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Kunst der Nation
Neue Malerei
Von
Maler Willi Kelter
Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste und des Kampfbundes für deutsche Kultur Nordwest
Fortsetzung aus Nr. 3.
Die Gesamtbilanz, mit der unsere Betrachtung
der gegenwärtigen Malerei abschließt, ist nicht er-
freulich. Wir fassen ihre Merkmale zusammen:
1. Die Malerei ist vollkommen bindnngslos
und damit ganz der subjektiven Willkür in bürger-
licher Umschreibung — der „Inspiration" des
Einzelnen überlassen.
2. Der Schaffende ist vom eigentlichen Leben
isoliert, findet also keine Resonanz.
3. Die Themenstellung ist vollkommen Privat,
da keine Aufgaben von der Gesellschaft und ihren
Institutionen gestellt
werden.
4. Der Stoff erfährt
eine willkürliche Behand-
lung, da keine Korrektur
durch objektive Gegeben-
heiten und Gesetze vor-
liegt. Diese Merkmale sind
augenfällig und werden
auch nicht durch einzelne
Ausnahmen verdeckt.
Die geschilderten Zu-
stände haben nicht immer
geherrscht. Jedem, der
auch nur im geringsten
die Geschichte der Kunst
unseres Volkes kennt, ist
diese Tatsache geläufig.
Es gab Zeiten, denen
die genannten Merkmale
der Jetztzeit nicht an-
hafteten, sondern wo in
allem das Umgekehrte zu-
traf. Es reizt zum Ver-
gleich. Und um der Klar-
heit willen wollen wir
uns einmal zum Vergleich
verführen lassen.
Die Fülle der großen
geschlossenen stileinheit-
lichen Epochen der Kunst
ist so reich, daß wir uns
nur ans die Betrachtung
eines solchen Ab-
schnittes zum Zwecke des
Vergleichs mit der Gegen-
wart beschränken können.
Nehmen wir die für
uns letzte erkennbare
Ara einheitlichen Kunst-
schaffens: das Barock.
F:> -s?'ne Betrachtung
wählen wir den gleichen
Ausgangspunkt, wie wir
ihn für die Urteilsbildung
für die jetzige Malerei
annahmen. Aber schon
hier wäre es unmöglich,
zu erwarten, die Kunst
des Barock in Ausstellun-
gen oder Museen auch nur anuähernd iu ihrer
umfassenden Bedeutung zu erkennen. Wir sind
genötigt, unsere Schritte in Schlösser, Kirchen,
Rathäuser und sonstige öffentliche Gebäude zu
lenken. Damit trifft schon das umgekehrte Ver-
hältnis von der Malerei zum öffentlichen Leben
zu, wie in der Jetztzeit. Sind wir in der Gegen-
wart gezwungen, wechselnde und zufällige Aus-
stellungen zu besuchen, um uns ein Bild ihrer
Malerei zu verschaffen, so sind wir bei der Be-
trachtung der als Beispiel angeführten Barock-
malerei an feste Plätze, mit denen diese Kunst-
werke verhaftet sind, gebunden. Damit ergibt sich
die Gebundenheit der Barockmalerei, eine Ge-
bundenheit, die, wie ich hier betonen muß, auch
iil anderen Epochen, wie beispielsweise der Gotik
oder der Romanik, festzuftellen wäre. Gebunden
ist sie an den Bauherrn, an die Architektur. Die
Auftraggeber sind die Kirchenbehörden oder die
Inhaber der weltlichen Macht, deren Gewalt sym-
bolhaft in großen öffentlichen Gebäuden (Kirche,
Schloß, Rathalls, Festung) Ausdruck verlieheu
wurde. Die Kirche, deren festgefügter Ball und
autokratischer Charakter durch Jahrtausende be-
stand, lllld der ebenfalls im Volke fest gegründete
Absolutismus der damaligen Zeit verlieh dem Ge-
samtleben der Völker, also auch dem unseres
Volkes, eine sichere und unantastbare Grundlage.
