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Kunst der Nation
Abb. 1 Türke Abb. 2 Napoleons-Grenadier
Der Zusammenhang mit der Porzellankunst ist
gleichwohl sehr wichtig. Gibt er doch die ungezwun-
gene Erklärung für die ungeheure Vielseitigkeit,
die die Zinnfigurenerzeuguug zeigt. Sie hat zu
Ende des 18. Jahrhunderts so ziemlich alles her-
gestellt, was es auch in Porzellan gab. Wir haben
von den Hilperts nicht nur Porträtmedaillons und
-statuetten wie die meisterhafte, 1777 datierte
Friedrichs des Groszen nach Chodowiecki, sondern
auch Tierfiguren wie die Prachtvolle „Affenserie",
ein Zigeunerlager, eine Eisbahn, ländliche Genre-
darstellungen und allegorische Figuren.
Aber die Soldatenfiguren herrschen vor. Ein
Türke, Abb. 1, Zietenhusaren, Preußische Jäger,
ein österreichischer Feldmarschall sind bekannt. Den
ganzen Reichtum der Hilpertschen Erzeugung lehrt
uns des Nürnberger „Kunstverlegers" Johann
Ludwig Stahl Hilperts seel. Erben Warenver-
zeichnis von 1805 kennen. Er hatte ihren ge-
samten Modellbestand übernommen und preist eine
stattliche Anzahl von „fein und odinair gewählten
Zinnfiguren und dergleichen Kunst-Waren" an:
Kaiserliches, Preußisches, französisches, russisches
und türkisches „Militaire", ländliche Vorstellungen,
die vier Jahreszeiten und Elemente, ein großes
Ritterturnier — wir nähern uns der Romantik!
— Nationaltrachten, Juden, „spaßhafte Figuren",
die Geburt und die Flucht Christi neben vielen
anderen Einzelfiguren und Tieren.
Die Tätigkeit der Hilperts ragt noch in die
dritte, große Kriegsperiode hinein, die der Zinn-
Alte deutsche Zinnsoldaten
So nennt man gemeinhin diese wundervollen
Erzeugnisse eines hochstehenden deutschen Kunst-
gewerbes; aber man sollte sie lieber „Zinnfiguren"
nennen. Denn mit dem geläufigen Namen trifft
man nur eilten Teil der Erzeugung auf diesem
Sondergebiet des einst so fruchtbaren, alten deut-
schen Zinngießergewerbes, dem Sondergebict, mit
dem es allein wahrhaft lebendig geblieben ist bis
in unsere Zeit und nunmehr, wie wir hoffen,
auch fürderhin lebendig bleiben wird.
Schon darum verdient es unsere besondere
Beachtung. Zudem aber spiegelt sich darin die
ganz kunst-, kultur- und geistesgeschichtliche Ent-
wicklung in einer Fülle und Unmittelbarkeit, die
wahrlich ihresgleichen sucht. Gerade in diesem
Kunstgewerbezweig hat Deutschland eine Vor-
machtstellung auf dem Weltmarkt zu allen Zeiten
behauptet und behauptet sie heute noch. Selbst
an der Seine sind die „soldats de Nuremberg"
hochgeschätzt und vielleicht früher als bei uns als
wertvolle „Denkmäler" gesammelt worden.
Edmond Rostand, der Dichter des „Chrano de
Bergerac" und des „L'aiglon" ist ihnen zeit seines
Lebens ein treuer Freund gewesen, als sie bei
uns nur „Kinderspielzeug" waren und die großen
Kinder, die sich mit ihnen abgaben, als „Narren"
galten, über die man nur den Kopf schütteln
konnte. Recht eigentlich ernst genommen werden
sie bei uns erst, seitdem sie für die Wissenschaft
„entdeckt" wurden, was bei uns durch den Mün-
chener Kunsthistoriker Georg Lill und den früheren
Direktor des „Germanischen Museums" zu Nürn-
berg, Theodor Hampe, geschehen ist.
