K u u st der Nation
3
Karl Hoscr, Tessiner Landschaft
Photo: Schuch, Berlin
bewältigen müssen um jeden Preis, dessen sie fähig
sind, die im Vitalen und Geistigen und in jedem
denkbaren Schaffensprozeß ihren Mann zu stehen
haben bis zum letzten Atemzug, wird sich ab-
weudeu, weuu es in der höchsten Gestaltung des
Grotesken einmal die wahrhaft verlorene
Tragik, die so leicht ins Dasein hereinbricht, erlebt
hat, obgleich es denen, die durch ihr Schicksal auf
die Gegenseite gezwungen wurden, sein Mit-
gefühl kaum wird versagen dürfen. Am wenigsten
hat sich die Groteske, das ist so bezeichnend, in der
Musik durchsetzen können — und bei den Frauen!
Die Bronzeüiren von San Zeno
Verona ist die erste Stadt, die der Deutsche
auf italienischem Boden betritt, und ihre Er-
scheinung ist zugleich voll der intensivsten Prägung
des Italienischen. Kommt man auf den schönen
weit gedehnteil Platz, oberhalb der Etsch — einen
freilich seltsam umgeformten Platz — so steht man
vor der ältesten Kirche der Stadt, San Zeno; und
der Eindruck wird zwiespältig. Das Romanische
dieses schönen und edlen Baues besitzt nichts von
der Klassizität des Doms
Vorbilder, Wohl aus einem Miniaturenbuch, Vor-
lagen. Deil Spanier als Anreger inhaltlicher
Motive zugegeben (man weiß, wie weit Bildmotive
im Mittelalter gereist sind): den Italiener mögen
wir ihm nicht glauben.
Denn auch nach den genauesten Untersuchungen
hat sich kein Vorbild, kein Vorläufer südlich der
Alpen auffinden lassen; was an stilistischen Ähn-
lichkeiten in Oberitalien existiert, liegt später und
zu Pisa oder gar von
San Miniato bei Flo-
renz, das in seiner aus-
gewogenen Klarheit schon
ganz wie ein Renais-
sancebau anmutet. In
San Zeno spricht der
ernstere Stil der Lom-
bardei, in dem noch man-
ches von der kubischen
Wucht des Romanischen
nn Norden der Alpen
steckt; Erbteil wahrschein-
lich des Germanenbluts,
das hier durch die Lango-
barden ins Volk gedrun-
gen war, oder mindestens
versteckte Neigung zum
blutsverwandten Norden.
Man kann daraus
allerdings niemals eine
Abhängigkeit der lombar-
dischen Baukunst von der
deutschen konstruieren.
Historisch ist Oberitalien
im 11. und 12. Jahrhun-
dert eher der Gebende
oder Südfranzösisches ver-
mittelnde Part gewesen.
In der Bildnerkunst kehrt
sich das Verhältnis aller-
dings um. Das Erste,
das . sich beim näheren
Betrachten an San Zeno
dem Herantretenden dar-
Vcrona S. Zeno, Vronzetür linker Flügel
Photo: Kunstgcschichtliches Seminar Marburg
bietet, sind die Erztüren des Hauptportals; ganz
offenbar aus zwei verschiedenen Zeiten: und die
älteren ihrer Reliefs, aus dem 11. Jahrhundert,
sind so erstaunlich in der grandiosen Einfalt ihres
srühreomanischen Stils, daß man sie nicht ans
südlichem Boden zu finden erwartete, und daß
sehr viele und selbst italienische Forscher sie für
deutschen Ursprungs gehalten haben.
Mart muß die beiden Türflügel streng ausein-
anderhalten; ja auch innerhalb ihrer Anordnung
ist Älteres und Neueres (aus dem 12. Jahr-
hundert) beiderseitig durcheiuandergeworfen; eine
wunderliche und unaufgeklärte Verwirrung, in die
A. Böckler in seinem ausgezeichneten Werk über
die Türen von Sait Zeno versucht hat Licht zu
bringen. Nur die älteren sollen uns beschäftigen;
nur bei ihnen erhält das Rätselhafte der Herkunft
und des Stils jenen hohen Grad von allgemeinem
Interesse, den absolute Qualität und die schein-
bare Erschaffung aus dem Nichts Kunstwerken
verleiht.
