Kun st der Nation
3
(Halland)
Siidschwcdischc Hosanlage aus Oktorp, Kirchspiel Slöringe
Raulandhaus aus Opdal in Numedal. Eingang. Um 1250. Oslo, Norske Folkemusenm
Vorratshaus in Telemark. Photo Wilse, Oslo
Greises zum Triumphzug die Gesichtszüge des
großen Emblematikers lieh, die mit denen unserer
Plaque übereinstimmen. Als Herold des Ruhmes
seines kaiserlichen Herrn wäre sein Historiograph
hier auch durchaus an seinem Platz gewesen. In
die gleiche Zeit fällt auch die Aufmerksamkeit,
welche Dürer, einem Brauche jener Tage folgend,
seinem Gönner und Berater durch die dekorative
Verwendung der von ihm eigenhändig modellierten
beiden Plaquen an einer leider nicht mehr erhal-
tenen kleinen Geschenktruhe erwies.
Vortrefflich Paßt in diese Epoche gesteigerter
reliefplastischer Betätigung die Weisung des Nürn-
berger Rats an die beiden neu eingestellten Münz-
meister i. 1.1517, „daß sie die neuen Eisen (Münz-
prägestempel) nach Rat Albrecht Dürers machen",
nicht minder die Erwähnung jenes „geschnittenen
Kindleins" im Tagebuch der niederländischen
Reise, das dem Sprachgebrauch nach nur als eine
das ganze 19. Jahrhundert hindurch bis in unsere
Gegenwart hinein.
So ist bereits im Anfang der Realismus
Schadows gleichzeitig mit der idealen Gesin-
nung in den Entwürfen und Landschaften derNa -
zarener, und die eigentlich romantische Kunst
von Runge und Friedrich oder im Kreis der
deutschen Künstler in Rom war zugleich von einem
tiefgründigen Gefühl für die Werte der Wirklich-
keit durchdrungen. Und wenn im Biedermeier, bei
Wasmann und Krüger, das Realistische im
Vordergrund stand, so blieb zur selben Zeit die
ideale Gesinnung in Schwinds und Viktor
Müllers Märchengestaltung oder in Alfred
Rethels melancholischer Stilisierung der deut-
schen Mythologie in einer wunderbaren Größe am
Leben. Um die Mitte des Jahrhunderts aber
erhob sich diese Gesinnung zu einer neuen klassi-
schen Höhe, ein zweites deutsches Rom gestaltete
sich im Werk von AnselmFeuerbach, Hans
von Maries und Arnold Böcklin, und
am Ende des Jahrhunderts verdichtete sich die
romantische Sehnsucht noch einmal mit realisti-
scher Kraft in den Zeichnungen Max Klin-
gers. Gleichzeitig war aber auch der Sinn für
die Werte des Seins lebendig geblieben: von
Krüger ging die Linie des unbedingten Realismus
weiter zu Menzel im Norden, zu Leibl im
Süden, und sie endete in graziösem Schwung in
Max Slevogt. Den Mitteldeutschen jedoch
blieb es Vorbehalten, die vermittelnde Rolle zu
übernehmen, die Frankfurter des Kronberger
Kreises, vor allem aber Hans Thoma und
Wilhelm Steinhaufen brachten den Sinn
für das Wirkliche mit dem Gefühl für das Uber-
wirkliche in einen volkstümlichen, teils religiösen,
teils naturverbundenen Einklang.
Unter der weiten Spanne dieses ungeheuren
Bogens vom Anfang bis zum Ende des 19. Jahr-
händig modellierten Zwischenglieder. Dürer hatte
nicht nur die Entwürfe zur Gesamtform und zu
den maßgebenden Einzelheiten zu liefern, er hatte
auch den Auftrag, die Ausführung zu fördern und
zu überwachen. Ich glaube, daß nunmehr die
nachstehenden Worte des Nürnberger Thomas Ve-
natorins v. I. 1540, für welche bisher eine Er-
klärung vermißt wurde, verständlich erscheinen:
„Ich selbst habe es erlebt, wie eben dieser Dürer
Bildhauern Risse zur Ausführung übergab, deren
beabsichtigte Wirkung schließlich ihm selber auch
mit den Mitteln des Malers kaum zu erreichen
gelang."
Unter diesen Umständen glaube ich auch nicht,
daß die Medaille ans Willibald Pirckheimer v. I.