In erster Linie zeigt sich diese Gerad- und Groß-
linigkeit ill der Architektur jener Tage, die wirk-
lich noch i>l ihrer überragenden Stellung die
Mutter aller anderen Künste war. So waren
denn auch die Aufträge für die Maler lllld nicht
minder für die Bildhauer immer voll der Archi-
tektur vorgedacht. Damit wurde Maler und Bild-
hauer mit seinem Werk in die Gesetzmäßigkeit der
Architektur gezwungen. Jede subjektivistische Will-
kür war unmöglich. Es galt ja nicht, persön-
lichste Kapriolen zu zeigen, sondern die erliste
Aufgabe bestand, sich in einen durchdachten Ball-
körper lind iil eine vorgedachte Aufgabe hinein-
zuleben ulld zu arbeiten. Der Raum der Kirche
oder des Schlosses durfte und sollte nicht durch
willkürliche Malerei gesprengt werden. Die bild-
nerischen Darstellungen mußten sich ein-, in vielen
Fällen unterordneil. Das ist die Erklärung für
die vollkommene Einheit zwischen Architektur, Ma-
lerei und Plastik zu einem Gesamtkunstwerk.
Naturgemäß entwickelten sich die Malereien bei
solchen Anforderungen nicht in den Ateliers heuti-
ger Fassung. An Ort und Stelle, d. h. da, wo sie
hingedacht waren und angebracht wurden, vollzog
sich auch der Arbeitsprozeß. Wo aber in Aus-
nahmefällen die Herstellung des Bildes im Atelier
geschah, bestand ein fortwährender Zusammen-
hang zwischen Bauherrn, Bauwerk uud dem
Maler. Mit einem Wort: Das Kunstwerk war
ein Gemeinschaftswerk, an dem die Architektur als
das Primäre dell größereil Auteil hatte, ill das
sich aber die anderen Künste als lebendige Ele-
mente, ja, sogar ohne Einbnße an Selbstherrlich-
keit einfügten.
Das Thema lag ganz selbstverständlich im
Zweck des Bauwerkes. Der Kirche lag daran,
dnrch die Malerei zur Verherrlichung ihres
Mythos beizutragen. Der König, der absolute
Fürst, der der damaligeu Gesellschaftsordnung ge-
mäß Volk Ulld Laud als seiu Eigentum betrachtete,
gab selbstverstüudlich die Aufgabe, seine Person
oder aber die Dynastie, der er entstammte, oder
aber die von ihm ausstrahlende Macht in symbo-
lischen Darstellungen zu glorifizieren. Der Maler
war also gezwungen, sich mit dell ihm gestellten
Aufgaben anseinanderzusetzen, und war weiter
verpflichtet, sollte sein Werk ein Kunstwerk sein,
dell an ihn herangetragenen Stoff mit künstleri-
schem Leben zu sülleu. Damit war jeder snb-
jektivistychen Ausdeutung des Stoffes vorgebeugt.
Ja, mau kann sagen, daß alle Maler jener Zeit,
selbst die größten, nach einem bestimmten Kanon
arbeiteten, der sich sowohl auf Bildaufbau, als
auch auf Farbgebuug uud Farbauftrag erstreckte.
Zugegebeu, dieser Kanou barg die Gefahr iu sich,
in der Hand Wenigerbegabter zu einem Schema
zu werden. Wo aber Künstler von Format ihn
benutzten und abwandel-
ten, steigert sich das Werk
zu höchster künstlerischer,
aber überindividueller
Leistung.
Auch die Persönlichkeit
des Künstlers im Zeit-
alter des Barock hat eine
ganz andere Haltung als
die des Künstlers unserer
Tage. Frei und souverän,
ein Mensch vollendeter
Lebensart, weltoffen lind
voil erstaunlicher Viel-
seitigkeit. Wie er dem
Leben zugetan war, so
stand auch sein Werk
mitten im Leben. Peter
Paul Rubens ist dafür
Wohl ein faszinierender
Beleg. Auch die Stellung
des Künstlers im Volk und
in oberen Gesellschafts-
schichten bis zum Hof hin-
auf ist vollständig anders
als in der Gegenwart.
Er war ein vollwertiges
Mitglied der höchsten
Kreise, geachtet und ge-
ehrt vom Volk, da seine
Werke und Leistungen
allen unausgesetzt Tag um
Tag zugäugig waren. Um
mit einem Vergleich zu
reden, in den Werkstätten
der damaligen Zeit waren
alle Türen offen, heute
aber sind alle Türen zu
den Ateliers fest ver-
riegelt, als ob man Ge-
heimnisse zu verbergen
hätte. Auch in der da-
man dell Künstler in der
dunklen Ahnung, daß die
Kunst aus einem ver-
borgenen geistigen Born
fließe, der nicht iil
jedem Sterblichen quillt.