Geschichtliche Fragen gehören bei so alten
Kulturdokumenten uneingestandenermaßen in den
Zusammenhang der Kunst. Es ist uns, die wir so
altertümlich-rohen Sachen ihre Ehre und Schön-
heit wiedergegeben haben, die wir die alten Teile
der San Zeno-Türen zu den großartigen
Schöpfungen der Kunst, nicht nur der romanischen,
zählen, gleichwohl nicht möglich, sie ohne Frage
nach dem Woher zu betrachten und zu genießen.
Und diese Frage muß bereinigt werden, bevor man
sich ihrem künstlerischen Zauber hingibt. Es ist
nicht gleichgültig, ob man sie einem deutschen oder
einem italienischen Meister oder gar einem
Spanier zuweist; je nach dem Glauben an die eine
oder andere Nationalität scheinen sie ihr Gesicht zu
wechseln: wir kommen nicht darüber hinweg.
Böckler, der letzte und sorgsamste Bearbeiter dieser
Frage, hat sie mit Entschiedenheit einem Künstler
aus Verona gegeben, dem interessante spanische
scheidet eben darum aus, weil seine Abhängigkeit
von San Zeno offenbar ist.
Hier entscheidet also nur eines: das Persönliche
Gefühl. Angesichts der gewaltigen Simplizität
und Ausdruckskraft der Tafeln von San Zeno
sagt es uns, kunsthistorisch gesprochen: diese ge-
hören jedenfalls nicht zu den zeitverwandten
Bronzetüren von Benevent mit ihrer südländischen
Wendigkeit in der Körperbeherrschung, sondern zu
der geistverwandten hohen Barbarei der berühmten
Domtüren von Hildesheim.
Wir können nichts Sicheres darüber behaupten,
wie weit die Hildesheimer Gießhütte noch an den,
im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts ent-
standenen Reliefs von San Zeno beteiligt ge-
wesen sein mag; aber daß der Künstler ein Mann
gewesen ist, der germanisches Blut und nordisches
Empfinden besaß: dies allerdings scheint uns aus
der Art der alten Tafeln unzweideutig zu schließen.
Vielleicht war er ein Deutscher, der aus Hildes-
heimer oder rheinischen Gießhütten nach Verona
kam; vielleicht war er ein Mann langobardischen
Bluts aus Oberitalien, der sich mit nordischem
Geist auch noch durch eigene Anschauung erfüllt
hatte. Diese Nuancen sind nicht so wichtig wie
die Überzeugung von der Größe und Einzigartig-
keit seines Stils, der als Schöpfung eines Genies
immer etwas Unerklärbares, aus irrationalen
Tiefen Steigendes besitzt; vollends in so dunklen,
von Nachrichten entblößten Zeiten wie dem
11. Jahrhundert.
Solch ein Werk aus der ersten Jugend bilden-
der Kunst sind die Reliefs, die von der ursprüng-
lichen Tür San Zeno bruchstückhaft auf uns ge-
kommen sind. Nichts kann sich an altertümlicher
Kraft mit ihnen vergleichen als die Türen von
Hildesheim und die holzgeschnitzten Torflügel von
Sankt Marien im Kapitol zu Köln, die an dar-
stellerischer und psychologischer Tiefe jenen Wohl
noch überlegen sind. Auch die späteren, dem
12. Jahrhundert entstammenden Ergänzungen an
San Zeno erscheinen, wie alle andern, kultivierter,
oder sagen wir plausibler und artiger in Kompo-
sition und Körperbildung. Dieser Bildhauer ver-
lieht die Flächen mit dekorativen: Geschick zu füllen
und mit erlebten Bewegungen zu beleben; hier ist
es mehr als wahrscheinlich, daß einheimische
Künstler am Werk waren. Man vergleicht ihn
eher mit dem von Benevent und findet, daß etwas
von dem maßgebundenen Entzücken, das uns vor
den schönen Tafeln des Andrea Pisano am Floren-
tiner Campanile ergreift, schon diesen oft be-
zaubernden, aber weniger gesühlsbeschwerten
Reliefs zuzuerkennen ist.
