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Kunst der Nation — 2.1934

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Klopfer, Paul: Architekturgeschichte oder Architekturwissenschaft?
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Eckstein, Hans: Karl Knappe: zum Thema Plastik und moderne Architektur
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Nr. 23 Zweiter Jahrgang

Verlag Kunst der Nation G. m. b. Ä., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz- und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W50, Tauentzienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Erste Dezember-Nr., 1 -34


Karl Knappe, Mahnmal München

Karl Knappe

Hjiema kla8tik unä moäerne ^relritelitur

Bon Hans Eckstein

ihren Volksgenossen nahebringen!
unsere künftigen Architekten! Sie
Werken lernen zu erkenneu, was

Werke. Zunächst hauptsächlich Glasgemälde
für kleine Kriegergedächtniskapellen, Dorfkirchen,
größere Bildfenfter für die Münchner Gewerbe-
schau 1922 und für eine Hamburger Kirche 1928.
„Den Plastiker hat diese Arbeit nicht geschädigt,
sondern gefördert, galt es doch, im schlagenden
Umriß Bewegung, Haltung, Empfindung ergriffe-
ner Gestalten zusammenzureißen. Das verfloch-
tene Jneinanderwirken der Farben, die dynami-
schen Ausdruckskräfte des Matten und Glühenden,
des Lichten und des Dunklen, des sanften Fliehens
und des feurigen Brennens galt es zu einer
Schrift aus dem Wesen der Dinge zu fügen."
(Fischer.)
Knappes Plastik ist zum größten Teile eine
moderne Architekturplaftik, d. h. eine aus der
Wand heraus empfundene, aus dem Bau erwach-
sene Plastik. Knappe geht hier eigene, neue Wege.
Die Figur wird der Wand eingegraben, nicht in
der Art der klassischen und barocken Bauplastik der
Wand, sie, wie die Lisenen, Gesimse usw., unter-
teilend und gliedernd, auf- oder vorgesetzt. Damit
hat Knappe eine Brücke zur modernen
Architektur geschlagen, die der nackten Wand
eine bedeutende ästhetische Funktion zuerkennt und

Worten gleich daneben aus und gewann mir auf
diese Weise eine solche innere Gegenwart von der-
gleichen Ansichten, daß eine jede Lokalität, wie ich
sie nachher in Gedicht oder Erzählung nur etwa
brauchen mochte, mir alsobald vorschwebte und zu
Gebote stand."
Für die Malerei und die Plastik, wie auch
für die tönenden Künste ist der Begriff „Natur"
leicht zu verstehen — nicht so für die Baukunst,
die in ihr nicht das unmittelbare Vorbild sieht —
dennoch besteht zwischen ihr und der Natur kein

grundsätzlicher Gegensatz: die schöpferische Produk-
tivität des Menschen entwickelt sich in und ans der
Produktivität der Natur. Und wieder ist es Goethe,
der sagt: „Die höchsten Kunstwerke werden zugleich
als die höchsten Naturwerke vom Menschen nach
wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht."
Diese Gesetze müssen wir kennen, wenn wir die
Werke kennen und verstehen lernen wollen. Die
Natur, der die Baukunst zu gehorchen hat, ist die
Natur des Menschen in seiner gesellschaftlichen
Form — also müssen wir den Geist jener Zeiten,
die die Bauwerke entstehen ließen, zu erkennen
trachten, dann können wir auch ihre Formen ver-
stehen. Denn — mn nur ein kleines Beispiel zu
bringen: — warum sind die Portalverdachungen
eines Barockschlosses so gekrümmt und geschweift?
Nur darum, weil die Spannkraft der damaligen
Zeit sie so formte! Müssen wir diese Zeit kennen?
Ihre Männer, ihre Baumeister? Ihre Bau-
herren? Nein. Ob da ein Abt Knüttel in Schön-
born gelebt hat oder ob die eine Kirche ein Neu-
mann, die andere ein Dientzenhofer erbaut hat,
das sagt uns nichts — wichtig ist nur, daß wir die
„Natur", das ist auf den Menschen bezogen das
„Ethos" der betreffenden Zeit, gefühlsmäßig
erfassen können. Daß wir zum Beispiel vor einem
Kubus mit dorischen Säulen, so, wie ihn die
Schinkclsche Wache zeigt, mit Ernst erfüllt werden,
daß wir vor den himmelstrebenden Türmen und
Spitzen eines gotischen Domes die Sehnsucht des
Volkes nach Befreiung aus den Fesseln des Irdi-
schen lesen, und daß wir freudig staunen, wenn
wir im Barockschloß die ovalen Säle und die
Schweifungen der Baumassen erblicken. Wenn im
Volke dieses Fühlenkönnen vorbereitet wird, dann
ist schon viel getan; und das ist möglich, sofern an
jeder Schule die Werke unserer Kunst — und nicht
zuletzt der Baukunst — in Bildern gezeigt und auf

