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Kunst der Nation
Die Bezieher der „Kunst der Nation", die
ab Nr. 1/1933 abonniert haben, wollen freund-
lichst, sofern sie nicht für ein ganzes Jahr die
Bezugsgebühr bezahlt haben, den Betrag von
1,80 M. an unser Postscheckkonto Berlin 55 241
mit beiliegender Zahlkarte überweisen, damit
keine Unterbrechung der Lieferung eintritt.
Gleichzeitig Litten wir unsere Leser, bei unregelmäßiger
Zustellung der Zeitung sich stets erst an den Postboten zu
wenden, da wir die Zeitung beim Postzeitungsamt auf-
liefern und die Post für die rechtzeitige Lieferung verant-
wortlich ist.
schwer es dem durch die italienische Kunst
Faszinierten wurde, den Weg zu Rembrandt zu
finden, davon legt das Bekenntnis des Burckhardt-
schülers Carl Neumann Zeugnis ab, daß er
ursprünglich ein stilles Grauen vor seiner Kunst
gehabt habe — und doch hat er uns schließlich das
menschlich Wohl tiefste Werk über Rembrandt ge-
schenkt. Wie rasch die Begeisterung für diesen
Meister gestiegen war, der uns heute als reinste
Verkörperung germanischer Innerlichkeit erscheint,
beweist der gewaltige Erfolg von Langbehns
„Rembrandt als Erzieher" (1890), ein Buch, in
dem Rembrandt als Führer zur geistigen Wieder-
erneuerung Deutschlands ausgerufen wurde.
Aus noch tieferer Vergessenheit ist Matthias
Grünewald emporgestiegen zu solcher Höhe,
daß er zeitweilig Albrecht Dürer den Rang des
größten deutschen Malers streitig zu machen
schien. Sein Name, im 16. Jahrhundert unter
die größten der Zeit gerechnet, im 17. und 18. nur
einem kleinen Kreis bekannt, geriet schließlich in
Vergessenheit, und sein Hauptwerk, der Jsenheimer
Altar, wurde Dürer zugeschrieben. Diese einzig-
artige Schöpfung, der an Formengewalt und
innerem Reichtum nichts sonst von deutscher
Malerei vergleichbar ist, erfuhr ihre erste genaue
und tiefempfundene Beschreibung 1781 durch Lerfe,
den Jugendfreund Goethes, 9 Jahre nach dessen
Hymnus auf das Straßburger Münster — wir
spüren den Zusammenhang. Und Stolz klingt
aus Lerses einleitenden Worten, wenn er sagt:
„Es war aber Italien nicht allein, das in diesen
glücklichen Zeiten . . . große Maler hervorbrachte.
Mit weit minderen Hülfsmitteln und mit weit
größeren Schwierigkeiten, ohne Muster und ohne
Aufmunterung stunden in Deutschland Männer
aus, die den besten Italienern an die Seite gesetzt
werden." Doch die Stimme, die hier erklang,
sand im Klassizismus keinen Widerhall und keinen
in der Romantik. Denn immer noch, trotz aller
Hinneigung zum „Altdeutschen" blieb Grünewalds
Antipode, der „göttliche" Raffael, leuchtendes Vor-
bild. Noch 1852 hat die alte Pinakothek in Mün-
chen Bilder von Grünewald versteigert. Etwa seit
1870 setzt langsam die Grünewaldforschung ein,
nicht aber das Verständnis für diesen Großen,
der weiterhin dem deutschen Volke fremd blieb,
von wenigen Ausnahmen, wie Arnold Böcklin,
abgesehen. Italien beherrschte die Geister noch
immer. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts
und als der Jsenheimer Altar während des Krie-
ges aus dem gefährdeten Kolmar nach München
gebracht wurde, da fühlte jeder, der ihn sah, daß
er hier eine der tiefsten Offenbarungen des deut-
schen Geistes vor Augen hatte.
