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Kun st der Nation
aus denen man so Bau wie Bild crbanen kann, in
ähnlichen Stufen: Erden nämlich, dann Gesteine
und Metalle, Gläser zuletzt'?
Führt eine ähnliche Ordnung vom Sgraffito
über das Mosaik zum Glasbild'? Wir wissen zu
wenig von dem Wesen der Stoffe, um hier Be-
hauptung zu setzen, statt zu fragen. Doch jede
künstlerische Disziplin kennt Stnsung. Nun aber
sind die Disziplinen und ihre Grade auf das viel-
fältigste vermengbar und vermengt. So mag eine
in derlei wenigen Worten ausgezeichnete Gedan-
kenfolge vielleicht nicht von Gewaltsamkeiten frei
sein. Doch nur die Einsicht in die innere Ordnung
der Werke kann jenen tragfähigen Grund bilden,
den die Schaffenden als Standort brauchen. Nur
für den hier stehenden hat diese Forderung Sinn
und Recht: Großbild im Bau braucht banmeister-
liche Zucht, das meint: die Absage an den flüchti-
gen Geniestreich, die Abkehr von individualistischer
Manifestation, ja bisweilen! von der Fülle der Ge-
sichte, von innerer und äußerer Maßlosigkeit, die
Rückkehr zu Schlichtheit des Einfalls wie der
Form, zu männlicher Strenge, den Wil-
len zur Einfühlung und vorausgreifenden Pla-
nung und das Vermögen des fertigen geistigen
Sehens, bevor noch das Werk überhaupt begonnen
ist.
Gefühl — hat nicht ein großer Deutscher dies
gesagt — Gefühl versteht sich, hier erst recht, am
Rande!
War Albrecht Dürer auch Plastiker?
Von
Fritz Traugott Schulz
Albrecht Dürer ist einer jener großen gottbe-
gnadeten Künstler, die von der Vorsehung dazu
auserkoren sind, die starken geistigen Regungen
eines glückhaften Zeitalters in konzentrierter
Form in ihren Werken wiederzuspiegeln und da-
mit für alle Zeiten zu verewigen. Was uns an
Handzeichnungen, Kupferstichen, Holzschnitten und
Gemälden erhalten blieb, ist der Niederschlag einer
echten, einfachen, aus tiefstem Erleben einer kind-
haften deutschen Seele geborenen Kunst. Aus
seiner männlichen herben Größe resultiert ein un-
übersehbarer Reichtum geistiger Spannungeu und
formaler Triebe. Hinter seinem Werk aber steht
eine Persönlichkeit, die den Dingen auf deu Grund
geht, die mit der geistreichen Art ihrer Willens-
niederschrift eine Kultur von hoher Entwicklung
und unerschütterlicher Festigkeit verbindet. Jeder
Strich, jede Linie, jeder Umriß ist das Manifest
eines seelischen Vorgangs, eines Ringens mit sich
selbst, einer ewig neuen Menschenwelt. Kaum ein
zweiter Künstler hat eine solche Ehrfurcht vor
seinem Berns gehabt wie Albrecht Dürer. So ist
und bleibt an seiner umfassenden Persönlichkeit
und an seinem Werk noch vieles rätselhaft und
wir und die nachkommenden Geschlechter haben es
als eine unserer heiligsten Aufgaben zu betrach-
ten, immer wieder neue Bausteine zum Gebäude
der Vertiefung unserer Erkenntnis seines wahren
Wesens zusammenzutragen. Eines der Probleme,
das noch der Klärung harrt, ist die Frage nach
der Herkunft des eminent plastischen Stiles in
seinen! Gesamtwerk. Sich mit Albrecht Dürer be-
schäftigen aber heißt, auf dem Acker nrdeutscher
Kultur pflügen, nm das Samenkorn zu neuer
Ernte säen zu können.
Betrachten wir z. B. die Bilder der Vier
Apostel v. I. 1526! Mit welch' kühner Gebärde
erheben sich doch hier die Brücke, Bäusche und
röhrenartigen Bildungen des Faltenwerks der
Apostels Paulus über den tief ausgehöhlten
Grund! Es ist, als lösen sich hochgehende Wellen-
berge mit stark eingeschwunaenen Wellentälern
ab. Und hat man nicht unwillkürlich das Gefühl,
als sei hier ein Meister am Werk, der das Hand-
werk des Holzschnitzers als etwas Selbstverständ-
liches beherrschte und der die Gewohnheiten dieser
Technik mit unnachahmlicher Virtuosität in die
Pinselschrift des Malers zu übersetzen verstand,
mit anderen Worten, der entsprechend der Übung
der Künstler der deutschen Gotik Bildhauer und
Maler in einer Person war? Und wie ist es
mit den Köpfen? Glaubt inan nicht auch hier die
Hand des modellierenden Plastikers herauszufüh-
len? Tief liegen die Augen in den Höhlen. Fast
greifbar treten die Bögen mit den Brauen her-
vor. Die Backenknochen sind energisch markiert
und das Eckige und Knochige z. B. im Haupt des
Paulus wie mit dem Meißel geformt. Nur auf
der Grundlage der vom Künstler erlernten Bild-
nerei konnte diese Monumentalität der Aus-
drucksform in der Malerei erwachsen. Und will
man ein Beispiel ans früherer Zeit haben, dann
genügt ein kurzer Hiuweis z. B. auf das i. I. 1506
entstandene Bild „Der Jesnsknabe unter den
Schriftgelehrten", das Dürer in fünf Tagen malte
und das uns durch die geradezu unerhörte Plastik
der Köpfe und Hände überrascht. Und wie ist es
mit seinen Holzschnitten? Lösen sich nicht hier
Licht und Schatten, Weiß und Schwarz in einer
Form ab, daß man sogar Tonabstnfungen wahr-
znnehmen glaubt und lebhaft an holzgeschnitzte und
farbig gefaßte Altartafeln erinnert wird? Kein
Zweifel, Albrecht Dürer verfügte über weit-
gehende plastische Fähigkeiten, er war auch auf
diesem Gebiet ebenso zu Hause, wie ans dem der
Malerei.