an den Gütern un-
die Kunst ihm ge-
alle Volksgenossen
da nie die Rede
diese Anteilnahme
dem Wege eines

schürfen: sie sollen ja später einmal das Schöne
und die Kunst
Und vor allem
sollen aus den

ihre Schönheit und ihre „Natur" hin erklärt
werden.
Unsere Studierenden an den Universitäten und
Technischen Hochschulen haben natürlich tiefer zu

Keiu öffentliches Institut, keine Kunsthand-
lung, kein Künstlerverband hat den fünfzigsten Ge-
burtstag Karl Knappes wahrgenommen, um
der Öffentlichkeit einen Überblick über das Schaf-
fen dieses eigenartigen Bildhauers zu geben, der
einer neuen Plastischen Form und für eine neue
Bindung der Plastik an die Architektur kühn den
Weg geöffnet hat. Die Abbildungen geben einen
Hinweis auf das allein schon durch die Problem-
stellung bemerkenswerte Werk Knappes. Wir be-
schränken uns im übrigen auf einige kurze Er-
läuterungen und verweisen auf die Darstellung,
die O t t o F i s ch e r , der Leiter der Basler Kunst-
sammlungen, von Entwicklung, Zielen und Werk
Knappes gegeben hat (Otto Fischer, Karl Knappe,
Augsburg 1929, mit Abb.).
Biographisches: Karl Knappe wurde 1884 in
Kempten im Allgäu geboren. Besuch der Gewerbe-
schule und Akademie in München 1904—1909.
Kurze Zeit, bis 1933, war er an der Technischen
Hochschule in München Lehrer für Plastik und
Zeichnen.
Was Knappe vor dem Kriege schuf, bewegte sich
mehr oder weniger in den Bahnen des Herkömm-
lichen. Von 1919 ab entstanden die entscheidenden

Cornelius Gurlitt schrieb vor etwa 45 Jahren
(„Gegenwart" von 1891) in einem Aufsatz „Die
Kunstgeschichte an unserer Hochschule":
„Nicht Kunstgeschichte will und soll jeder Ge-
bildete in der Nation verstehen lernen, sondern:
Kunst! Das ist ein himmelweiter Unterschied!
Viele empfinden vor den Kunstwerken, daß sie
nicht zu ihnen sprechen, und wollen die Wege ken-
nen lernen, überhaupt die Sprache der Kunst zn
verstehen. Die wissenschaftliche Unterscheidung
zwischen Meistern und Schülern ... ist ihnen mit
Recht sehr gleichgültig.
Ob ein Werk von 'Wohl- n
gemuth oder von Dürer
sei, ist ja überhaupt, !
außer für den Fach-
gelehrten, eine sehr
nebensächlichn Frage je-
ner gegenüber, ob dieses
Werk als schön vom Be-
schauer empfunden wird
oder nicht."
Weiter spricht Gurlitt
davon, daß die Knziae
zuvücnlOtge vuckeclage !
des Kunstverständnisses !
das Naturverständ- !
nis sei, welches man
nicht in der Anatomie,
sondern nur in Feld und
Flur vor dem lebendi-
gen Menschen sich an-
eignet. „Die Nation hat
ein sehr bescheidenes In-
teresse daran, ob es eine
größere oder kleinere
Zahl von kunstgeschicht-
lich gebildeten Männern
gibt, und wo diese ge-
bildet werden, an Schu-
len oder Museen. Ihr
Wunsch ist aber, daß
womöglich jeder Deut-
sche im Kunstwerk die
Natur sehen und dadurch
vor dem Kunstwerk
Freude empfinden lerne."
Diese jugendlich-leben-
digen Zeilen sollen heute
wieder auferstehen, wo
das Interesse der Nation
wirklich den: Gedanken
und Wunsche Gurlitts
entspricht: daß nämlich <
seres Vaterlandes, welche
geben hat, alle, aber auch
teilhaben möchten. Und
davon sein kann, daß
oder Teilhaberschaft auf
Souderstudiums in der Kunstgeschichte möglich
sei, so muß um so dringender gefragt werden,
warum die Geschichte, und mehr noch, die Wissen-
schaft der Kunst immer noch nicht den Weg gefun-
den hat in die Kreise derer, die nicht an Hoch-
schulen studieren? Warum selbst diese Studieren-
den es immer noch nicht lernen, ihr Studium über
so sichtbar und greifbar schöne Wissenschaft in eine
freudenspendende Kraft zu verwandeln, und es
nicht anders aufsasscn, als daß sie daraufhin ihren
Doktor machen?
Wenn Dürer sagt: „Denn wahrhaftig steckt
die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann
reißen, der hat sie", dann gibt er das einzige Mittel
für den Weg, auf dem wir zur Kunst kommen —
aber dieses Mittel will erworben sein. Wie
kann ich denn die Kunst aus der Natur reißen —
zumal ich nicht selber Künstler bin?
Goethe, Dürers nächster Bruder im Geiste, war
kein Maler, und dennoch hat er in unermüdlichem
Fleiße sich bemüht, mit dem Stift in der Hand den
Schönheiten der Natur nachzugehen, jener Natur,
die er im Shakespeare sand und die er im Faust
gab und im Götz: und so versuchte er immer wie-
der, die ihm wichtig erscheinenden Szenerien auf
seinen Reisen festzuhalten:
„Drang und Eile nötigten mich zu einem wun-
derbaren Hilfsmittelk Kaum hatte ich einen inter-
essanten Gegenstand gefaßt und ihn mit wenigen
Strichen auf dem Papier im allgemeinen angedeu-
tet, so führte ich das Detail, das ich mit dem Blei-
stift nicht erreichen noch durchführen konnte, in