Ganz ähnlich ist es auch den Meistern der
älteren deutschen Tafelmalerei vor Dürer ge-
gangen. Von dieser kannte die Romantik im
wesentlichen nur die kölnische und höchstens noch
die Nürnberger Schule. Meister Bertram und
Meister Franke, die Führer der norddeutschen
Malerei in der zweiten Hälfte des 14. bzw. in der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wurden erst
um 1900 von Lichtwark entdeckt. Und was die
böhmische Schule mit dem Meister von
Hohen furth und vor allem dem Meister
von Wittingau bedeutet, was die ober-
rheinische mit Lukas Moser und Konrad
Witz, das haben wir alles erst seit jener Zeit
zu würdigen gelernt. Schließlich verdient hier
noch angemerkt zu werden, daß auch die deutsche
Malerei der Romantik mit ihrem so ganz eigen-
artig deutschen und der gleichzeitigen Dichtung
eng verbundenen Wesen im Laufe des 19. Jahr-
hunderts in Vergessenheit geriet und daß wir
ihren Schöpfungen und ihren besten Meistern
C. D. Friedrich und Runge erst seit der
Jahrhundertausstellung in Berlin vom Jahre
1906 wieder Verständnis und Liebe entgegen-
gebracht haben.
Die deutsche Plastik des Mittel-
alters, neben der französischen die großartigste
Europas, ist fast das ganze 19. Jahrhundert hin-
durch ein Blich mit 7 Siegeln gewesen. Schlagen
wir nach, was in dem Standard-Werk deutscher
Kunstgeschichtsschreibung, der achtbändigen Ge-
schichte der bildenden Künste von Carl Schnaase
noch in der zweiten Auflage von 1872 über die
Bildwerke von Bamberg und Naumburg
zu lesen ist. Denen von Bamberg werden kaum
20 Zeilen gegönnt. Nur die Statuen des Fürsten-
portals und der Reiter werden kurz besprochen,
an den Aposteln und Propheten der Chorschran-
ken, an Maria und Elisabeth, Hauptleistungen der
gesamten Plastik des Mittelalters, ist der Ver-
fasser achtlos vorübergegangen. Die Naumburger
Lettnerreliefs müssen sich mit der Bemerkung be-
gnügen, daß sie zu den besseren Leistungen der
Zeit gehören, und nur die Stifterfiguren erfahren
eine, gegenüber der Ausdrucksgewalt dieser Ge-
stalten allerdings völlig mit Blindheit geschlagene,
matte Beschreibung auf einer knappen Seite,
während die etwa gleichzeitigen Werke des italieni-
schen Bildhauers Niccolo Pisano auf fast 30 Seiten
beschrieben sind! Man wird sich nach dieser Probe
vorstellen können, wie es um die Kenntnis der
übrigen Werke unserer mittelalterlichen Plastik
stand, wenn schon jene Gipfelleistungen nur in
ihren gröbsten Umrissen gesehen wurden. Erst
seit den 90er Jahren sind wir Schritt für Schritt
mit wachsender Begeisterung in diese uns fremd
gewordene Kunst- und Geisteswelt unserer Vor-
fahren eingedrungen und stehen heute mit ehr-
fürchtiger Bewunderung vor ihr. Zuerst haben
wir das 13. Jahrhundert genauer kennen gelernr.
Daß auch das 14. und 15. Jahrhundert vor der
Riemenschneiderzeit einen Überreichtum an wert-
voller, tiefste Stimmungen unseres Volkstums
schöpferisch gestaltender Plastik mit neuen, nur
Deutschland eigentümlichen Themen hervor-
gebracht haben — das haben wir erst seit etwa
zwei Jahrzehnten allmählich zu sehen gelernt.
Noch bis vor kurzem Pflegten wir jene ergreifende
Darstellung der Maria mit dem toten Christus
aus dem Schoß allgemein mit dem italienischen
Ausdruck „Pieta." zu bezeichnen, weil wir dabei in
erster Linie an die italienischen Gestaltungen dieses
Themas, insbesondere an die des Michelangelo
dachten; heute bricht sich das deutsche Wort
„Vesperbild" allmählich Bahn irr der Er-
kenntnis, daß jenes grandiose Thema in Deutsch-
land weit früher als in anderen Ländern, nämlich
schon am Anfang des 14. Jahrhunderts, aufge-
kommen ist und hier die Menschen weit häufiger
zur Andacht gerufen hat.