In dem älteren Flügel aus dem 11. Jahr-
hundert ist alles anders und von einer barbarischen
Graßheit erfüllt. Das Symbolhaft-Andeutende
eines Frühstils, wie es in den Hildesheimer Türen
sich unvergeßlich ausprägt, spricht auch in diesen
Szenen der Genesis und der Passion Christi. Nur
das Allgemeinste der Gestalt ist herausgebracht,
nur eben so viel, wie der Illustrator brauchte, um
seinen Gestalten Bewegung, ausholende Gestus
und einen körperlichen Ausdruck seelischer Regung
quemen möchte; wie der barbarische Pflug von
der Frau gezogen wird, letztes Gedenken einer
ganz roheu Gesellschaftsbildung; wie beim Abend-
mahl Judas isoliert und nicht zugehörig vor dem
Tische steht, hinter dem Christus mit den Jüngern
in einer Reihe sitzt, und so fast bei jedem Bild-
felde. Dieser Künstler fühlt ganz volkstümlich, er
redet deutlich und laut wie ein schauspielendes
Kind, und wenn er nur das Dringendste gibt, so
steckt doch darin jedesmal die Größe und Not-
wendigkeit des geschilderten Vorgangs. Solche
Eindeutigkeit und Drastik des dramatischen Ge-
schehens mußte und durfte er mit der Klotzigkeit
der Form erkaufen, die uns zuerst so verwirrt, wie
das Glotzen von Negerskulpturen. Aber seine Ein-
falt wird uns bald vertraut und erscheint groß
und eindrucksvoll gerade neben der soviel glätteren
Gekonntheit der Reliefs auf dem rechten Türflügel.
Es ist sicher nicht bloß Freude an der Naivität
und dem Unschuldig-Ursprünglichen, die uns diese
Szenen mit Beglückung betrachten läßt. Das Er-
lebnis liegt tiefer, es ist das weite und tiefe Her-
aufholen des schöpferischen Aktes aus dunkeln
zu geben. Der Hildes-
heimer suchte wenigstens
noch die Gliedmaßen zu
lebhaftester Mimik oder
Beschäftigung röhrenhaft
freizuhalten; der in Ve-
rona hüllt sie in grob-
schlächtige Säcke, und bei
seinem Adamspaar ist
man im Ungewissen, ob
sie überhaupt Akte sein
sollen. Die Verteilung
der Figuren im Bildfelde
geschieht noch willkürlicher
und raumloser als in
Hildesheim; dafür ist
ihre Isolierung nicht so
stark wie dort. Aber das
plastische wie das geistige
Vermögen der Künstler
ist verwandt.
Wie eigentümlich ist
das Verhältnis des Bild-
hauers zu seinem Stoff
und zu seinem Hand-
werk! Das ungefüge Wal-
ten einer Phantasie, die
sich alle Szenen neu und
möglichst einfach und
volksverständlich aus-
denken mußte, lähmt die
technische Schwungkraft
und macht die Bilder ur-
tümlich bis zur Roheit.
ES ist aber eine schöpfe-
rische, zuknnftsträchtige
Bcrona S. Zeno, Bronzetür linker Flügel
Photo: Kunstgeschichtliches Seminar Marburg
Roheit und von der
ersten Frische erwachender Völkerjugend. Dies ist
das Neue, das uns heute noch überraschend an-
fällt mit seinen illustrativen Ideen; wie der Engel
das schuldige Paar eigenhändig aus dem Paradiese
sauebt und dieses so gar nicht sich zum Abzüge be--
Gründen der germanischen Bildfreudigkeit, das
uns hier so ergreifend anrührt, und die Größe
einer männlichen Seele, die alle Dinge noch ganz
einfach und eben aus der Hand des Schöpfers ge-
kommen sieht. k*. kaut
Steiner-Sendling
Steiner kam 1919 nach Berlin, aus der Lehre
Angelo Janks in München; daß ihn diese Schu-
lung innerlich vielleicht eher gefördert als auf-
gehalten hat, erweist seine Entwicklung in der
Reichshauptstadt, die noch jedem Flüchtling von
der Isar gut bekommen ist. Er brachte sein baye-
risches Erbgut malerischen Barocks und eine streng
in Obhut genommene Phantasie mit und ging
daran, sie allmählich mit Stetigkeit zu entwickeln.