Dieser nahm aber die Be-
wunderung selbstbewußt
und in männlicher Haltung entgegen. Gänzlich
undenkbar ist aber das sonderbare Mysterium,
mit dem man heute den Schaffenden zu Unrecht
umgibt, ein aus rationalem Aberglauben gebore-
nes Mysterium, in das man mit vielfältigen
Psychoanalytischen Mitteln Licht bringen will. Un-
möglich ist auch in dem Zeitalter alter rein männ-
licher Prägung der Schwarm von Literaten, der
heute jeden Maler umkreist.
(Fortsctzunn folpi)
Lukas Moser, Das Meer. Ausschnitt aus dem Tiefenbronner Altar Aus: „Deutsche Maler bis Holbein". Verlag F. Bruckmann, München
Das Geschick eines Knaben
im nordischen Krieg
Novelle von Carl v. Bremen
Mit Peitschen und Piken treibt der Russen-
convoy zu schnellerem Gehen.
Kurze Rast am Wege.
Da schwärmen über das Feld Reiter heran.
Die Schweden erkennen die berüchtigte Truppe
der Circassischen Tartaren, die niederschlachten,
was vor sie kommt.
Die schwedischen Soldaten flüchten ins nahe
Gehölz — sammeln sich unter ihren Offizieren,
stoßen wütend vor und die Calmücken Weichen nach
erbittertem Handgemenge.
Tuve Lechts linker Arm kann den Säbel noch
führen.
Die Schweden, barfuß und zerlumpt, gehen
zum Angriff über, werfen den Feind.
Noch einmal wehen die Standarten.
Die Schweden verbarrikadieren sich.
Sie sind zu wenig, um die Verfolgung aufzu-
nehmen.
Am späten Nachmittag kommen die Tartaren
wieder, jetzt angeführt vom Convoy, der mit ge-
flüchtet war.
Aussichtslos ist dieser Kampf.
Jeder weiß, wer nach dem Gefecht den Russen
lebend in die Hände fällt, wird zu Tode gemartert.
So kämpfen die Schweden bis zum letzten
Mann, bis zum letzten Schuß.
Und alle bleiben auf dem Felde liegen.
Und die Verwundeten stechen sich selbst tot, um
die Schmach nicht zu erleben.
Tuve Lechts erhält einen Bauchschuß, windet
sich in Qualen, während die Kameraden Weiter-
kämpfen.
Kommt er in Sekunden zur Besinnung, so
denkt er: „Gefallen im Sturm" —
Noch einmal richtet Tuve Lechts sich auf —
hebt seinen Kopf, den zerschmettert eine zweite
Russenkugel.
XII.
In Barje träumt Carl Lechts:
Er liegt am Waldrand und der Sturmwind
heult in den Kiefern. Vor ihm steht ein Stein-
zaun, so hoch wie ein Soldat. Und Carl muß
immer dahin schauen und fühlt doch genau: die
Russen sind eben weit weg von Woall. Er blickt
den Zaun an und mit einem Male sieht Carl, wie
ein bärtiger Soldatenkopf über dell Zaun sich
neigt. Es ist das Pockennarbige Haupt allein mit
ausgesperrtem Munde. Carl denkt, jetzt springt er
über die Mauer, um mich zu würgeu. Carl steht
auf, aber er kann nicht laufen, und er sieht immer
auf den Kalmückenschädel und hört gar kein
Russengebrüll. Nun fließt aus dessen Rachen ein
zerknäulter Lappen, er wird immer deutlicher, und
dann Packt der Wind ihn und hebt ihn hoch, und
es rollt sich auseinander — eine Fahne — die
immer größer wird — die Fahne von: Kaiser voll
Rußland. Und dann läßt der Wind nach, und das
Fahnentuch füllt schwer zu Boden — es bedeckt
einen großen Streifen vom Sandweg.
Jetzt sieht Carl deutlich: der Soldatenkopf hat
gar keinen Hals, er ist ans einer Lanze aufge-
spießt — da fällt der Kopf schon herunter.
Die Mutter steht hinter Carl Lechts und sagt:
„Carl, schaff die Fahne da weg!" Carl geht Hill
und reißt am russischen Fahnentuch. Aber
es ist so schwer wie eine Schwedenkanone. Und er
kann die Fahne gar nicht bewegen. Carl sagt:
„Mutter". Sie sagt: „Dann muß sie noch über
Estland liegen bleiben."
Der Knabe erwacht, und er findet sich auf
einem Bett liegend. Woher? — Ja, er war nicht
in Woall. Und in Barje — da gibt es keinen
Krieg.