Dieser ist in seinem Buch „Der Zinnsoldat"
Abb. Z Offizier franz. Ncvolutionsarmccn
Abb. 4 Russischer Grenadier
seiner Geschichte mit großer Liebe und Sorgfalt
nachgegangen, ohne aber, wie das bei einem solchen
ersten Versuch ja kaum anders sein kann, sie ganz
aufhellen zu können. Die Urkunden sind so selten
wie die „Denkmäler", d. h. Zinnfiguren aus alter
Zeit. Spielzeug wie Gebrauchsgegenstände blei-
ben ja immer nur durch einen besonders glück-
lichen Zufall erhalten. Zumal dann, wenn sie
aus vergänglichem oder wie hier aus wiederver-
wendbarem Stoffe geformt sind.
Hampe nun sieht den Anstoß zur Zinnfiguren-
fabrikation in dem großen Auftrag, den Lud-
wig XIV. 1662 zur Anfertigung einer silbernen
Miniaturarmee für seinen Sohn durch Colbert
nach Nürnberg gab. Er hatte als Knabe eine
solche besessen, und schon Ludwig XIII. hatte einst
mit „Bleisoldaten" gespielt. Wenn man sich nun
nach Nürnberg wendet, so spricht das sehr dafür,
daß schon die Soldatenfiguren der beiden von dort-
her stammten.
Nach Entwürfen des großen Kriegsbanmeisters
Vauban, der zur Überwachung der Arbeit selbst
nach Nürnberg reisen mußte, führten der Gold-
schmied Johann Georg Wolrab und der Mechani-
ker Gottfried Hantsch den Auftrag aus. 1665 konn-
ten sie liefern, und ihr Werk fand so sehr den
Beifall des Königs, daß er bemerkte, „die Deut-
schen haben doch viel Geist", und den Widerspruch
eines Höflings, die Franzosen hätten doch mehr,
mit den bissigen Worten abtat: „Ja, für Kleider-
moden!" Der Erfolg der Lieferung für Paris
verschaffte den Nürnberger Meistern bald darauf
eine gleiche für den Hof der Mediceer in Florenz.
Und nun setzt die für diesen Kunstgewerbezweig
bezeichnende Massenherstellung ein. Schon Hampe
ist die frühe Beliebtheit von Türkensiguren aus-
gefallen, und er hat zwei hübsche, zinnerne Kriegs-
schiffe, deren eines mit Janitscharen bemannt ist,
mit an die Spitze der eigentlichen Zinnfiguren-
erzeugung zu Beginn des 18. Jahrhunderts ge-
stellt. Schon das Alter dieser Denkmäler aber
widerspricht seiner Meinung, daß Napoleons Zug
nach Ägypten erst diese Beliebtheit veranlaßt habe.
Wie sie einen neuen gewaltigen Antrieb
zweifellos durch die Kriege und Siege Friedrichs
des Großen erhielt, ist bezeichnend dadurch, daß wir
von 1760 ab in Nürnberg die Entwicklung genauer
verfolgen können. An ihrer Spitze steht der aus
Coburg zugewanderte Johann Gottfried Hilpert,
der mit seinem Sohn Johann Wolfgang und
seinem Bruder Johann Georg eine umfängliche
Produktion betreibt, die sich immer mehr beson-
ders der Herstellung von Zinnsoldaten widmet.
Joachim Karsch, Schreitende Jünger
Weender Tor in Göt-
Nildbetrachtung zu Torenzetti
Aus „Deutsche Bildhauer der Gegenwart"..
Rembrandt-Verlag, Berlin
figurensabrikation
einen neuen, man darf
Wohl sagen, den ent-
scheidenden Anstoß
gab, die napoleonische
Von ihr ab datiert
der ungeheure Auf-
schwung des Gewer-
bes, der bald an vie-
len Orten Deutsch-
lands eigne Werk-
stätten entstehen läßt,
die mit den Nürn-
bergern in Wettbewerb
treten. Aus dieser
Zeit sind denn auch
Originalfiguren in
größerer Zahl auf uns
gekommen, vornehm-
lich von den Kriegern
Napoleons und seiner
Gegner.
