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Kunst der Nation — 2.1934

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Paul, F.: Der Wert des Gegenständlichen in der deutschen Kunst, [1]
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Bertele, H.: Das Kriegserlebnis und die Kunst
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6

Kunst der Nation

licher Ideen, die wir als Höhepunkt der An-
strengungen und der Kunst anzusehen gewöhnt
sind, hat sich als eine Erfindung der Reichenauer
Mönche herausgestellt, deren früheste Fassung im
Tochterkloster zu St. Gallen uns verlorenge-
gangen ist. Bedenkt man, was sich alles an die
übersinnliche Vorstellung des letzten Gerichtstages
in der Religion und der religiösen Kunst von
Giotto bis auf Michelangelo und Rubens geknüpft
hat, so kann der geistige Aufschwung, der sich um
die Jahrtausendwende in den Klöstern am Boden-
see in diesen Urschöpfungen offenbart hat, nicht
hoch genug veranschlagt werden. Während in
Oberzell das Weltgericht noch in repräsentativer
Reihung wie ein Symbol sich darstellt, ist um
1070 in der kleinen Kapelle zu Burgfelden bereits
der ganze Vorstellungskreis der mittelalterlichen
Fresken in einem langen Streifen ausgebreitet:
der Weltenrichter inmitten, von erhabener Über-
größe, die Auferstehenden, die Gruppen der
Seligen und Verdammten, von Engeln und Teu-
feln streng geschieden. In der Liniensprache dieser
frühen Fresken steigert sich der geistige Inhalt zu
furchtbarer Erhabenheit, ganz in der Absicht aus-
gehend, die Seelen von Grund aus zu erschüttern.
(Fortsetzung folgt.)

Das Kriegserlebnis
und die Kunst
Von
H. Bertele, München
Wie ost ist schon die Frage gestellt worden: Wo
ist der große künstlerische Niederschlag zu suchen,
den das Erlebnis des Krieges hätte zeitigen
müssen? Jeder hat sich Wohl selbst einmal diese
Frage gestellt, und auch in der Öffentlichkeit wurde
sie bisweilen, wenn auch schüchtern, berührt. Wir
haben eine Hochflut von Kriegsliteratur erlebt und
eine Fülle von Werken der bildenden Kunst, die
alle in mehr oder weniger bedeutender Weise das
Kriegsleben oder -erleben darzustellen suchten. Wir
sahen uns im wesentlichen zwei geistigen Grund-
haltungen gegenüber. Die eine war heroisch-
idealisierend, im wesentlichen bejahend, die andere
tragisch-grausam und im wesentlichen ablehnend,
um von den sentimental verschönernden Äußerun-
gen zu schweigen. Manches wuchs ins Symbolische,
rückte aber dabei von dem tatsächlichen Erlebnis
ab, da es sich in das Allgemeine zu erheben ver-
suchte. Oft waren es merkwürdige Mischungen.
Der Nichtkrieger und auch der Krieger standen
staunend davor und fragten sich: war das der
Krieg? Die Frage war an und für sich falsch ge-
stellt, denn der Krieg ist nur eine Fortsetzung des
Lebens unter anderen Bedingungen. Die Eigen-
art dieses Lebens zeigt sich nur darin, daß sie von
einer gewissen Voraussetzungslosigkeit getragen er-
scpeiut, oa alles neu und anders >st. Das Leben
offenbart sich in einer intensiveren, rückhaltloseren
Form. Das Dargestellte entsprach nicht dem wahr-
haften Erleben des einzelnen. Es konnte ihm
auch nicht entsprechen, solange es nicht ins Alle-
gorische wuchs und von hier aus zum Symbol
werden konnte. Das Erleben des einzelnen war
ein zu verschiedenes und beruhte stets auf anderen
Voraussetzungen.
Jedes Leben und Erleben findet nur gemeinhin
seine Manifestation in einem künstlerischen Aus-
druck, sowohl dem Inhalt nach als in der Form.
Wenn wir das Inhaltliche betrachten, so sehen wir
in der Literatur eine Fülle von erzählenden Tat-
sachenberichten, die meistens aus starkem Erleben
und feiner Beobachtung kamen. Sie waren meist
objektiv und in der Grundhaltung bejahend, da
sie frischen Wagemut und soldatischen Geist
zeigten. Sie erhoben sich manches Mal in ihrer
Ursprünglichkeit, namentlich wo der Humor mit-
spielte, zur künstlerischen Form.
Daneben fanden wir mehr oder weniger ten-
denziös gefärbte Fassungen des Kriegserlebnisses,
die entweder blind bejahend den Krieg verherr-
lichten oder defaitistisch zersetzend das ganze Er-
lebnis verneinten. Die ersteren entsprachen nicht
dem Wahrheitsgehalt des Erlebten, da sie die
tiefe Tragik des Geschehens nicht zu sehen ver-
mochten, die letzteren stempelten die Tragik zur
Sinnlosigkeit und wurden dadurch zotig und ver-
mochten nur die Fratze zu sehen. Vieles, um nicht
zu sagen alles, ist im unklaren geblieben, das in
unserem Volke als großes Symbol des Krieges
hätte weiter leben können. Es bedarf einer großen,
allegorischen Gestaltung, die dem Volke sich wie
etwas Elementares einprägt, dem es dann seiner-
seits einen symbolischen Wert beimißt, ihm einen
Namen verleiht und das Bildwerk oder die
Dichtung zu einem Heiligtum krönt. Hier spricht
Wohl das Schöne und Erhaben-Erschütternde, vor
dem das Volk anbetend steht, in bedeutendem
Maße mit. Wenigstens gilt das von Völkern auf
höherer Stufe. Vielleicht ist Barlach diesem
Empfinden am nächsten gekommen. Viele Künstler
suchten sich im Dämonischen zu ergehen. Doch nur
Völker auf niedrigerer Kulturstufe als das unsere
können im Dämonischen einen symbolischen
Lebensinhalt finden. Ihre primitiven Vor-
stellungen sind von der Furcht diktiert.
Die künstlerische Bedeutung eines Werkes be-
mißt sich nun lediglich nach ihrem Wahrheitsgehalt,
das heißt in diesem Falle nach der Spannweite,
welche ein Werk besitzt. Nur wenige Werke fußten
auf einer echten, wahren Allegorie und wuchsen so
ins Symbolische. Welche Werke aber zum Symbol
werden, darüber wird stets die seelische Spann-
weite und Spannkraft eines Volkes entscheiden zu
seinem Nutzen und Frommen. Nur wenige Werke
sind imstande, ein bedeutsames Symbol zu ver-
körpern.
Weltanschaulich und religiös hat der Krieg trotz
seines starken Erlebens keine wesentlichen Ver-
änderungen, höchstens Verschiebungen gebracht und
somit blieben die Fragestellungen des Lebens die
gleichen. Auch die Kunstformen blieben die
gleichen. Alles in allem sprach sich überall die