Draußen rauschen die Bäume.
Zll der jungen Schwester des Capitains spricht
Carl, aber er spricht es nicht laut:
Gordiawla, oh, meine Zunge knickt als dürfte
sie deinen Namen nicht sagen, Bei uns in Woall
gab es inlmer nur eine Frau, und das war meine
Mutter. Meine Mutter, sie ist Wohl vor Hunger
gestorben. Gordiwla, du hast auch große Augen,
aber ihre Augen waren hell —, bist du eiue
Schwester meiner Mutter", daß du mich so an-
schaust?, und du streichelst mich ähulich wie meine
Mutter, bloß schneller tust du das.
Meiue Mutter liebte mich sehr, und wenn ich
an sie denk, — so lieb ich dich, Goriawla. Nur
ist es leidvoll, daß du mich nicht verstehst, wenn ich
von damals, von der Mutter spreche.
Aber ich will es nie lernen, deine Sprache zu
sprechen, Gordiawla.
XIII.
Ein Fähnrich aus dem Lager des Königs von
Schweden, als Kaufmann verkleidet, bringt Be-
fehle nach Estlands Festung Reval. Den Herren
der Ritterschaft übergibt er eine schmale Kiste.
Man findet darin: einen schweren Säbel, Sporen,
in der Ledertasche Briefschaften. Ein Schreiben,
mit fremdkirchlichem Siegel versehen, wird ver-
lesen. Es steht darin:
„Am 17. Dezember anno Domini 1703 ver-
starb im Kloster Urjachnje an dem Fieber voll
einer bei Karizhn im Südlitanischen erlittenen
Verwundung der Obrist-Lientenant der ruhm-
reichen königlich schwedischen Armee, der edle Herr
Adam Johann Lechts."
Die Reihen im Sitzungssaal des Ritterhauses
haben sich gelichtet. Auf der Bank der Lechtse sitzt
niemand. Der Säbel wird auf den Tisch gelegt,
alle die Herren sehen dahin und schweigell. Dann
wird dieser Beschluß gefaßt:
„Keiner der Lechtse ist am Leben. Neun
Männer sind für die Heimat, für die schwedische
Krone verblutet, — vier von der Pest gerafft, fünf
Herren von den Russen ermordet in Estland. Der
letzte Lechts war Adam Johann ans Woall mit
seinen Söhnen. Adam Johann Lechts blieb ill
Litauen liegen. Sein Sohn Tuve fiel zwischen
Dorpat ulld Reval im Kampf. Carl Lechts, der
jüngste Sohn, ist verschollen.
Dem Gefalleilen zll Ehren hängen wir den
Säbel in dell Rittersaal, hängen ihn zum Ge-
dächtnis unter das Wappen des erloschenen deut-
schen Geschlechtes."
Dann erheben sich die Herren zum Gebet.
XIV.
Carl Lechts liegt seit mehreren Tagen am
Fieber und hat oft Frost, dann Hitze. Zuerst
achtet er es wenig, wehrt er sich dagegen, legt sich
endlich doch hin und ist so nach langer Zeit wieder
mit sich allein. Er liegt im Bett. Mückenschwärme
lassen keine Ruhe. Es ist ill der heißesten Zeit
des Sommers, Ende Juli. Dann träumt er sich
nach Woall heim. Er hat es ja gut als Gast in
Barje, wird reichlich verwöhnt. Und doch läßt
sich Barje unmöglich mit Woall vergleichen. Der
Reichtum ist groß, aber auch hier gibt es Leid.
Nur haben sie iil Litauen sehr Prächtige Gewänder
an, die den wahren Schaden verdecken. Während
der Knabe krank daliegt, stellt er Woall lllld Barje
nebeneinander, er mißt und wiegt ab.
Carls Lehrer ist ein Geistlicher, ein französischer
Pater, Carl Lechts lernt begierig, nm die neuen
großen Bücher zu lesen, voll denen zu Hause, in
dell Kriegszeiten, nie die Rede war. Er lernt
auch Schreiben. Ganz ohne Stocken schreibt er:
„Da pueern Domino in ciiobus nostris" — das
zu deutsch heißt: Herr, gib uns Frieden ill unseren
Tagen.
Kehrt Carl heim in sein nordisches Estland,
will er einen ganzen Sack ausschütten von dem,
was er hier gelernt hat. Ulld Tuve will er da-
voll erzählen! Solang er hier ist, und lisch viel
vorher, hat Carl nichts vom Bruder Tuve gehört.
