Aunst der Nation
3
Pferd. Griechisch, 8. Iahrh. v. Chr.
schürfender Forschung den Nachweis zu erbringen,
daß der Hallesche Roland Niemanden anders dar-
stellt als den Burggrafen von Magde-
burg, den ordentlichen Richter im
Halleschen Schöffengericht, und zwar
in dem Augenblick, wie er, vor den Schöffen
stehend, mit dem entblößten aufgerichteten
Schwert bei Königsbonn Frieden gebietet. Die
Zweckbestimmung dieser ursprünglich hölzernen,
mit Farben und Gold reich verzierten, frei auf
dem Markt stehenden Richter- oder Burggrafen-
figur war demnach eine durchaus ortsgebundcne.
Sie hatte die dauernde Anwesenheit des vom Erz-
bischof von Magdeburg als Landesherrn mit dem
Gericht und vom König mit dem Bann belehnten
ordentlichen Richters im Halleschen Schöffenge-
richt zu versinnbildlichen.
Wie aus einem Spiel leicht ein Ernst wird, so
kann umgekehrt auch der Ernst zum Spiel werden.
So wurde aus dem Schlußkampf von Ronceval
das im Mittelalter so beliebte romantische
R o l a n d s s P i e l. Wir hören, daß sich die
jungen Kaufmannssöhne von Magdeburg
schon vor 1278 mit diesem Spiel vergnügten und
daß es dort noch in der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts in Übung war. Nur war in-
zwischen daraus eine offizielle Veranstaltung der
Ratsherrcn geworden. Mittelpunkt dieses Spiels
war eine als „Roland" bezeichnete bewehrte Figur.
Gerüstet, barhäuptig, ohne Schild, nur mit dem
Schwert Duvendars bewaffnet, von Holz ge-
schnitzt, um einen Zapfen drehbar, war sie das
Angriffsobjekt der Rolandsreiter.
Im Gegensatz zu der eng angewinkelten, steif-
zeremoniellen Haltung des Bremer Rolands war
der rechte Arm weit vorgestreckt, um in der
Drehung die nötige Schwung- und Schlagkraft zu
besitzen (Heldmann). Rüstung und Schwert waren
im Einklang mit dem Epos ihre einzigen Charak-
teristika. Damit war zugleich ein eigener Typ
festgelegt, den wir als den Magdeburger
Rolandstyp bezeichnen können, der sich scharf
von dem des Bremer Rolands unterscheidet. Und
als der Magdeburger Roland im Jahre 1459 von
Meister Kunz von Erfurt in Stein gehauen und
bemalt wurde, behielt er diese nun in die Tracht
der neuen Zeit umgesetzte Grundform bei, er be-
hielt sie auch weiter bei, obwohl er späterhin (nach
1492) eine andere Bedeutung bekam und als das
von Karl dem Großen selbst errichtete Wahrzeichen
der von ihm den Sachsen verliehenen Rechte und
Freiheiten im Sinne der Reichsunmittelbarkeit
betrachtet wurde (Heldmann). Genau so bildet
ihn Pomarius in seinen Chroniken der Sachsen
und Niedersachsen 1589 ab und ebenso sah er noch
aus, als er am 10. Mai 1631 von den Kaiserlichen
Truppen spurlos hinweg-
gefegt wurde.
hiuweggefegt als das
Symbol Kaiser-
licher Freiheit!
Rasch eroberte sich das
Magdeburger Rolands-
spiel die Gebiete links
und rechts der Elbe, be-
günstigt durch die allge-
meine Verehrung, deren
sich der Held von Ronce-
val zusammen mit Kaiser
Karl dem Großen in die-
sen Gegenden schon seit
dem Ende des 12. Jahr-
hunderts zu erfreuen
hatte, und groß ist die
Zahl der holzgeschnitzten
Rolandsbilder, die dort
seit dem 14. Jahrhundert
in den Bereich der ge-
schichtlichen Quellen tre-
ten. So viel wird klar:
das älteste Rolandsbild
auf deutschem Boden war
seiner ursprünglichen Be-
deutung nach eine
zum st ä d t i s ch e n I n-
ventar gehörige
SPielfigur, nach
welcher im Rahmen eines
Waffenspiels mit der
Lanze geworfen wurde.