1517 von Hause aus eine zweiseitige Medaille, d. h.
eine ausgesprochene Schaumünze ist, gibt es doch
auch keine originalen Stücke einer solchen
Medaille, sondern nur flaue Abgüsse! Der
plastische Arbeit angesehen werden kann. Auch
zeichnete er aus seiner niederländischen Reise für
den bekannten Siegelstecher und Goldschmied
van der Perre die Visierung zu einem Siegel. Und
dann folgt i. I. 1521 der ehrenvolle offizielle Auf-
trag zur Visierung für die Schaumünze der Stadt
Nürnberg auf Kaiser Karl V., jenes Kapitalstück
der Prägekunst, welches künstlerisch wie technisch
einzig dasteht, „daran" — dem Willen des Be-
stellers zufolge — „nicht der Wert, sondern die
Arbeit und Kunst anzusehen ist." Wie hätte dieses
heraldische Wunderwerk, das sich ungezwungen in
die großartige Heroldskunst Dürers, die Ehren-
pforte und den Triumph Maximilians, einreiht,
zu einem solch unverfälschten Ausdruck seines We-
sens und seiner Handschrift gereift sein können,
wenn NlN)l E>urec neben den Entwürfen
auch noch die Modelle für die Urformen
selbst angefertigt oder bei deren Herstellung
mit Hand angelegt hätte! Nicht einmal die
so bedeutend vervollkommnete Prägekunst un-
serer Tage kann diesem Meisterstück aus
alter Zeit etwas Gleichwertiges an die Seite
stellen. Nehmen wir noch hinzu, daß das Bildnis
des Reichsstatthalter-Talers Friedrichs II. von der
Pfalz, den dieser anläßlich seiner Anwesenheit als
Reichsverweser in Nürnberg i.J. 1522 schlagen
ließ, nach einer Zeichnung Dürers gefertigt wurde,
dann wird man nicht mehr fragen: Was bedeuten
diese kleinen Gebilde gegenüber dem gewaltigen
Gesamtwert des Meisters, der Fülle seiner Ge-
sichte und Gestalten? Es sind künstlerische Taten
aus kleinem Raum, würdig der schöpferischen
Größe dieses überragenden Genies. Sie bilden den
Schlüssel zur Vertiefung der Kenntnis seines
Eigenwesens und zur Erkenntnis, daß Dürer nicht
nur eine große plastische Begabung, sondern
auch die Fähigkeit zur P r a k t i s ch e n Betätigung
auf diesem Gebiet besaß, die ihrerseits einen starken
Niederschlag in seinen Handzeichnungen, Gemälden
und graphischen Arbeiten gefunden hat. Kein
Künstler, ob Maler oder Bildhauer, vor ihm und
nach ihm, hat in solch umfassendem Maße die
Voraussetzung zur Plastischen Arbeit und die Be-
herrschung der Form besessen.
Hunderts führte das Schicksal die Deutschen aus
staatlichem Partikularismus heraus und zur Ein-
heit des Reiches hin. Was im Politischen in
der Entwicklung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt
Wirklichkeit wurde, das ereignete sich im Künst-
le risch en gleichsam als verklärte, vergeistigte
Geschichtswerdung, und die Form der Zeichnung
IlLIIVl 6L6K.18-7 öItvQ^55^I QkQK.1897
8 / t13 133
O!b55I M
k^kl.^Cbi kkI_l.ld4O-vk klOKI k55kk
o-^vl. I<i.i^5cli-I<oi.kk ^krc<5.5cki^kkk
5ci4klkk - Kkd4k 5Id4Ikd4I5.7VEOk4 u.ä.
8 - VV^Ll-I5^U88Lt-l^8 1.10 t^IQ
insbesondere als eine wesentlich werdende Form,
vollzog vorausschauend am Anfang des Jahrhun-
derts schon die Synthese als ein zu realisierendes
Ideal. Die Vielgestaltigkeit des deutschen Wesens
stellte sich in der Vielgestaltigkeit des zeichnerischen
Werks der einzelnen Meister dar, die aber trotz
aller Unterschiedlichkeit im Persönlichen im
Grunde die große Einheit des Ganzen in sich
trugen und mehr oder minder unbewußt sie er-
sehnten, erstrebten und teilweise erfüllten. Mit
ihren Zeichnungen gaben sie den Deutschen sicht-
bare Zeichen, wie Idee und Wirklichkeit zu Ver-
einen waren, Idee und Wirklichkeit sahen und ge-
stalteten sie als eine Einheit, als wahrhafte Sinn-
gebung des inneren Reichs der Deutschen.