Kunst der Nation
Neue Malerei
Von
Maler Willi Kelter
Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste und des Kampfbundes für deutsche Kultur Nordwest
Fortsetzung aus Nr. 3.
Die Gesamtbilanz, mit der unsere Betrachtung
der gegenwärtigen Malerei abschließt, ist nicht er-
freulich. Wir fassen ihre Merkmale zusammen:
1. Die Malerei ist vollkommen bindnngslos
und damit ganz der subjektiven Willkür in bürger-
licher Umschreibung — der „Inspiration" des
Einzelnen überlassen.
2. Der Schaffende ist vom eigentlichen Leben
isoliert, findet also keine Resonanz.
3. Die Themenstellung ist vollkommen Privat,
da keine Aufgaben von der Gesellschaft und ihren
Institutionen gestellt
werden.
4. Der Stoff erfährt
eine willkürliche Behand-
lung, da keine Korrektur
durch objektive Gegeben-
heiten und Gesetze vor-
liegt. Diese Merkmale sind
augenfällig und werden
auch nicht durch einzelne
Ausnahmen verdeckt.
Die geschilderten Zu-
stände haben nicht immer
geherrscht. Jedem, der
auch nur im geringsten
die Geschichte der Kunst
unseres Volkes kennt, ist
diese Tatsache geläufig.
Es gab Zeiten, denen
die genannten Merkmale
der Jetztzeit nicht an-
hafteten, sondern wo in
allem das Umgekehrte zu-
traf. Es reizt zum Ver-
gleich. Und um der Klar-
heit willen wollen wir
uns einmal zum Vergleich
verführen lassen.
Die Fülle der großen
geschlossenen stileinheit-
lichen Epochen der Kunst
ist so reich, daß wir uns
nur ans die Betrachtung
eines solchen Ab-
schnittes zum Zwecke des
Vergleichs mit der Gegen-
wart beschränken können.
Nehmen wir die für
uns letzte erkennbare
Ara einheitlichen Kunst-
schaffens: das Barock.
F:> -s?'ne Betrachtung
wählen wir den gleichen
Ausgangspunkt, wie wir
ihn für die Urteilsbildung
für die jetzige Malerei
annahmen. Aber schon
hier wäre es unmöglich,
zu erwarten, die Kunst
des Barock in Ausstellun-
gen oder Museen auch nur anuähernd iu ihrer
umfassenden Bedeutung zu erkennen. Wir sind
genötigt, unsere Schritte in Schlösser, Kirchen,
Rathäuser und sonstige öffentliche Gebäude zu
lenken. Damit trifft schon das umgekehrte Ver-
hältnis von der Malerei zum öffentlichen Leben
zu, wie in der Jetztzeit. Sind wir in der Gegen-
wart gezwungen, wechselnde und zufällige Aus-
stellungen zu besuchen, um uns ein Bild ihrer
Malerei zu verschaffen, so sind wir bei der Be-
trachtung der als Beispiel angeführten Barock-
malerei an feste Plätze, mit denen diese Kunst-
werke verhaftet sind, gebunden. Damit ergibt sich
die Gebundenheit der Barockmalerei, eine Ge-
bundenheit, die, wie ich hier betonen muß, auch
iil anderen Epochen, wie beispielsweise der Gotik
oder der Romanik, festzuftellen wäre. Gebunden
ist sie an den Bauherrn, an die Architektur. Die
Auftraggeber sind die Kirchenbehörden oder die
Inhaber der weltlichen Macht, deren Gewalt sym-
bolhaft in großen öffentlichen Gebäuden (Kirche,
Schloß, Rathalls, Festung) Ausdruck verlieheu
wurde. Die Kirche, deren festgefügter Ball und
autokratischer Charakter durch Jahrtausende be-
stand, lllld der ebenfalls im Volke fest gegründete
Absolutismus der damaligen Zeit verlieh dem Ge-
samtleben der Völker, also auch dem unseres
Volkes, eine sichere und unantastbare Grundlage.