Wer hätte es am Ende des 19. Jahrhunderts
für möglich gehalten, daß wir einmal die
deutsche B a r o ck b a u k u n st mit unter die
größten Leistungen der abendländischen Baukunst
rechnen und ihre nationale, so eben nur iu Deutsch-
land mögliche Komponente als einen ganz be-
sonderen Wert im Ge-
samtaspekt des inter-
nationalen Barockstils
empfinden würden? Daß
wir den Dresder Zwin-
ger, das Würzburger
Schloß, die Jnnenräume
der Kirchen von Wies,
Ottobeuren und Vier-
zehnheiligen als höchste
Offenbarungen deutscher
Kunst verehren würden?
Vieles wäre hier noch
in ähnlichem Sinne zu
nennen: die Bereicherung
unserer Kenntnis der
deutschen Renaissance-
und Barockplastik, die Er-
schließung der Formen-
welt frühmittelalterlicher,
insbesondere ottonischer
Miniaturmalerei und
jene Reihe mühseliger
Einzelforschungen, hie
uns die romanische Bau-
kunst Deutschlands von
ganz neuen Seiten gezeigt haben. Und wie
vieles liegt noch vor uns: vor allem die Auf-
hellung frühgermanischer Kunst, die ja gerade
jetzt mit Nachdruck gefordert wird.
Es ist in den bisherigen Ausführungen schon
leise angedeutet worden, daß die Entdeckung
nationaler Kunstwerte noch nicht vollständig ist,
so lange sie nur im Bereiche wissenschaftlicher For-
schung verbleibt. Erft wenn sie über diesen
hinausgelangt und nach Durchstoßung der dünnen
Atmosphäre der sogenannten allgemeinen Bildung
einem größeren Kreis von Volksgenossen wirklich
ans Herz greift -- erst dann ist sie vollständig
gewbWenO Wä^^ber grälfü vän den Werren oer
Kunst unserer Vergangenheit einem größeren
Kreis von Volksgenossen wirklich ans Herz? Zu
wenig, viel zu wenig ans dem Reichtum der Jahr-
hunderte! Die bildende Kunst ist noch nicht
Herzensangelegenheit der Nation wie die Litera-
tur, eine Feststellung, die man ohne weiteres
schon bei Durchsicht des Lehrplanes unserer
Schulen machen kann. Doch das Programm der
geistigen Erneuerung unseres Volkes ' erhebt als
eine seiner Hauptforderungen, daß wir uns auf
die unverlierbaren Güter unserer Kultur besinnen
und sie aufs neue zu unserem lebendigen Besitz
machen. Der Grund dazu ist gelegt — wir ver-
suchten es zu zeigen. Hoffen wir, daß jene Forde-
rung zur tatkräftigen Förderung werde; denn
wo könnten wir klarer'das geistige
Gesicht unserer Nation erkennen,
woständen ihre inneren Schicksale
uns anschaulicher vor Augen als in
den Werken ihrer Kun st?
Erziehung zur Stadt
(Fortsetzung von Seite t)
den fremden Lebensranm hinübergetragen wur-
den. Blinde Spiegel, in denen sich das Bild des
Volkes zur Grimasse verzerrt. Nur dann wird
man eine' Stadt lieben können, wenn man in
ihr die Bauhütten der Landschaft zu erkeuueu
vermag, der Landschaft, aus der sie emporwuchs.
Städte siud wie Pflanzen und Bäume. Nur
ein fäulnisgesättigter Intellektualismus machte
sie zum gefräßigeu Moloch uud hämmerte aus
ihnen das Bild der babylonischen Hure. — Städte
sind auch wie steile Dramen, voll Willen, Kraft
und Glut; sie sind mehr als die Summe ihrer
Häuser und Einwohner; wären sie es nicht, dann
hätte Sowjetrußland recht, und das Rassengemisch
der amerikanischen Städte, das solche Ungeheuer
von Bastarden gebar. Und ist das Land da
draußen nicht wie ein Riesenepos, ruhig uud
machtvoll, bis sich irgendwo seine Kräfte stauen
und sammeln, nm einen neuen Raum, den der
Stadt, zu schaffen? Das Land ist eine große
Mutter, iu ihrem Leib liegt eingebettet das Dorf,
genährt vom Blut der Erde, wie vom Blute der
Mutter das Kiud iu ihrem Schoß. Uud das Dorf
wächst und wird zur Stadt, die sich dann vom
Lande löst, ein Eigenwesen geworden, die Züge
der Mutterlandschaft tragend, losgelöst von ihr,
und dennoch ist es wie sie. So gebiert das Land
die Stadt, so entstehen die zwei Existenzformen
menschlichen Daseins, mit unendlich vielen
Stufungen und Graden.