Daß Dürer eine Reihe von Jdeenskizzen zu
plastischen Gebilden, deren Ausführung nicht vor-
gesehen war, angefertigt hat, ist bekannt. So be-
wahrt das Britische Museum in London Ent-
würfe zu einen! gotischen Tafelaufsatz, zu einen:
gotischen Becher und zu einem gotischen Pokal,
welch letzterer noch in den Wer Jahren entstanden
ist. In der Bibliothek des kunsthistorischen Mu-
seums in Wien befinden sich Entwürfe zu einem
Geweihlüster mit pfeilschießendem Amor, zu einen:
Lenchterweibchen (1513), zu einen: Sänlenbrunnen
mit fahnenschwingendem Landsknecht als Bekrö-
nung und zu einem Gänsemännchen-Brunnen, be-
stehend in einem Bauern mit Gans, der ans einen:
krummen Baumstumpf sitzt. Zu eriunern ist auch
an den Entwurf zu dem großen Doppelbecher
(Stnrzbecher) v. I. 1526 in der Albertina, der
das für Dürer so typische stilisierte gotische Laub-
werk ausweist. Doch bei diesen und anderen Zeich-
nungen ähnlicher Art handelt es sich um Studien
aus Liebhaberei, ans Freude am Gegenstand, um
Niederschriften von Gedanken, die ihn gerade be-
wegten oder beschäftigten. Etwas anderes ist es
schon mit dem 1508 datierten Entwurf zum Rah-
men seines Allerheiligenbildes in der Sammlung
des Herzogs von Aumale in Chantilly oder mit
den Zeichnungen, nach denen das Triumphrelief
Kaiser Maximilians in: Louvre iu den Jahren
1515—1518 von dem Tiroler Meister um 1518 in
Holz geschnitzt wurde. Kann man auch an diesen
Zeichnungen nicht achtlos vorübergehen, so sind
sie doch allein noch keine einwandfreie Bestätigung
für eine plastische Wirksamkeit des Meisters. Eine
solche kann in: vollen Umfang erst aus Visierun-
gen gefolgert werden, die unmittelbar als Vor-
lagen zu Plastischer Gestaltung gedient haben, bei
deren Übersetzung Albrecht Dürer persönlich mit-
tätig war, oder aus Arbeiten, die er nut eigener
Hand modellierend geformt hat. Solche nachzu-
weisen ist der Zweck dieser Ausführungen.
Dürer, Riickcnatt-Rclief. New Bork, Metropolitan Museum
Ausdrücklich bemerkt sei aber, daß wir die Aus-
beutung des Dürerschen Figuren- und Formen-
schatzes durch andere Künstler seiner und der
nachfolgenden Zeit nicht in den Bereich unserer
Betrachtungen ziehen wollen, da diese ein Kapitel
für sich darstellt und eine umfangreiche Behand-
lung erfordern würde. Nene Richtlinien zur Er-
weiterung der Kenntnis des Dürerschen Persön-
lichkeitskomplexes würden damit auch nicht ge-
wonnen werden. Lehrreich jedoch ist, was der alte
Pastor von Joachimstal, Johann Mathesius, im
Hinblick ans die Künstler in den sächsischen und
erzgebirgischen Berg- und Hüttenstädten schreibt:
„ein jeder soll Gottes ehr mit Predigen, schreiben,
gießen und mahlen fördern Helsen. Wie Dürer
und Lucas (Cranach) mit allein jungen Mahlern
und Goldschmieden (in Joachimsthal) mit ihrer
Kunst, sondern neben ihren Passionen (d. h. Dar-
stellungen ans dem Leiden Christi) nut viel an-
dern schönen und lieblichen Kunststücken gcdienet
haben."
Was wir nach 400 Jahren nachweisen wollen,
scheint zn Lebzeiten des Meisters eine allgemein
bekannte Tatsache gewesen zn sein. Schreibt doch
ein Zeitgenosse i. I. 1508: „In piekura at
kiakuru uslnbe noskra. princnpntms ckkLerkur",
das heißt in die Sprache unserer Zeit übertragen:
Ans allen Gebieten der Malerei und im bildneri-
schen Gestalten beansprucht in unserer Zeit Al-
brecht Dürer entschieden den ersten Platz. „Fin-
gere" bedeutet nämlich sanft streichen, dann in
prägnanten: Sinn: streichend zunächst in einer
Weichen Masse gestalten, bilden, bildend schassen,
und zwar von Bildnern, die in Ton, Wachs, dann
auch von solchen, die in bildsamen Stossen über-
haupt arbeiten. Wir sind also berechtigt, an die
bossierende oder modellierende Tätigkeit zu denken,
die ein integrierender Bestandteil der Bildhauer-
kunst ist. Diese Angabe allgemeiner Art er-
hält nun durch Albrecht Dürer selbst eine Be-
kräftigung, wie wir sie uns nicht besser wünschen
können und die schlechterdings auf dem Wege der
Diskussion nicht aus der Welt zu schassen ist. Ein
1519 datiertes Blatt im Britischen Museum ent-
hält zwei Rückseiten-Entwürfe zu einer Medaille,
deren Vorderseite sein Bildnis zeigen sollte, von
seinen eigenen Händen geschaffen. Dürer war be-
strebt, eine auf das Bild der Vorderseite bezügliche
Inschrift und sein Wappen ans der Rückseite so zu
verteilen, daß sich eine künstlerische Lösung ergab,
die seiner würdig war. Da ihm diese nicht nach
Wunsch sofort gelingen wollte, machte er einen
zweiten Versuch, der befriedigend aussiel. Die
für uns außerordentlich wichtige Inschrift lautet:
„IN^.00 VVÜLÜ /
8VI8L4LN IL8L Lb^IXXIl N^XI8V8
-4XX0 XI.VIII 8^VTI8
VblüO NVXIX.", das heißt also: Das Bildnis
Albrecht Dürers ans Deutschland, das er persön-
lich nut eigener Hand nachbildend formte in: Jahre
des Heils 1519, als er 48 Jahre alt war. Demnach
haben wir an eine eigenhändige Medaille Dürers
mit seinem Selbstbildnis zn denken; denn daß es
sich um ein Medaillenprojekt handelt, darüber läßt
die charakteristische geriefelte Ringumrahmung
keinen Zweifel. Ob Dürer sein Vorhaben auf-
gegeben oder die bereits weitgeförderte Arbeit,
etwa weil sie ihn nicht befriedigte, vernichtet hat,
darüber ist nichts bekannt. Jedenfalls haben wir
nut der Möglichkeit zn rechnen, daß diese, ein Uni-
kum darstellende Arbeit doch noch einmal zum
Vorschein kommt.
