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Kunst der Nation
Joses Schart, Der Tote
Landschaft nie fehlen dürften — genug, die Seele fühlt in
Betrachtung der Landschaft ein sanftes Eetragenwerden, eine
Bewegung, wie von einem unsichtbaren Geist, durch die das
Verweilen bei den anmutigen Einzelheiten erst seinen Reiz
erhält. — Wie möchte auch die Darstellung einzelner trüber
Stimmungen, melancholischer Launen der Natur, der Unge-
witter, der Stürme so bezaubernd sein, wenn dem Gefühl
nicht, hier, wie in der Tragödie, etwas dargereicht würde
von den Spuren eines über Stimmung und Laune erhabenen
Weltgeistes.
Unsere Zeitgenossen, entweder, weil sie nicht viel auf ein-
mal umfassen können, wünschen die Gaben der Natur und
des Menschen einzeln, rund, abgeschlossen, in Portionen aus-
gebacken, die Wissenschaft einzeln, und so die Kunst und die
Religion: sonst würde ich Ihnen aus meinen Prämissen be-
weisen, daß auch das innerste Wesen der Landschaftsmalerei
etwas Religiöses sei. Da müßte aber erst auf Einheit und
Einfalt des Gefühls im Publikum gerechnet und nicht die
bloße Stimmung, die sentimentale Rührung von der Kom-
position und nicht die bloße süßliche Erinnerung an schöne
Plätzchen und Stunden und Reisen von der Veduta des
Landschaftsmalers verlangt werden.
Aber wer möchte solchen Bemerkungen irgendeinen Ein-
fluß auf den öffentlichen Kunstgeschmack zutrauen: die heuti-
gen Käufer betrachten die Bilder einmal wie Souvenirs:
auf dem Markte werden Porträts und Prospekte begehrt;
das übrige läßt man sich gefallen, rezensiert es und geht vor-
über.
Lin Künstler tler 8i1Lon6tt6
Paul Konewka
Im Schaffen unserer Tage spielen Scheren-
schnitte kaum noch eine Rolle, vom 17. Jahr-
hundert an waren sie in Deutschland geschätzt
und besonders im Zeitalter Goethes begehrt.
Sie gelten nicht mehr viel, werden als eine
Art Hulbkunst oder höherer Spielerei abgetan,
obgleich noch der junge Menzel Vortreffliches aus
dem Gebiet der Silhouette schuf, Hodler ihr sogar
einen Platz in der Reihe der graphischen Künste
anweisen wollte. Es gibt nur noch einige Er-
innerungen an ihre gute Zeit, die Versuche von
Goethe, der sich in Charlotte von Stein bei dem
Anblick ihrer Silhouette verliebte, von Lavater
und Merk, Charaktere aus Schattenrisseu zu be-
urteilen. Sieht man von Varnhagen von Ense,
dem geschwätzigen Biographen der Berliner Bieder-
meierzeit ab, der die phantasiereichsten und zar-
testen Gebilde mit viel Talent und Geschick aus
Papier schnitt, stammen diese Künstler sonder-
barerweise aus Vorpommern. Philipp Otto
Runge, der einmal schrieb, daß ihm die Schere
nachgerade nichts anderes wäre, als die Ver-
längerung seiner Finger. Die Kunsthalle in
Hamburg bewahrt noch einen größeren Bestand
ausdrucksvoller uud seinempfundener Scheren-
schnitte, meist Pflanzenstudien, von ihm. Er
kam von Wolgast, Paul Konewka aus Greifswald
und Karl Fröhlich aus Stralsund.
Die beiden letztereil waren zu ihren Lebzeiten
durch Vervielfältigen ihrer Arbeiten sehr po-
pulär. Die von Konewka wurden schließlich durch
die Kunstanstalt Amsler und Ruthardt Vertrieben
und drangen bis nach England und Amerika.
Eine vorige Generation hat diese Schattenbilder
zum Faust, zum Sommernachtstraum und zum
Falstaff wie manches andere seiner Hand oft be-
trachtet, sich der gehaltenen Fülle und Melodie
ihrer Umrisse erfreut und empfunden, wie stark
aus schwarzen Flächen künstlerisches Wollen und
Schauen sprach. Der diese kleinen Werke schuf,
hantierte von Kind auf mit Schere und Papier,
und sein Vater, ein Universitätsbeamter, glaubte
nach den Talentproben seines Jüngsten, er würde
zum Bildhauer taugen. Mit siebzehn Jahren ver-
ließ Konewka das Gymnasium und trat in Berlin
als Schüler in das Atelier Drakes ein. Allein
es wurde mit der Plastik ebensowenig etwas, wie
später mit der Malerei, obgleich Menzel und
Steffeck ihm Anleitung gaben und andere wie
Magnus und Knaus sich für ihn interessierten.
Ein Hang zur Ungebundenheit mochte dazukom-
men; er hat auf beiden Kunftgebieten nichts er-
reicht und auch Wohl kaum ernstlich etwas er-
strebt.
Äußerliche Enge blieb ihm so nicht fremd.
Jur Wirtshaus soll er oft die Silhouetten der
Gäste gemacht haben in der Hoffnung, beim
Überreichen der insgeheim geschnittenen und
sprechend ähnlichen Konterfeis ein kleines
Honorar zu empfaugen. Fabelhaftes wird über
die Geschicklichkeit uud Sicherheit des Treffens
erzählt, die sich so vervollkommneten, daß er der
Augen nicht mehr bedurfte, sondern unter dem
Tisch und sonstwie unbeobachtet seine Schatten-
risse verfertigte. Während ihm auf einem Ball
in Berlin ein General Schmeichelhaftes über sein
Talent sagte, soll er dessen wohlgetrossenen
Schattenriß aus dem Futter des Fracks geschnitten
haben, sicherlich eine Anekdote, aber eine, die
ihn kennzeichnet.