Es ist ein Unding, zu einem nationalen
Sozialismus ohne Anerkennung der Stadt zu ge-
langen, wie es auch nicht berechtigt ist, noch
weiterhin die Technik als Totengräberin der Kul-
tur zu betrachten. Wenn man in der Technik die
innigste Verbindung von Natnrkraft und mensch-
lichem Formwillen sieht und nicht mehr einen
sklavischen Automatismus, der die Menschen zu
Massen znsammenballt, dann ist das erste Kapitel
der Erziehung zur Stadt aufgeschlagen. Mit dem
Faschismus ist die Bindung aller Vorgänge des
gesamten Schassens an die Volksgemeinschaft
grundsätzlich bejaht, und der Spezialist, dieses
Gespenst aus dem letzten Jahrhundert, muß dein
Manne der Znsammenschau das Feld räumen,
damit dieser ans der Mannigfaltigkeit die leben-
dige Einheit meißele. Diese Einheit ist in der
Rasse verborgen, die die alten Städte des deut-
schen Landes formte. Aber es ist nicht mit der
Nachahmung der Fachwerkhäuser uud der bis auf
die Erde herabgezogenen Dächer getan. Die
moderne Baukunst in Europa giug von Deutsch-
land aus. Wer die letztjährige Kunstausstellung
in Mailand sah, fand das int höchsten Maße be-
stätigt und konnte seine stolze Freude darüber
nicht verheimlichen, die auch die Behauptung nicht
brechen kann, die moderne deutsche Baukunst sei
Knlturbolschewismns. Jahrhunderte hindurch ist
Deutschland voll einem faden Klassizismus ins
Schlepptau genommen worden, den erst voll-
kommen die neue Architektur überwand. 81M
tsckasao!
War es denn nötig, daß erst das Ausland uns
sagen mußte, unsere heutige Baukunst sei deutsch?
Wer den Geist eines Volkes verstehen will, der
gehe in die Städte, und es wird sich erweisen, ob
der Geist stark genug war, die Kräfte der Natur
in die Formen der Kultur zu verwandeln. Wo
aber das nicht zutrifft, dort wird vieles zer-
schlagen werden müssen und eine Regeneration
einzusetzen haben. Das wilhelminische Bürger-
tum von Gottes Gnaden, wie es sich in den Stuck-
fassaden manifestiert und in der Imitation frem-
der Gestaltungen answütet, ist erst dann ver-
schwunden, wenn der letzte Gipskopf eines lächeln-
den Engels unter der Spitzhacke fällt. Doch das
lvird nicht mehr lange dauern. Einen viel wich-
tigeren Grund der Erziehung zur Stadt erschließt
das Weltgefühl der Rasse mit seinen religiösen
Hintergründen. Städte, wenn sie nicht gerade
aus den Baracken und Zelten der Goldsucher
entstanden sind, strahlen ans der Erde ihrer
Landschaft das Spiegelbild des Mythos aus, der
die Rasse beherrscht. Und Mythos ist nichts
anderes, als der religiöse
Sinn einer Rasse in In-
halt und Form. Aus der
kommenden Renaissance,
die die Wiedergeburt des
Nordischen ist, wird auch
das neue Gefühl für die
Stadt erstehen. Wie Pa-
ris die lateinischste aller
Städte ist, in denen sich
das Nordische und das
Südliche restlos mit
dem Urgrund der roma-
nischen Rasse verschmel-
zen konnte, die im rö-
misch-lateinischen Katho-
lizismus einen ihr ge-
mäßen Mittler fand, so
wird in Deutschland der
Boden für eine germa-
nische Stadt nordischer
Religiosität bereitet wer-
den müssen. Welche kultu-
rellen Formkräfte dieses
Land besitzt, das bezeugt
die Gotik, die die christ-
lich-südländischen Inhalte in eine faustisch-ger-
manische Form schloß. Um wievieles größer noch
wird diese seelische Architektur sein, wenn sie sich
der Inhalte aus nordischem Mythos bewußt wird,
die nicht erst an die Rasse augeglichen werden
brauchen.
