Nr. 21 Zweiter Jahrgang
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Erste November-Nr., 1 §34
Der deutsche künstlerische Tanz
und die „Deutschen Tanzfestspiele Berlin 1934"
Als vor etwa fünfzehn Jahren der deutsche
Tanz das Podium und die Bühne zu erobern an-
fing, entstand eine lebhafte Diskussion und eine
ganze Literatur darüber, ob der Tanz eine voll-
wertige Kunst sei. Man hatte Bedenken, da er
der Musik bedürfe, die täuzerische Bewegung kein
eindeutig zu definierendes Ausdrucksmittel sei und
das Ergebnis ohne bleibenden Eindruck. N. von
Labans „Welt des Tänzers" (1920) räumte die
ersten Vorurteile weg, den Rest der Zweifel be-
seitigte Mary Wigman mit ihren ersten Tanz-
abenden in Deutschland. Durch sie wurde der Be-
griff des deutschen künstlerischen Tanzes geschaffen,
und durch ihre Schule gingen fast alle Tänzer, die
heute einen Namen haben, Palucca, Tjvonne
Georgi, Harald Kreutzberg, um einige von denen
zu nennen, die selbständige Künstler wurden. Die
Bewegung wurde rasch umfassender, als ihre Ur-
heber selbst erwartet hatten. Die breitere Öffent-
lichkeit folgte ihrer Entwicklung mit Interesse, die
bildende Kunst bemächtigte sich sehr bald des neuen
ereignisreichen Themas, ich denke an Noldes
Aquarelle nach Mary Wigman und Palucca,
Kolbes Plastiken uud Zeichnungen, Hofers Bilder,
E. L. Kirchners „Totentanz"; Musiker uud Dichter
ließen sich durch die Schwesterkunst anregen.
Was war der Grund des raschen und liefen Er-
folas? Der Avvell an das in allen schlummernde
natürliche Bewegungsgesühl, an den Tänzer im
Menschen, die Unmittelbarkeit des Erlebnisses irr
einer der Worte müden Zeit, der sichtbar ge-
wordene Rhythmus und seine konkrete Verwirk-
lichung, die Entdeckung des Raumes durch glie-
dernde und gesetzmäßig gestaltende Bewegung, und
die Ahnung, daß noch etwas hinter der Erscheinung
warte, die Möglichkeit zu einem genieinschafts-
bildenden Kunstwerk, zu einem Werk, das weniger
aus der Gemeinschaft entsteht als diese mit schaffen
hilft. Diese Möglichkeit verwirklichte der Gruppen-
tanz, für den R. von Laban von Anfang an ein-
getreten war und den Wigman gestaltete, am über-
zeugendsten im „Tanzdrama" (1923) und der
„Feier" (1928). Für uns ist heute das chorische
Werk wichtiger denn je, denn wir erhoffen von
seiner weiteren Durchformung die symbolhafte
Darstellung gegenwärtigen und kommenden Ge-
schehens. Wenn wir den Anspruch des Solotanzes
auf Ebenbürtigkeit und gleiche künstlerische Höhe
voll anerkennen, so auf Grund unserer Erfahrung,
daß es ein Schöpferisches gibt, das an die solistische
Leistung gebunden und anders nicht darstellbar ist.
Ein vollendetes lyrisches Gedicht ist nicht weniger
als ein Drama, eine Fuge für Klavier nicht
weniger als ein Orchesterwerk. Es kommt ans das
Niveau der Gestaltung, die restlose Verwirklichung
des künstlerischen Impetus an, auf die überlegene
Verwendung der Mittel und die Intensität der
Wirkung.
Es gibt heute betonte Vertreter des chorischeu,
des Reigen-, Theater-, Kammer- und Solotanzes.