Liebenswürdig und gewinnend, doch, wie es
scheint, von Reizbarkeit nicht frei, flogen ihm alle
Herzen, besonders die weiblichen, zu. Ein beson-
derer Schimmer muß seiner Persönlichkeit eigen
gewesen sein. Bedeutende Männer wie Hermann
Kurz, Freiligrath, Heinrich Leuthold und Her-
mann Lingg hielten zu ihm. Diese Freundschaften
gaben seiner Veranlagung nach bohememäßiger
Ungebundenheit, die ihn zeitlebens bedroht hat,
einen Halt. Unter Umständen war er ein fröh-
licher, offener Kumpan, der nicht allzugern emsig
arbeitete, jedoch fleißig las, dessen Gestalt aber
auch, da ihu plötzlich ein Hang zur Einsamkeit
überfallen konte, oft Ursache zur Legendeubilduug
gab. Sehr seßhaft war er nicht, kurz vor seinem
Tode bliev er es aber doch noch und zwar in
Süddeutschland, das ihm auf der Durchreise ge-
fallen hatte.
In den letzten beiden Jahren entstanden Bild-
nissilhouetten, die als die einzig charakteristischen
Porträts der Dargestellten angesehen wurden,
wie die des Professors von Niemeyer, der schönen
Tochter von Hermann Kurz und der Schau-
spielerin Anna Glenk. Sein Ausdrucksvermögen
erweiterte und verfeinerte sich. Frühere Fassun-
gen und Darstellungen wurden durch die letzten
Kompositionen sichtlich überholt, selbst wenn man
das sich mehr und mehr verbessernde Reproduk-
tionsverfahren iil Betracht zieht. Der „Falstaff"
und noch manches andere ist erst nach seinem Tode
erschienen, zum Teil leider auch iu Ausgaben mit
gepreßten Buchdeckeln und Goldschnitt, was diese
Stücke manchmal in die Nähe der unerfreulichen
„Prachtausgaben" jener Zeit rückt. Es gibt je-
doch auch ausgezeichuete Drucke wie den Post-
humen der „Zerstreuten Blätter" oder jenen 1868
in London erschienenen des Sommernachtstraums,
zu dem die Hotzstöcke vou Bogel geschuitteu wor-
den sind. Er rechtfertigt vollauf das, was
Konewka einmal an Kurz schrieb: „Ich mag wohl
ohne Überhebung sagen, daß meine Shakespeare-
Gestalten noch nach vielen Jahren lebensfähige,
maßgebende und feststehende Typen sein werden."
Alle diese letzten Arbeiten sinb nicht mehr mit
der Schere, sondern schon in Tusche ausgeführt,
zum Teil auf den: langen Krankenlager in Berlin,
wohin Konewka 1870 zurückkehrte, den Keine der
Zerstörung in der Brust. Noch in den letzten
Tagen las er im Mörike. Am 10. Mai 1871 ist
er gestorben, im dreißigsten Lebensjahr.
Damals hatte die Photographie ihren Sieges-
zug läugst augetreten uud die Silhouettenkunst,
soviel Auftriebe Konewka ihr auch noch zu geben
vermochte, war trotz seiner Bemühungen und der
seines Landsmannes Karl Fröhlich und weniger
anderer im Aussterben. Während es noch 1866,
als Konewkas Schwager, der Schriftsteller Jo-
hannes Trojan, nach Göttingen kam, in der Ver-
bindung, in die er eiutrat, für jedes neue Mit-
glied als Gesetz galt, sich innerhalb einer be-
stimmten Frist silhouettieren zu lassen. Vielleicht
Hütte sich Konewka unter anderen Verhältnisseil
mehr der Porträtdarstellung gewidmet, für die
er, was außer den genannten Schattenrissen die
des Dichters Mörike, der Maler Menzel und
Steffeck beweisen, eine hervorragende Begabung
besaß. Aber ein eigentliches Fach wie vormals,
als es noch in Wien, Jena, Hamburg und vielen
anderen Orten auf diesem Gebiet tüchtige Leute
von Profession gab, war das Silhouettenschneiden
längst nicht mehr. Im Grunde ist es Wohl auch
trotz mancher Leistungen, wie z. B. die Scheren-
schnitte Runges sind, immer mehr Liebhaberei
oder auch Buchschmuckkunst als Kunst im eigent-
lichen Sinne gewesen, wenn es nicht gar gewerbs-
mäßig mit dem sogenannten Storchschnabel be-
trieben wurde. Dennoch gelang es Konewka, den
Scherenschnitt noch in seiner Spätzeit wie kein
anderer vor ihm in eine künstlerische Sphäre zu
rücken. Mögen seine Kompositionell auch gegen-
über den hervoragendsten künstlerischen Leistungen
seiner Zeit nicht allzuschwer wiegen, sind sie doch
ill ihrer Art vollendet. Das Glas, aus dem er
trank, mochte klein sein; aber es war seil»
eigenes. Bllorvulck
„Haus der Kunst"
in Dortmund
Kohle und Stahl, Bier und Eiseil, eine halbe
Million Menschen auf engem Raum zusammen-
gepfercht, so kennt man die Jndnstriemetropvle
Westfalens. Dortmund eine Stätte der Kunst?