In die Zwischenzeit fällt der Brief Anton
Tuchers an Friedrich den Weisen v. I. 1509, in
dem von einem „Francnbild" die Rede ist. Das
Kästchen mit dem Stück ging auf der Reise ver-
loren. Dürer sandte dann als Ersatz einen wei-
teren Abguß. Das Original war also in seiner
Hand und kann demnach nichts anderes gewesen
sein als ein Plakettenmodell, eigenhändig von ihm
geschnitten und modelliert in jenem „Weißen
Stein", in den: die Konterfetter die Medaillen, die
Plakettisten ihre Kompositionen schnitten, „den
Goldschmieden zum Treiben und Gießen, damit sie
ihre Arbeit bekleideten" (Neudörfer). Es kann kein
Zufall sein, daß das schon oft diskutierte Rücken-
aktrelief neben dem Monogramm des Meisters die
Jahreszahl 1509 trägt. Wer wäre Wohl so töricht,
anznnehmen, daß Friedrich der Weise den von ihm
so hochgeschätzten Meister mißbraucht hätte, um sich
von ihm ein Bildwerk eines anderen Künst-
lers schicken zu lassen? Es kann sich darum nur
um eine eigenhändige Arbeit Dürers gehandelt
haben. Und es kann weiter kein Zufall sein, daß
ein Silberabguß davon als Beschlag die Jmhoff-
sche Schatulle zierte, die sich noch zu Thansings
Zeit in: Besitz der Familie befand und als,, Gürtel-
kästchen" der Helena Imhoff gedient haben soll.
Es besteht keine Veranlassung, das Vorhandensein
dieser Schmucktruhe zu leugnen, zumal, wie Georg
Habich nachgewiesen hat, die Daten durchaus
stimmen. Helena Imhoff heiratete 1507 Sebald
Reichs Senator zu Nürnberg, der mit Dürer be-
freundet war. Der Rückenakt hatte, wie wir
wissen, an dieser Truhe drei weitere Plaketten-
'fignren als Gegenstücke. Ist da, so fragt Habich
mit Recht, der Gedanke an Venus und die drei
Grazien, zumal bei einer Gürteltrnhe, so sehr
fernliegend? Es ist weiter kein Zufall, daß sich
ein ' 'LMoeruvguh vvv Relwfs itt!.- M^c».^PvltL>rrr-
Museum in New Pork befindet. Und Silber-
abgüsse werden es auch gewesen sein, welche Dürer
dem Kurfürsten sandte. Es ist auch kein Zufall,
daß sich das Relief in der ruhigen Ausgeglichenheit
seiner zart verschmolzenen Formen ungezwungen
in das Entwicklungsbild des nachvenezianischen
Dürer einfügt. Es ist ein Resultat seiner Vor-
studien für eine idealere Darstellung des Menschen,
welche Dürer nach seiner Rückkehr von Venedig so
lebhaft beschäftigten und etappenmäßig zu den
beiden großen Gemälden Adam und Eva in Ma-
drid (1507), zur Lucretia-Zeichnung in der Alber-
tina (1508), zu der einseitigen Plakette nut dem
weiblichen Kopf (1508) und endlich zn dem großen
Lucretia-Bild in der Münchener Pinakothek (1518)
führten. Der kritizistischen Ablehnung und den:
künstlich konstruierten Zusammengehen mit einer
nur in Fassungen des 17. und 18. Jahrhunderts
vorliegenden Vorderansicht gegenüber ist das
Rückenaktrelief in Dürers Werk fest verankert.
Das Speckstein-Original kann nur eine eigen-
händige Arbeit sein. Die sich folgerichtig schlie-
ßende Beweiskette gestattet keine „Annahme"
mehr, sondern nur eine „Tatsache".
Hat man denn ganz und gar vergessen, daß
Albrecht Dürer von Hanse aus Goldschmied war
und daß er damit die Voraussetzung zur Plastischen
Betätigung besaß? Und hat es sich bei dem
Dürer, Johannes Stabius
Rückenaktrelief nm etwas anderes gehandelt als
um eine hohl gegossene Goldschmiedearbeit, deren
applikenartige Verwendung als Zierat an einem
Schmuckkästchen angestrebt war? Nach seinem
eigenen Zeugnis war ja die Lehrzeit in des Va-
ters Werkstatt keine verlorene. Erst als er im
Goldschmiedehandwerk „säuberlich arbeiten kunnt",
verließ er die väterliche Lehre, nm Maler zu
werden.
Und damit kommen wir ganz von selbst zn den
seine bildnerische Begabung in das hellste Licht
stellenden einfarbigen Hohlgüssen mit dem so-
genannten Wolgemnt (1508), der sog. Agnes Dü-
Dürcr, Weibliches Brustbild. 1514
rer (1508), dem Vater Dürers (1514) und dem
weiblichen Bildnis (1514). Es ist nicht statthaft,
diese vier Arbeiten als „Medaillen" zu bezeichnen.