Die Unterscheidung trifft nicht den Kern der
Sache, ganz abgesehen davon, daß im begrenzteren
Umfange alle Tänzer gleichzeitig solistisch uud
orchestral arbeiten. Wesentlicher erscheint mir, daß
sich wie in der Musik Unterschiede im Ausdrucks-
willen ergeben haben; wir beobachten die Tendenz
zur nachahmenden Schöpfung neben der zur sym-
bolhaften und zur abstrahierenden, genau wie in
der bildenden Kunst. Und hier wie dort erfreut
sich die nachahmeude Richtuug großer Beliebtheit,
da sie weniger Rätsel aufgibt, während die ab-
strahierende, die absolute Schöpfung sich am
schwersten durchsetzt. Anders ausgedrückt, wir
haben Tänzer und Tänzerinnen, die stilistisch ihrer
eingeborenen Anlage entsprechend zu Mozart oder
Beethoven oder Richard Strauß neigen. Wobei
nicht ausgeschlossen ist, daß ein Tänzer aus einer
Musik von R. Strauß einen absoluten, d. h. rein
tänzerischen Gesetzen sich fügenden Tanz macht, ein
anderer aus einer Musik von Mozart einen nach-
ahmenden. Der Tanz übernimmt von der Musik
nichts weiter als Linie und Rhythmus, um beides
in der Verwandlung der tänzerischen Bewegung
neu erstehen zu lassen, deshalb ist es für den
Tänzer durchaus möglich, vorhandene Musik zu
einem autonomen Werk zu benutzen. Die immer-
hin nicht abzustreitende Problematik dieses Vor-
gangs hat manche Tänzer, besonders die chorisch
interessierten, veranlaßt, die Musik zu ihren
Tänzen selbst zu erfinden und ein kleines Orchester
aus Schlagzeug und Klavier bzw. Flöten zn-
sammenzustcllen. Der Vorteil ist evident, Musik
und Tanz fließen im idealen Falle aus dem
gleichen schöpferischen Antrieb. Der Nachteil kann
der sein, daß die musikalische Begleitung jenseits
unserer berechtigten Ansprüche an die Musik bleibt.
Das ranmgliedernde oder besser raumschafsende
Element ist von der Musik unabhängig, es ist eine
Harald Kreutzberg, Gesänge des Todes
Photo: Enkclmann-Berlin
Folgeerscheinung der seelischen, im bewegten
Körper sichtbar werdenden Spannung und ein
Analogon zu der neuen Naumerfindung und
Raumgestaltung in der Malerei.
Und was ist, ganz banal gefragt, der Inhalt
und Sinn des Tanzes? Wie überall, menschliches
Geschehen, heiteres und ernstes, irdisches und jen-
seitiges, individuelles und gemeinschaftliches, mehr
privates und allgemeingültiges Geschehen, auf der
Ebene der tänzerischen Bewegung nicht dargestellt
(Pantomime), sondern gestaltet, als ein Ablauf sich
folgender Spannungen und Verwandlungen. Wie
der Solotanz Wohl am besten sich definieren ließe
als die in Bewegungen gestaltete innere Erfahrung
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einer Verwandlung, der Gruppentanz als das be-
wegnngsmäßig geformte Erlebnis eines Gemein-
schaftsgefühls und seiner Funktionen.
Damit sind einige der Probleme nur gerade
berührt. Sie wurden vor Jahren diskutiert und
traten in letzter Zeit mit dem deutschen Tanz
etwas in den Hintergrund. Während dieser im
Ausland Triumphe feierte, hatte er im Ursprungs-
land infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten und
verständnisloser Angriffe hart zu kämpfen. Er
eroberte Amerika, England, Holland, die Schweiz,
die deutschen Tänzer erhielten die ersten Preise bei
den Wettbewerben in Paris, Wien, Warschau, in
Deutschland nahm man immer weniger Kenntnis
voil seinem Dasein und seinen Erfolgen.