Auch der Vorgänger des
glänzendsten und ein-
drucksvollsten aller Ro-
lande, des im Jahre 1404
errichteten Bremer
Rolandes, war nichts
weiter als eine Spiel-
figur. Er war gleichfalls
aus Holz geschnitzt und
ging im Jahre 1366 bei
einem Brande zugrunde, als sich in der Nacht vom
29. auf deu 30. Mai die Soldateska des Erz-
bischofs Albert II. durch Verrat der Stadt be-
mächtigt hatte. Doch der Bremer Steiurolaud
vom Jahre 1404 hat mit der 38 Jahre zuvor zer-
störten hölzernen Spielfigur uichts als den
bloßen Namen und die allgemeinsten Charak-
teristika gemein. Historisch betrachtet ist es etwas
vollkommen neues und künstlerisch angesehen e i n
gänzlich modernes Gebilde. Das gilt
nicht nur von der Figur als solcher, sondern auch
von dem ihr angehefteten Schild mit dem doppel-
köpfigen Adler. Klar und eindeutig ist in dessen
Umschrift ausgesprochen, daß die mit großen
Kosten hergestellte, reich ausgeführte, ursprüng-
lich farbig gefaßte und vergoldete, 9 Meter hohe,
neue Figur ein stolzes Wahrzeichen der
von Karl dem Großen und manchem
anderen Fürsten der Stadt Bremen
verliehenen „Freiheit" sein sollte. Was
war inzwischen geschehen? Eine Entwicklung vom
alten Spielroland zum neuen Säulenroland hatte
nicht stattgesunden. Nur die Erinnerung an eine
zufälligerweise gleichzeitig mit der Stadtsreiheit
uutergegangene überlebensgroße Holzfigur des
Paladins Roland war es, wie Heldmann richtig
erkannt hat, die in Bremen eine Kluft von 38
Jahren überbrückte. Aus eigener Kraft und ohne
Anlehnung an die Hanse hatte Bremen erstmalig
den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Ein in sich
gefestigtes, nach außen hin starkes und wider-
standsfähiges Gemeinwesen darstellend, sich allge-
meiner Achtung und eines hohen Ansehens er-
freuend, glaubte die Stadt ein Anrecht auf Er-
langung der vollen politischen Freiheit vom
Landesherrn, der Reichsfreiheit oder besser gesagt
der Kaiserlichen Freiheit, aber auch auf eine be-
vorrechtigte Stellung den Hansestädten Lübeck und
Hamburg gegenüber beanspruchen zu köuuen. Um
dieses mit dem Scheine des Rechtes geltend machen
zu können, bedurfte es des urkundlichen Nach-
weises des hohen Alters und der von Karl dem
Großen und dessen Nachfolgern sowie von den
Bischöfen der Stadt verliehenen bzw. verbürgten
Privilegien. Es war der Ratsherr und Dom-
baumeister Johann Hemeling, welcher Bremen
auf den ersten Höhepunkt seiner Machtstellung be-
gleitet, der, getrieben von einem unstillbaren poli-
tischen Ehrgeiz, von heißer Liebe zur Größe und
znm Ruhme seiner Vaterstadt, die hierzu als
Unterlage erforderlichen, zwar nicht historischen,
jedoch eines historischen Hintergrundes nicht ent-
behrenden Interpolationen in dem städtischen
Privilegienbuch vornehmen ließ und es auch zu
erreichen wußte, daß sich erst Lübeck, dann Ham-
burg zur Anerkennung des Vorranges Bremens
Hase. Tongefiib. Griechisch, 7. Iahrh. v. Chr.
bequemten. Alles das aber waren nur Episoden
seines großen politischen Programms, dessen be-
krönenden Abschluß die symbolhafte Errichtung
der vielleicht sogar von ihm selbst entworfenen
Rolandfigur bildete. Sie war gewissermaßen der
Repräsentant des rittermäßig gekleideten Rats-
herrn der alten kaiserfreien Stadt Bremen
(Heldmann).