Der breite, dünne, überstehende, reifenartige
Rand, die konzentrischen Rillen innerhalb des-
selben, der tiefgelegte Grund, aus dem die Brust-
bilder reliefplastisch herausgearbeitet sind, dann
die Uber- und Dnrchschneidnngen des Randes
durch die Figur als raumbildendes Knnstmittel,
um die Silhouetten vom Grund loszulösen, alle
diese Dinge verraten eine dekorative Absicht. Sie
waren als Appliken an Truhen oder Schmuck-
kästchen vorgesehen, wofür das Rudolphinische Ka-
binett in Wien ein solch lehrreiches Beispiel lie-
fert. Die hochgesteigerte Verfeinerung der Form,
die allenthalben zutage tretende Weiche Modellie-
rung, die leisen Hebungen und Senkungen
der Frauenkörper, die ruhige Ausgeglichenheit
der zart verschmolzenen Gesichtsbildung im
Antlitz der Agnes, konnte keine noch so
ausführliche Zeichnung vermitteln. Und tat-
sächlich lassen sich keine unmittelbaren Vorlagen
unter den Arbeiten Dürers nachweisen. Dürer,
darüber besteht kein Zweifel mehr, hat die Mo-
delle selbst hergestellt. Es war der Speckstein des
Goldschmieds, dessen er sich hierbei bediente und in
dessen Bearbeitung er eine nur ihm eigene Vir-
tuosität besaß. Technische Schwierigkeiten kannte
ein Albrecht Dürer nicht. Weder vor noch nach ihm
hat ein zweiter Künstler dieses Material so spie-
lend gemeistert. Das Sveckstein-Original-Modell
zu dem weiblichen Brustbild in der Sammlung
Vogel in Chemnitz zeigt dies klar und deutlich.
Mit der starken Betonung des Dürerschen Eigen-
willens, mit der souveränen Prägung der For-
men, welche die Enge des verfügbaren Raumes
zu sprengen scheinen, nehmen diese kleinen Bild-
werke im Rahmen ihrer Zeit eine Sonderstellung
ein. Sie haben keine Schule gemacht und sind
entwicklnngsgeschichtlich ohne Nachfolge geblieben.
E« wai-en Versuche, aus Liebhaberei hervorgegan-
geu, reiuer Selbstzweck aus edelstem küustü^sche»^
Drang, wie ihn eben nur eiue solch überragende
Persönlichkeit wie Albrecht Dürer besaß. Bei den
ans kleinmeisterliches Detail eingestellten Konter-
settern von Fach hat diese großzügige Gestaltungs-
art auf räumlich beengter Fläche keine Gegenliebe
gefunden.
Unterdrückte Talente?
Von
Paul Lchmitthenner
„Die Könner und Nichtkönner sind nach wie vor da,
und ich glaube nicht an die vielen unterdrückten Talente,
die sich allenthalben an das Licht des neuen Tages stellen
wollen . . ." „Im Schatten des großen Geschehens machen
sich allenthalben Geister breit, auch auf dem Gebiet des
Bauens. Sie haben nichts anfzuwcisen als den Mangel an
Mut und Können jener, die für die Sauberkeit der Gesin-
nung in der Baukunst gekämpft haben gegen eine Welt libe-
ralistischcr Mittelmäßigkeit, oder jener, die neue Wege
suchten, nicht aus Hang zur Sensation, sondern eben aus
Mut. Wenn es sein muß, werfen sie diesen bolschewistische
Baugesinnung vor und spielen sich als deutsche Ehrenmänner
auf, denn sie haben kein Haus ohne Dach gebaut und keine
„neue Sachlichkeit" mitgemacht . . ."
Aus: Architekt Paul Schmitthenner: „Die Baukunst im
neuen Reich." Preis 0,90 RM. In der Schriftenreihe „Das
Neue Reich". Georg D. W. Lallwey Verlag, München.
Was Wir hier mit eigener Hand relief-
plastisch geformt sehen, finden wir in den
12 Tondis mit den Arbeiten des Herkules v. I.
1511 in der Bremer Knnsthalle zeichnerisch vor-
bereitet zur endgültigen Ausführung durch eine a n-
dere Hand. Und doch hat es hier Zwischenglieder
gegeben, die ohne seine unmittelbare Mitwirkung
nicht denkbar sind. Dies ist aber auch durchaus
verständlich. Mochte Dürer auch sonst alles können,
in Perlmutter schneiden konnte er nicht, und in
Perlmutter geschuitteu erscheinen jene Visierungen
als etwas ganz und gar Ungewöhnliches an dem
Pokal auf Schloß Rauduitz im Besitz des Fürsten
von Lobkowitz, der als ein hervorragendes Stück
deutscher Goldschmiedekunst auf der Innenseite
seines Fußes das Nüruberger Beschauzeichen trägt.
Atmet dieser nicht in alltäglicher Handwerksübung
entstandene Pokal schon in seiner geistreichen Er-
findung, in seinen: feinen Aufbau, in der auffal-
lenden Freiheit des Figürlichen und dem virtuosen
Blattwerk den Geist Albrecht Dürers, so würde
es nicht verständlich erscheinen, wenn er die ver-
einfachende Verkleinerung seiner Zeichnungen zu
den ursprünglich größer geplanten Muschelreliefs
eiuem anderen Künstler überlassen hätte. Mögen
die Vorlagen in Bronzeguß, von denen sich die-
jenige mit der Bezwingung des Cerberus im Bri-
tischen Museum befindet, von Peter Vischer dem
Jüngeren hergestellt worden sein oder nicht, der
Modelleur kann nur Dürer selbst gewesen sein.
Versuche zu einer anderen Erklärung erscheinen
nur nicht statthaft. Nicht die mit ungewöhnlicher
Sorgfalt in der sog. Helldunkeltechnik ausgeführten
Visierungen haben dem Muschelschneider als
Vorlagen gedient, sondern die von Dürer eigen-
Kun st der Nation
aus denen man so Bau wie Bild crbanen kann, in
ähnlichen Stufen: Erden nämlich, dann Gesteine
und Metalle, Gläser zuletzt'?