Heute gehört der 1899 in dem Münchner Vorort
Sendling Geborene zu der Generation der Fünf-
nnddreißigjährigen, auf der die Verantwortung
künstlerischer Zukunft liegt; man denkt neben ihn
z. B. an den Düsseldorfer Gilles, den Berliner
Werner Scholz, den Dresdner Kriegel, die auf
schäften, den einzigen Bildern, die er vor der Wirk-
lichkeit malt. Man möchte allerdings eher die
Akte für Naturdarstellungen halten als diese
Wald-, Berg- und Stadtrandlandschaften, in denen
das Vorbild stärker zurechtgerückt erscheint als in
jenen. Steiners Phantasie besorgt ihre Umfor-
mung ins Dringliche und Ausdrucksstarke schon
vor der Natur; es werden immer Landschaften, die
die wesentliche Essenz von Wald, Stadtrand, Fels-
gebirge enthalten und sich uns durch ihre eigen-
mächtige Linie oder Farbe, seltener durch beides
zugleich einprägen. Aber schon, daß seine Einbil-
dungskraft sich dieser beiden entgegengesetzten
Mittel mit gleich starker Kraft bedient, weist nns
verschiedenen Wegen das
neue Ziel zu ertasten
suchen.
An der Art, wie Stei-
ner seine Konzeptionen
ausführt, erkennt man
schon die Besonderheit
und das deutsche WesenS-
fundament dieser Kunst.
Da stehen ein paar le-
bensgroße Akte, aufs sorg-
fältigste in ihrer plasti-
schen Oberfläche und auf
den Sonderfall hin durch-
geführt. Niemals hat
Steiner dazu ein Modell
benutzt; es gab eine Stu-
dienzeit, in der er uner-
müdlich Hunderte von
Akten nach dem Leben ge-
zeichnet hat; die bis in
die Einzelheiten die
scheinbare Naturwieder-
gabe bestimmt. Das Ver-
fahren ist bei den phan-
tasievollsten Erfindungen
nicht anders als hier:
Steiner trägt seine Bil-
der lang im Kopf herum,
läßt sie innerlich reifen,
und erst dann, wenn sie
auskristallisiert sind, geht
er rasch vor die Lein-
wand und malt sie aus-
wendig hin.
Daß ihm das aus-
schließliche Schaffen aus
der Phantasie zu so reali-
stischen Dingen führt wie
lebensgroßen Aktstudien,
ist verwunderlich; sie sind
allerdings merkwürdig
und beinahe unheimlich,
und diese Eigenschaft
teilen sie mit den Land-
Joses Steiner-Sendling, Landschaft bei München. 1S28 Photo: Werner Köhler, Berlin
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Karl Hoscr, Tessiner Landschaft
Photo: Schuch, Berlin
bewältigen müssen um jeden Preis, dessen sie fähig
sind, die im Vitalen und Geistigen und in jedem
denkbaren Schaffensprozeß ihren Mann zu stehen
haben bis zum letzten Atemzug, wird sich ab-
weudeu, weuu es in der höchsten Gestaltung des
Grotesken einmal die wahrhaft verlorene
Tragik, die so leicht ins Dasein hereinbricht, erlebt
hat, obgleich es denen, die durch ihr Schicksal auf
die Gegenseite gezwungen wurden, sein Mit-
gefühl kaum wird versagen dürfen. Am wenigsten
hat sich die Groteske, das ist so bezeichnend, in der
Musik durchsetzen können — und bei den Frauen!
Die Bronzeüiren von San Zeno
Verona ist die erste Stadt, die der Deutsche
auf italienischem Boden betritt, und ihre Er-
scheinung ist zugleich voll der intensivsten Prägung
des Italienischen. Kommt man auf den schönen
weit gedehnteil Platz, oberhalb der Etsch — einen
freilich seltsam umgeformten Platz — so steht man
vor der ältesten Kirche der Stadt, San Zeno; und
der Eindruck wird zwiespältig. Das Romanische
dieses schönen und edlen Baues besitzt nichts von
der Klassizität des Doms
Vorbilder, Wohl aus einem Miniaturenbuch, Vor-
lagen. Deil Spanier als Anreger inhaltlicher
Motive zugegeben (man weiß, wie weit Bildmotive
im Mittelalter gereist sind): den Italiener mögen
wir ihm nicht glauben.
Denn auch nach den genauesten Untersuchungen
hat sich kein Vorbild, kein Vorläufer südlich der
Alpen auffinden lassen; was an stilistischen Ähn-
lichkeiten in Oberitalien existiert, liegt später und
zu Pisa oder gar von
San Miniato bei Flo-
renz, das in seiner aus-
gewogenen Klarheit schon
ganz wie ein Renais-
sancebau anmutet. In
San Zeno spricht der
ernstere Stil der Lom-
bardei, in dem noch man-
ches von der kubischen
Wucht des Romanischen
nn Norden der Alpen
steckt; Erbteil wahrschein-
lich des Germanenbluts,
das hier durch die Lango-
barden ins Volk gedrun-
gen war, oder mindestens
versteckte Neigung zum
blutsverwandten Norden.