Und dies ist es im Grunde, was eine Ausstel-
lung deutscher Zeichenkunst des 19. Jahrhunderts
uns heute lehren soll: in dieser Formenwelt, in der
das Deutsche Reich eine geistige Verklärung an-
nahm, die Vorstufe zu dem zu erkennen, was unse-
rer Gegenwart zur Erfüllung der Zukunft ob-
Karikaturisten in Stuttgart
Das Kronprinzenpalais in Stuttgart
zeigt im graphischen Kabinett eine größere Zahl
Karikaturen von Stuttgarter und auswärtigen
Künstlern, darunter solchen, die nicht nur in
Deutschland bekannt und berühmt, sondern längst
internationalen Ruf als Mitarbeiter des
„Simplicisjimus" genießen. Hier sind große Ta-
lente am Werk, die viel Natur und auch viel Cha-
rakter haben, die mit dem Monströsen einen sehr
männlichen Geschmack zu verbinden wissen: Leben
verwandelt sich hier in Kunst.
Es gibt keine lebenden deutschen Zeichner wie
Arnold, Gulbransson, Großmann, Kirchner,
Rall, Geckle und Hugendubel, die in einem
erbarmungslosen Kampf gegen den Spießer so
leidenschaftlich und so objektiv wären. Diese
Zeichner sind Meister darin, die satte Selbstzufrie-
denheit der irgendwie Arrivierten — der von der
Not und dem Kampf unserer Zeit Unberührten zu
gebeu und das schicksalhaft Idiotische, den bösen,
engstirnigen Stumpfsinn zu schildern, die Masken
des ewig Gestrigen der Konvention zu zeichnen,
kurz das ganze Kino des Lebens, mit dem die
nationalsozialistische Bewegung gründlich auf-
räumen will — mit dieser ganzen Welt von
egoistischen feistnackigen Männern und nase-
rümpfenden spitznasigen Frauen. Dabei gehören
diese Künstler im Grunde nicht zu den lachenden
Spöttern und zu den Humoristen. Und wenn sie
das Wort „Menschen" gebrauchen, so meinen 'ne
cs ernst und bitter. Nein, diese Kunst lacht nicht,
sie ist im besten Sinne aufrüttelnd und revolu-
tionär. ie. n.
U^erbt Abonnenten
für öie «Kunst der Nation»
Wenn im Frankfurter Kunstverein zur Zeit
eine Ausstellung von Handzeichnungen deutscher
Meister von Carstens bis Slevogt gezeigt wird, so
soll mit dieser Veranstaltung die Vielgestaltigkeit
unserer jüngsten Vergangenheit und damit die
Vielgestaltigreit des deutschen Wesens überhaupt
an einem besonders einleuchtenden Beispiel zur
Anschauung gebracht werden. Ihrem Charakter
nach ist die Zeichnung ja ganz allgemein gesehen
die am meisten ursprüngliche Form bildnerischen
Schaffens, aus der anderen Seite aber entspricht
sie in ihrer suchenden, ergründenden Art dem
Wesen des Deutschen sicherlich am unmittelbarsten.
Im 19. Jahrhundert hat sie mit diesen ihren
Grundeigenschaften an der großen Aufgabe mit-
gewirkt, dem Weg des Deutschen zu sich selbst die
Richtung und das Ziel zu weisen. Wenn auch in
seinem Beginn Klassizismus und Romantik schein-
bar zurückschauten nach fernen südlichen Ländern
und nach sagenhaft entrückten Zeiten nordischer
Vergangenheit, so geschah dies doch einzig und
allein aus dem Glauben, dem Fernen und Ge-
wesenen ideale Vorbilder für die Neugestaltung
deutschen Wesens entnehmen zu können. Zu dessen
Urgrund nämlich glaubte man am ehesten vorzu-
dringen, wenn es gelingen sollte, das Gefühl für
das Unendliche mit dem Sinn für das Endliche,
die Sehnsucht nach dem Idealen mit dem Willen
zur Realität zu Vereinen. Beide Grundtriebe be-
wegten das 19. Jahrhundert von seinem Anfang
bis an sein Ende hin, beide hatten sie — nicht nur
in der Kunst, sondern auch in jeder anderen geisti-
den Lebensform — gemeinsamen Anteil an der
Entstehung des Gedankens von der Einheit der
Nation und an seiner Verwirklichung in der Grün-
dung des Deutschen Reichs.