Führt eine ähnliche Ordnung vom Sgraffito
über das Mosaik zum Glasbild'? Wir wissen zu
wenig von dem Wesen der Stoffe, um hier Be-
hauptung zu setzen, statt zu fragen. Doch jede
künstlerische Disziplin kennt Stnsung. Nun aber
sind die Disziplinen und ihre Grade auf das viel-
fältigste vermengbar und vermengt. So mag eine
in derlei wenigen Worten ausgezeichnete Gedan-
kenfolge vielleicht nicht von Gewaltsamkeiten frei
sein. Doch nur die Einsicht in die innere Ordnung
der Werke kann jenen tragfähigen Grund bilden,
den die Schaffenden als Standort brauchen. Nur
für den hier stehenden hat diese Forderung Sinn
und Recht: Großbild im Bau braucht banmeister-
liche Zucht, das meint: die Absage an den flüchti-
gen Geniestreich, die Abkehr von individualistischer
Manifestation, ja bisweilen! von der Fülle der Ge-
sichte, von innerer und äußerer Maßlosigkeit, die
Rückkehr zu Schlichtheit des Einfalls wie der
Form, zu männlicher Strenge, den Wil-
len zur Einfühlung und vorausgreifenden Pla-
nung und das Vermögen des fertigen geistigen
Sehens, bevor noch das Werk überhaupt begonnen
ist.
Gefühl — hat nicht ein großer Deutscher dies
gesagt — Gefühl versteht sich, hier erst recht, am
Rande!
War Albrecht Dürer auch Plastiker?
Von
Fritz Traugott Schulz
Albrecht Dürer ist einer jener großen gottbe-
gnadeten Künstler, die von der Vorsehung dazu
auserkoren sind, die starken geistigen Regungen
eines glückhaften Zeitalters in konzentrierter
Form in ihren Werken wiederzuspiegeln und da-
mit für alle Zeiten zu verewigen. Was uns an
Handzeichnungen, Kupferstichen, Holzschnitten und
Gemälden erhalten blieb, ist der Niederschlag einer
echten, einfachen, aus tiefstem Erleben einer kind-
haften deutschen Seele geborenen Kunst. Aus
seiner männlichen herben Größe resultiert ein un-
übersehbarer Reichtum geistiger Spannungeu und
formaler Triebe. Hinter seinem Werk aber steht
eine Persönlichkeit, die den Dingen auf deu Grund
geht, die mit der geistreichen Art ihrer Willens-
niederschrift eine Kultur von hoher Entwicklung
und unerschütterlicher Festigkeit verbindet. Jeder
Strich, jede Linie, jeder Umriß ist das Manifest
eines seelischen Vorgangs, eines Ringens mit sich
selbst, einer ewig neuen Menschenwelt. Kaum ein
zweiter Künstler hat eine solche Ehrfurcht vor
seinem Berns gehabt wie Albrecht Dürer. So ist
und bleibt an seiner umfassenden Persönlichkeit
und an seinem Werk noch vieles rätselhaft und
wir und die nachkommenden Geschlechter haben es
als eine unserer heiligsten Aufgaben zu betrach-
ten, immer wieder neue Bausteine zum Gebäude
der Vertiefung unserer Erkenntnis seines wahren
Wesens zusammenzutragen. Eines der Probleme,
das noch der Klärung harrt, ist die Frage nach
der Herkunft des eminent plastischen Stiles in
seinen! Gesamtwerk. Sich mit Albrecht Dürer be-
schäftigen aber heißt, auf dem Acker nrdeutscher
Kultur pflügen, nm das Samenkorn zu neuer
Ernte säen zu können.
Betrachten wir z. B. die Bilder der Vier
Apostel v. I. 1526! Mit welch' kühner Gebärde
erheben sich doch hier die Brücke, Bäusche und
röhrenartigen Bildungen des Faltenwerks der
Apostels Paulus über den tief ausgehöhlten
Grund! Es ist, als lösen sich hochgehende Wellen-
berge mit stark eingeschwunaenen Wellentälern
ab. Und hat man nicht unwillkürlich das Gefühl,
als sei hier ein Meister am Werk, der das Hand-
werk des Holzschnitzers als etwas Selbstverständ-
liches beherrschte und der die Gewohnheiten dieser
Technik mit unnachahmlicher Virtuosität in die
Pinselschrift des Malers zu übersetzen verstand,
mit anderen Worten, der entsprechend der Übung
der Künstler der deutschen Gotik Bildhauer und
Maler in einer Person war? Und wie ist es
mit den Köpfen? Glaubt inan nicht auch hier die
Hand des modellierenden Plastikers herauszufüh-
len? Tief liegen die Augen in den Höhlen. Fast
greifbar treten die Bögen mit den Brauen her-
vor. Die Backenknochen sind energisch markiert
und das Eckige und Knochige z. B. im Haupt des
Paulus wie mit dem Meißel geformt. Nur auf
der Grundlage der vom Künstler erlernten Bild-
nerei konnte diese Monumentalität der Aus-
drucksform in der Malerei erwachsen. Und will
man ein Beispiel ans früherer Zeit haben, dann
genügt ein kurzer Hiuweis z. B. auf das i. I. 1506
entstandene Bild „Der Jesnsknabe unter den
Schriftgelehrten", das Dürer in fünf Tagen malte
und das uns durch die geradezu unerhörte Plastik
der Köpfe und Hände überrascht. Und wie ist es
mit seinen Holzschnitten? Lösen sich nicht hier
Licht und Schatten, Weiß und Schwarz in einer
Form ab, daß man sogar Tonabstnfungen wahr-
znnehmen glaubt und lebhaft an holzgeschnitzte und
farbig gefaßte Altartafeln erinnert wird? Kein
Zweifel, Albrecht Dürer verfügte über weit-
gehende plastische Fähigkeiten, er war auch auf
diesem Gebiet ebenso zu Hause, wie ans dem der
Malerei.