seelische Grundhaltung des einzelnen zu den Er-
scheinungen des Lebens wie des Krieges in seinem
Werke aus.
In der bildenden Kunst traten diese Er-
scheinungen klarer zutage als im Schrifttum, da
sie an dem Formalen besser meßbar sind. Form
und Inhalt sind hier im Anschaulichen stärker
verknüpft. In der Malerei sowohl wie in der
Plastik begegnen wir den gleichen Tendenzen wie
in der Literatur. Das Heroisch-Jdealisierende, im
wesentlichen Bejahende, verebbte bald in einer
Flachheit, da es von dem Heroisch-Tragischen, ja
Banalen des heimatlichen Lebens übertönt wurde.
Wir lebten in keiner heroischen Zeit. Das Grausam-
Tragische und vom Kriege Abgestoßene lief sich
ebenfalls bald tot und verfiel in eine zersetzende
Tendenz, soweit die Künstler nicht das Grausam-
Tragische des Lebens überhaupt für sich erkannten
und mit unerhörter Wucht darzustellen vermochten.
Hier kommen wir zu der großen Frage: Hat
der Krieg eine neue Form geboren? Wir müssen

sie restlos verneinen. Selbst die kühnsten Stürmer
kehrten zurück zu den Formen und Inhalten, die
sie zuvor bewegt hatten. Die Formen waren über-
haupt nicht geändert worden. Ihre Gestaltung
scheint größere Entwicklungsphasen nicht nur eines
Volkes, sondern der Völker unterworfen zu sein.
Der Expressionismus hatte nach dem starken Er-
leben ganz naturgemäß eine Steigerung erfahren
und der Impressionismus mußte sich voll aus-
leben, gleich welcher Herkunft er war. In der
Baukunst war lediglich ein unerhörter Wille zur
Gestaltung spürbar, der sich in groß angelegten
Versuchen offenbarte und vor den gewagtesten
Einfällen nicht zurückschreckte. Ihm folgte zwangs-
läufig die Innenarchitektur.
Wir müssen die Frage nach dem Inhaltlichen
wie nach dem rein Formalen stellen. Das In-
haltliche des Kriegserlebnisses bleibt vollkommen
verknüpft mit dem Weltanschaulichen. Wir sehen
in dem Inhaltlichen wie in dem Formalen die
gleichen Bindungen an schon vordem gegebene
seelische Haltungen oder das gleiche Ringen