Die direkte Bejahung der Frage ist Wohl über-
trieben, aber ganz ist die Kunst aus dem Stein-
haufen dieser Großstadt nicht verbannt. Ich will
heute nicht von dell Schätzen, die ill den Museen
und sonstigen Sammlun-
gen aufbewahrt sind,
sprechen.
Durch den Umbau des
ehemaligen Priorats-
gebäudes des Katharinen-
klosters, der wiederum
nur durch die Opferfreu-
digkeit weiter Kreise ge-
lingen konnte, hat die bil-
dende Kunst eine schölle
und zweckmäßige Heim-
statt gefunden. Mit der
Schaffung einer dauern-
den Stelle ist der Weg,
besser iil der Öffentlich-
keit zu wirken, gegeben.
Die früher iil den ver-
schiedensten Sälen durch-
geführten Ausstellungen
von Malern nnd Bilv-.
Hauern waren schließlich
doch einer Kunst, die dem
Volk innerlichen Halt uud
Auftrieb zu neuer Arbeit
geben soll, unwürdig.
Eiil wunderbarer, nie
rostender, silbern glän-
zender Stahlbrunnen lei-
te: über zu der Eingangs-
halle, die iil ihrer ein-
fachen Schlichtheit und
einem herrlichen Treppen-
aufgang den Besucher in
der richtigen Weise für
einen Rundgang vorberei-
tet. In die Ausstellungs-
räume drillgt sehr viel
Licht, ein Plus gegenüber
mancherorts durchgcführ-
(Fortsehung aus Nr. 14)
Vie karolingische legende
vom Ursprung der Aeichskleinodien
So wurde ihr Aufenthalt einstweilen geheim
gehalten und erst 1818 nach dem Kongreß zu Aachen
der Welt offenbar. Seit dem 28. Dezember 1826 in
der Schatzkammer der Wiener Hofburg zur Schau
gestellt und gegen eine Eintrittsgebühr zu besich-
tigen, sind sie, obwohl von einem kundigen Fach-
mann aufs beste betreut, ihrer sakralen Weihe und
historischen Würde entkleidet und museale Schau-
stücke geworden. Die unmittelbare Verbindung
mit dem deutschen Volk, dessen ruhmvolle Ver-
gangenheit sie symbolisieren, besteht nicht mehr.
Dies ist in großen Umrissen die äußere Ge-
schichte der Reichskleinodien und Reichsheilig-
tümer. Wer ist es nun, den wir für ihre innere
Umwertung verantwortlich zu machen haben? Die
zweite Frage, die sich nns natürlicherweise auf-
drängt, ist die: Welche Beweggründe sind hierzu
Veranlassung gewesen? Es ist das einfachste, wenn
wir die erhaltenen Urkunden ihre schlichte,
knappe, aber um so eindringlichere Sprache
sprechen lassen. In dem ältesten erhaltenen In-
ventar der Reichskleinodien vom Jahre 1246, das
die Überschrift trägt: »Die bürg Trivels und die
kaiserlichen Zeichen« werden genannt: das Reichs-
kreuz mit den zugehörigen Reliquien (Kreuz-
partikel, Zahn Johannes des Täufers, Armbeim
der Hl. Kunigunde, die Mauritiuslanze mit dem
Nagel Christi und einem silbernen Band darüber,
die Krone mit dem Kreuz, zwei Schwerter, der
Reichsapfel, der mit Edelsteinen verzierte kaiser-
liche Mantel, drei goldene Sporen, eine Alba von
weißem Samt, eine Stola, die beiden Handschuhe,
ein samtener Rock, die beiden Strümpfe, die
beiden Schuhe, drei seidene Gürtel und ein leine-
nes Hemd). Die von der Normannin Konstanze
Heinrich VI. als Erbe zugebrachten wertvollen
Stücke sind dem Kronschatz bereits einverleibt.
Der Name Karls des Großen kommt
aber nirgends vor. Das ändert sich unter
den luxemburgisch-böhmischen Kaisern. In der
Übergabsurkunde an Karl IV. von 1350 »das
Heiligtum und dy cleinot des heiligen reichs« sind
bereits folgende Gegenstände auf Karl den Großen
bezogen: »zwey swert, das eyne sent Mauriczin,
und das ander sent Karls mit vergalten schei-
den — des egenannten heiligen Keyser Karl gul-
dein crone, darin ist besundern geworcht ein edel
steyn, den man nennet den weyssen — eyn weysser
sok sent Karls — eyn roter mantel send Karls
mit czweyen lewen gewordet von gutem gesteyne
Perlen und golde — eyn guldehn apfel mit eynem
guldeynen creucz sent Karls — czwene leynen
handschuch«. Manches ist verändert worden. Die
Mauritiuslanze hat ihren Namen verloren und
erscheint als Passtonslanze dem Reichskreuz ein-
verleibt. An die Stelle des Armbeins der Hl.
