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Einzelpreis 3d Pfennige
Um die Zukunft
der deutschen Kunst
Von
Hans Pels-Lensden
Langsam läßt der Widerstand auf feiten der
Feinde der modernen Kunst nach. Man sieht ein,
daß es keine Konjunkturrücksichten waren, die die
Maler, die sich um das Jahr 1910 herum zur Ge-
meinschaft des „Blauen Reiter" und der „Brücke"
zusammenschlossen und einige Außenstehende wie
Nolde und Barlach bestimmte, den schier aussichts-
losen Kampf mit der völlig äußerlichen, aber all-
mächtigen Gesellschaftsknnst der wilhelminischen
Epoche aufzunehmen. Anfangs wurden sie gar
nicht ernst genommen; dann begann ein Kampf
von jahrzehntelanger Dauer. Sie besaßen keinerlei
Ausstellungsmöglichkeiten. Aber wie alle echten
Pioniere ließen sie sich nicht beirren, sondern
kämpften um so konsequenter für ihr Ziel.
Ein Jahrzehnt später vollzog sich im Politischen
eine ähnliche tiefgreifende Umwälzung. Jahre-
lang belächelt und unterdrückt, rang ein Häuflein
kühner Streiter um das deutsche Volk, das am
Marxismus zugrunde und durch bürgerliches
Spießertum und Volksfremdheit und durch die
Herrschaft des Judentums seiner besten Instinkte
verlustig zu gehen drohte. Am Ende des Kampfes
um das politische und völkische Schicksal steht
naturgemäß der Erfolg oder der Mißerfolg. In-
sofern ist der Lohn für den politischen Kämpfer
im Falle eines kompromißlosen Sieges ein abso-
luter. Die kulturellen Kämpfer von 1910, allen
Posten; ihr Kamps war gleich gigantisch; sie suchten
aus der künstlerischen Kraft des deutschen Volkes
das Kühnste und Höchste herauszupressen, das über-
haupt möglich war.
Ist es nicht das natürlichste, daß die damaligen
kulturellen Streiter, die heute noch mit der gleichen
Intensität an ihrem Ziel arbeiten, und die
heutigen Erneuerer des deutschen Volkes eine ge-
schlossene Einheit des Willens bilden? Es waren
weder Konjunkturrücksichten, die diese Maler trieb,
noch war es eine Liebe zur Extravaganz, was man
ihnen vielfach vorwirft; dafür hungert niemand
viele Jahre hindurch, wie Emil Nolde es früher
getan hat. Nein, es war das Bewußtsein, eine
heilige Verantwortung zu tragen, und nur dies Be-
wußtsein gab ihnen die Stärke, in der größten Not
durchzustehen. Sie waren die Fahnenträger einer
neuen künstlerischen Epoche überhaupt. Noch ein-
mal: Ist es nicht ein Glück zu wissen, daß die
fanatischen Kämpfer für Deutschlands Größe und
Ehre in künstlerischer Beziehung gleich fanatisch
ringende und starke Kräfte zur Seite haben? Es ist
wundervoll, daß der politische und der künstlerische
Aufbruch zu gleicher Zeit über gleich elementare
Kräfte verfügen. Ist es nicht selbstverständlich,
daß sie einander respektieren und sich sodann gegen-
seitig anfeuern und befruchten?
Nun ist es sonderbar, daß diese neue Kunst
noch heute nach der nationalen Wiedergeburt
unseres Volkes nicht gern gesehen ist, anstatt daß
sie in Erziehung und Unterricht den ihr gebühren-
den Raum einnähme und man ihr darüber hin-
aus das allgemeine Ansehen gäbe, das sie ver-
dient. Wir sind heute so weit, daß die modernen
Museen, die im wesentlichen diese anfangs so ver-
lästerte moderne Kunst enthalten, diese still-
schweigend wieder haben zu Ehren kommen
lassen. Man ging den richtigen Weg, indem mail
lediglich die marxistischen Nachkriegsmaler aus-
schaltete. — Sicher sind auch sonst manche Ent-
gleisungen unter denen vorgekommen, die den
Großen, Marc, Nolde usw., nachliefen, indem sie
sich der waghalsigen Mittel bedienten, die nur der
Geniale oder der äußerst Talentierte anwenden
kann. Aber letzten Endes entscheidet nur die An-
zahl der wirklich Genialen, wie in der deutschen
Musik der beiden letzten Jahrhunderte entscheidet,
daß wir acht oder neun überragende Meister und
einige bedeutende Nachfolger gehabt haben. Es ist
jetzt nur die Aufgabe, die auf die Dauer gesehen
keineswegs sehr schwierig ist, daß die Museen einen
Platz ganz im Vordergrund des öffentlichen Lebens
erhalten (eine ja auch unabhängig von der
modernen Kunst dringende Forderung) und daß
in diesen Museen die Großen und die ihnen Nächst-
stehenden übersichtlich vorgeführt werden.