Später tritt uns
anch die Zinnfigur als
wichtiges Lehrmittel
entgegen. Schon rund
30 Jahre vor dem
Hannoveraner Du
Bois, von dem Hampe
glaubte, er habe sie
zuerst als solches ver-
wertet! Aus dem Al-
bertschen Verzeichnis
geht auch hervor, daß
die Kosaken nicht erst,
wie Hampe meinte,
als die Befreier voll
1813 das Interesse der
Zinngießer erweckten,
sondern schon viel
früher; wenn nicht
schon zu Friedrichs
des Großen Zeit, so
doch Wohl seit Suwo-'-
rows denkwürdigem
Zug in die Alpen
1799.
Aus dieser Zeit
stammen die russischen
Grenadiere (Abb. 4),
der Offizier der fran-
zösischen Revolutions-
armee (Abb. 3) und
die schönen Napoleons-
grenadiere in Bären-
mützen (Abb. 2). Auch
die Weigangs haben
sich nicht nur mit
militärischen Vor
würfen befaßt. Als
Ende 1827 vor dem
tingen ein „Cirqne Olympique" gastierte, ent-
nahmen sie den Abbildungen auf seinen Pla-
katen die Anregung zu dem Fechterpaar im
schönsten Biedermeier-Römcr-Stil. Um 1845
aber stellten sie eine Jagd her, die zum künstlerisch
Wertvollsten ihrer ganzen Erzeugung gehört. Das
fliehende Reh daraus mit der seltenen Künstler-
signatur auf dem Meilenstein ist eine Glanz--
leistung.
Noch der letzte Göttinger Weygang, Victor,
gestorben 1919, hat Zinnfiguren angefertigt.
Figuren aus dem Burenkrieg dürften seine letzten
selbständigen Schöpfungen sein. Daneben arbeitete
er mit dem Modellbestand seines Hauses und dem
anderer älterer Offizinen, den seine Vorfahren er-
worben hatten.
Merkwürdig aber, wie hier in der kleinen Welt
der Zinnsoldaten sich eine ähnliche Entwicklung
vollzieht wie in der großen des wirklichen Kriegs
in der Vereinfachung der Geschützkaliber und der
Waffengattungen, die seit dem 30jährigen Kriege
immer schneller vor sich geht! D
Am 1. Dezember dieses Jahres wird der Maler
Karl S ch m i d t - R o t t l u f f 50 Jahre alt. Eine
eingehende Würdigung seines Schassens bringen
wir in einer der nächsten Nummern.
-X-
Zu der Notiz in Heft 22 unserer Zeitschrift
über den vom Werkbuud eingerichteten Lesesaal
fügen wir die nunmehr gültigen Besuchszeiten
lnnzn: Montag, Mittwoch, Donnerstag von 10 bis
18 Uhr; Dienstag und Freitag von 12—20 Uhr;
Sonnabend von 10—14,30 Uhr.
Die Begebenheit spielt sich in zwei Gemächern
eines Frauenklosters ab. Die hl. Humilitas, die
Demütige, gekennzeichnet durch ein Lammfell, das
sie ans dein Kops trägt, heilt durch ihren Segen
eine kranke Nonne, während der Arzt ratlos das
Haus verläßt. Die kleine Tafel gehört zu einem
größeren Altar, den Lorenzetti 1341 für das Non-
nenkloster Vallombrosa bei Florenz malte.
Der „Verzicht" ans richtige Perspektive und
Proportion kommt hier der Klarheit und Reich-
haltigkeit der Erzählung in bester Weise zugute.
Wieviel kann der Künstler in dem kleinen Bild-
format mitteilen, ohne die eindringliche Wirkung
zu beeinträchtigen! Die Klostergebäude mit der
Kirche siud im Viereck um den Klostergarten ge-
baut, der durch einen Baum gekennzeichnet wird.
Gleichzeitig erhalten wir einen Einblick in zwei
Jnnenränme, die fast die Hälfte der ganzen Bild-
tafel einnehmen und in ihrer einfachen Architek-
tur, die mit dem unteren Bildrand abschließt, eine
geeignete Bühne für die Handlung geben. In ge-
schickter Weise ist die horizontale und vertikale
Naumgliederung zur dramatischen Anordnung der
Figuren benutzt. Die zwei Hauptpersonen, die
Heilige und der Arzt, treten gleichsam als Gegen-
spieler auf. Der Arzt, der nicht mehr helfen kann,
steht bereits ans der Schwelle des Hauses, während
die Heilige durch eine innen gelegene Tür mit
segnender Gebärde eintritt. Die Wand zwischen
den beiden Gemächern gestattet die Anordnung der
zwei Begebenheiten unmittelbar nebeneinander,
ohne daß die Gesamtkomposition zerfällt oder un-
klar wird. Den Höhepunkt der lebendigen Charak-
terisierung bildet jedoch die Gestalt des Arztes, der
angesichts eines mit Blut gefüllten Gefäßes, das
ihm zwei Nonnen zeigen, nur noch mit der Ge-
bärde völliger Ratlosigkeit von dannen gehen
kann. Xun26.