echte und was unechte Kunst ist. Zu solchem Wissen
hilft aber nicht die Kunstgeschichte, sondern die
Kunstwissenschaft! Die erste lehrt die Werke und
ihre Meister kennen, die andere lehrt erkennen, aus
welchen Ursachen das Werk entsteht und welche Be-
dingungen sind, um es zu genießen. Die eine
weist in die Vergangenheit, die andere jedoch sucht
das ewige, zeitlose Gesetz zu finden, das diesen
Werken, aus welcher Zeit auch immer, zugrunde
liegt. Und da dieses Gesetz ewig ist, so gilt es auch
für die heutige Zeit, wenngleich die ethischen
Grundlagen und Gefühlsspannungen wie auch die
sozialen Zustände andere geworden sind, und wenn
auch neue Bauaufgaben entstanden sind und alte
verschwunden. Dieses Gesetz, krast dessen wir
outzOÄHte entzieht, ist der Kern stuer
Kunstwissenschaft, die wirklich fruchtbar sein kann!
Gurlitt hat selbst ein baugeschichtliches Werk
geschrieben. Wer es liest, der wird aber freudig
erstaunt sein, wie voll es ist von „Natur", von
menschlichem Erleben und Beobachten. Gewiß
gehört zu solchem Beobachten außer einem offenen
Auge eine gehörige Portion von Wissen — es ist
das aber kein katalogisierendes Wissen, sondern
eben jenes kritische und zugleich fruchtbare: das
Wissen um das gesetzhaft Schöne in der Kunst.
Dieses muß dem Studierenden vermittelt werden:
wieso ein Bau Kunst ist und schön ist in seiner
Weise; wie die verschiedenen Zeiten ihre Bauauf-
gabe verschieden aufgesaßt haben; wie wir selbst
als Blickende und Betrachtende einen Bau erfassen
können — was die anderen Künste, voran die Pla-
stik und die Malerei, am Bauschaffen mitzuleisten
haben — solche Grundlinien des „Bauästhetischen"
sind meiner Meinung nach wichtiger als alle Bau-
geschichte.
Das Geschichtliche finden wir zur Not im Bae-
decker -— aber, wie wir ein Bauwerk in seiner
schönen wie in seiner ethischen „Natur" zu ver-
stehen haben, das muß dem Architekten als wichtig-
stes gelehrt worden sein, ehe er zum selbständigen
Schaffen entlassen wird. Denn nur dieses Ver-
stehen, und damit diese Freude, dieser Genuß —
sie werden ihm die Vitamine sein, welche in eige-
ner Nährkrast in seinem Innern schaffen und sein
Talent befähigen, im gegebenen Augenblick selber
Werke fertigzubringen, die ihrerseits in uns allen
Freude auslösen.
Und darauf kommt's doch an?



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Architekturgeschichte
oder Architekturwissenschaft?
Von
Paul Klopfer
 
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