Kunigunde ist »sent Annen arm« getreten. Neu
hinzugekommeu ist ein silbernes Zepter, ein ver-
goldetes Zepter, ein vergoldeter Apfel mit Kreuz,
ein blauer Rock mit Gold und Perlen, die schöne
Adlerdalmatika mit der einst dazugehörigen
»Gugel«, zwei Handschuhe, zwei Schuhe, zwei
Stolen u. a. m. Es war niemand anders als der
ursprünglich Wenzel genannte Karl IV., ein Sohn
des Königs Johann von Böhmen aus dem Hause
Luxemburg, der diese merkwürdigen Verschie-
bungen und neuen Attributiouen vorgenommen
hat. Und zwar geschah es durchaus bewußt, ja
programmatisch und damit für die Folgezeit bin-
dend. Von Hanse aus nicht deutschen Geblüts,
nahm er den Kaisernamen „Karl" an, um auf
dem Hintergrund der geschichtlichen Taten seines
großen und noch dazu heilig gesprochenen Vor-
gängers ein aus Romantik uiw Mystik zusammen-
gesetztes Scheingebäude zu errichten. Er ist der
Begründer der Karolingisthen Legende in der Ge-
schichte des Reichskleinodienschatzes, die er durch
seine Autorität uud seinen persönlichen Einfluß
zu jahrhundertelanger Geltung brachte. Wir ver-
stehen es daher, wenn von einer nichts weniger
als naiven, sondern sehr bewußten Geschichts-
fälschung gesprochen worden ist (Julius von
Schlosser). Und wenn die nachfolgenden Ge-
schlechter das von Karl IV. Begonnene fortsetzten
und erweiterten, so brauchten sie sich hieraus nicht
einmal ein Gewissen zu machen. Sie handelten
traditionsgetren in gutem Glauben. So werden
in der übergabsurkunde Sigismunds, der ja ein
Sohn Karls IV. war, an die Stadt Nürnberg vom
Jahre 1423 auch noch die beiden Dalmatikeu, der
Gürtel, die Handschuhe, Saudalen, Strümpfe, die
Gugel und die Sporen Karl dem Großen zugeteilt,
wovon das Inventar Karls IV. noch nichts wußte.
In welcher Blüte die Karlslegende damals war,
kommt uns so recht zum Bewußtsein, wenn wir
in dem die Jahre 1421—1440 umfassenden Memo-
rial des Genannten des größeren Nürnberger Rats
Endres Tücher folgendes lesen: »Do man zalt 1424
jar am montag in der Palmwochen ss17. Aprils
do zeiget man dem rat das Heiligtum. Do sachs
ich auch das erst, das sper und den nagel drin, und
des kreutz ein span, sein spanj) unsers Herren
krist, sant Annen arm, ein gelid sant Peters Keten,
und ein gelid der Keten sant Johanns, ein gelid
sant Paulus sKetenj, eiu stuck saut Johanus rock,
das ist weis; Keifers Karls schwerst seiu zwen
sparen, sein apfel, fein zepter, sein rock fDalma-
ticaj, sein mantel sPluvialej, sein abetum fwohl
die Albaj, sein krön, sein kapen fwohl die rote
Gugelj, 3 seiner gürtet, sein Hosen s— Strümpfej,
sein schuch; sant Moritzen schwerst ein zepter, ein
apfel, ein knöpf von der geisel daraus saut Jo-
hanns zon, und ein gros kreutz, do die merckliche
stück in behalt nus inen haben«. Ist es da noch
ein Wunder, wenn zwei Nürnberger Ratsverlässe
des Jahres 1520, die sich mit den Vorbereitungen
zur Aachener Krönung Karls V. zum deutschen
König beschäftigen, folgendermaßen lauten:
»Kayser Karls cron, schwerst zepter mit apfel
nnd elaydnng soll mau alle mitnemen zu der
königlichen cronung gein Aach. Da die zuvor den
eloster frauen zn sanct Clären schicken zu besichtiaen
uud zu hefteu, wo es not ist« uud »Die weyssen
.Kaiser Karls dalmatica die weyl sie altershalb zer-
modert ist, soll man mit einer neuen weyssen seiden
überziehen und die Kappen (Mantels und Knie-
hosen soll unterfüttern lassen. Die eloster fronen
zn sant Clären«?
Wie wir nun die allmähliche Entstehung der
Karlslegende an der Hand der Urkunden verfolgt
haben, ohne etwas hinzuznsetzen oder hinwegzu-
nehmen, so wollen wir nunmehr zur Klarstellung
der wirklichen Eutstehuugszeiten und Entstehungs-
anlässe die Reichskleinodien und Reichsheiligtümer
selbst sprechen lassen, wobei uns die verdienstvollen
Forschungen von Julius von Schlosser und vor
allem von Arpad Weixlgärtner wertvolle Dienste
leisten werden. Uns ist es mehr denn merkwürdig,
daß mit Ausnahme des Evangelistariums und der
Lanze des Heil. Mauritius kein Stück vorhanden
ist, dessen Ursprung vor dem 11. Jahrhundert
liegt.
Das Hauptstück des Reichskleinodienschatzes ist
die altehrwürdige Kaiserkrone, ein kostbares
Symbol, umwittert von Sage und Geschichte, dessen
Träger sich des Verantwortungsgefühls bewußt
seiu mußte, der höchste Herrscher iu Europa zu
sein. In dem am 9. April 1764 vom Reichs-
fürsten Colloredo unterfertigten Zertifikat über
den an der Krone verloren gegangenen Stein
(siehe oben) ist von ihr als des »51 ay fers
Caroli Majni Crone« die Rede. Trotz-
dem hat sie das Haupt dieses Herrschers niemals
geziert. Ihren Körper bildet vielmehr, wie
Arpad Weixlgärntner nachgewiesen hat, d i e
burgundische Königskrone, welche ver-
mutlich 993 zu Beginn der laugen Regierung
König Rudolfs III. von Burgund für diesen als
eine besonders kunstvolle Goldschmiedearbeit des
Landes, zu dessen höchstem Herrschaftszeichen sie
ausersehen war, angefertigt worden war. Es war
Kaiser Konrad II., der Salier (1024—1039), dem
Kunst der Nation
Joses Schart, Der Tote
Landschaft nie fehlen dürften — genug, die Seele fühlt in
Betrachtung der Landschaft ein sanftes Eetragenwerden, eine
Bewegung, wie von einem unsichtbaren Geist, durch die das
Verweilen bei den anmutigen Einzelheiten erst seinen Reiz
erhält. — Wie möchte auch die Darstellung einzelner trüber
Stimmungen, melancholischer Launen der Natur, der Unge-
witter, der Stürme so bezaubernd sein, wenn dem Gefühl
nicht, hier, wie in der Tragödie, etwas dargereicht würde
von den Spuren eines über Stimmung und Laune erhabenen
Weltgeistes.