Nun soll endlich einmal die ganze weitver-
' Zeigst« Bl'weauna mst allen ihren Spitzenleistun-
gen in einer F e st s p i e l w o ch e (9. bis 16. D e-
z e m b e r) i m T h e a t e r a nr H o r st - W e s s e l -
Platz vorgeführt werden, damit man sehe, was
wir am deutschen Tanz haben und wohin ihn die
Entwicklung der letzten Jahre getragen hat. Ver-
anstalterin ist die „Deutsche Tanzbühne" (Leitung
R. v. Laban). Mary Wigman wird ein großes
chorisches Werk aufführen, „Frauentänze", Gün-
ther-Lex ein Reigenwerk, Avonne Georgi Theater-
tänze, R. von Laban Männertänze. Zwei Mär-
chentanzspiele für Kinder, Labans „Dornröschen"
und Maudricks neu einstudierte „Puppenfee", wer-
den in der Staatsoper Unter den Linden, aber im
Rahmen der Festspiele uraufgeführt. Einige un-
bekanntere Tänzer werden in Kammertänzen und
kleineren Gruppen sich vorstellen. Als Solotänzer
wirkt H. Kreutzberg mit, als Solotänzerin Pa-
lucca, die eine Anzahl ihrer neuesten und reifsten
Tänze zeigt. Das Ganze wird also ein Überblick
über die gewaltige Leistung des deutschen Tanzes
und hoffentlich noch mehr, nämlich eine nicht miß-
zuverstehende Aufforderung zu strengen Maß-
stäben, damit der schädliche Dilettantismus, wie
er hier und da noch anzutresfen ist, endlich ver-
schwindet und ein Anstoß zur Pflege des Echten
in dieser jungen Kunst. Im Anschluß an die Ber-
liner Woche sollen die Tänze in allen bedeutende-
ren Städten des Reiches gezeigt werden. Daß die
R c i ch s k u l t u r k a m m e r den „Deutschen
<1 17 z f ^s.t s u i e l r '.7 1VU1" '.y-v
derung zuteil werden läßt, beweist, für wie wichtig
man diesen neuentstandenen Bezirk des Schaffens
hält. Was uns fehlt, ist Festlichkeit im besten
Sinne; es liegt nahe zu vermuten, daß man im
Tanz ein Mittel erkannt hat zur Ausgestaltung
kommender Feste. Und zweitens, sollte es sich nicht
lohnen, den deutschen Tanz, der Teile des Aus-
landes bereits aus eigener Kraft erobert hat, in-
stand zu setzen, sich in Ruhe zu vollenden, um im
verstärkten Maße für deutsche Kunst weiterhin
auch außerhalb unserer Grenzen werben zu kön-
nen? Der Dank aller Einsichtigen wäre den Tän-
zern und ihren Förderern gewiß. 6.
Richard Wagner: Werk und Szene
Die szenische Neugestaltung der Bayreuther
Festspiele im Wagner-Jahr, die wir Emil
Preetorius verdanken, wurde, obschon all-
gemein von der in- wie ausländischen Presse ge-
bührend gewürdigt, nicht ohne Widerspruch aus-
genommen. Der Bühnenbildner (der auch den
„Ring" für die Staatsoper in Berlin szenisch neu-
gestaltete) war und ist recht heftigen, mit massiven
Verdächtigungen nicht sparenden Angriffen aus-
gesetzt. Alte Wagnerianer schelten ihn einen zer-
setzenden Modernisten; eine im Auftrage und Ein-
verständnis von Schweizer Bayreuthfrennden ver-
faßte, als Manuskript gedruckte Schrift spricht
Emil Preetorius des Sakrilegs schuldig. Zweifel-
los ist es nur eine kleine Minderheit, die sich mit
dem Inhalt dieser Anklageschrift identifiziert. Für
sie ist das Wagner-Erlebnis mit den alten Bay-
reuther Szenenbildern unlöslich verbunden. Ihr
persönliches Erlebnis uud die objektive Macht
Wagners ist für diese alten Wagnerianer so in
eines verschmolzen, daß sie glaubten, sich schützend
vor Wagner stellen zu müssen, wenn sie seine
Opern nicht mit der ihnen liebgewordenen Szene-
rie zu sehen bekommen. Bei aller Würdigung der
Motive aber, aus der der Widerspruch gegen Pree-
torius' Bühnenbilder kommt, kann das Verdikt
der alten Wagnerianer für jüngere Generationen
nicht verpflichtend sein. Der moderne Mensch hat
darum noch nicht weniger Ehrfurcht vor Wagners
Werk, weil er aus einer ihm selbstverständlichen
zeitlichen Distanz ein schärferes Auge für Wagners
Bindung an den Geschmack seiner Zeit hat. Man
mag dabei zugeben, daß die grundsätzliche Kontro-
verse, inwieweit es statthaft sei, das „Ewige",
„Zeitlose" eines Kunstwerkes aus seinen Bindun-
gen an die „Zeit" herauszulösen und einer gewan-
delten „Zeit" neu einzukleiden, hier in einem sehr
speziellen und gewichtigen Falle auftaucht.