um die Antwort auf schon zuvor gestellte
Fragen. Im Formalen sehen wir keine Ver-
änderungen der optischen Anschauung, die hier
immer von tieferer Bedeutung ist. So standen
wir trotz der schwersten, seelischen Erschütterungen
vor den gleichen Fragestellungen des Lebens. Ja,
die Bindungen an alte Probleme wurden sogar
noch stärker gesucht. Wir stehen heute nach zwanzig
Jahren noch mitten im Ringen mit ihnen, um sie,
diese alten Werte, auf ihre Tragfähigkeit zu
Prüfen. Ja, wir halten schon längst verstohlen
Ausschau, ob uns nicht von außen her eine Ant-
wort kommen könnte.
Blicken wir aus nach den anderen Völkern,
so begegnen wir den gleichen Erscheinungen. Es
ist hier also kein Unterschied zwischen Siegern und
Besiegten. Wie ist es nun zu deuten, daß ein Er-
lebnis, das eine solche Fülle von Tragischem und
Heroischem in sich barg, so zurückebbte, ohne doch
eine große Einheit in Form und Inhalt neu zu
gestalten? Wir sahen nur die alte abendländische

Einheit mit all ihren Gärungsstoffen aufs neue
manifestiert. Es gibt nach unserer Meinung nur
eine Deutung dieser Erscheinung: Warum haben
die furchtbaren Erschütterungen des Krieges und
Nachkrieges zu keiner großen und neuen künst-
lerischen Form und auch zu keinem neuen Lebens-
stil geführt? War nicht unser Gesichtskreis zu eng,
um wirklich großen Ideen Boden und Raum zu
geben? Mußten wir uns nicht erst aus allem her-
aus und von allem ablösen? Mußten wir nicht
erst wieder lernen, vom Leben selbst zu ab-
strahieren, um in freier geistiger Findung das
Geistige zu gestalten, das heißt unserem Geiste
eine Form zu schaffen? Alle Kunst ist eine Offen-
barung des Geistes und nicht des Lebens.
Wenn heute nach einem vollkommen unzuläng-
lichen Versuch einer „Neuen Sachlichkeit" eine
Romantik angestrebt wird, so ist es nur zu erklären
aus dem Fehlen einer großen, allegorischen, sym-
bolhaften Kunst, die allein aus einer tiefen,
geistigen Grundhaltung als Gesamtbild des
Lebens wächst.