Unsere Zeitgenossen, entweder, weil sie nicht viel auf ein-
mal umfassen können, wünschen die Gaben der Natur und
des Menschen einzeln, rund, abgeschlossen, in Portionen aus-
gebacken, die Wissenschaft einzeln, und so die Kunst und die
Religion: sonst würde ich Ihnen aus meinen Prämissen be-
weisen, daß auch das innerste Wesen der Landschaftsmalerei
etwas Religiöses sei. Da müßte aber erst auf Einheit und
Einfalt des Gefühls im Publikum gerechnet und nicht die
bloße Stimmung, die sentimentale Rührung von der Kom-
position und nicht die bloße süßliche Erinnerung an schöne
Plätzchen und Stunden und Reisen von der Veduta des
Landschaftsmalers verlangt werden.
Aber wer möchte solchen Bemerkungen irgendeinen Ein-
fluß auf den öffentlichen Kunstgeschmack zutrauen: die heuti-
gen Käufer betrachten die Bilder einmal wie Souvenirs:
auf dem Markte werden Porträts und Prospekte begehrt;
das übrige läßt man sich gefallen, rezensiert es und geht vor-
über.
Lin Künstler tler 8i1Lon6tt6
Paul Konewka
Im Schaffen unserer Tage spielen Scheren-
schnitte kaum noch eine Rolle, vom 17. Jahr-
hundert an waren sie in Deutschland geschätzt
und besonders im Zeitalter Goethes begehrt.
Sie gelten nicht mehr viel, werden als eine
Art Hulbkunst oder höherer Spielerei abgetan,
obgleich noch der junge Menzel Vortreffliches aus
dem Gebiet der Silhouette schuf, Hodler ihr sogar
einen Platz in der Reihe der graphischen Künste
anweisen wollte. Es gibt nur noch einige Er-
innerungen an ihre gute Zeit, die Versuche von
Goethe, der sich in Charlotte von Stein bei dem
Anblick ihrer Silhouette verliebte, von Lavater
und Merk, Charaktere aus Schattenrisseu zu be-
urteilen. Sieht man von Varnhagen von Ense,
dem geschwätzigen Biographen der Berliner Bieder-
meierzeit ab, der die phantasiereichsten und zar-
testen Gebilde mit viel Talent und Geschick aus
Papier schnitt, stammen diese Künstler sonder-
barerweise aus Vorpommern. Philipp Otto
Runge, der einmal schrieb, daß ihm die Schere
nachgerade nichts anderes wäre, als die Ver-
längerung seiner Finger. Die Kunsthalle in
Hamburg bewahrt noch einen größeren Bestand
ausdrucksvoller uud seinempfundener Scheren-
schnitte, meist Pflanzenstudien, von ihm. Er
kam von Wolgast, Paul Konewka aus Greifswald
und Karl Fröhlich aus Stralsund.
Die beiden letztereil waren zu ihren Lebzeiten
durch Vervielfältigen ihrer Arbeiten sehr po-
pulär. Die von Konewka wurden schließlich durch
die Kunstanstalt Amsler und Ruthardt Vertrieben
und drangen bis nach England und Amerika.
Eine vorige Generation hat diese Schattenbilder
zum Faust, zum Sommernachtstraum und zum
Falstaff wie manches andere seiner Hand oft be-
trachtet, sich der gehaltenen Fülle und Melodie
ihrer Umrisse erfreut und empfunden, wie stark
aus schwarzen Flächen künstlerisches Wollen und
Schauen sprach. Der diese kleinen Werke schuf,
hantierte von Kind auf mit Schere und Papier,
und sein Vater, ein Universitätsbeamter, glaubte
nach den Talentproben seines Jüngsten, er würde
zum Bildhauer taugen. Mit siebzehn Jahren ver-
ließ Konewka das Gymnasium und trat in Berlin
als Schüler in das Atelier Drakes ein. Allein
es wurde mit der Plastik ebensowenig etwas, wie
später mit der Malerei, obgleich Menzel und
Steffeck ihm Anleitung gaben und andere wie
Magnus und Knaus sich für ihn interessierten.
Ein Hang zur Ungebundenheit mochte dazukom-
men; er hat auf beiden Kunftgebieten nichts er-
reicht und auch Wohl kaum ernstlich etwas er-
strebt.
Äußerliche Enge blieb ihm so nicht fremd.
Jur Wirtshaus soll er oft die Silhouetten der
Gäste gemacht haben in der Hoffnung, beim
Überreichen der insgeheim geschnittenen und
sprechend ähnlichen Konterfeis ein kleines
Honorar zu empfaugen. Fabelhaftes wird über
die Geschicklichkeit uud Sicherheit des Treffens
erzählt, die sich so vervollkommneten, daß er der
Augen nicht mehr bedurfte, sondern unter dem
Tisch und sonstwie unbeobachtet seine Schatten-
risse verfertigte. Während ihm auf einem Ball
in Berlin ein General Schmeichelhaftes über sein
Talent sagte, soll er dessen wohlgetrossenen
Schattenriß aus dem Futter des Fracks geschnitten
haben, sicherlich eine Anekdote, aber eine, die
ihn kennzeichnet.