Es gibt Millionen von Menschen in Deutsch-
land, die das mit Heidentum bezeichnen; wohlan
denn: laßt uns „heidnische" Städte bauen, das
heißt: Städte deutscher Erde, aber: Städte aus
Asphalt, Beton, Glas und Stahl. Und die Be-
zeichnung „heidnisch" lvird ebenso lächerlich sein
wie die urtümliche Bedeutung des Wortes
„gothisch", das soviel meint wie:' barbarisch, ge-
mein und häßlich, blx 86pl6ntrion6 lux! Aus
dem Norden das Licht! Und wir fragen mit
Ernst Bergmann: Wie nun, wenn uns Heutigeil
ein Winckelmann des Nordens erwüchse?
Wilhelm Hansenstein nennt einmal Berlin
die n-religiöse Stadt und gibt hiermit, voll seinem
Standpunkt eines christlich-römisch orientierten
Weltbildes ans, die beste Definition. Könnte
Ulan aber Berlin nicht eher die in einem perma-
nenten religiösen Protestantismus steckengeblie-
bene Stadt uenneu? Eiue Stadt der Unruhe
zwischen Rationalität und einer nordischen Mystik,
die nicht, lvie das christliche Dogma, vom Men-
schen wegführt, sondern in ihn hinein. Trotz
Wilhelm dem Zweiten, trotz Kurfürstendamm und
den Entstellungen durch semitische Einflüsse. Eine
Spannkraft der Transzendenz, nicht ins Jen-
seitige, sondern ills Nordische, ist überall spür-
bar. München mag schöner genannt werden,
Frankfurt und Köln geschlossener in Bild und
Italien, 13. Jahrhundert: Jonas und der Walsisch. Berlin, Museum
Das ewig unvollendete Bild
Von
Bruno Brehm
In einer schwedischen Galerie hängt ein
großes, „Der Lebensbaum" benanntes Bild, das
eine mächtige Esche darstellt, in deren Krone die
Vögel des Waldes horsten und nisten und deren
Schatten das Tiergewimmel der Erde ausnimmt.
Der Galeriedirektor hatte sich dareingefunden,
daß sich der Maler, der vor Jahren, durch Armut
genötigt, dieses Bild schweren Herzens veräußert
hatte, an Tagen, da die Sammlung für Be-
sucher gesperrt war, vor seinem Werke'mit Pinsel
und Palette einfand und hier an einem Blümchen,
dort an einem Federchen herumänderte. Als er
aber eines Tages den alten Herrn dabei betraf,
wie dieser einen mächtigen, am Fuße des Baumes
gelagerten Tiger in einen Elefanten umzuwandeln
im Begriffe war, da riß ihm die Geduld, und er
gab dem Maler zu verstehen, daß er seiner un-
maßgeblichen Meinung nach der älteren Fassung
des Bildes entschieden den Vorzug gäbe. Ob er
das wirklich finde, fragte der alte'Maler, sich auf
seinem Klappstuhl umdrehend, ob er denn nicht
verstehen könne, daß ihm, dem Schöpfer eines im
Grunde friedlichen, ja idyllisch gedachten Bildes
ein so blutdürstiger Tiger unter all dem fried-
lichen Getier den Schlaf rauben müsse? Mit
dreißig Jahren glaube man an das Paradies,
da Pinsele man ruhig ein sanftes Reh neben solch
einen bunten Räuber hin, aber als alter Mann
lasse mau sich alle Sachen ein wenig durch den
Kopf gehen. Wenn jedoch der Direktor auf dem
Tiger bestehe, dann müsse er auch erlauben, daß
all die Hirsche, Rehe und Gazellen, die Hasen,
Rinder und Giraffen, ja selbst die Affen oben im
Geäst und die Vögel in der Krone vor diesem
Räuber fliehend dargestellt würden.
Über diesen Plan erschrak der Galeriedirektor
so, daß er mit aufgehobenen Händen den Maler
beschwor, in drei Teufels Namen den Tiger in
einen Elefanten zu verwandeln und dann aber
endlich ein für allemal Ruhe zu geben.
Hoch und heilig versprach es der alte Herr,
übermalte die sein Idyll störende Bestie und ließ
sich ein ganzes Jahr nicht mehr bei dein Galerie-
direktor sehen.