So muß eine gewaltige Erziehungsarbeit ein-
setzen, um das Volk für das Verständnis einer
ihrer Zeit (die obendrein in den Begriffen der
flachsten Kunstpcriode Deutschlands überhaupt
steckt) weit vorauseilenden Kunst reif zu machen.
Nicht der Künstler muß zum Volk heruntersteigen
und seine Ansprüche den primitiveren Ansprüchen
Ernesto de Fiori, Hindenburg-Büste.
Fotogenia
Ts lterben die Freunde
Es ltirbt der Mann
Doch niemals ltirbt des Mannes Tat
Gat er Trohes gewirkt im Leben.
Äus der Gdda
des Publikums angleichen, sondern der Kunstsinn
der Menschen muß auf ein solches Niveau gehoben
werden, daß sie imstande sind, dem Künstler in die
wahre und erhabene Kunstsphäre zu folgen und
auch schwierigere Pfade nicht zu scheuen, die das
Höchste manchmal beschreitet. Schließlich kommt
einem der tiefere Sinn des Faust auch nicht beim
oberflächlichen Lesen zum Bewußtsein, oder wenn
man noch keinerlei andere Lektüre betrieben hat.
Werke der bildenden Kunst, die eine tiefe philo-
sophische Grundlage haben, kann man ebenso
wenig im Moment fassen wie ein Kapitel in
Nietzsches Zarathustra. Der große Künstler sucht
von selbst das was er zu sagen hat auf die un-
komplizierteste und konzentrierteste Form zu
bringen. — Die heutige Kunstbetrachtung bleibt
auf oberflächliche Kenntnisnahme beschränkt. So
lange unser Volk in künstlerischer Hinsicht un-
geschult ist und absolute Laienmaßstäbe anlegt,
bleibt notwendigerweise die große Kunst unserer
Zeit wie auch die früherer Epochen einem kleinen
kunstsinnigen Kreis Vorbehalten.
-x
Sollte Franz Marc, der 1916, 37jährig,
in der vordersten Linie im Weltkrieg siel und
heute das 55. Lebensjahr überschritten hätte,
also ein ausgesprochener Angehöriger der heute
maßgebenden Frontgeneration, heute umlernen
müssen? Er zählt zu den wenigen großen Genies
der deutschen Kunstgeschichte. Er hätte mit Sicher-
heit seinen dramatischen künstlerischen Weg fort-
gesetzt. Er war als tadelloser Soldat bekannt, ver-
brachte aber mitten im Schlachtengetümmel eine
bewnnderungswürdige Doppelleistung, deren nur
das von Ideen besessene Genie fähig ist: in un-
aufhörlichem inneren Ringen führte er die
Probleme der neuen Kunst zu definitiven Ent-
scheidungen, die wie seine Kunst sür die neue
Malerei wegweisend sind. In einen: engen Stüb-
chen, in dem jeden Augenblick die feindliche Bombe
einschlagen konnte, arbeitete er die Gedanken aus
— beschreibt er uns in einem Briefe — ohne
Tisch, das Manuskript auf den Knien. Wir wollen
zur Vergegenwärtigung der Lage noch weiter aus-
holen und annehmen, statt Franz Marc hätten wir
Deutsche heute einen van Gogh: sollte er sich Plötz-
lich auf Grund einer zwar entscheidenden
politischen Rettungsaktion in seinem künstlerischen
Stil ändern, zumal ihm im Künstlerischen ähnliche
und gleich radikale Reformen vorgeschwebt hätten?