In erster Linie zeigt sich diese Gerad- und Groß-
linigkeit ill der Architektur jener Tage, die wirk-
lich noch i>l ihrer überragenden Stellung die
Mutter aller anderen Künste war. So waren
denn auch die Aufträge für die Maler lllld nicht
minder für die Bildhauer immer voll der Archi-
tektur vorgedacht. Damit wurde Maler und Bild-
hauer mit seinem Werk in die Gesetzmäßigkeit der
Architektur gezwungen. Jede subjektivistische Will-
kür war unmöglich. Es galt ja nicht, persön-
lichste Kapriolen zu zeigen, sondern die erliste
Aufgabe bestand, sich in einen durchdachten Ball-
körper lind iil eine vorgedachte Aufgabe hinein-
zuleben ulld zu arbeiten. Der Raum der Kirche
oder des Schlosses durfte und sollte nicht durch
willkürliche Malerei gesprengt werden. Die bild-
nerischen Darstellungen mußten sich ein-, in vielen
Fällen unterordneil. Das ist die Erklärung für
die vollkommene Einheit zwischen Architektur, Ma-
lerei und Plastik zu einem Gesamtkunstwerk.
Naturgemäß entwickelten sich die Malereien bei
solchen Anforderungen nicht in den Ateliers heuti-
ger Fassung. An Ort und Stelle, d. h. da, wo sie
hingedacht waren und angebracht wurden, vollzog
sich auch der Arbeitsprozeß. Wo aber in Aus-
nahmefällen die Herstellung des Bildes im Atelier
geschah, bestand ein fortwährender Zusammen-
hang zwischen Bauherrn, Bauwerk uud dem
Maler. Mit einem Wort: Das Kunstwerk war
ein Gemeinschaftswerk, an dem die Architektur als
das Primäre dell größereil Auteil hatte, ill das
sich aber die anderen Künste als lebendige Ele-
mente, ja, sogar ohne Einbnße an Selbstherrlich-
keit einfügten.
Das Thema lag ganz selbstverständlich im
Zweck des Bauwerkes. Der Kirche lag daran,
dnrch die Malerei zur Verherrlichung ihres
Mythos beizutragen. Der König, der absolute
Fürst, der der damaligeu Gesellschaftsordnung ge-
mäß Volk Ulld Laud als seiu Eigentum betrachtete,
gab selbstverstüudlich die Aufgabe, seine Person
oder aber die Dynastie, der er entstammte, oder
aber die von ihm ausstrahlende Macht in symbo-
lischen Darstellungen zu glorifizieren. Der Maler
war also gezwungen, sich mit dell ihm gestellten
Aufgaben anseinanderzusetzen, und war weiter
verpflichtet, sollte sein Werk ein Kunstwerk sein,
dell an ihn herangetragenen Stoff mit künstleri-
schem Leben zu sülleu. Damit war jeder snb-
jektivistychen Ausdeutung des Stoffes vorgebeugt.
Ja, mau kann sagen, daß alle Maler jener Zeit,
selbst die größten, nach einem bestimmten Kanon
arbeiteten, der sich sowohl auf Bildaufbau, als
auch auf Farbgebuug uud Farbauftrag erstreckte.
Zugegebeu, dieser Kanou barg die Gefahr iu sich,
in der Hand Wenigerbegabter zu einem Schema
zu werden. Wo aber Künstler von Format ihn
benutzten und abwandel-
ten, steigert sich das Werk
zu höchster künstlerischer,
aber überindividueller
Leistung.
Auch die Persönlichkeit
des Künstlers im Zeit-
alter des Barock hat eine
ganz andere Haltung als
die des Künstlers unserer
Tage. Frei und souverän,
ein Mensch vollendeter
Lebensart, weltoffen lind
voil erstaunlicher Viel-
seitigkeit. Wie er dem
Leben zugetan war, so
stand auch sein Werk
mitten im Leben. Peter
Paul Rubens ist dafür
Wohl ein faszinierender
Beleg. Auch die Stellung
des Künstlers im Volk und
in oberen Gesellschafts-
schichten bis zum Hof hin-
auf ist vollständig anders
als in der Gegenwart.
Er war ein vollwertiges
Mitglied der höchsten
Kreise, geachtet und ge-
ehrt vom Volk, da seine
Werke und Leistungen
allen unausgesetzt Tag um
Tag zugäugig waren. Um
mit einem Vergleich zu
reden, in den Werkstätten
der damaligen Zeit waren
alle Türen offen, heute
aber sind alle Türen zu
den Ateliers fest ver-
riegelt, als ob man Ge-
heimnisse zu verbergen
hätte. Auch in der da-
man dell Künstler in der
dunklen Ahnung, daß die
Kunst aus einem ver-
borgenen geistigen Born
fließe, der nicht iil
jedem Sterblichen quillt.