/
Deutselie Bildliauer
der OeAeuLvart
Ilerrmsges,. von Alkroü Ilentren
Llib 110 ^Lbb. 4,20 ULI, llsinou 6,50 ULI.
Dwsss LVoiN Zibb oiusu (Zuorscünibb durob dis
doubsoüo I'iastik dor OoZouv-urb.
kmil ^Xolde
dalire der krimpte
KsIvstbioArÄpüis Oss Hodouboudou Llsdsr.s und
oiZourvilligou Ooisbos. Das Luoü ist 6ins voll-
ZüItiAO küusblorisolio 4?ub usksu dsm küusblo-
risobou 8oliukwu und dsiuLVsi'Ic dss wirldicliou
kokous, uotvoudiZ su ilim AsliöriZ.
250 8. in. 28 Bild. Xurb. 4,—ULI, koiu. 5,50 ULI-
Bemlrranäi - Verlag, Berlin 8^ 11
regier
in lierlin, Xübo sebr Aut
renoviert, eventuell vollkommen ein-
Aericbtet, 2 u vermieten.
^nkraAen unter LV. 86 an den Verlag ds. 2tA.
28. November bis 24. Dezember 1934
K o l l e k t i v - A u s st e l l n n g
Galerie b. d. Gexde
Berlin W 35, S ch ö n e b e r g er U f e r 41
Oiro vkiriin WL2
Kuickür8lsn8»r.120 Isl. K5 öscioaiOLSsZ6?Z
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Herausgeber und Schriftleiter: A. WilliamKönig, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation E. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstrahe 118. — Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der Nation zu richten. Anzeigen-
annahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht
übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung abgelehnt. D.-A.III.V. 5333.Druck von H. S. Hermann - Büxenstein G. m. b. H. Berlin 8VV 19
Kunst der Nation
Abb. 1 Türke Abb. 2 Napoleons-Grenadier
Der Zusammenhang mit der Porzellankunst ist
gleichwohl sehr wichtig. Gibt er doch die ungezwun-
gene Erklärung für die ungeheure Vielseitigkeit,
die die Zinnfigurenerzeuguug zeigt. Sie hat zu
Ende des 18. Jahrhunderts so ziemlich alles her-
gestellt, was es auch in Porzellan gab. Wir haben
von den Hilperts nicht nur Porträtmedaillons und
-statuetten wie die meisterhafte, 1777 datierte
Friedrichs des Groszen nach Chodowiecki, sondern
auch Tierfiguren wie die Prachtvolle „Affenserie",
ein Zigeunerlager, eine Eisbahn, ländliche Genre-
darstellungen und allegorische Figuren.
Aber die Soldatenfiguren herrschen vor. Ein
Türke, Abb. 1, Zietenhusaren, Preußische Jäger,
ein österreichischer Feldmarschall sind bekannt. Den
ganzen Reichtum der Hilpertschen Erzeugung lehrt
uns des Nürnberger „Kunstverlegers" Johann
Ludwig Stahl Hilperts seel. Erben Warenver-
zeichnis von 1805 kennen. Er hatte ihren ge-
samten Modellbestand übernommen und preist eine
stattliche Anzahl von „fein und odinair gewählten
Zinnfiguren und dergleichen Kunst-Waren" an:
Kaiserliches, Preußisches, französisches, russisches
und türkisches „Militaire", ländliche Vorstellungen,
die vier Jahreszeiten und Elemente, ein großes
Ritterturnier — wir nähern uns der Romantik!