Wer heute den schönen Franz-Marc-Raum im
Obergeschoß des Kronprinzenpalais betritt, der
von dem von der neuen Führung berufenen
Direktor der Nationalgalerie Hanfstängl geschaffen
wurde, und sich mit den dortigen Werken unter
diesen Gesichtspunkten auseinandersetzt, wird den
hier vertretenen Gedanken beipflichten. Das ist
die Kunst von morgen. Marc ist ein Künstler,
der wie spielend die vermessensten Aufgaben be-
wältigt, die sich je ein Künstler gestellt hat. Im
prometheischen Wollen und an Ursprünglichkeit
deutschen Wesens ist er der nationalsozialistischen
Zeitwende kongenial. Keiner hat der jetzigen Ge-
neration mehr zu sagen als er. Wir haben die
heilige Verpflichtung, seiner Kunst, die das Kenn-
zeichen der Unsterblichkeit trägt, das Ansehen zu
verschaffen, das sie verdient, und die außerordent-
liche Aufgabe, dort anzuknüpfen, wo sein Schaffen
jäh abbrach. Dieser Mann muß uus heute ein
,5uqrer stau, uua- lucuu er i^s MW». mr
Lebender ein Führer sein kann. Grade für ihn
gelten die Worte des Nachrufs, den er seinem ge-
fallenen Freund August Macke widmete: „Im
Kriege sind wir alle gleich. Aber unter tausend
Braven trifft eine Kugel einen Unersetzlichen. Mit
seinem Tode wird der Kultur eines Volkes eine
Hand abgeschlagen, ein Auge blind gemacht . . . .
Der gierige Krieg ist um einen Heldentod reicher,
aber die deutsche Kunst um einen Helden ärmer
geworden."
Dekorative, tektonische
und Erlebniskunst
Viele Meinungsverschiedenheiten über Kunst,
die so erbittert wie unfruchtbar verlaufen, könn-
ten vermieden werden, wenn man an den grund-
legenden Unterschied des Dekorativen und des
Erlebten denken würde. Vor allem hat die Un-
vereinbarkeit qualitativer Werte meist in diesem
Vergessen ihren Grund.
Diese höchst notwendige Unterscheidung ge-
hört nicht zum ästhetischen Begrifsskomplex, son-
dern geht auf Grundtatsachen des aktiven
Schöpfertums zurück. Die psychologischen Ent-
stehungsgründe eines Kunstwerks bilden ihre
Basis. Oberflächlich gesehen, denkt man hier
zuerst an Handwerkliches und „hohe Kunst". Dies
Materielle aber genügt nicht. Schließlich findet
sich in jedem Kunstwerk Technisches und Form-
schöpferisches vereinigt und in verschiedenen Men-
gen gemischt; ohne handwerkliche Fertigkeit in
gewissem Maße ist auch das freieste Kunstwerk
nicht möglich, und umgekehrt kann eine kunst-
handwerkliche Arbeit in hohem Grade form-
schöpferisch sein. Was die Dinge vielmehr aus-
einanderhält, ist der Zweckbegrifs und die
davon ausgehende grundsätzliche Einstellung des
Künstlers zu seiner Arbeit. Wenn Schopenhauer
mit tiefem Gefühl für das Wesentliche genialer
Tätigkeit, das Heraustreten der Seele aus dem
Zwange der Kausalität mW ihr willensbefreites
Anschauen reiner Ideen als Voraussetzung
künstlerischen Schaffens (und übrigens auch, mit
Recht, jedes ästhetischen Empfindens) setzt,
so meint er damit ausschließlich das künst-
lerische Erlebnis, ohne sehr streng zwischen
schöpferischer Intuition und ästhetischer Nach-
empfindung zu scheiden. Der springende Punkt
ist und bleibt das Verhältnis zur Kausalität. Das
Erlebniskunstwerk wird, rein ans der Idee,
zweckbefreit und jenseits aller Kausalität ge-
boren uud meist auch ausgetragen; es hat mit
menschlichen Bedürfnissen irgendwelcher Art
nichts, gar nichts zu tun. Es ist Produkt gött-
licher Eingebung und visionärer Gnade, vielleicht
wird es sogar niemals in der Materie realisiert,