Man kann daraus
allerdings niemals eine
Abhängigkeit der lombar-
dischen Baukunst von der
deutschen konstruieren.
Historisch ist Oberitalien
im 11. und 12. Jahrhun-
dert eher der Gebende
oder Südfranzösisches ver-
mittelnde Part gewesen.
In der Bildnerkunst kehrt
sich das Verhältnis aller-
dings um. Das Erste,
das . sich beim näheren
Betrachten an San Zeno
dem Herantretenden dar-
Vcrona S. Zeno, Vronzetür linker Flügel
Photo: Kunstgcschichtliches Seminar Marburg
bietet, sind die Erztüren des Hauptportals; ganz
offenbar aus zwei verschiedenen Zeiten: und die
älteren ihrer Reliefs, aus dem 11. Jahrhundert,
sind so erstaunlich in der grandiosen Einfalt ihres
srühreomanischen Stils, daß man sie nicht ans
südlichem Boden zu finden erwartete, und daß
sehr viele und selbst italienische Forscher sie für
deutschen Ursprungs gehalten haben.
Mart muß die beiden Türflügel streng ausein-
anderhalten; ja auch innerhalb ihrer Anordnung
ist Älteres und Neueres (aus dem 12. Jahr-
hundert) beiderseitig durcheiuandergeworfen; eine
wunderliche und unaufgeklärte Verwirrung, in die
A. Böckler in seinem ausgezeichneten Werk über
die Türen von Sait Zeno versucht hat Licht zu
bringen. Nur die älteren sollen uns beschäftigen;
nur bei ihnen erhält das Rätselhafte der Herkunft
und des Stils jenen hohen Grad von allgemeinem
Interesse, den absolute Qualität und die schein-
bare Erschaffung aus dem Nichts Kunstwerken
verleiht.
Geschichtliche Fragen gehören bei so alten
Kulturdokumenten uneingestandenermaßen in den
Zusammenhang der Kunst. Es ist uns, die wir so
altertümlich-rohen Sachen ihre Ehre und Schön-
heit wiedergegeben haben, die wir die alten Teile
der San Zeno-Türen zu den großartigen
Schöpfungen der Kunst, nicht nur der romanischen,
zählen, gleichwohl nicht möglich, sie ohne Frage
nach dem Woher zu betrachten und zu genießen.
Und diese Frage muß bereinigt werden, bevor man
sich ihrem künstlerischen Zauber hingibt. Es ist
nicht gleichgültig, ob man sie einem deutschen oder
einem italienischen Meister oder gar einem
Spanier zuweist; je nach dem Glauben an die eine
oder andere Nationalität scheinen sie ihr Gesicht zu
wechseln: wir kommen nicht darüber hinweg.
Böckler, der letzte und sorgsamste Bearbeiter dieser
Frage, hat sie mit Entschiedenheit einem Künstler
aus Verona gegeben, dem interessante spanische
scheidet eben darum aus, weil seine Abhängigkeit
von San Zeno offenbar ist.
Hier entscheidet also nur eines: das Persönliche
Gefühl. Angesichts der gewaltigen Simplizität
und Ausdruckskraft der Tafeln von San Zeno
sagt es uns, kunsthistorisch gesprochen: diese ge-
hören jedenfalls nicht zu den zeitverwandten
Bronzetüren von Benevent mit ihrer südländischen
Wendigkeit in der Körperbeherrschung, sondern zu
der geistverwandten hohen Barbarei der berühmten
Domtüren von Hildesheim.
Wir können nichts Sicheres darüber behaupten,
wie weit die Hildesheimer Gießhütte noch an den,
im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts ent-
standenen Reliefs von San Zeno beteiligt ge-
wesen sein mag; aber daß der Künstler ein Mann
gewesen ist, der germanisches Blut und nordisches
Empfinden besaß: dies allerdings scheint uns aus
der Art der alten Tafeln unzweideutig zu schließen.
