und die Be-
wimpclung bringen Leben genug. Ein besonders
reizvoller Anblick war der Turm bei Nacht. Die
Lampen in jedem Geschoß ließen ihn leicht wie ein
Spielzeug erscheinen.

Augen zu haben: Neapolitanischen Kubenbau vor
dem Hintergrund des weiten Meereshorizonts.
III.
Neues Leben
Marees lernte vom Architekten.
Der Architekt ist der Künstler, der das Gesetz
der Erde, die Schwerkraft, überwindet, indem er
Schweres so auf Schweres setzt, daß es unserem
Auge auch leicht erscheinen kann, ganz nach seinem
menschlichen Willen.
Wie ist es, wenn der Maler, für den dieses
Gesetz der Schwere nicht gilt, sich mit ihm ver-
bindet?
Die Maler der Renaissance, selbst Michelangelo,
sahen ihre Aufgabe primär im Dekorativen. Daß
in der Dekoration der Sixtina-Decke das Wunder
des Schaffenden Gottes, der Adamsbelebung
wurde, ist herrlichstes Glück, Zeitenthobenheit des
absolut Künstlerischem Aber primär blieb die
dekorative Absicht nach dem Verlangen des Auf-
traggebers.
Dieser Dekor steigert sich und zerlöst sich im
Rausch des Barock in Himmelfahrten und
Titanenstürzen. Die musikalische Epoche Bachs
negiert alles winkelig gefügte Tektonische.
Erst Empire und Biedermeier bringt wieder
Winkel, Kanten, Kuben.
In solcher Gesinnung wurzelt Marees. Er
geht wieder vom Konstruktiven aus, findet wieder
tektonische Gesinnung, die den diffusen Jntellek-
 
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