Der Vortrag „Richard Wagner, Werk und
Szene", den Emil Preetorius kürzlich in der
Lessing-Hochschule in Berlin hielt, führte in klu-
gen, trefflichen Formulierungen und Abgrenzun-
gen zu einer wesentlichen Klärung des szenischen
Problems bei Wagner. Die gegen ihn gerichteten
Angriffe abwehrend, setzte Preetorius an dem ent-
scheidenden Punkte das Plädoyer für seine Bay-
reuther und Berliner Bühnenbilder ein, indem er
den Wesensunterschied zwischen einem „bildne-
rischen Visionär", (was Wagner in hohem Maße
und auszeichnendem Sinne war) und dem bildne-
risch gestalteten Menschen klärte. Es handelt sich
bei Wagners szenischen Visionen, die selbstverständ-
lich den Bühnenbildner verpflichten, keineswegs
nm klar begrenzte, einmalig verwirklichte Vorstel-
lungen, sondern um schweifende Bildfantasien, die
angeregt wurden und eine Stütze fanden an dem
Geschmacke der Zeit, der der Makarts war und
heute jedenfalls keine Gültigkeit mehr hat. Für
den Bildner können und dürfen Wagners szenische
Visionen nur richtungweisend sein; er hat aus der
Gesamtabsicht Wagners die vielfältig ausdeutbaren
und unbegrenzten Bildideen im sinnenhaften Stoff
grenzsetzend zu verdichten. Denn das unterscheidet
den Bildner vom Visionär, daß dieser zwar in
Bildern denkt, träumt und erlebt, jener aber, der
Bildner, die Sinneserlebnisse unmittelbar so oder
so in einmaliger, optisch begrenzter, unverrück-
barer Gestalt verwirklicht.
Eben dieses realiser, von dem Cezanne immer
sprach, ist das letztlich Entscheidende bei jedem
bildnerischen Schaffen. Ein Künstler kann auch
Visionär sein, ein Visionär aber ist noch kein Bild-
ner. So weitgespannte Absichten Wagner ver-
folgte und verwirklichte, als Visionär seiner Sze-
nen war er, weil er kein Bildner war, arü stärksten
dem Zeitgeschmack verhaftet. Die Forderung einer
unveränderten Beibehaltung der Bühnenbilder,
die Wagner noch selbst sah, ist schon deshalb un-
sinnig, weil Wagner selber sie gar nicht geschaffen
hat. Sie können nicht demselben Anspruch auf
Unveränderlichkeit unterliegen wie das musikalisch-
dramatische Werk.
Schon Siegfried Wagners Bühnenbilder ver-
suchen, das Naturalistisch-Illusionistische zurück-
zudrängen zugunsten stärkerer Herausarbeitung
des Symbolhaften. Für den unvoreingenommenen
Betrachter wird es gar keine Wahl geben, welchem
Bühnenbild er den Vorzug gibt, dem naturalisti-
schen Bühnenbild mit illusionistischen, auf Lein-