Liebenswürdig und gewinnend, doch, wie es
scheint, von Reizbarkeit nicht frei, flogen ihm alle
Herzen, besonders die weiblichen, zu. Ein beson-
derer Schimmer muß seiner Persönlichkeit eigen
gewesen sein. Bedeutende Männer wie Hermann
Kurz, Freiligrath, Heinrich Leuthold und Her-
mann Lingg hielten zu ihm. Diese Freundschaften
gaben seiner Veranlagung nach bohememäßiger
Ungebundenheit, die ihn zeitlebens bedroht hat,
einen Halt. Unter Umständen war er ein fröh-
licher, offener Kumpan, der nicht allzugern emsig
arbeitete, jedoch fleißig las, dessen Gestalt aber
auch, da ihu plötzlich ein Hang zur Einsamkeit
überfallen konte, oft Ursache zur Legendeubilduug
gab. Sehr seßhaft war er nicht, kurz vor seinem
Tode bliev er es aber doch noch und zwar in
Süddeutschland, das ihm auf der Durchreise ge-
fallen hatte.
In den letzten beiden Jahren entstanden Bild-
nissilhouetten, die als die einzig charakteristischen
Porträts der Dargestellten angesehen wurden,
wie die des Professors von Niemeyer, der schönen
Tochter von Hermann Kurz und der Schau-
spielerin Anna Glenk. Sein Ausdrucksvermögen
erweiterte und verfeinerte sich. Frühere Fassun-
gen und Darstellungen wurden durch die letzten
Kompositionen sichtlich überholt, selbst wenn man
das sich mehr und mehr verbessernde Reproduk-
tionsverfahren iil Betracht zieht. Der „Falstaff"
und noch manches andere ist erst nach seinem Tode
erschienen, zum Teil leider auch iu Ausgaben mit
gepreßten Buchdeckeln und Goldschnitt, was diese
Stücke manchmal in die Nähe der unerfreulichen
„Prachtausgaben" jener Zeit rückt. Es gibt je-
doch auch ausgezeichuete Drucke wie den Post-
humen der „Zerstreuten Blätter" oder jenen 1868
in London erschienenen des Sommernachtstraums,
zu dem die Hotzstöcke vou Bogel geschuitteu wor-
den sind. Er rechtfertigt vollauf das, was
Konewka einmal an Kurz schrieb: „Ich mag wohl
ohne Überhebung sagen, daß meine Shakespeare-
Gestalten noch nach vielen Jahren lebensfähige,
maßgebende und feststehende Typen sein werden."
Alle diese letzten Arbeiten sinb nicht mehr mit
der Schere, sondern schon in Tusche ausgeführt,
zum Teil auf den: langen Krankenlager in Berlin,
wohin Konewka 1870 zurückkehrte, den Keine der
Zerstörung in der Brust. Noch in den letzten
Tagen las er im Mörike. Am 10. Mai 1871 ist
er gestorben, im dreißigsten Lebensjahr.
Damals hatte die Photographie ihren Sieges-
zug läugst augetreten uud die Silhouettenkunst,
soviel Auftriebe Konewka ihr auch noch zu geben
vermochte, war trotz seiner Bemühungen und der
seines Landsmannes Karl Fröhlich und weniger
anderer im Aussterben. Während es noch 1866,
als Konewkas Schwager, der Schriftsteller Jo-
hannes Trojan, nach Göttingen kam, in der Ver-
bindung, in die er eiutrat, für jedes neue Mit-
glied als Gesetz galt, sich innerhalb einer be-
stimmten Frist silhouettieren zu lassen. Vielleicht
Hütte sich Konewka unter anderen Verhältnisseil
mehr der Porträtdarstellung gewidmet, für die
er, was außer den genannten Schattenrissen die
des Dichters Mörike, der Maler Menzel und
Steffeck beweisen, eine hervorragende Begabung
besaß. Aber ein eigentliches Fach wie vormals,
als es noch in Wien, Jena, Hamburg und vielen
anderen Orten auf diesem Gebiet tüchtige Leute
von Profession gab, war das Silhouettenschneiden
längst nicht mehr. Im Grunde ist es Wohl auch
trotz mancher Leistungen, wie z. B. die Scheren-
schnitte Runges sind, immer mehr Liebhaberei
oder auch Buchschmuckkunst als Kunst im eigent-
lichen Sinne gewesen, wenn es nicht gar gewerbs-
mäßig mit dem sogenannten Storchschnabel be-
trieben wurde. Dennoch gelang es Konewka, den
Scherenschnitt noch in seiner Spätzeit wie kein
anderer vor ihm in eine künstlerische Sphäre zu
rücken. Mögen seine Kompositionell auch gegen-
über den hervoragendsten künstlerischen Leistungen
seiner Zeit nicht allzuschwer wiegen, sind sie doch
ill ihrer Art vollendet. Das Glas, aus dem er
trank, mochte klein sein; aber es war seil»
eigenes. Bllorvulck
„Haus der Kunst"
in Dortmund
Kohle und Stahl, Bier und Eiseil, eine halbe
Million Menschen auf engem Raum zusammen-
gepfercht, so kennt man die Jndnstriemetropvle
Westfalens. Dortmund eine Stätte der Kunst?