Mit der Errichtung des Bremer Rolands im
Jahre 1404 beginnt eine neue Epoche in der Ge-
schichte der Rolandsbilder und damit zugleich eine
Periode glanzvollen Daseins für dieselben. Stolz
auf Alter und Vergangenheit mischte sich mit dem
Ehrgeiz des Besitzes und der Wahrnehmung be-
stimmter, für die einzelne Stadt wichtiger Vor-
rechte und Gerechtsame, deren sichtbarer Ausdruck
der Roland von nun an wurde. Nach und nach
verschwanden die hölzernen Spielrolande. Neue
Standbilder aus Stein traten an ihre Stelle. Ein
starkes Selbstbewußtsein spricht aus der nun
überhandnehmenden Rolandserrichtung. Der
Roland erhält historische Bedeutung, wird ein
Schmuckstück im Stadtbild und dient zugleich der
Versichtbarung von Rechten und Freiheiten. Zu-
nächst Symbole gerichtlicher Autonomie, werden die
Rolanddenkmale zu Sinnbildern alter, weit zu-
rückgeführter Privilegien, zu monumentalen Ver-
körperungen der Reichsfreiheit, ja schließlich der
Reichsunmittelbarkeit und. endlich geradezu zu
Stadtwahrzeichen politischer Art, zu Schutz-
patronen für das Gemeinwesen überhaupt. Mit
dein 16. Jahrhundert erstarb der Geist, der die
Rolandbilder geschaffen. Neue Denkmale wurden
nicht mehr errichtet.
Geschichte ist Rückblick in die Vergangenheit
und Wegweiser in die Zukunft. Geben uns nicht
auch diese stummen Steinriesen aus ferner Zeit,
die sich im Volke höchster Verehrung erfreuten, zu
denken? Wir haben das Glück, eine der größten
Zeiten in der Geschichte unseres Volkes zu durch-
leben. Noch nie hat es sich zu solch beispielloser
Einigkeit zusammengefunden. Noch nie ist es
einem einzelnen gelungen, in unbezwinglichem
Energiewillen ein völkisches Gemeinschastswerk
von diesen Ausmaßen zu schaffen. Erscheint es
da nicht am Platze, diesem gewaltigen Aufbruch
unserer Nation allerorten in deutschen Landen
ähnlichen sinnenfälligen Ausdruck zu geben, wie
es unsere Vorfahren in den Rolandsbildern ge-
tan haben? Unsere Künstler würden
es sicherlich begrüßen, in edlem
Wettstreit um die besten Lösungen
den Sinn unserer Zeit verewigen
zu helfen. 82
Das Tier in der bildenden Kunst
Von
Hermann Hieber
Wenn Schiller in den „Briefen über ästhetische
Erziehung" den „Spieltrieb" als die Wurzel der
Kunst bezeichnet, so folgt er damit den bürgerlich-
rationalistischen Anschauungen der Aufklärungs-
zeit. Man kann aus dem Spieltrieb ohne weiteres
den Naturalismus ableiten, der bekanntlich immer
wieder einmal den strengen Stil durchbricht. Spiel
und Nachahmung sind eng miteinander verwandt,
und dem Theatermenschen Schiller mußten solche
Gedankengänge besonders naheliegen. Hinzu kommt
eine kapitalistische Denk-
weise, nach der Kunst
Überfluß voraussetzt, ein
„fröhliches Verschwelgen
der Kräfte, die nicht zum
Leben gebraucht werden".
Kunst wäre demnach, um
es modern auszudrücken
und ohne Beschönigung,
eine Luxusangelegenheit.
Gegen diese Ästhetik, so
bestechend sie sich in der
schwungvollen Prosa des
Kantschülers liest, müßte
schon die Tatsache bedenk-
lich stimmen, daß die Pe-
rioden, die auf sie an-
wendbar sind, die realisti-
schen oder naturalisti-
schen, innerhalb der etwa
zehn Jahrtausende, die
wir in der Kunstgeschichte
überblicken, nur ver-
schwindend kurze Zwi-
schenspiele darstellen. Es
gibt eigentlich nur zwei
Perioden, die in der
Kunst diesem „Spiel-
trieb" gefrönt haben: die
Spätantike und die Re-
naissance. Sie umfassen
zusammen noch nicht tau-
send Jahre und sind le-
diglich im Abendland
nachweisbar: für Asien
überhaupt nicht.
Aber wir wollen uns
nicht in allgemeinen Be-
trachtungen ergehen, son-
dern für ein bestimmtes
Stoffgebiet aufzeigen,was
uns das Wesentliche und
Entscheidende an der
Kunst dünkt. Die Darstellung des Tieres
eignet sich für diesen Nachweis besonders gut,
weil sie, so seltsam das klingen mag, eine
größere Rolle spielt als die des Menschen. Wenig-
stens für den primitivsten Menschen — und
auf den kommt es in unserem Zusammenhänge be-
sonders an. Es geht im Leben der Menschheit ge-
nau so zu wie im Leben des Einzelmenschen: das
Kind kritzelt, ehe es sich an die Abbildung des
Menschen heranwagt, zunächst die Umrisse des
Tieres. Dieselbe Beobachtung macht man bei den
kindlichen Völkern des Altertums, dieselbe bei den
kindlichen Menschen von Ubersee: bei den Exoten.