(Fortsetzung von Seite 3)
schöpferischen Künstlers mutig gestritten, ihre
Arbeit in Wort und Schrift hat manchen Erfolg
erringen helfen. Wir wollen ihnen aufrichtig
wünschen, daß sie dazu kommen, ihr Talent in un-
unterbrochener Arbeit zu beweisen. Es wäre un-
gerecht, ihr Können nach den Arbeiten, die in den
wenigen Kampfpausen entstanden sind, allein be-
urteilen zu wollen.
Hans Stübner, der Zeichner des Bildes
für unser Werbeinserat für die Winterhilfe, stellt
zum erstenmal in Berlin in der Galerie v. d.
Hey de kollektiv aus. Das erdgebundene und
norddeutsche seiner Kunst ist offenbar. Zu den
glücklichsten Schöpfungen gehört das Bild
„Bauernfamilie", das vom Duisburger Museum
angekauft wurde. Ein ganz deutsch empfundenes,
mit seelischem Verständnis wunderbar gemaltes
Symbol des Mutterglücks. Die junge Kunst hat
wenig gleiches, das so viel Innigkeit und Poesie
enthält. Die Reife seiner Auffassung und seiner
körnig-flächigen Malweise halten einander die
Waage; Natnrhaftigkeit und gleichnishafte Be-
deutung sind künstlerisch nicht zu trennen und er-
höhen ihre Werte wechselseitig.
*
In Hamburg fand im November eine Aus-
stellung Hamburger Malerinnen statt. Das stärkste
Talent ist davon sicher Else Wex-Cleemann, von
der wir das Abbild eines Kinderporträts wieder-
geben.
-r-
Die Württ. Staatsgalerie in Stutt-
gart stellt in den Monaten Dezember und
Januar zwei Leihgaben aus: erstens den Altar-
flügel „Anbetung" von Ulrich Apt d. Ae. von
1510, aus dem Louvre in Paris, und zweitens
ein Bild vom Meister des Mari en -
lebens, aus dem Wallraf-Richartz-
Museum in Köln.
-1-
Der Bund bildender Künstler,
Dessau hat am 9. d. M. die Iahresschau
im Anhaltischeu Kunstverein in Dessau eröffnet.
In Berlin haben die „Deutschen Tanzfest-
spiele" den Anlaß zu einer im Prinzessinnen-
Palais eröffneten Ausstellung „Der Tanz in
der Kun st" gegeben. Das Thema lag den dar-
stellenden Künstlern seit Urzeiten sehr nahe, und
wäre nicht die, von wenigen Ausnahmen durch-
brochene, Beschränkung auf den Besitz der Ber-
liner Staatlichen Museen gewesen, so hätte die
Veranstaltung leicht ins Uferlose führen und die
fast unabsehbare Vielgestaltigkeit von gemalten,
skulpierten und graphischen Tanzdarstellungen aller
Völker und Zeiten aufweisen können. So erhält
man eine höchst anregende Kostprobe in den
kleinen reizvollen Empirezimmern vorgesetzt; von
ägyptischen Reliefs bis zu indischen Krischnabronzen
und Miniaturen des 18. Jahrhunderts, von der
hellenistischen Tänzerin und Tanagrastatuette des
Alten Museums, von japanischen Holzschnitten der
geistreichen Shunsen und Shunsho bis zu Dürer-
Stichen, Watteau und Gottfried Schadow über-
blickt man eine Fülle darstellerischer Möglichkeiten
der lebensvollsten und überraschendsten Be-
wegungen, deren der Körper fähig ist. Tanz ist ja
der allgemeine Ausdruck für eine sehr reiche
Stufenleiter menschlicher Empfindung und Ge-
sittung; von feierlichen Tempelzeremonien bis zu
bacchantischer Raserei, von der altdeutschen Sara-
bande bis zu Mary Wigmans Dramatik gibt es
ungezählte Nüancen von Sinn und Ausdrucksart
des Tanzes, und alle haben ihren deutlichen Nieder-
schlag in der Kunst gefunden, so daß sich
zwischen der sozialen oder religiösen Bedeutung
jener Körperrhythmik und der Stilform, in die die
Künstler ihre Eindrücke übertrugen, eine Parallele
von zwingender Logik erstreckt. Zeigt sich in der
äußersten Groteske der Maruskatänzer des Bayern
Erasmus Grasser von 1480 sowohl die Sitten-
lockerung und Bürgerfreiheit des ausgehenden
Mittelalters wie das unbändige Ausdrucks-
bedürfnis des süddeutschen Bildschnitzers in einem,
so in der Gleichartigkeit gemessener Bewegungen
auf den Kalksteinflachreliefs die hieratische Ge-
bundenheit in Leben und Kunst der Ägypter; die
geistreiche Bizarrerie des japanischen Tanzes und
seiner Holzschnittkurven verrät eine unendlich
andere Gesellschaftsbindung als die mit Sinnlich-
keit geladene Grazie eines Watteau und seiner
Schauspieler, die das Ideal reiner Oberflächen-
kultur auf die angenehmste und anmutvollste Weise
verwirklichen. Und so weit, wie die herrliche
Bronzefigur Kolbes von dem höchstwertigen und
von Leben durchfluteten Klassizismus Gottfried
Schadows in den köstlichen Radierungen des
Tänzerpaares Vigano sich entfernt in Gesinnung
und Kunstmitteln, so weit spannt sich der Bogen
von der gelassenen, auf ihre Selbstbefreiung stolzen
Bürgerkultur der deutschen Romantikerzeit zu
unserer zwiespältigen, aber von neuen Ideen
trächtigen Zeit. Doch ist es bezeichnend, daß Kolbes
süße „Tänzerin" gleichwohl Symbol und Über-
schrift über alle den Tanz betreffenden Dinge ab-

^)erbt Abonnenten
für Enre Zeitschrift
„Kunst der Nation!"
geben könnte (wie sie ja auch wirklich die Plakat-
gestalt für die Tauzfestspiele abgegeben hat), weil
sie, für uns wenigstens, das Bewegliche, Rührende,
Unendlich-Mögliche des im Tanz sich lösenden
Körpers bedeutet; Hinweis zugleich — denn sie ist
weit früher entstanden — auf die Entwicklung des
deutschen Tanzes als absoluten Ausdrucksmittels
durch Laban und Mary Wigman. ckt.

Mernanö
Larf hungern
unö frieren!

Sebt für Lie
Winterhilfe!
 
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