So verstanden und so gesehen gewinnt die
Frankfurter Ausstellung eine zeitgemäße Bedeu-
tung auch für die Gegenwart des heutigen Deutsch-
land und für die Zukunft
des Dritten Reichs. Denn
sie zeigt, wie eine reine
und wahrhaftige Kunst
niemals dem Weg eines
Volks zu seiner festen na-
tionalen Gebundenheit
fernstehen kann, sondern
im Gegenteil gerade von
ihr die stärksten geistigen
Impulse ansgehen kön-
nen und müssen. Die
deutsche Zeichenkunst
19 Jahrhunderts
für ein lebendiger Be-
weis. Denn die beiden
Grundtriebe des Deut-
schen, Idealismus
und Realismus,
stehen vom Anfang des
Jahrhunderts an brüder-
lich nebeneinander, nicht
als Gegensätze, die sich
ausschließen, sondern als
Pole einer lebendig sich
bewegenden Welt, die sich
jetzt zur Vollendung zu
runden beginnt. Dieses große Erbe nicht nur zu
bewahren, sondern es produktiv im Hinblick aus
unsere Gegenwart zu werten, ist die Aufgabe,
welche die Ausstellung des Kunstvereins in Frank-
furt sich gestellt hat.
Die beiden großen Grundkräfte der zeichnenden
Künste aber, der komponierende Entwurf und die
Studie nach der Natur, welche die Zeichenkunst des
19. Jahrhunderts in Deutschland im wesentlichen
beherrschen, sind ja nichts anderes als sichtbare
Symbole der Grundkräfte des Deutschen über-
haupt: einer schöpferisch vorausschauenden, in die
Zukunft gerichteten Sehnsucht und eines unmittel-
bar in der Gegenwart tätigen und schassenden
Willens. Diese beiden Grundlinien des Idealis-
mus und des Realismus ziehen sich gleichsam als
Parallelen, die im Unendlichen sich treffen, durch
übersteheude reifenartige Rand, der oben vom Kopf
überschnitten wird, die echt Dürersche Größe der
Form und das breit angelegte Relief der Vorder-
seite, dann aber die aus dem Geist der Randzeich-
nnngen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians ge-
borene Freiheit der Ornamentik der Rückseite,
deren Technik an die Feinschmiedekunst des Gold-
schmieds erinnert, lassen keinen Zweifel darüber,
daß Vorderseite und Rückseite je für sich als Hohl-
gnßappliken gedacht waren und auch verwendet
worden sind. Und zwar erfolgte die Verwendung
nur einmal an einer Schatulle, die Dürer für
den Freund aus einem besonderen Anlaß, vielleicht
als Geburtstagsgeschenk, anfertigte. Ebenso ver-
hält es sich mit der schönen großen Plaque mit dem
Brustbild des Kaiserlichen Hofhistoriographen Jo^
rclicsplastischen Stiles bezeichnet, die unter den
deutschen Medaillen eine einsame Stellung ein-
nimmt und nicht nur Dürers Physiognomie, son-
dern mehr noch seine Eigenwilligkeit erkennen läßt.
Die italienische Medaillistik hat Ebenbürtiges nicht
aufzuweisen. Die Vermutung der bildnerischen
Authentizität Dürers wird angesichts der eminent
malerischen, kühn bewegten, ja pastosen Art der
Modellierung dieses prächtigen Kopfes, der an sich
schon Dürerschen Charakter trägt, zur Gewißheit.
Die sprudelnde Bewegung des Vollbartes, die star-
ken Kontraste von Welle und Tal in Stirn, Auge
und Wange, scheinen den kleinen Rundrahmen der
Medaille zu sprengen und sind unzweifelhaft das
Werk eines modellierenden Malers, der nicht an
die der Medaille gezogenen engen Grenzen denkt,
dem es nur auf Größe der klassischen Wirkung an-
kommt. Zwei Exemplare dieses Kunstwerkes in
italienischen Sammlungen besitzen eine Rückseite.
Diese fällt mit der Anordnung der großbnchstabi-
gen Schrift und ihrem harmonischen Zusammen-
schluß mit Lorbeerkranz, Adlerwappen und Em-
blem derart ans den Zeitmedaillen heraus und be-
kundet des Meisters persönliches Gepräge so in-
tensiv, daß es nicht verantwortet werden kann,
eine zweite Hand für die reliefplastische Über-
setzung des Entwurfs anzunehmen. Es war i.J.