Dieser nahm aber die Be-
wunderung selbstbewußt
und in männlicher Haltung entgegen. Gänzlich
undenkbar ist aber das sonderbare Mysterium,
mit dem man heute den Schaffenden zu Unrecht
umgibt, ein aus rationalem Aberglauben gebore-
nes Mysterium, in das man mit vielfältigen
Psychoanalytischen Mitteln Licht bringen will. Un-
möglich ist auch in dem Zeitalter alter rein männ-
licher Prägung der Schwarm von Literaten, der
heute jeden Maler umkreist.
(Fortsctzunn folpi)
Lukas Moser, Das Meer. Ausschnitt aus dem Tiefenbronner Altar Aus: „Deutsche Maler bis Holbein". Verlag F. Bruckmann, München
Das Geschick eines Knaben
im nordischen Krieg
Novelle von Carl v. Bremen
Mit Peitschen und Piken treibt der Russen-
convoy zu schnellerem Gehen.
Kurze Rast am Wege.
Da schwärmen über das Feld Reiter heran.
Die Schweden erkennen die berüchtigte Truppe
der Circassischen Tartaren, die niederschlachten,
was vor sie kommt.
Die schwedischen Soldaten flüchten ins nahe
Gehölz — sammeln sich unter ihren Offizieren,
stoßen wütend vor und die Calmücken Weichen nach
erbittertem Handgemenge.
Tuve Lechts linker Arm kann den Säbel noch
führen.
Die Schweden, barfuß und zerlumpt, gehen
zum Angriff über, werfen den Feind.
Noch einmal wehen die Standarten.
Die Schweden verbarrikadieren sich.
Sie sind zu wenig, um die Verfolgung aufzu-
nehmen.
Am späten Nachmittag kommen die Tartaren
wieder, jetzt angeführt vom Convoy, der mit ge-
flüchtet war.
Aussichtslos ist dieser Kampf.
Jeder weiß, wer nach dem Gefecht den Russen
lebend in die Hände fällt, wird zu Tode gemartert.
So kämpfen die Schweden bis zum letzten
Mann, bis zum letzten Schuß.
Und alle bleiben auf dem Felde liegen.
Und die Verwundeten stechen sich selbst tot, um
die Schmach nicht zu erleben.
Tuve Lechts erhält einen Bauchschuß, windet
sich in Qualen, während die Kameraden Weiter-
kämpfen.
Kommt er in Sekunden zur Besinnung, so
denkt er: „Gefallen im Sturm" —
Noch einmal richtet Tuve Lechts sich auf —
hebt seinen Kopf, den zerschmettert eine zweite
Russenkugel.
XII.
In Barje träumt Carl Lechts:
Er liegt am Waldrand und der Sturmwind
heult in den Kiefern. Vor ihm steht ein Stein-
zaun, so hoch wie ein Soldat. Und Carl muß
immer dahin schauen und fühlt doch genau: die
Russen sind eben weit weg von Woall. Er blickt
den Zaun an und mit einem Male sieht Carl, wie
ein bärtiger Soldatenkopf über dell Zaun sich
neigt. Es ist das Pockennarbige Haupt allein mit
ausgesperrtem Munde. Carl denkt, jetzt springt er
über die Mauer, um mich zu würgeu. Carl steht
auf, aber er kann nicht laufen, und er sieht immer
auf den Kalmückenschädel und hört gar kein
Russengebrüll. Nun fließt aus dessen Rachen ein
zerknäulter Lappen, er wird immer deutlicher, und
dann Packt der Wind ihn und hebt ihn hoch, und
es rollt sich auseinander — eine Fahne — die
immer größer wird — die Fahne von: Kaiser voll
Rußland. Und dann läßt der Wind nach, und das
Fahnentuch füllt schwer zu Boden — es bedeckt
einen großen Streifen vom Sandweg.
Jetzt sieht Carl deutlich: der Soldatenkopf hat
gar keinen Hals, er ist ans einer Lanze aufge-
spießt — da fällt der Kopf schon herunter.
Die Mutter steht hinter Carl Lechts und sagt:
„Carl, schaff die Fahne da weg!" Carl geht Hill
und reißt am russischen Fahnentuch. Aber
es ist so schwer wie eine Schwedenkanone. Und er
kann die Fahne gar nicht bewegen. Carl sagt:
„Mutter". Sie sagt: „Dann muß sie noch über
Estland liegen bleiben."
Der Knabe erwacht, und er findet sich auf
einem Bett liegend. Woher? — Ja, er war nicht
in Woall. Und in Barje — da gibt es keinen
Krieg.