— Nationaltrachten, Juden, „spaßhafte Figuren",
die Geburt und die Flucht Christi neben vielen
anderen Einzelfiguren und Tieren.
Die Tätigkeit der Hilperts ragt noch in die
dritte, große Kriegsperiode hinein, die der Zinn-
Alte deutsche Zinnsoldaten
So nennt man gemeinhin diese wundervollen
Erzeugnisse eines hochstehenden deutschen Kunst-
gewerbes; aber man sollte sie lieber „Zinnfiguren"
nennen. Denn mit dem geläufigen Namen trifft
man nur eilten Teil der Erzeugung auf diesem
Sondergebiet des einst so fruchtbaren, alten deut-
schen Zinngießergewerbes, dem Sondergebict, mit
dem es allein wahrhaft lebendig geblieben ist bis
in unsere Zeit und nunmehr, wie wir hoffen,
auch fürderhin lebendig bleiben wird.
Schon darum verdient es unsere besondere
Beachtung. Zudem aber spiegelt sich darin die
ganz kunst-, kultur- und geistesgeschichtliche Ent-
wicklung in einer Fülle und Unmittelbarkeit, die
wahrlich ihresgleichen sucht. Gerade in diesem
Kunstgewerbezweig hat Deutschland eine Vor-
machtstellung auf dem Weltmarkt zu allen Zeiten
behauptet und behauptet sie heute noch. Selbst
an der Seine sind die „soldats de Nuremberg"
hochgeschätzt und vielleicht früher als bei uns als
wertvolle „Denkmäler" gesammelt worden.
Edmond Rostand, der Dichter des „Chrano de
Bergerac" und des „L'aiglon" ist ihnen zeit seines
Lebens ein treuer Freund gewesen, als sie bei
uns nur „Kinderspielzeug" waren und die großen
Kinder, die sich mit ihnen abgaben, als „Narren"
galten, über die man nur den Kopf schütteln
konnte. Recht eigentlich ernst genommen werden
sie bei uns erst, seitdem sie für die Wissenschaft
„entdeckt" wurden, was bei uns durch den Mün-
chener Kunsthistoriker Georg Lill und den früheren
Direktor des „Germanischen Museums" zu Nürn-
berg, Theodor Hampe, geschehen ist.
Dieser ist in seinem Buch „Der Zinnsoldat"
Abb. Z Offizier franz. Ncvolutionsarmccn
Abb. 4 Russischer Grenadier
seiner Geschichte mit großer Liebe und Sorgfalt
nachgegangen, ohne aber, wie das bei einem solchen
ersten Versuch ja kaum anders sein kann, sie ganz
aufhellen zu können. Die Urkunden sind so selten
wie die „Denkmäler", d. h. Zinnfiguren aus alter
Zeit. Spielzeug wie Gebrauchsgegenstände blei-
ben ja immer nur durch einen besonders glück-
lichen Zufall erhalten. Zumal dann, wenn sie
aus vergänglichem oder wie hier aus wiederver-
wendbarem Stoffe geformt sind.
Hampe nun sieht den Anstoß zur Zinnfiguren-
fabrikation in dem großen Auftrag, den Lud-
wig XIV. 1662 zur Anfertigung einer silbernen
Miniaturarmee für seinen Sohn durch Colbert
nach Nürnberg gab. Er hatte als Knabe eine
solche besessen, und schon Ludwig XIII. hatte einst
mit „Bleisoldaten" gespielt. Wenn man sich nun
nach Nürnberg wendet, so spricht das sehr dafür,
daß schon die Soldatenfiguren der beiden von dort-
her stammten.
Nach Entwürfen des großen Kriegsbanmeisters
Vauban, der zur Überwachung der Arbeit selbst
nach Nürnberg reisen mußte, führten der Gold-
schmied Johann Georg Wolrab und der Mechani-
ker Gottfried Hantsch den Auftrag aus. 1665 konn-
ten sie liefern, und ihr Werk fand so sehr den
Beifall des Königs, daß er bemerkte, „die Deut-
schen haben doch viel Geist", und den Widerspruch
eines Höflings, die Franzosen hätten doch mehr,
mit den bissigen Worten abtat: „Ja, für Kleider-
moden!" Der Erfolg der Lieferung für Paris
verschaffte den Nürnberger Meistern bald darauf
eine gleiche für den Hof der Mediceer in Florenz.