1518, als Albrecht Dürer der Studie des reitenden
Der Weg zum Reich der Deutschen
Zur Ausstellung
„Deutsche Zeichenkunst im 19. Jahrhundert" im Frankfurter Kunstverein
Von
Dr. Curt Gravenkamp
3
(Halland)
Siidschwcdischc Hosanlage aus Oktorp, Kirchspiel Slöringe
Raulandhaus aus Opdal in Numedal. Eingang. Um 1250. Oslo, Norske Folkemusenm
Vorratshaus in Telemark. Photo Wilse, Oslo
Greises zum Triumphzug die Gesichtszüge des
großen Emblematikers lieh, die mit denen unserer
Plaque übereinstimmen. Als Herold des Ruhmes
seines kaiserlichen Herrn wäre sein Historiograph
hier auch durchaus an seinem Platz gewesen. In
die gleiche Zeit fällt auch die Aufmerksamkeit,
welche Dürer, einem Brauche jener Tage folgend,
seinem Gönner und Berater durch die dekorative
Verwendung der von ihm eigenhändig modellierten
beiden Plaquen an einer leider nicht mehr erhal-
tenen kleinen Geschenktruhe erwies.
Vortrefflich Paßt in diese Epoche gesteigerter
reliefplastischer Betätigung die Weisung des Nürn-
berger Rats an die beiden neu eingestellten Münz-
meister i. 1.1517, „daß sie die neuen Eisen (Münz-
prägestempel) nach Rat Albrecht Dürers machen",
nicht minder die Erwähnung jenes „geschnittenen
Kindleins" im Tagebuch der niederländischen
Reise, das dem Sprachgebrauch nach nur als eine
das ganze 19. Jahrhundert hindurch bis in unsere
Gegenwart hinein.
So ist bereits im Anfang der Realismus
Schadows gleichzeitig mit der idealen Gesin-
nung in den Entwürfen und Landschaften derNa -
zarener, und die eigentlich romantische Kunst
von Runge und Friedrich oder im Kreis der
deutschen Künstler in Rom war zugleich von einem
tiefgründigen Gefühl für die Werte der Wirklich-
keit durchdrungen. Und wenn im Biedermeier, bei
Wasmann und Krüger, das Realistische im
Vordergrund stand, so blieb zur selben Zeit die
ideale Gesinnung in Schwinds und Viktor
Müllers Märchengestaltung oder in Alfred
Rethels melancholischer Stilisierung der deut-
schen Mythologie in einer wunderbaren Größe am
Leben. Um die Mitte des Jahrhunderts aber
erhob sich diese Gesinnung zu einer neuen klassi-
schen Höhe, ein zweites deutsches Rom gestaltete
sich im Werk von AnselmFeuerbach, Hans
von Maries und Arnold Böcklin, und
am Ende des Jahrhunderts verdichtete sich die
romantische Sehnsucht noch einmal mit realisti-
scher Kraft in den Zeichnungen Max Klin-
gers. Gleichzeitig war aber auch der Sinn für
die Werte des Seins lebendig geblieben: von
Krüger ging die Linie des unbedingten Realismus
weiter zu Menzel im Norden, zu Leibl im
Süden, und sie endete in graziösem Schwung in
Max Slevogt. Den Mitteldeutschen jedoch
blieb es Vorbehalten, die vermittelnde Rolle zu
übernehmen, die Frankfurter des Kronberger
Kreises, vor allem aber Hans Thoma und
Wilhelm Steinhaufen brachten den Sinn
für das Wirkliche mit dem Gefühl für das Uber-
wirkliche in einen volkstümlichen, teils religiösen,
teils naturverbundenen Einklang.
Unter der weiten Spanne dieses ungeheuren
Bogens vom Anfang bis zum Ende des 19. Jahr-
händig modellierten Zwischenglieder. Dürer hatte
nicht nur die Entwürfe zur Gesamtform und zu
den maßgebenden Einzelheiten zu liefern, er hatte
auch den Auftrag, die Ausführung zu fördern und
zu überwachen. Ich glaube, daß nunmehr die
nachstehenden Worte des Nürnberger Thomas Ve-
natorins v. I. 1540, für welche bisher eine Er-
klärung vermißt wurde, verständlich erscheinen:
„Ich selbst habe es erlebt, wie eben dieser Dürer
Bildhauern Risse zur Ausführung übergab, deren
beabsichtigte Wirkung schließlich ihm selber auch
mit den Mitteln des Malers kaum zu erreichen
gelang."
Unter diesen Umständen glaube ich auch nicht,
daß die Medaille ans Willibald Pirckheimer v. I.