Vielleicht war er ein Deutscher, der aus Hildes-
heimer oder rheinischen Gießhütten nach Verona
kam; vielleicht war er ein Mann langobardischen
Bluts aus Oberitalien, der sich mit nordischem
Geist auch noch durch eigene Anschauung erfüllt
hatte. Diese Nuancen sind nicht so wichtig wie
die Überzeugung von der Größe und Einzigartig-
keit seines Stils, der als Schöpfung eines Genies
immer etwas Unerklärbares, aus irrationalen
Tiefen Steigendes besitzt; vollends in so dunklen,
von Nachrichten entblößten Zeiten wie dem
11. Jahrhundert.
Solch ein Werk aus der ersten Jugend bilden-
der Kunst sind die Reliefs, die von der ursprüng-
lichen Tür San Zeno bruchstückhaft auf uns ge-
kommen sind. Nichts kann sich an altertümlicher
Kraft mit ihnen vergleichen als die Türen von
Hildesheim und die holzgeschnitzten Torflügel von
Sankt Marien im Kapitol zu Köln, die an dar-
stellerischer und psychologischer Tiefe jenen Wohl
noch überlegen sind. Auch die späteren, dem
12. Jahrhundert entstammenden Ergänzungen an
San Zeno erscheinen, wie alle andern, kultivierter,
oder sagen wir plausibler und artiger in Kompo-
sition und Körperbildung. Dieser Bildhauer ver-
lieht die Flächen mit dekorativen: Geschick zu füllen
und mit erlebten Bewegungen zu beleben; hier ist
es mehr als wahrscheinlich, daß einheimische
Künstler am Werk waren. Man vergleicht ihn
eher mit dem von Benevent und findet, daß etwas
von dem maßgebundenen Entzücken, das uns vor
den schönen Tafeln des Andrea Pisano am Floren-
tiner Campanile ergreift, schon diesen oft be-
zaubernden, aber weniger gesühlsbeschwerten
Reliefs zuzuerkennen ist.
In dem älteren Flügel aus dem 11. Jahr-
hundert ist alles anders und von einer barbarischen
Graßheit erfüllt. Das Symbolhaft-Andeutende
eines Frühstils, wie es in den Hildesheimer Türen
sich unvergeßlich ausprägt, spricht auch in diesen
Szenen der Genesis und der Passion Christi. Nur
das Allgemeinste der Gestalt ist herausgebracht,
nur eben so viel, wie der Illustrator brauchte, um
seinen Gestalten Bewegung, ausholende Gestus
und einen körperlichen Ausdruck seelischer Regung
quemen möchte; wie der barbarische Pflug von
der Frau gezogen wird, letztes Gedenken einer
ganz roheu Gesellschaftsbildung; wie beim Abend-
mahl Judas isoliert und nicht zugehörig vor dem
Tische steht, hinter dem Christus mit den Jüngern
in einer Reihe sitzt, und so fast bei jedem Bild-
felde. Dieser Künstler fühlt ganz volkstümlich, er
redet deutlich und laut wie ein schauspielendes
Kind, und wenn er nur das Dringendste gibt, so
steckt doch darin jedesmal die Größe und Not-
wendigkeit des geschilderten Vorgangs. Solche
Eindeutigkeit und Drastik des dramatischen Ge-
schehens mußte und durfte er mit der Klotzigkeit
der Form erkaufen, die uns zuerst so verwirrt, wie
das Glotzen von Negerskulpturen. Aber seine Ein-
falt wird uns bald vertraut und erscheint groß
und eindrucksvoll gerade neben der soviel glätteren
Gekonntheit der Reliefs auf dem rechten Türflügel.
Es ist sicher nicht bloß Freude an der Naivität
und dem Unschuldig-Ursprünglichen, die uns diese
Szenen mit Beglückung betrachten läßt. Das Er-
lebnis liegt tiefer, es ist das weite und tiefe Her-
aufholen des schöpferischen Aktes aus dunkeln
zu geben. Der Hildes-
heimer suchte wenigstens
noch die Gliedmaßen zu
lebhaftester Mimik oder
Beschäftigung röhrenhaft
freizuhalten; der in Ve-
rona hüllt sie in grob-
schlächtige Säcke, und bei
seinem Adamspaar ist
man im Ungewissen, ob
sie überhaupt Akte sein
sollen. Die Verteilung
der Figuren im Bildfelde
geschieht noch willkürlicher
und raumloser als in
Hildesheim; dafür ist
ihre Isolierung nicht so
stark wie dort. Aber das
plastische wie das geistige
Vermögen der Künstler
ist verwandt.