Draußen rauschen die Bäume.
Zll der jungen Schwester des Capitains spricht
Carl, aber er spricht es nicht laut:
Gordiawla, oh, meine Zunge knickt als dürfte
sie deinen Namen nicht sagen, Bei uns in Woall
gab es inlmer nur eine Frau, und das war meine
Mutter. Meine Mutter, sie ist Wohl vor Hunger
gestorben. Gordiwla, du hast auch große Augen,
aber ihre Augen waren hell —, bist du eiue
Schwester meiner Mutter", daß du mich so an-
schaust?, und du streichelst mich ähulich wie meine
Mutter, bloß schneller tust du das.
Meiue Mutter liebte mich sehr, und wenn ich
an sie denk, — so lieb ich dich, Goriawla. Nur
ist es leidvoll, daß du mich nicht verstehst, wenn ich
von damals, von der Mutter spreche.
Aber ich will es nie lernen, deine Sprache zu
sprechen, Gordiawla.
XIII.
Ein Fähnrich aus dem Lager des Königs von
Schweden, als Kaufmann verkleidet, bringt Be-
fehle nach Estlands Festung Reval. Den Herren
der Ritterschaft übergibt er eine schmale Kiste.
Man findet darin: einen schweren Säbel, Sporen,
in der Ledertasche Briefschaften. Ein Schreiben,
mit fremdkirchlichem Siegel versehen, wird ver-
lesen. Es steht darin:
„Am 17. Dezember anno Domini 1703 ver-
starb im Kloster Urjachnje an dem Fieber voll
einer bei Karizhn im Südlitanischen erlittenen
Verwundung der Obrist-Lientenant der ruhm-
reichen königlich schwedischen Armee, der edle Herr
Adam Johann Lechts."
Die Reihen im Sitzungssaal des Ritterhauses
haben sich gelichtet. Auf der Bank der Lechtse sitzt
niemand. Der Säbel wird auf den Tisch gelegt,
alle die Herren sehen dahin und schweigell. Dann
wird dieser Beschluß gefaßt:
„Keiner der Lechtse ist am Leben. Neun
Männer sind für die Heimat, für die schwedische
Krone verblutet, — vier von der Pest gerafft, fünf
Herren von den Russen ermordet in Estland. Der
letzte Lechts war Adam Johann ans Woall mit
seinen Söhnen. Adam Johann Lechts blieb ill
Litauen liegen. Sein Sohn Tuve fiel zwischen
Dorpat ulld Reval im Kampf. Carl Lechts, der
jüngste Sohn, ist verschollen.
Dem Gefalleilen zll Ehren hängen wir den
Säbel in dell Rittersaal, hängen ihn zum Ge-
dächtnis unter das Wappen des erloschenen deut-
schen Geschlechtes."
Dann erheben sich die Herren zum Gebet.
XIV.
Carl Lechts liegt seit mehreren Tagen am
Fieber und hat oft Frost, dann Hitze. Zuerst
achtet er es wenig, wehrt er sich dagegen, legt sich
endlich doch hin und ist so nach langer Zeit wieder
mit sich allein. Er liegt im Bett. Mückenschwärme
lassen keine Ruhe. Es ist ill der heißesten Zeit
des Sommers, Ende Juli. Dann träumt er sich
nach Woall heim. Er hat es ja gut als Gast in
Barje, wird reichlich verwöhnt. Und doch läßt
sich Barje unmöglich mit Woall vergleichen. Der
Reichtum ist groß, aber auch hier gibt es Leid.
Nur haben sie iil Litauen sehr Prächtige Gewänder
an, die den wahren Schaden verdecken. Während
der Knabe krank daliegt, stellt er Woall lllld Barje
nebeneinander, er mißt und wiegt ab.
Carls Lehrer ist ein Geistlicher, ein französischer
Pater, Carl Lechts lernt begierig, nm die neuen
großen Bücher zu lesen, voll denen zu Hause, in
dell Kriegszeiten, nie die Rede war. Er lernt
auch Schreiben. Ganz ohne Stocken schreibt er:
„Da pueern Domino in ciiobus nostris" — das
zu deutsch heißt: Herr, gib uns Frieden ill unseren
Tagen.
Kehrt Carl heim in sein nordisches Estland,
will er einen ganzen Sack ausschütten von dem,
was er hier gelernt hat. Ulld Tuve will er da-
voll erzählen! Solang er hier ist, und lisch viel
vorher, hat Carl nichts vom Bruder Tuve gehört.