1517 von Hause aus eine zweiseitige Medaille, d. h.
eine ausgesprochene Schaumünze ist, gibt es doch
auch keine originalen Stücke einer solchen
Medaille, sondern nur flaue Abgüsse! Der
plastische Arbeit angesehen werden kann. Auch
zeichnete er aus seiner niederländischen Reise für
den bekannten Siegelstecher und Goldschmied
van der Perre die Visierung zu einem Siegel. Und
dann folgt i. I. 1521 der ehrenvolle offizielle Auf-
trag zur Visierung für die Schaumünze der Stadt
Nürnberg auf Kaiser Karl V., jenes Kapitalstück
der Prägekunst, welches künstlerisch wie technisch
einzig dasteht, „daran" — dem Willen des Be-
stellers zufolge — „nicht der Wert, sondern die
Arbeit und Kunst anzusehen ist." Wie hätte dieses
heraldische Wunderwerk, das sich ungezwungen in
die großartige Heroldskunst Dürers, die Ehren-
pforte und den Triumph Maximilians, einreiht,
zu einem solch unverfälschten Ausdruck seines We-
sens und seiner Handschrift gereift sein können,
wenn NlN)l E>urec neben den Entwürfen
auch noch die Modelle für die Urformen
selbst angefertigt oder bei deren Herstellung
mit Hand angelegt hätte! Nicht einmal die
so bedeutend vervollkommnete Prägekunst un-
serer Tage kann diesem Meisterstück aus
alter Zeit etwas Gleichwertiges an die Seite
stellen. Nehmen wir noch hinzu, daß das Bildnis
des Reichsstatthalter-Talers Friedrichs II. von der
Pfalz, den dieser anläßlich seiner Anwesenheit als
Reichsverweser in Nürnberg i.J. 1522 schlagen
ließ, nach einer Zeichnung Dürers gefertigt wurde,
dann wird man nicht mehr fragen: Was bedeuten
diese kleinen Gebilde gegenüber dem gewaltigen
Gesamtwert des Meisters, der Fülle seiner Ge-
sichte und Gestalten? Es sind künstlerische Taten
aus kleinem Raum, würdig der schöpferischen
Größe dieses überragenden Genies. Sie bilden den
Schlüssel zur Vertiefung der Kenntnis seines
Eigenwesens und zur Erkenntnis, daß Dürer nicht
nur eine große plastische Begabung, sondern
auch die Fähigkeit zur P r a k t i s ch e n Betätigung
auf diesem Gebiet besaß, die ihrerseits einen starken
Niederschlag in seinen Handzeichnungen, Gemälden
und graphischen Arbeiten gefunden hat. Kein
Künstler, ob Maler oder Bildhauer, vor ihm und
nach ihm, hat in solch umfassendem Maße die
Voraussetzung zur Plastischen Arbeit und die Be-
herrschung der Form besessen.
Hunderts führte das Schicksal die Deutschen aus
staatlichem Partikularismus heraus und zur Ein-
heit des Reiches hin. Was im Politischen in
der Entwicklung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt
Wirklichkeit wurde, das ereignete sich im Künst-
le risch en gleichsam als verklärte, vergeistigte
Geschichtswerdung, und die Form der Zeichnung
IlLIIVl 6L6K.18-7 öItvQ^55^I QkQK.1897
8 / t13 133
O!b55I M
k^kl.^Cbi kkI_l.ld4O-vk klOKI k55kk
o-^vl. I<i.i^5cli-I<oi.kk ^krc<5.5cki^kkk
5ci4klkk - Kkd4k 5Id4Ikd4I5.7VEOk4 u.ä.
8 - VV^Ll-I5^U88Lt-l^8 1.10 t^IQ
insbesondere als eine wesentlich werdende Form,
vollzog vorausschauend am Anfang des Jahrhun-
derts schon die Synthese als ein zu realisierendes
Ideal. Die Vielgestaltigkeit des deutschen Wesens
stellte sich in der Vielgestaltigkeit des zeichnerischen
Werks der einzelnen Meister dar, die aber trotz
aller Unterschiedlichkeit im Persönlichen im
Grunde die große Einheit des Ganzen in sich
trugen und mehr oder minder unbewußt sie er-
sehnten, erstrebten und teilweise erfüllten. Mit
ihren Zeichnungen gaben sie den Deutschen sicht-
bare Zeichen, wie Idee und Wirklichkeit zu Ver-
einen waren, Idee und Wirklichkeit sahen und ge-
stalteten sie als eine Einheit, als wahrhafte Sinn-
gebung des inneren Reichs der Deutschen.