Mit dem „Spieltrieb" läßt sich das nicht er-
klären. Es geht bei dem primitiven Künstler um
etwas ganz anderes: um die Auseinandersetzung
mit seiner Umwelt. Das Kind schwingt sich, ehe es
sich mit seinesgleichen mißt, über die vierbeinigen
Lebewesen auf, und wiederholt damit unbewußt
die Emanzipation der Urmenfchheit von der Tier-
welt. Man vergleiche damit die Tierzeichnungen
der älteren Steinzeit in den Höhlen der Dordogne
und von Altamira in Spanien, einfache Umriß-
zeichnungen, ähnlich denen unserer Kinder. Es
sind keine Naturnachahmungen aus dem Gedächt-
nis, zu denen die Langeweile verführt hat, wie
eine materialistische Betrachtungsweise zuerst glau-
ben machen wollte. Vielmehr muß man für diese
Höhlenzeichnungen genau wie für die auf den
ältesten Waffen eingeritzten Tiere nach einer tie-
feren Bedeutung suchen.
Und da kommt uns die Vorstellungswelt der
Naturvölker von heute, der Neger und Südsee-
insulaner, zu Hilfe. Für sie hat das Bild einen
mystischen Sinn. Man beschwört den Gegenstand,
indem man sein Bild festhält. Wer das Wild-
pferd, den Elch, das Mammut, das Renntier, den
Büffel zeichnen kann, der wird ihrer Herr: ihm
müssen sie als Jagdbeute zufallen. Wie zäh sich
diese Vorstellung selbst noch in christlichen Zeiten
erhalten hat, beweist der mittelalterliche Brauch,
Verbrecher „In Effigie", d. h. in ihrem Bild, hin-
zurichten, wenn man des Originals nicht habhaft
werden konnte. Wir stoßen also bei den ältesten
Tierdarstellungen auf eine religiöse Wurzel.
Das ist um so glaubhafter, als von einem „Ver-
schweigen der Kräfte" kaum gesprochen werden
kann, solange der Künstler um die allerprimitivsten
Lebensnotwendigkeiten täglich und stündlich auf
Tod und Leben zu kämpfen hatte und in dunkeln
Felsenhöhlen hauste. Aus solchen Nöten und Be-
drängnissen, nicht aus Überfluß, ist der Mensch
der älteren Steinzeit zum Künstler geworden.
„Perspektive"
Wir heute können sagen, daß die berühmtesten
Hauptwerke der früheren Malerei des 15. Jahr-
hunderts, der van Eycks und des Mafaccio, der
Genter Altar und die Brancaccikapelle, so groß-
artig sind, nicht weil sie Realismus und weil
sie Perspektive zeigen, sondern weil sie trotz-
dem große Kunst sind.
Trotzdem! Denn was die vielgerühmte
Perspektive erzeugt hat, ist Einbruch eines wissen-
schaftlichen, der Kunst ursprünglich artfremden
Denkens in die Kunst, der Einbruch der Richtig-
keit statt der Wahrheit. (Beifall.) Das war die
Anerkennung des Betrachters, das
heißt die Vorstellung, die eigentlich schon Pro-
fane Vorstellung, die unheilige, daß vor dem
Bilde — und vom Bilde geht jetzt alles aus —
in einer bestimmten Entfernung, in einem be-
stimmten Winkel, in einer bestimmten Augenhöhe
ein „Herr Betrachter" steht, ein Herr T., der
Bürger! Der Platz für den einzelnen vor dem
Kunstwerk wird nunmehr in der Form des Kunst-
werks mitberechnet — durch Augenpunkt und
Distanzpunkt —, das ist der wahre Sinn der
Perspektive. Damit wird Herr L. anerkannt, und
man darf sagen: Nicht Gott nimmt mehr die
Form als Opfer entgegen, sondern Herr L. be-
trachtet sie sich mit Interesse. (Heiterkeit, Bei-
fall.) Das ist ein etwas überschärfter Ausdruck;
aber im Kerne ist das wirklich so gemeint.
(Aus der an anderer Stelle erwähnten Rede
Wilhelm Pinders.)