Daß Dürer eine Reihe von Jdeenskizzen zu
plastischen Gebilden, deren Ausführung nicht vor-
gesehen war, angefertigt hat, ist bekannt. So be-
wahrt das Britische Museum in London Ent-
würfe zu einen! gotischen Tafelaufsatz, zu einen:
gotischen Becher und zu einem gotischen Pokal,
welch letzterer noch in den Wer Jahren entstanden
ist. In der Bibliothek des kunsthistorischen Mu-
seums in Wien befinden sich Entwürfe zu einem
Geweihlüster mit pfeilschießendem Amor, zu einen:
Lenchterweibchen (1513), zu einen: Sänlenbrunnen
mit fahnenschwingendem Landsknecht als Bekrö-
nung und zu einem Gänsemännchen-Brunnen, be-
stehend in einem Bauern mit Gans, der ans einen:
krummen Baumstumpf sitzt. Zu eriunern ist auch
an den Entwurf zu dem großen Doppelbecher
(Stnrzbecher) v. I. 1526 in der Albertina, der
das für Dürer so typische stilisierte gotische Laub-
werk ausweist. Doch bei diesen und anderen Zeich-
nungen ähnlicher Art handelt es sich um Studien
aus Liebhaberei, ans Freude am Gegenstand, um
Niederschriften von Gedanken, die ihn gerade be-
wegten oder beschäftigten. Etwas anderes ist es
schon mit dem 1508 datierten Entwurf zum Rah-
men seines Allerheiligenbildes in der Sammlung
des Herzogs von Aumale in Chantilly oder mit
den Zeichnungen, nach denen das Triumphrelief
Kaiser Maximilians in: Louvre iu den Jahren
1515—1518 von dem Tiroler Meister um 1518 in
Holz geschnitzt wurde. Kann man auch an diesen
Zeichnungen nicht achtlos vorübergehen, so sind
sie doch allein noch keine einwandfreie Bestätigung
für eine plastische Wirksamkeit des Meisters. Eine
solche kann in: vollen Umfang erst aus Visierun-
gen gefolgert werden, die unmittelbar als Vor-
lagen zu Plastischer Gestaltung gedient haben, bei
deren Übersetzung Albrecht Dürer persönlich mit-
tätig war, oder aus Arbeiten, die er nut eigener
Hand modellierend geformt hat. Solche nachzu-
weisen ist der Zweck dieser Ausführungen.
Dürer, Riickcnatt-Rclief. New Bork, Metropolitan Museum
Ausdrücklich bemerkt sei aber, daß wir die Aus-
beutung des Dürerschen Figuren- und Formen-
schatzes durch andere Künstler seiner und der
nachfolgenden Zeit nicht in den Bereich unserer
Betrachtungen ziehen wollen, da diese ein Kapitel
für sich darstellt und eine umfangreiche Behand-
lung erfordern würde. Nene Richtlinien zur Er-
weiterung der Kenntnis des Dürerschen Persön-
lichkeitskomplexes würden damit auch nicht ge-
wonnen werden. Lehrreich jedoch ist, was der alte
Pastor von Joachimstal, Johann Mathesius, im
Hinblick ans die Künstler in den sächsischen und
erzgebirgischen Berg- und Hüttenstädten schreibt:
„ein jeder soll Gottes ehr mit Predigen, schreiben,
gießen und mahlen fördern Helsen. Wie Dürer
und Lucas (Cranach) mit allein jungen Mahlern
und Goldschmieden (in Joachimsthal) mit ihrer
Kunst, sondern neben ihren Passionen (d. h. Dar-
stellungen ans dem Leiden Christi) nut viel an-
dern schönen und lieblichen Kunststücken gcdienet
haben."
Was wir nach 400 Jahren nachweisen wollen,
scheint zn Lebzeiten des Meisters eine allgemein
bekannte Tatsache gewesen zn sein. Schreibt doch
ein Zeitgenosse i. I. 1508: „In piekura at
kiakuru uslnbe noskra. princnpntms ckkLerkur",
das heißt in die Sprache unserer Zeit übertragen:
Ans allen Gebieten der Malerei und im bildneri-
schen Gestalten beansprucht in unserer Zeit Al-
brecht Dürer entschieden den ersten Platz. „Fin-
gere" bedeutet nämlich sanft streichen, dann in
prägnanten: Sinn: streichend zunächst in einer
Weichen Masse gestalten, bilden, bildend schassen,
und zwar von Bildnern, die in Ton, Wachs, dann
auch von solchen, die in bildsamen Stossen über-
haupt arbeiten. Wir sind also berechtigt, an die
bossierende oder modellierende Tätigkeit zu denken,
die ein integrierender Bestandteil der Bildhauer-
kunst ist. Diese Angabe allgemeiner Art er-
hält nun durch Albrecht Dürer selbst eine Be-
kräftigung, wie wir sie uns nicht besser wünschen
können und die schlechterdings auf dem Wege der
Diskussion nicht aus der Welt zu schassen ist. Ein
1519 datiertes Blatt im Britischen Museum ent-
hält zwei Rückseiten-Entwürfe zu einer Medaille,
deren Vorderseite sein Bildnis zeigen sollte, von
seinen eigenen Händen geschaffen. Dürer war be-
strebt, eine auf das Bild der Vorderseite bezügliche
Inschrift und sein Wappen ans der Rückseite so zu
verteilen, daß sich eine künstlerische Lösung ergab,
die seiner würdig war. Da ihm diese nicht nach
Wunsch sofort gelingen wollte, machte er einen
zweiten Versuch, der befriedigend aussiel. Die
für uns außerordentlich wichtige Inschrift lautet:
„IN^.00 VVÜLÜ /
8VI8L4LN IL8L Lb^IXXIl N^XI8V8
-4XX0 XI.VIII 8^VTI8
VblüO NVXIX.", das heißt also: Das Bildnis
Albrecht Dürers ans Deutschland, das er persön-
lich nut eigener Hand nachbildend formte in: Jahre
des Heils 1519, als er 48 Jahre alt war. Demnach
haben wir an eine eigenhändige Medaille Dürers
mit seinem Selbstbildnis zn denken; denn daß es
sich um ein Medaillenprojekt handelt, darüber läßt
die charakteristische geriefelte Ringumrahmung
keinen Zweifel. Ob Dürer sein Vorhaben auf-
gegeben oder die bereits weitgeförderte Arbeit,
etwa weil sie ihn nicht befriedigte, vernichtet hat,
darüber ist nichts bekannt. Jedenfalls haben wir
nut der Möglichkeit zn rechnen, daß diese, ein Uni-
kum darstellende Arbeit doch noch einmal zum
Vorschein kommt.