Da aber auf diesem Bilde Vögel und Vier-
füßler uach wie vor die Plätze vertauschten, stellte
der Direktor den alten Herrn einmal auf der
Straße zur Rede. Mit Blick und Gebärde alles
leugnend, wich der Maler aus und ging, trotzigen,
ja verstockten Blicks seiner Wege.
Eines Abends, da der Direktor spät aus der
Gesellschaft heimkehrte, sah er oben im Museum
Licht. Er läutete den verschlafenen Torwart
heraus, der ihn durch die schweigenden Säle
führen mußte. Vor dem Lebensbaum saß beim
Lichte einer Blendlaterne der Maler und war
gerade dabei, einen Adler in einen Auerhahn zu
verwandeln.
„Nun hab ich dich! Nun hab ich dich! Und
den Torwart haft du Wohl auch bestochen! Dem
Mann kann das die Stelle kosten!" frohlockte der
Direktor.
„Der Adler", klagte der Maler, „hat mir den
Frieden der Vögel gestört, der Adler war ein
schlechter Kerl!"
„So! Und warum hast du den Reiher aus
der Krone des Baumes auf den Rücken des ver-
dammten Elefanten flattern lassen?"
„Der große graue Fleck hat nach Farbe ge-
schrien! Bedenke doch, wie bunt vorher der Tiger
war! Es gibt doch nicht nur Gesetze der Moral,
es gibt auch Gesetze der Schönheit!"
„Aber das Bild gehört doch nicht mehr dir",
erwiderte der Direktor, „das Bild gehört doch
der Galerie, dein Anrecht darauf hast du um bares
Geld dem Staat, dem Volk, der Mit- und, wenn
du nichts mehr daran herumänderst, vielleicht
sogar der Nachwelt abgetreten."
Aber nicht einmal der Hinweis aus den Nach-
ruhm verfing bei dem alten Herrn, dem der Ge-
danke, diesen Vogel, der nun vorne ein Auerhahn
und hinten ein Adler war, in die Welt gesetzt
zu haben, den Schlaf zu rauben drohte. Er müsse
nach seinem Tode wiederkommen, beteuerte er
fast uuter Träneu, der Direktor möge uur ein
Fünkchen Mitleid haben.
Mit Mühe nur wahrte der Direktor den Ernst,
erlaubte dem alten Mann, diese Änderung noch
durchzuführen und nahm ihm das Versprechen ab,
von dieser nächtlichen Begegnung nichts verlauten
zu lassen, da sonst alle Maler herbeikämen, um
an ihren Bildern herumzupatzen. Aus die Frage
des Malers, wann er denn wiederkommen dürfe,
bestimmte der Direktor einen Tag des Jahres, an
dem der alte Herr geschlagene drei Stunden an
seinem Bilde hernmpinseln dürfe. „Denn lasse
ich dich öfter herein, so übermalst du das ganze
Bild und man wird mich beschuldigen, deine gute
Mannesarbcit veräußert und gegen ein lahmes
Alterswerk ausgetanscht zu haben."
Jährlich am 5. Mai, an seinem Geburtstag,
kam der Alte, saß drei Stunden vor seinem Bild,
erbettelte sich zwei weitere Stunden und wurde
nach Ablauf dieser Frist vom Direktor selbst sanft,
aber nachdrücklich hinansgelcitet.
„Auf diese Weise", rief der alte Maler an
seinem dreiundsiebzigsten Geburtstage, „zwingst
du mich, hundert Jahre alt zu werden!"
Kunst der Nation
Die Bezieher der „Kunst der Nation", die
ab Nr. 1/1933 abonniert haben, wollen freund-
lichst, sofern sie nicht für ein ganzes Jahr die
Bezugsgebühr bezahlt haben, den Betrag von
1,80 M. an unser Postscheckkonto Berlin 55 241
mit beiliegender Zahlkarte überweisen, damit
keine Unterbrechung der Lieferung eintritt.