Wie eigentümlich ist
das Verhältnis des Bild-
hauers zu seinem Stoff
und zu seinem Hand-
werk! Das ungefüge Wal-
ten einer Phantasie, die
sich alle Szenen neu und
möglichst einfach und
volksverständlich aus-
denken mußte, lähmt die
technische Schwungkraft
und macht die Bilder ur-
tümlich bis zur Roheit.
ES ist aber eine schöpfe-
rische, zuknnftsträchtige
Bcrona S. Zeno, Bronzetür linker Flügel
Photo: Kunstgeschichtliches Seminar Marburg
Roheit und von der
ersten Frische erwachender Völkerjugend. Dies ist
das Neue, das uns heute noch überraschend an-
fällt mit seinen illustrativen Ideen; wie der Engel
das schuldige Paar eigenhändig aus dem Paradiese
sauebt und dieses so gar nicht sich zum Abzüge be--
Gründen der germanischen Bildfreudigkeit, das
uns hier so ergreifend anrührt, und die Größe
einer männlichen Seele, die alle Dinge noch ganz
einfach und eben aus der Hand des Schöpfers ge-
kommen sieht. k*. kaut
Steiner-Sendling
Steiner kam 1919 nach Berlin, aus der Lehre
Angelo Janks in München; daß ihn diese Schu-
lung innerlich vielleicht eher gefördert als auf-
gehalten hat, erweist seine Entwicklung in der
Reichshauptstadt, die noch jedem Flüchtling von
der Isar gut bekommen ist. Er brachte sein baye-
risches Erbgut malerischen Barocks und eine streng
in Obhut genommene Phantasie mit und ging
daran, sie allmählich mit Stetigkeit zu entwickeln.
Heute gehört der 1899 in dem Münchner Vorort
Sendling Geborene zu der Generation der Fünf-
nnddreißigjährigen, auf der die Verantwortung
künstlerischer Zukunft liegt; man denkt neben ihn
z. B. an den Düsseldorfer Gilles, den Berliner
Werner Scholz, den Dresdner Kriegel, die auf
schäften, den einzigen Bildern, die er vor der Wirk-
lichkeit malt. Man möchte allerdings eher die
Akte für Naturdarstellungen halten als diese
Wald-, Berg- und Stadtrandlandschaften, in denen
das Vorbild stärker zurechtgerückt erscheint als in
jenen. Steiners Phantasie besorgt ihre Umfor-
mung ins Dringliche und Ausdrucksstarke schon
vor der Natur; es werden immer Landschaften, die
die wesentliche Essenz von Wald, Stadtrand, Fels-
gebirge enthalten und sich uns durch ihre eigen-
mächtige Linie oder Farbe, seltener durch beides
zugleich einprägen. Aber schon, daß seine Einbil-
dungskraft sich dieser beiden entgegengesetzten
Mittel mit gleich starker Kraft bedient, weist nns
verschiedenen Wegen das
neue Ziel zu ertasten
suchen.
An der Art, wie Stei-
ner seine Konzeptionen
ausführt, erkennt man
schon die Besonderheit
und das deutsche WesenS-
fundament dieser Kunst.
Da stehen ein paar le-
bensgroße Akte, aufs sorg-
fältigste in ihrer plasti-
schen Oberfläche und auf
den Sonderfall hin durch-
geführt. Niemals hat
Steiner dazu ein Modell
benutzt; es gab eine Stu-
dienzeit, in der er uner-
müdlich Hunderte von
Akten nach dem Leben ge-
zeichnet hat; die bis in
die Einzelheiten die
scheinbare Naturwieder-
gabe bestimmt. Das Ver-
fahren ist bei den phan-
tasievollsten Erfindungen
nicht anders als hier:
Steiner trägt seine Bil-
der lang im Kopf herum,
läßt sie innerlich reifen,
und erst dann, wenn sie
auskristallisiert sind, geht
er rasch vor die Lein-
wand und malt sie aus-
wendig hin.
Daß ihm das aus-
schließliche Schaffen aus
der Phantasie zu so reali-
stischen Dingen führt wie
lebensgroßen Aktstudien,
ist verwunderlich; sie sind
allerdings merkwürdig
und beinahe unheimlich,
und diese Eigenschaft
teilen sie mit den Land-
Joses Steiner-Sendling, Landschaft bei München. 1S28 Photo: Werner Köhler, Berlin