In die Zwischenzeit fällt der Brief Anton
Tuchers an Friedrich den Weisen v. I. 1509, in
dem von einem „Francnbild" die Rede ist. Das
Kästchen mit dem Stück ging auf der Reise ver-
loren. Dürer sandte dann als Ersatz einen wei-
teren Abguß. Das Original war also in seiner
Hand und kann demnach nichts anderes gewesen
sein als ein Plakettenmodell, eigenhändig von ihm
geschnitten und modelliert in jenem „Weißen
Stein", in den: die Konterfetter die Medaillen, die
Plakettisten ihre Kompositionen schnitten, „den
Goldschmieden zum Treiben und Gießen, damit sie
ihre Arbeit bekleideten" (Neudörfer). Es kann kein
Zufall sein, daß das schon oft diskutierte Rücken-
aktrelief neben dem Monogramm des Meisters die
Jahreszahl 1509 trägt. Wer wäre Wohl so töricht,
anznnehmen, daß Friedrich der Weise den von ihm
so hochgeschätzten Meister mißbraucht hätte, um sich
von ihm ein Bildwerk eines anderen Künst-
lers schicken zu lassen? Es kann sich darum nur
um eine eigenhändige Arbeit Dürers gehandelt
haben. Und es kann weiter kein Zufall sein, daß
ein Silberabguß davon als Beschlag die Jmhoff-
sche Schatulle zierte, die sich noch zu Thansings
Zeit in: Besitz der Familie befand und als,, Gürtel-
kästchen" der Helena Imhoff gedient haben soll.
Es besteht keine Veranlassung, das Vorhandensein
dieser Schmucktruhe zu leugnen, zumal, wie Georg
Habich nachgewiesen hat, die Daten durchaus
stimmen. Helena Imhoff heiratete 1507 Sebald
Reichs Senator zu Nürnberg, der mit Dürer be-
freundet war. Der Rückenakt hatte, wie wir
wissen, an dieser Truhe drei weitere Plaketten-
'fignren als Gegenstücke. Ist da, so fragt Habich
mit Recht, der Gedanke an Venus und die drei
Grazien, zumal bei einer Gürteltrnhe, so sehr
fernliegend? Es ist weiter kein Zufall, daß sich
ein ' 'LMoeruvguh vvv Relwfs itt!.- M^c».^PvltL>rrr-
Museum in New Pork befindet. Und Silber-
abgüsse werden es auch gewesen sein, welche Dürer
dem Kurfürsten sandte. Es ist auch kein Zufall,
daß sich das Relief in der ruhigen Ausgeglichenheit
seiner zart verschmolzenen Formen ungezwungen
in das Entwicklungsbild des nachvenezianischen
Dürer einfügt. Es ist ein Resultat seiner Vor-
studien für eine idealere Darstellung des Menschen,
welche Dürer nach seiner Rückkehr von Venedig so
lebhaft beschäftigten und etappenmäßig zu den
beiden großen Gemälden Adam und Eva in Ma-
drid (1507), zur Lucretia-Zeichnung in der Alber-
tina (1508), zu der einseitigen Plakette nut dem
weiblichen Kopf (1508) und endlich zn dem großen
Lucretia-Bild in der Münchener Pinakothek (1518)
führten. Der kritizistischen Ablehnung und den:
künstlich konstruierten Zusammengehen mit einer
nur in Fassungen des 17. und 18. Jahrhunderts
vorliegenden Vorderansicht gegenüber ist das
Rückenaktrelief in Dürers Werk fest verankert.
Das Speckstein-Original kann nur eine eigen-
händige Arbeit sein. Die sich folgerichtig schlie-
ßende Beweiskette gestattet keine „Annahme"
mehr, sondern nur eine „Tatsache".
Hat man denn ganz und gar vergessen, daß
Albrecht Dürer von Hanse aus Goldschmied war
und daß er damit die Voraussetzung zur Plastischen
Betätigung besaß? Und hat es sich bei dem
Dürer, Johannes Stabius
Rückenaktrelief nm etwas anderes gehandelt als
um eine hohl gegossene Goldschmiedearbeit, deren
applikenartige Verwendung als Zierat an einem
Schmuckkästchen angestrebt war? Nach seinem
eigenen Zeugnis war ja die Lehrzeit in des Va-
ters Werkstatt keine verlorene. Erst als er im
Goldschmiedehandwerk „säuberlich arbeiten kunnt",
verließ er die väterliche Lehre, nm Maler zu
werden.
Und damit kommen wir ganz von selbst zn den
seine bildnerische Begabung in das hellste Licht
stellenden einfarbigen Hohlgüssen mit dem so-
genannten Wolgemnt (1508), der sog. Agnes Dü-
Dürcr, Weibliches Brustbild. 1514
rer (1508), dem Vater Dürers (1514) und dem
weiblichen Bildnis (1514). Es ist nicht statthaft,
diese vier Arbeiten als „Medaillen" zu bezeichnen.