Die direkte Bejahung der Frage ist Wohl über-
trieben, aber ganz ist die Kunst aus dem Stein-
haufen dieser Großstadt nicht verbannt. Ich will
heute nicht von dell Schätzen, die ill den Museen
und sonstigen Sammlun-
gen aufbewahrt sind,
sprechen.
Durch den Umbau des
ehemaligen Priorats-
gebäudes des Katharinen-
klosters, der wiederum
nur durch die Opferfreu-
digkeit weiter Kreise ge-
lingen konnte, hat die bil-
dende Kunst eine schölle
und zweckmäßige Heim-
statt gefunden. Mit der
Schaffung einer dauern-
den Stelle ist der Weg,
besser iil der Öffentlich-
keit zu wirken, gegeben.
Die früher iil den ver-
schiedensten Sälen durch-
geführten Ausstellungen
von Malern nnd Bilv-.
Hauern waren schließlich
doch einer Kunst, die dem
Volk innerlichen Halt uud
Auftrieb zu neuer Arbeit
geben soll, unwürdig.
Eiil wunderbarer, nie
rostender, silbern glän-
zender Stahlbrunnen lei-
te: über zu der Eingangs-
halle, die iil ihrer ein-
fachen Schlichtheit und
einem herrlichen Treppen-
aufgang den Besucher in
der richtigen Weise für
einen Rundgang vorberei-
tet. In die Ausstellungs-
räume drillgt sehr viel
Licht, ein Plus gegenüber
mancherorts durchgcführ-
(Fortsehung aus Nr. 14)
Vie karolingische legende
vom Ursprung der Aeichskleinodien
So wurde ihr Aufenthalt einstweilen geheim
gehalten und erst 1818 nach dem Kongreß zu Aachen
der Welt offenbar. Seit dem 28. Dezember 1826 in
der Schatzkammer der Wiener Hofburg zur Schau
gestellt und gegen eine Eintrittsgebühr zu besich-
tigen, sind sie, obwohl von einem kundigen Fach-
mann aufs beste betreut, ihrer sakralen Weihe und
historischen Würde entkleidet und museale Schau-
stücke geworden. Die unmittelbare Verbindung
mit dem deutschen Volk, dessen ruhmvolle Ver-
gangenheit sie symbolisieren, besteht nicht mehr.
Dies ist in großen Umrissen die äußere Ge-
schichte der Reichskleinodien und Reichsheilig-
tümer. Wer ist es nun, den wir für ihre innere
Umwertung verantwortlich zu machen haben? Die
zweite Frage, die sich nns natürlicherweise auf-
drängt, ist die: Welche Beweggründe sind hierzu
Veranlassung gewesen? Es ist das einfachste, wenn
wir die erhaltenen Urkunden ihre schlichte,
knappe, aber um so eindringlichere Sprache
sprechen lassen. In dem ältesten erhaltenen In-
ventar der Reichskleinodien vom Jahre 1246, das
die Überschrift trägt: »Die bürg Trivels und die
kaiserlichen Zeichen« werden genannt: das Reichs-
kreuz mit den zugehörigen Reliquien (Kreuz-
partikel, Zahn Johannes des Täufers, Armbeim
der Hl. Kunigunde, die Mauritiuslanze mit dem
Nagel Christi und einem silbernen Band darüber,
die Krone mit dem Kreuz, zwei Schwerter, der
Reichsapfel, der mit Edelsteinen verzierte kaiser-
liche Mantel, drei goldene Sporen, eine Alba von
weißem Samt, eine Stola, die beiden Handschuhe,
ein samtener Rock, die beiden Strümpfe, die
beiden Schuhe, drei seidene Gürtel und ein leine-
nes Hemd). Die von der Normannin Konstanze
Heinrich VI. als Erbe zugebrachten wertvollen
Stücke sind dem Kronschatz bereits einverleibt.
Der Name Karls des Großen kommt
aber nirgends vor. Das ändert sich unter
den luxemburgisch-böhmischen Kaisern. In der
Übergabsurkunde an Karl IV. von 1350 »das
Heiligtum und dy cleinot des heiligen reichs« sind
bereits folgende Gegenstände auf Karl den Großen
bezogen: »zwey swert, das eyne sent Mauriczin,
und das ander sent Karls mit vergalten schei-
den — des egenannten heiligen Keyser Karl gul-
dein crone, darin ist besundern geworcht ein edel
steyn, den man nennet den weyssen — eyn weysser
sok sent Karls — eyn roter mantel send Karls
mit czweyen lewen gewordet von gutem gesteyne
Perlen und golde — eyn guldehn apfel mit eynem
guldeynen creucz sent Karls — czwene leynen
handschuch«. Manches ist verändert worden. Die
Mauritiuslanze hat ihren Namen verloren und
erscheint als Passtonslanze dem Reichskreuz ein-
verleibt. An die Stelle des Armbeins der Hl.