Pavian. Schiefer. Altägyptisch
3
Pferd. Griechisch, 8. Iahrh. v. Chr.
schürfender Forschung den Nachweis zu erbringen,
daß der Hallesche Roland Niemanden anders dar-
stellt als den Burggrafen von Magde-
burg, den ordentlichen Richter im
Halleschen Schöffengericht, und zwar
in dem Augenblick, wie er, vor den Schöffen
stehend, mit dem entblößten aufgerichteten
Schwert bei Königsbonn Frieden gebietet. Die
Zweckbestimmung dieser ursprünglich hölzernen,
mit Farben und Gold reich verzierten, frei auf
dem Markt stehenden Richter- oder Burggrafen-
figur war demnach eine durchaus ortsgebundcne.
Sie hatte die dauernde Anwesenheit des vom Erz-
bischof von Magdeburg als Landesherrn mit dem
Gericht und vom König mit dem Bann belehnten
ordentlichen Richters im Halleschen Schöffenge-
richt zu versinnbildlichen.
Wie aus einem Spiel leicht ein Ernst wird, so
kann umgekehrt auch der Ernst zum Spiel werden.
So wurde aus dem Schlußkampf von Ronceval
das im Mittelalter so beliebte romantische
R o l a n d s s P i e l. Wir hören, daß sich die
jungen Kaufmannssöhne von Magdeburg
schon vor 1278 mit diesem Spiel vergnügten und
daß es dort noch in der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts in Übung war. Nur war in-
zwischen daraus eine offizielle Veranstaltung der
Ratsherrcn geworden. Mittelpunkt dieses Spiels
war eine als „Roland" bezeichnete bewehrte Figur.
Gerüstet, barhäuptig, ohne Schild, nur mit dem
Schwert Duvendars bewaffnet, von Holz ge-
schnitzt, um einen Zapfen drehbar, war sie das
Angriffsobjekt der Rolandsreiter.
Im Gegensatz zu der eng angewinkelten, steif-
zeremoniellen Haltung des Bremer Rolands war
der rechte Arm weit vorgestreckt, um in der
Drehung die nötige Schwung- und Schlagkraft zu
besitzen (Heldmann). Rüstung und Schwert waren
im Einklang mit dem Epos ihre einzigen Charak-
teristika. Damit war zugleich ein eigener Typ
festgelegt, den wir als den Magdeburger
Rolandstyp bezeichnen können, der sich scharf
von dem des Bremer Rolands unterscheidet. Und
als der Magdeburger Roland im Jahre 1459 von
Meister Kunz von Erfurt in Stein gehauen und
bemalt wurde, behielt er diese nun in die Tracht
der neuen Zeit umgesetzte Grundform bei, er be-
hielt sie auch weiter bei, obwohl er späterhin (nach
1492) eine andere Bedeutung bekam und als das
von Karl dem Großen selbst errichtete Wahrzeichen
der von ihm den Sachsen verliehenen Rechte und
Freiheiten im Sinne der Reichsunmittelbarkeit
betrachtet wurde (Heldmann). Genau so bildet
ihn Pomarius in seinen Chroniken der Sachsen
und Niedersachsen 1589 ab und ebenso sah er noch
aus, als er am 10. Mai 1631 von den Kaiserlichen
Truppen spurlos hinweg-
gefegt wurde.
hiuweggefegt als das
Symbol Kaiser-
licher Freiheit!
Rasch eroberte sich das
Magdeburger Rolands-
spiel die Gebiete links
und rechts der Elbe, be-
günstigt durch die allge-
meine Verehrung, deren
sich der Held von Ronce-
val zusammen mit Kaiser
Karl dem Großen in die-
sen Gegenden schon seit
dem Ende des 12. Jahr-
hunderts zu erfreuen
hatte, und groß ist die
Zahl der holzgeschnitzten
Rolandsbilder, die dort
seit dem 14. Jahrhundert
in den Bereich der ge-
schichtlichen Quellen tre-
ten. So viel wird klar:
das älteste Rolandsbild
auf deutschem Boden war
seiner ursprünglichen Be-
deutung nach eine
zum st ä d t i s ch e n I n-
ventar gehörige
SPielfigur, nach
welcher im Rahmen eines
Waffenspiels mit der
Lanze geworfen wurde.