Und nun setzt die für diesen Kunstgewerbezweig
bezeichnende Massenherstellung ein. Schon Hampe
ist die frühe Beliebtheit von Türkensiguren aus-
gefallen, und er hat zwei hübsche, zinnerne Kriegs-
schiffe, deren eines mit Janitscharen bemannt ist,
mit an die Spitze der eigentlichen Zinnfiguren-
erzeugung zu Beginn des 18. Jahrhunderts ge-
stellt. Schon das Alter dieser Denkmäler aber
widerspricht seiner Meinung, daß Napoleons Zug
nach Ägypten erst diese Beliebtheit veranlaßt habe.
Wie sie einen neuen gewaltigen Antrieb
zweifellos durch die Kriege und Siege Friedrichs
des Großen erhielt, ist bezeichnend dadurch, daß wir
von 1760 ab in Nürnberg die Entwicklung genauer
verfolgen können. An ihrer Spitze steht der aus
Coburg zugewanderte Johann Gottfried Hilpert,
der mit seinem Sohn Johann Wolfgang und
seinem Bruder Johann Georg eine umfängliche
Produktion betreibt, die sich immer mehr beson-
ders der Herstellung von Zinnsoldaten widmet.
Joachim Karsch, Schreitende Jünger
Weender Tor in Göt-
Nildbetrachtung zu Torenzetti
Aus „Deutsche Bildhauer der Gegenwart"..
Rembrandt-Verlag, Berlin
figurensabrikation
einen neuen, man darf
Wohl sagen, den ent-
scheidenden Anstoß
gab, die napoleonische
Von ihr ab datiert
der ungeheure Auf-
schwung des Gewer-
bes, der bald an vie-
len Orten Deutsch-
lands eigne Werk-
stätten entstehen läßt,
die mit den Nürn-
bergern in Wettbewerb
treten. Aus dieser
Zeit sind denn auch
Originalfiguren in
größerer Zahl auf uns
gekommen, vornehm-
lich von den Kriegern
Napoleons und seiner
Gegner.
Später tritt uns
anch die Zinnfigur als
wichtiges Lehrmittel
entgegen. Schon rund
30 Jahre vor dem
Hannoveraner Du
Bois, von dem Hampe
glaubte, er habe sie
zuerst als solches ver-
wertet! Aus dem Al-
bertschen Verzeichnis
geht auch hervor, daß
die Kosaken nicht erst,
wie Hampe meinte,
als die Befreier voll
1813 das Interesse der
Zinngießer erweckten,
sondern schon viel
früher; wenn nicht
schon zu Friedrichs
des Großen Zeit, so
doch Wohl seit Suwo-'-
rows denkwürdigem
Zug in die Alpen
1799.
Aus dieser Zeit
stammen die russischen
Grenadiere (Abb. 4),
der Offizier der fran-
zösischen Revolutions-
armee (Abb. 3) und
die schönen Napoleons-
grenadiere in Bären-
mützen (Abb. 2). Auch
die Weigangs haben
sich nicht nur mit
militärischen Vor
würfen befaßt. Als
Ende 1827 vor dem
tingen ein „Cirqne Olympique" gastierte, ent-
nahmen sie den Abbildungen auf seinen Pla-
katen die Anregung zu dem Fechterpaar im
schönsten Biedermeier-Römcr-Stil. Um 1845
aber stellten sie eine Jagd her, die zum künstlerisch
Wertvollsten ihrer ganzen Erzeugung gehört. Das
fliehende Reh daraus mit der seltenen Künstler-
signatur auf dem Meilenstein ist eine Glanz--
leistung.
Noch der letzte Göttinger Weygang, Victor,
gestorben 1919, hat Zinnfiguren angefertigt.
Figuren aus dem Burenkrieg dürften seine letzten
selbständigen Schöpfungen sein. Daneben arbeitete
er mit dem Modellbestand seines Hauses und dem
anderer älterer Offizinen, den seine Vorfahren er-
worben hatten.