Der breite, dünne, überstehende, reifenartige
Rand, die konzentrischen Rillen innerhalb des-
selben, der tiefgelegte Grund, aus dem die Brust-
bilder reliefplastisch herausgearbeitet sind, dann
die Uber- und Dnrchschneidnngen des Randes
durch die Figur als raumbildendes Knnstmittel,
um die Silhouetten vom Grund loszulösen, alle
diese Dinge verraten eine dekorative Absicht. Sie
waren als Appliken an Truhen oder Schmuck-
kästchen vorgesehen, wofür das Rudolphinische Ka-
binett in Wien ein solch lehrreiches Beispiel lie-
fert. Die hochgesteigerte Verfeinerung der Form,
die allenthalben zutage tretende Weiche Modellie-
rung, die leisen Hebungen und Senkungen
der Frauenkörper, die ruhige Ausgeglichenheit
der zart verschmolzenen Gesichtsbildung im
Antlitz der Agnes, konnte keine noch so
ausführliche Zeichnung vermitteln. Und tat-
sächlich lassen sich keine unmittelbaren Vorlagen
unter den Arbeiten Dürers nachweisen. Dürer,
darüber besteht kein Zweifel mehr, hat die Mo-
delle selbst hergestellt. Es war der Speckstein des
Goldschmieds, dessen er sich hierbei bediente und in
dessen Bearbeitung er eine nur ihm eigene Vir-
tuosität besaß. Technische Schwierigkeiten kannte
ein Albrecht Dürer nicht. Weder vor noch nach ihm
hat ein zweiter Künstler dieses Material so spie-
lend gemeistert. Das Sveckstein-Original-Modell
zu dem weiblichen Brustbild in der Sammlung
Vogel in Chemnitz zeigt dies klar und deutlich.
Mit der starken Betonung des Dürerschen Eigen-
willens, mit der souveränen Prägung der For-
men, welche die Enge des verfügbaren Raumes
zu sprengen scheinen, nehmen diese kleinen Bild-
werke im Rahmen ihrer Zeit eine Sonderstellung
ein. Sie haben keine Schule gemacht und sind
entwicklnngsgeschichtlich ohne Nachfolge geblieben.
E« wai-en Versuche, aus Liebhaberei hervorgegan-
geu, reiuer Selbstzweck aus edelstem küustü^sche»^
Drang, wie ihn eben nur eiue solch überragende
Persönlichkeit wie Albrecht Dürer besaß. Bei den
ans kleinmeisterliches Detail eingestellten Konter-
settern von Fach hat diese großzügige Gestaltungs-
art auf räumlich beengter Fläche keine Gegenliebe
gefunden.
Unterdrückte Talente?
Von
Paul Lchmitthenner
„Die Könner und Nichtkönner sind nach wie vor da,
und ich glaube nicht an die vielen unterdrückten Talente,
die sich allenthalben an das Licht des neuen Tages stellen
wollen . . ." „Im Schatten des großen Geschehens machen
sich allenthalben Geister breit, auch auf dem Gebiet des
Bauens. Sie haben nichts anfzuwcisen als den Mangel an
Mut und Können jener, die für die Sauberkeit der Gesin-
nung in der Baukunst gekämpft haben gegen eine Welt libe-
ralistischcr Mittelmäßigkeit, oder jener, die neue Wege
suchten, nicht aus Hang zur Sensation, sondern eben aus
Mut. Wenn es sein muß, werfen sie diesen bolschewistische
Baugesinnung vor und spielen sich als deutsche Ehrenmänner
auf, denn sie haben kein Haus ohne Dach gebaut und keine
„neue Sachlichkeit" mitgemacht . . ."
Aus: Architekt Paul Schmitthenner: „Die Baukunst im
neuen Reich." Preis 0,90 RM. In der Schriftenreihe „Das
Neue Reich". Georg D. W. Lallwey Verlag, München.
Was Wir hier mit eigener Hand relief-
plastisch geformt sehen, finden wir in den
12 Tondis mit den Arbeiten des Herkules v. I.
1511 in der Bremer Knnsthalle zeichnerisch vor-
bereitet zur endgültigen Ausführung durch eine a n-
dere Hand. Und doch hat es hier Zwischenglieder
gegeben, die ohne seine unmittelbare Mitwirkung
nicht denkbar sind. Dies ist aber auch durchaus
verständlich. Mochte Dürer auch sonst alles können,
in Perlmutter schneiden konnte er nicht, und in
Perlmutter geschuitteu erscheinen jene Visierungen
als etwas ganz und gar Ungewöhnliches an dem
Pokal auf Schloß Rauduitz im Besitz des Fürsten
von Lobkowitz, der als ein hervorragendes Stück
deutscher Goldschmiedekunst auf der Innenseite
seines Fußes das Nüruberger Beschauzeichen trägt.
Atmet dieser nicht in alltäglicher Handwerksübung
entstandene Pokal schon in seiner geistreichen Er-
findung, in seinen: feinen Aufbau, in der auffal-
lenden Freiheit des Figürlichen und dem virtuosen
Blattwerk den Geist Albrecht Dürers, so würde
es nicht verständlich erscheinen, wenn er die ver-
einfachende Verkleinerung seiner Zeichnungen zu
den ursprünglich größer geplanten Muschelreliefs
eiuem anderen Künstler überlassen hätte. Mögen
die Vorlagen in Bronzeguß, von denen sich die-
jenige mit der Bezwingung des Cerberus im Bri-
tischen Museum befindet, von Peter Vischer dem
Jüngeren hergestellt worden sein oder nicht, der
Modelleur kann nur Dürer selbst gewesen sein.
Versuche zu einer anderen Erklärung erscheinen
nur nicht statthaft. Nicht die mit ungewöhnlicher
Sorgfalt in der sog. Helldunkeltechnik ausgeführten
Visierungen haben dem Muschelschneider als
Vorlagen gedient, sondern die von Dürer eigen-