Auch der Vorgänger des
glänzendsten und ein-
drucksvollsten aller Ro-
lande, des im Jahre 1404
errichteten Bremer
Rolandes, war nichts
weiter als eine Spiel-
figur. Er war gleichfalls
aus Holz geschnitzt und
ging im Jahre 1366 bei
einem Brande zugrunde, als sich in der Nacht vom
29. auf deu 30. Mai die Soldateska des Erz-
bischofs Albert II. durch Verrat der Stadt be-
mächtigt hatte. Doch der Bremer Steiurolaud
vom Jahre 1404 hat mit der 38 Jahre zuvor zer-
störten hölzernen Spielfigur uichts als den
bloßen Namen und die allgemeinsten Charak-
teristika gemein. Historisch betrachtet ist es etwas
vollkommen neues und künstlerisch angesehen e i n
gänzlich modernes Gebilde. Das gilt
nicht nur von der Figur als solcher, sondern auch
von dem ihr angehefteten Schild mit dem doppel-
köpfigen Adler. Klar und eindeutig ist in dessen
Umschrift ausgesprochen, daß die mit großen
Kosten hergestellte, reich ausgeführte, ursprüng-
lich farbig gefaßte und vergoldete, 9 Meter hohe,
neue Figur ein stolzes Wahrzeichen der
von Karl dem Großen und manchem
anderen Fürsten der Stadt Bremen
verliehenen „Freiheit" sein sollte. Was
war inzwischen geschehen? Eine Entwicklung vom
alten Spielroland zum neuen Säulenroland hatte
nicht stattgesunden. Nur die Erinnerung an eine
zufälligerweise gleichzeitig mit der Stadtsreiheit
uutergegangene überlebensgroße Holzfigur des
Paladins Roland war es, wie Heldmann richtig
erkannt hat, die in Bremen eine Kluft von 38
Jahren überbrückte. Aus eigener Kraft und ohne
Anlehnung an die Hanse hatte Bremen erstmalig
den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Ein in sich
gefestigtes, nach außen hin starkes und wider-
standsfähiges Gemeinwesen darstellend, sich allge-
meiner Achtung und eines hohen Ansehens er-
freuend, glaubte die Stadt ein Anrecht auf Er-
langung der vollen politischen Freiheit vom
Landesherrn, der Reichsfreiheit oder besser gesagt
der Kaiserlichen Freiheit, aber auch auf eine be-
vorrechtigte Stellung den Hansestädten Lübeck und
Hamburg gegenüber beanspruchen zu köuuen. Um
dieses mit dem Scheine des Rechtes geltend machen
zu können, bedurfte es des urkundlichen Nach-
weises des hohen Alters und der von Karl dem
Großen und dessen Nachfolgern sowie von den
Bischöfen der Stadt verliehenen bzw. verbürgten
Privilegien. Es war der Ratsherr und Dom-
baumeister Johann Hemeling, welcher Bremen
auf den ersten Höhepunkt seiner Machtstellung be-
gleitet, der, getrieben von einem unstillbaren poli-
tischen Ehrgeiz, von heißer Liebe zur Größe und
znm Ruhme seiner Vaterstadt, die hierzu als
Unterlage erforderlichen, zwar nicht historischen,
jedoch eines historischen Hintergrundes nicht ent-
behrenden Interpolationen in dem städtischen
Privilegienbuch vornehmen ließ und es auch zu
erreichen wußte, daß sich erst Lübeck, dann Ham-
burg zur Anerkennung des Vorranges Bremens
Hase. Tongefiib. Griechisch, 7. Iahrh. v. Chr.
bequemten. Alles das aber waren nur Episoden
seines großen politischen Programms, dessen be-
krönenden Abschluß die symbolhafte Errichtung
der vielleicht sogar von ihm selbst entworfenen
Rolandfigur bildete. Sie war gewissermaßen der
Repräsentant des rittermäßig gekleideten Rats-
herrn der alten kaiserfreien Stadt Bremen
(Heldmann).