Und dies ist es im Grunde, was eine Ausstel-
lung deutscher Zeichenkunst des 19. Jahrhunderts
uns heute lehren soll: in dieser Formenwelt, in der
das Deutsche Reich eine geistige Verklärung an-
nahm, die Vorstufe zu dem zu erkennen, was unse-
rer Gegenwart zur Erfüllung der Zukunft ob-
Karikaturisten in Stuttgart
Das Kronprinzenpalais in Stuttgart
zeigt im graphischen Kabinett eine größere Zahl
Karikaturen von Stuttgarter und auswärtigen
Künstlern, darunter solchen, die nicht nur in
Deutschland bekannt und berühmt, sondern längst
internationalen Ruf als Mitarbeiter des
„Simplicisjimus" genießen. Hier sind große Ta-
lente am Werk, die viel Natur und auch viel Cha-
rakter haben, die mit dem Monströsen einen sehr
männlichen Geschmack zu verbinden wissen: Leben
verwandelt sich hier in Kunst.
Es gibt keine lebenden deutschen Zeichner wie
Arnold, Gulbransson, Großmann, Kirchner,
Rall, Geckle und Hugendubel, die in einem
erbarmungslosen Kampf gegen den Spießer so
leidenschaftlich und so objektiv wären. Diese
Zeichner sind Meister darin, die satte Selbstzufrie-
denheit der irgendwie Arrivierten — der von der
Not und dem Kampf unserer Zeit Unberührten zu
gebeu und das schicksalhaft Idiotische, den bösen,
engstirnigen Stumpfsinn zu schildern, die Masken
des ewig Gestrigen der Konvention zu zeichnen,
kurz das ganze Kino des Lebens, mit dem die
nationalsozialistische Bewegung gründlich auf-
räumen will — mit dieser ganzen Welt von
egoistischen feistnackigen Männern und nase-
rümpfenden spitznasigen Frauen. Dabei gehören
diese Künstler im Grunde nicht zu den lachenden
Spöttern und zu den Humoristen. Und wenn sie
das Wort „Menschen" gebrauchen, so meinen 'ne
cs ernst und bitter. Nein, diese Kunst lacht nicht,
sie ist im besten Sinne aufrüttelnd und revolu-
tionär. ie. n.
U^erbt Abonnenten
für öie «Kunst der Nation»
Wenn im Frankfurter Kunstverein zur Zeit
eine Ausstellung von Handzeichnungen deutscher
Meister von Carstens bis Slevogt gezeigt wird, so
soll mit dieser Veranstaltung die Vielgestaltigkeit
unserer jüngsten Vergangenheit und damit die
Vielgestaltigreit des deutschen Wesens überhaupt
an einem besonders einleuchtenden Beispiel zur
Anschauung gebracht werden. Ihrem Charakter
nach ist die Zeichnung ja ganz allgemein gesehen
die am meisten ursprüngliche Form bildnerischen
Schaffens, aus der anderen Seite aber entspricht
sie in ihrer suchenden, ergründenden Art dem
Wesen des Deutschen sicherlich am unmittelbarsten.
Im 19. Jahrhundert hat sie mit diesen ihren
Grundeigenschaften an der großen Aufgabe mit-
gewirkt, dem Weg des Deutschen zu sich selbst die
Richtung und das Ziel zu weisen. Wenn auch in
seinem Beginn Klassizismus und Romantik schein-
bar zurückschauten nach fernen südlichen Ländern
und nach sagenhaft entrückten Zeiten nordischer
Vergangenheit, so geschah dies doch einzig und
allein aus dem Glauben, dem Fernen und Ge-
wesenen ideale Vorbilder für die Neugestaltung
deutschen Wesens entnehmen zu können. Zu dessen
Urgrund nämlich glaubte man am ehesten vorzu-
dringen, wenn es gelingen sollte, das Gefühl für
das Unendliche mit dem Sinn für das Endliche,
die Sehnsucht nach dem Idealen mit dem Willen
zur Realität zu Vereinen. Beide Grundtriebe be-
wegten das 19. Jahrhundert von seinem Anfang
bis an sein Ende hin, beide hatten sie — nicht nur
in der Kunst, sondern auch in jeder anderen geisti-
den Lebensform — gemeinsamen Anteil an der
Entstehung des Gedankens von der Einheit der
Nation und an seiner Verwirklichung in der Grün-
dung des Deutschen Reichs.