Kunigunde ist »sent Annen arm« getreten. Neu
hinzugekommeu ist ein silbernes Zepter, ein ver-
goldetes Zepter, ein vergoldeter Apfel mit Kreuz,
ein blauer Rock mit Gold und Perlen, die schöne
Adlerdalmatika mit der einst dazugehörigen
»Gugel«, zwei Handschuhe, zwei Schuhe, zwei
Stolen u. a. m. Es war niemand anders als der
ursprünglich Wenzel genannte Karl IV., ein Sohn
des Königs Johann von Böhmen aus dem Hause
Luxemburg, der diese merkwürdigen Verschie-
bungen und neuen Attributiouen vorgenommen
hat. Und zwar geschah es durchaus bewußt, ja
programmatisch und damit für die Folgezeit bin-
dend. Von Hanse aus nicht deutschen Geblüts,
nahm er den Kaisernamen „Karl" an, um auf
dem Hintergrund der geschichtlichen Taten seines
großen und noch dazu heilig gesprochenen Vor-
gängers ein aus Romantik uiw Mystik zusammen-
gesetztes Scheingebäude zu errichten. Er ist der
Begründer der Karolingisthen Legende in der Ge-
schichte des Reichskleinodienschatzes, die er durch
seine Autorität uud seinen persönlichen Einfluß
zu jahrhundertelanger Geltung brachte. Wir ver-
stehen es daher, wenn von einer nichts weniger
als naiven, sondern sehr bewußten Geschichts-
fälschung gesprochen worden ist (Julius von
Schlosser). Und wenn die nachfolgenden Ge-
schlechter das von Karl IV. Begonnene fortsetzten
und erweiterten, so brauchten sie sich hieraus nicht
einmal ein Gewissen zu machen. Sie handelten
traditionsgetren in gutem Glauben. So werden
in der übergabsurkunde Sigismunds, der ja ein
Sohn Karls IV. war, an die Stadt Nürnberg vom
Jahre 1423 auch noch die beiden Dalmatikeu, der
Gürtel, die Handschuhe, Saudalen, Strümpfe, die
Gugel und die Sporen Karl dem Großen zugeteilt,
wovon das Inventar Karls IV. noch nichts wußte.
In welcher Blüte die Karlslegende damals war,
kommt uns so recht zum Bewußtsein, wenn wir
in dem die Jahre 1421—1440 umfassenden Memo-
rial des Genannten des größeren Nürnberger Rats
Endres Tücher folgendes lesen: »Do man zalt 1424
jar am montag in der Palmwochen ss17. Aprils
do zeiget man dem rat das Heiligtum. Do sachs
ich auch das erst, das sper und den nagel drin, und
des kreutz ein span, sein spanj) unsers Herren
krist, sant Annen arm, ein gelid sant Peters Keten,
und ein gelid der Keten sant Johanns, ein gelid
sant Paulus sKetenj, eiu stuck saut Johanus rock,
das ist weis; Keifers Karls schwerst seiu zwen
sparen, sein apfel, fein zepter, sein rock fDalma-
ticaj, sein mantel sPluvialej, sein abetum fwohl
die Albaj, sein krön, sein kapen fwohl die rote
Gugelj, 3 seiner gürtet, sein Hosen s— Strümpfej,
sein schuch; sant Moritzen schwerst ein zepter, ein
apfel, ein knöpf von der geisel daraus saut Jo-
hanns zon, und ein gros kreutz, do die merckliche
stück in behalt nus inen haben«. Ist es da noch
ein Wunder, wenn zwei Nürnberger Ratsverlässe
des Jahres 1520, die sich mit den Vorbereitungen
zur Aachener Krönung Karls V. zum deutschen
König beschäftigen, folgendermaßen lauten:
»Kayser Karls cron, schwerst zepter mit apfel
nnd elaydnng soll mau alle mitnemen zu der
königlichen cronung gein Aach. Da die zuvor den
eloster frauen zn sanct Clären schicken zu besichtiaen
uud zu hefteu, wo es not ist« uud »Die weyssen
.Kaiser Karls dalmatica die weyl sie altershalb zer-
modert ist, soll man mit einer neuen weyssen seiden
überziehen und die Kappen (Mantels und Knie-
hosen soll unterfüttern lassen. Die eloster fronen
zn sant Clären«?
Wie wir nun die allmähliche Entstehung der
Karlslegende an der Hand der Urkunden verfolgt
haben, ohne etwas hinzuznsetzen oder hinwegzu-
nehmen, so wollen wir nunmehr zur Klarstellung
der wirklichen Eutstehuugszeiten und Entstehungs-
anlässe die Reichskleinodien und Reichsheiligtümer
selbst sprechen lassen, wobei uns die verdienstvollen
Forschungen von Julius von Schlosser und vor
allem von Arpad Weixlgärtner wertvolle Dienste
leisten werden. Uns ist es mehr denn merkwürdig,
daß mit Ausnahme des Evangelistariums und der
Lanze des Heil. Mauritius kein Stück vorhanden
ist, dessen Ursprung vor dem 11. Jahrhundert
liegt.
Das Hauptstück des Reichskleinodienschatzes ist
die altehrwürdige Kaiserkrone, ein kostbares
Symbol, umwittert von Sage und Geschichte, dessen
Träger sich des Verantwortungsgefühls bewußt
seiu mußte, der höchste Herrscher iu Europa zu
sein. In dem am 9. April 1764 vom Reichs-
fürsten Colloredo unterfertigten Zertifikat über
den an der Krone verloren gegangenen Stein
(siehe oben) ist von ihr als des »51 ay fers
Caroli Majni Crone« die Rede. Trotz-
dem hat sie das Haupt dieses Herrschers niemals
geziert. Ihren Körper bildet vielmehr, wie
Arpad Weixlgärntner nachgewiesen hat, d i e
burgundische Königskrone, welche ver-
mutlich 993 zu Beginn der laugen Regierung
König Rudolfs III. von Burgund für diesen als
eine besonders kunstvolle Goldschmiedearbeit des
Landes, zu dessen höchstem Herrschaftszeichen sie
ausersehen war, angefertigt worden war. Es war
Kaiser Konrad II., der Salier (1024—1039), dem