Mit der Errichtung des Bremer Rolands im
Jahre 1404 beginnt eine neue Epoche in der Ge-
schichte der Rolandsbilder und damit zugleich eine
Periode glanzvollen Daseins für dieselben. Stolz
auf Alter und Vergangenheit mischte sich mit dem
Ehrgeiz des Besitzes und der Wahrnehmung be-
stimmter, für die einzelne Stadt wichtiger Vor-
rechte und Gerechtsame, deren sichtbarer Ausdruck
der Roland von nun an wurde. Nach und nach
verschwanden die hölzernen Spielrolande. Neue
Standbilder aus Stein traten an ihre Stelle. Ein
starkes Selbstbewußtsein spricht aus der nun
überhandnehmenden Rolandserrichtung. Der
Roland erhält historische Bedeutung, wird ein
Schmuckstück im Stadtbild und dient zugleich der
Versichtbarung von Rechten und Freiheiten. Zu-
nächst Symbole gerichtlicher Autonomie, werden die
Rolanddenkmale zu Sinnbildern alter, weit zu-
rückgeführter Privilegien, zu monumentalen Ver-
körperungen der Reichsfreiheit, ja schließlich der
Reichsunmittelbarkeit und. endlich geradezu zu
Stadtwahrzeichen politischer Art, zu Schutz-
patronen für das Gemeinwesen überhaupt. Mit
dein 16. Jahrhundert erstarb der Geist, der die
Rolandbilder geschaffen. Neue Denkmale wurden
nicht mehr errichtet.
Geschichte ist Rückblick in die Vergangenheit
und Wegweiser in die Zukunft. Geben uns nicht
auch diese stummen Steinriesen aus ferner Zeit,
die sich im Volke höchster Verehrung erfreuten, zu
denken? Wir haben das Glück, eine der größten
Zeiten in der Geschichte unseres Volkes zu durch-
leben. Noch nie hat es sich zu solch beispielloser
Einigkeit zusammengefunden. Noch nie ist es
einem einzelnen gelungen, in unbezwinglichem
Energiewillen ein völkisches Gemeinschastswerk
von diesen Ausmaßen zu schaffen. Erscheint es
da nicht am Platze, diesem gewaltigen Aufbruch
unserer Nation allerorten in deutschen Landen
ähnlichen sinnenfälligen Ausdruck zu geben, wie
es unsere Vorfahren in den Rolandsbildern ge-
tan haben? Unsere Künstler würden
es sicherlich begrüßen, in edlem
Wettstreit um die besten Lösungen
den Sinn unserer Zeit verewigen
zu helfen. 82
Das Tier in der bildenden Kunst
Von
Hermann Hieber
Wenn Schiller in den „Briefen über ästhetische
Erziehung" den „Spieltrieb" als die Wurzel der
Kunst bezeichnet, so folgt er damit den bürgerlich-
rationalistischen Anschauungen der Aufklärungs-
zeit. Man kann aus dem Spieltrieb ohne weiteres
den Naturalismus ableiten, der bekanntlich immer
wieder einmal den strengen Stil durchbricht. Spiel
und Nachahmung sind eng miteinander verwandt,
und dem Theatermenschen Schiller mußten solche
Gedankengänge besonders naheliegen. Hinzu kommt
eine kapitalistische Denk-
weise, nach der Kunst
Überfluß voraussetzt, ein
„fröhliches Verschwelgen
der Kräfte, die nicht zum
Leben gebraucht werden".
Kunst wäre demnach, um
es modern auszudrücken
und ohne Beschönigung,
eine Luxusangelegenheit.
Gegen diese Ästhetik, so
bestechend sie sich in der
schwungvollen Prosa des
Kantschülers liest, müßte
schon die Tatsache bedenk-
lich stimmen, daß die Pe-
rioden, die auf sie an-
wendbar sind, die realisti-
schen oder naturalisti-
schen, innerhalb der etwa
zehn Jahrtausende, die
wir in der Kunstgeschichte
überblicken, nur ver-
schwindend kurze Zwi-
schenspiele darstellen. Es
gibt eigentlich nur zwei
Perioden, die in der
Kunst diesem „Spiel-
trieb" gefrönt haben: die
Spätantike und die Re-
naissance. Sie umfassen
zusammen noch nicht tau-
send Jahre und sind le-
diglich im Abendland
nachweisbar: für Asien
überhaupt nicht.
Aber wir wollen uns
nicht in allgemeinen Be-
trachtungen ergehen, son-
dern für ein bestimmtes
Stoffgebiet aufzeigen,was
uns das Wesentliche und
Entscheidende an der
Kunst dünkt. Die Darstellung des Tieres
eignet sich für diesen Nachweis besonders gut,
weil sie, so seltsam das klingen mag, eine
größere Rolle spielt als die des Menschen. Wenig-
stens für den primitivsten Menschen — und
auf den kommt es in unserem Zusammenhänge be-
sonders an. Es geht im Leben der Menschheit ge-
nau so zu wie im Leben des Einzelmenschen: das
Kind kritzelt, ehe es sich an die Abbildung des
Menschen heranwagt, zunächst die Umrisse des
Tieres. Dieselbe Beobachtung macht man bei den
kindlichen Völkern des Altertums, dieselbe bei den
kindlichen Menschen von Ubersee: bei den Exoten.