So verstanden und so gesehen gewinnt die
Frankfurter Ausstellung eine zeitgemäße Bedeu-
tung auch für die Gegenwart des heutigen Deutsch-
land und für die Zukunft
des Dritten Reichs. Denn
sie zeigt, wie eine reine
und wahrhaftige Kunst
niemals dem Weg eines
Volks zu seiner festen na-
tionalen Gebundenheit
fernstehen kann, sondern
im Gegenteil gerade von
ihr die stärksten geistigen
Impulse ansgehen kön-
nen und müssen. Die
deutsche Zeichenkunst
19 Jahrhunderts
für ein lebendiger Be-
weis. Denn die beiden
Grundtriebe des Deut-
schen, Idealismus
und Realismus,
stehen vom Anfang des
Jahrhunderts an brüder-
lich nebeneinander, nicht
als Gegensätze, die sich
ausschließen, sondern als
Pole einer lebendig sich
bewegenden Welt, die sich
jetzt zur Vollendung zu
runden beginnt. Dieses große Erbe nicht nur zu
bewahren, sondern es produktiv im Hinblick aus
unsere Gegenwart zu werten, ist die Aufgabe,
welche die Ausstellung des Kunstvereins in Frank-
furt sich gestellt hat.
Die beiden großen Grundkräfte der zeichnenden
Künste aber, der komponierende Entwurf und die
Studie nach der Natur, welche die Zeichenkunst des
19. Jahrhunderts in Deutschland im wesentlichen
beherrschen, sind ja nichts anderes als sichtbare
Symbole der Grundkräfte des Deutschen über-
haupt: einer schöpferisch vorausschauenden, in die
Zukunft gerichteten Sehnsucht und eines unmittel-
bar in der Gegenwart tätigen und schassenden
Willens. Diese beiden Grundlinien des Idealis-
mus und des Realismus ziehen sich gleichsam als
Parallelen, die im Unendlichen sich treffen, durch
übersteheude reifenartige Rand, der oben vom Kopf
überschnitten wird, die echt Dürersche Größe der
Form und das breit angelegte Relief der Vorder-
seite, dann aber die aus dem Geist der Randzeich-
nnngen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians ge-
borene Freiheit der Ornamentik der Rückseite,
deren Technik an die Feinschmiedekunst des Gold-
schmieds erinnert, lassen keinen Zweifel darüber,
daß Vorderseite und Rückseite je für sich als Hohl-
gnßappliken gedacht waren und auch verwendet
worden sind. Und zwar erfolgte die Verwendung
nur einmal an einer Schatulle, die Dürer für
den Freund aus einem besonderen Anlaß, vielleicht
als Geburtstagsgeschenk, anfertigte. Ebenso ver-
hält es sich mit der schönen großen Plaque mit dem
Brustbild des Kaiserlichen Hofhistoriographen Jo^
rclicsplastischen Stiles bezeichnet, die unter den
deutschen Medaillen eine einsame Stellung ein-
nimmt und nicht nur Dürers Physiognomie, son-
dern mehr noch seine Eigenwilligkeit erkennen läßt.
Die italienische Medaillistik hat Ebenbürtiges nicht
aufzuweisen. Die Vermutung der bildnerischen
Authentizität Dürers wird angesichts der eminent
malerischen, kühn bewegten, ja pastosen Art der
Modellierung dieses prächtigen Kopfes, der an sich
schon Dürerschen Charakter trägt, zur Gewißheit.
Die sprudelnde Bewegung des Vollbartes, die star-
ken Kontraste von Welle und Tal in Stirn, Auge
und Wange, scheinen den kleinen Rundrahmen der
Medaille zu sprengen und sind unzweifelhaft das
Werk eines modellierenden Malers, der nicht an
die der Medaille gezogenen engen Grenzen denkt,
dem es nur auf Größe der klassischen Wirkung an-
kommt. Zwei Exemplare dieses Kunstwerkes in
italienischen Sammlungen besitzen eine Rückseite.
Diese fällt mit der Anordnung der großbnchstabi-
gen Schrift und ihrem harmonischen Zusammen-
schluß mit Lorbeerkranz, Adlerwappen und Em-
blem derart ans den Zeitmedaillen heraus und be-
kundet des Meisters persönliches Gepräge so in-
tensiv, daß es nicht verantwortet werden kann,
eine zweite Hand für die reliefplastische Über-
setzung des Entwurfs anzunehmen. Es war i.J.
1518, als Albrecht Dürer der Studie des reitenden
Der Weg zum Reich der Deutschen
Zur Ausstellung
„Deutsche Zeichenkunst im 19. Jahrhundert" im Frankfurter Kunstverein
Von
Dr. Curt Gravenkamp