Merkwürdig aber, wie hier in der kleinen Welt
der Zinnsoldaten sich eine ähnliche Entwicklung
vollzieht wie in der großen des wirklichen Kriegs
in der Vereinfachung der Geschützkaliber und der
Waffengattungen, die seit dem 30jährigen Kriege
immer schneller vor sich geht! D
Am 1. Dezember dieses Jahres wird der Maler
Karl S ch m i d t - R o t t l u f f 50 Jahre alt. Eine
eingehende Würdigung seines Schassens bringen
wir in einer der nächsten Nummern.
-X-
Zu der Notiz in Heft 22 unserer Zeitschrift
über den vom Werkbuud eingerichteten Lesesaal
fügen wir die nunmehr gültigen Besuchszeiten
lnnzn: Montag, Mittwoch, Donnerstag von 10 bis
18 Uhr; Dienstag und Freitag von 12—20 Uhr;
Sonnabend von 10—14,30 Uhr.
Die Begebenheit spielt sich in zwei Gemächern
eines Frauenklosters ab. Die hl. Humilitas, die
Demütige, gekennzeichnet durch ein Lammfell, das
sie ans dein Kops trägt, heilt durch ihren Segen
eine kranke Nonne, während der Arzt ratlos das
Haus verläßt. Die kleine Tafel gehört zu einem
größeren Altar, den Lorenzetti 1341 für das Non-
nenkloster Vallombrosa bei Florenz malte.
Der „Verzicht" ans richtige Perspektive und
Proportion kommt hier der Klarheit und Reich-
haltigkeit der Erzählung in bester Weise zugute.
Wieviel kann der Künstler in dem kleinen Bild-
format mitteilen, ohne die eindringliche Wirkung
zu beeinträchtigen! Die Klostergebäude mit der
Kirche siud im Viereck um den Klostergarten ge-
baut, der durch einen Baum gekennzeichnet wird.
Gleichzeitig erhalten wir einen Einblick in zwei
Jnnenränme, die fast die Hälfte der ganzen Bild-
tafel einnehmen und in ihrer einfachen Architek-
tur, die mit dem unteren Bildrand abschließt, eine
geeignete Bühne für die Handlung geben. In ge-
schickter Weise ist die horizontale und vertikale
Naumgliederung zur dramatischen Anordnung der
Figuren benutzt. Die zwei Hauptpersonen, die
Heilige und der Arzt, treten gleichsam als Gegen-
spieler auf. Der Arzt, der nicht mehr helfen kann,
steht bereits ans der Schwelle des Hauses, während
die Heilige durch eine innen gelegene Tür mit
segnender Gebärde eintritt. Die Wand zwischen
den beiden Gemächern gestattet die Anordnung der
zwei Begebenheiten unmittelbar nebeneinander,
ohne daß die Gesamtkomposition zerfällt oder un-
klar wird. Den Höhepunkt der lebendigen Charak-
terisierung bildet jedoch die Gestalt des Arztes, der
angesichts eines mit Blut gefüllten Gefäßes, das
ihm zwei Nonnen zeigen, nur noch mit der Ge-
bärde völliger Ratlosigkeit von dannen gehen
kann. Xun26.
/
Deutselie Bildliauer
der OeAeuLvart
Ilerrmsges,. von Alkroü Ilentren
Llib 110 ^Lbb. 4,20 ULI, llsinou 6,50 ULI.
Dwsss LVoiN Zibb oiusu (Zuorscünibb durob dis
doubsoüo I'iastik dor OoZouv-urb.
kmil ^Xolde
dalire der krimpte
KsIvstbioArÄpüis Oss Hodouboudou Llsdsr.s und
oiZourvilligou Ooisbos. Das Luoü ist 6ins voll-
ZüItiAO küusblorisolio 4?ub usksu dsm küusblo-
risobou 8oliukwu und dsiuLVsi'Ic dss wirldicliou
kokous, uotvoudiZ su ilim AsliöriZ.
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regier
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renoviert, eventuell vollkommen ein-
Aericbtet, 2 u vermieten.
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28. November bis 24. Dezember 1934
K o l l e k t i v - A u s st e l l n n g
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annahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht
übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung abgelehnt. D.-A.III.V. 5333.Druck von H. S. Hermann - Büxenstein G. m. b. H. Berlin 8VV 19