Mit dem „Spieltrieb" läßt sich das nicht er-
klären. Es geht bei dem primitiven Künstler um
etwas ganz anderes: um die Auseinandersetzung
mit seiner Umwelt. Das Kind schwingt sich, ehe es
sich mit seinesgleichen mißt, über die vierbeinigen
Lebewesen auf, und wiederholt damit unbewußt
die Emanzipation der Urmenfchheit von der Tier-
welt. Man vergleiche damit die Tierzeichnungen
der älteren Steinzeit in den Höhlen der Dordogne
und von Altamira in Spanien, einfache Umriß-
zeichnungen, ähnlich denen unserer Kinder. Es
sind keine Naturnachahmungen aus dem Gedächt-
nis, zu denen die Langeweile verführt hat, wie
eine materialistische Betrachtungsweise zuerst glau-
ben machen wollte. Vielmehr muß man für diese
Höhlenzeichnungen genau wie für die auf den
ältesten Waffen eingeritzten Tiere nach einer tie-
feren Bedeutung suchen.
Und da kommt uns die Vorstellungswelt der
Naturvölker von heute, der Neger und Südsee-
insulaner, zu Hilfe. Für sie hat das Bild einen
mystischen Sinn. Man beschwört den Gegenstand,
indem man sein Bild festhält. Wer das Wild-
pferd, den Elch, das Mammut, das Renntier, den
Büffel zeichnen kann, der wird ihrer Herr: ihm
müssen sie als Jagdbeute zufallen. Wie zäh sich
diese Vorstellung selbst noch in christlichen Zeiten
erhalten hat, beweist der mittelalterliche Brauch,
Verbrecher „In Effigie", d. h. in ihrem Bild, hin-
zurichten, wenn man des Originals nicht habhaft
werden konnte. Wir stoßen also bei den ältesten
Tierdarstellungen auf eine religiöse Wurzel.
Das ist um so glaubhafter, als von einem „Ver-
schweigen der Kräfte" kaum gesprochen werden
kann, solange der Künstler um die allerprimitivsten
Lebensnotwendigkeiten täglich und stündlich auf
Tod und Leben zu kämpfen hatte und in dunkeln
Felsenhöhlen hauste. Aus solchen Nöten und Be-
drängnissen, nicht aus Überfluß, ist der Mensch
der älteren Steinzeit zum Künstler geworden.
„Perspektive"
Wir heute können sagen, daß die berühmtesten
Hauptwerke der früheren Malerei des 15. Jahr-
hunderts, der van Eycks und des Mafaccio, der
Genter Altar und die Brancaccikapelle, so groß-
artig sind, nicht weil sie Realismus und weil
sie Perspektive zeigen, sondern weil sie trotz-
dem große Kunst sind.
Trotzdem! Denn was die vielgerühmte
Perspektive erzeugt hat, ist Einbruch eines wissen-
schaftlichen, der Kunst ursprünglich artfremden
Denkens in die Kunst, der Einbruch der Richtig-
keit statt der Wahrheit. (Beifall.) Das war die
Anerkennung des Betrachters, das
heißt die Vorstellung, die eigentlich schon Pro-
fane Vorstellung, die unheilige, daß vor dem
Bilde — und vom Bilde geht jetzt alles aus —
in einer bestimmten Entfernung, in einem be-
stimmten Winkel, in einer bestimmten Augenhöhe
ein „Herr Betrachter" steht, ein Herr T., der
Bürger! Der Platz für den einzelnen vor dem
Kunstwerk wird nunmehr in der Form des Kunst-
werks mitberechnet — durch Augenpunkt und
Distanzpunkt —, das ist der wahre Sinn der
Perspektive. Damit wird Herr L. anerkannt, und
man darf sagen: Nicht Gott nimmt mehr die
Form als Opfer entgegen, sondern Herr L. be-
trachtet sie sich mit Interesse. (Heiterkeit, Bei-
fall.) Das ist ein etwas überschärfter Ausdruck;
aber im Kerne ist das wirklich so gemeint.
(Aus der an anderer Stelle erwähnten Rede
Wilhelm Pinders.)
Pavian. Schiefer. Altägyptisch