Gleichzeitig Litten wir unsere Leser, bei unregelmäßiger
Zustellung der Zeitung sich stets erst an den Postboten zu
wenden, da wir die Zeitung beim Postzeitungsamt auf-
liefern und die Post für die rechtzeitige Lieferung verant-
wortlich ist.
schwer es dem durch die italienische Kunst
Faszinierten wurde, den Weg zu Rembrandt zu
finden, davon legt das Bekenntnis des Burckhardt-
schülers Carl Neumann Zeugnis ab, daß er
ursprünglich ein stilles Grauen vor seiner Kunst
gehabt habe — und doch hat er uns schließlich das
menschlich Wohl tiefste Werk über Rembrandt ge-
schenkt. Wie rasch die Begeisterung für diesen
Meister gestiegen war, der uns heute als reinste
Verkörperung germanischer Innerlichkeit erscheint,
beweist der gewaltige Erfolg von Langbehns
„Rembrandt als Erzieher" (1890), ein Buch, in
dem Rembrandt als Führer zur geistigen Wieder-
erneuerung Deutschlands ausgerufen wurde.
Aus noch tieferer Vergessenheit ist Matthias
Grünewald emporgestiegen zu solcher Höhe,
daß er zeitweilig Albrecht Dürer den Rang des
größten deutschen Malers streitig zu machen
schien. Sein Name, im 16. Jahrhundert unter
die größten der Zeit gerechnet, im 17. und 18. nur
einem kleinen Kreis bekannt, geriet schließlich in
Vergessenheit, und sein Hauptwerk, der Jsenheimer
Altar, wurde Dürer zugeschrieben. Diese einzig-
artige Schöpfung, der an Formengewalt und
innerem Reichtum nichts sonst von deutscher
Malerei vergleichbar ist, erfuhr ihre erste genaue
und tiefempfundene Beschreibung 1781 durch Lerfe,
den Jugendfreund Goethes, 9 Jahre nach dessen
Hymnus auf das Straßburger Münster — wir
spüren den Zusammenhang. Und Stolz klingt
aus Lerses einleitenden Worten, wenn er sagt:
„Es war aber Italien nicht allein, das in diesen
glücklichen Zeiten . . . große Maler hervorbrachte.
Mit weit minderen Hülfsmitteln und mit weit
größeren Schwierigkeiten, ohne Muster und ohne
Aufmunterung stunden in Deutschland Männer
aus, die den besten Italienern an die Seite gesetzt
werden." Doch die Stimme, die hier erklang,
sand im Klassizismus keinen Widerhall und keinen
in der Romantik. Denn immer noch, trotz aller
Hinneigung zum „Altdeutschen" blieb Grünewalds
Antipode, der „göttliche" Raffael, leuchtendes Vor-
bild. Noch 1852 hat die alte Pinakothek in Mün-
chen Bilder von Grünewald versteigert. Etwa seit
1870 setzt langsam die Grünewaldforschung ein,
nicht aber das Verständnis für diesen Großen,
der weiterhin dem deutschen Volke fremd blieb,
von wenigen Ausnahmen, wie Arnold Böcklin,
abgesehen. Italien beherrschte die Geister noch
immer. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts
und als der Jsenheimer Altar während des Krie-
ges aus dem gefährdeten Kolmar nach München
gebracht wurde, da fühlte jeder, der ihn sah, daß
er hier eine der tiefsten Offenbarungen des deut-
schen Geistes vor Augen hatte.
Ganz ähnlich ist es auch den Meistern der
älteren deutschen Tafelmalerei vor Dürer ge-
gangen. Von dieser kannte die Romantik im
wesentlichen nur die kölnische und höchstens noch
die Nürnberger Schule. Meister Bertram und
Meister Franke, die Führer der norddeutschen
Malerei in der zweiten Hälfte des 14. bzw. in der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wurden erst
um 1900 von Lichtwark entdeckt. Und was die
böhmische Schule mit dem Meister von
Hohen furth und vor allem dem Meister
von Wittingau bedeutet, was die ober-
rheinische mit Lukas Moser und Konrad
Witz, das haben wir alles erst seit jener Zeit
zu würdigen gelernt. Schließlich verdient hier
noch angemerkt zu werden, daß auch die deutsche
Malerei der Romantik mit ihrem so ganz eigen-
artig deutschen und der gleichzeitigen Dichtung
eng verbundenen Wesen im Laufe des 19. Jahr-
hunderts in Vergessenheit geriet und daß wir
ihren Schöpfungen und ihren besten Meistern
C. D. Friedrich und Runge erst seit der
Jahrhundertausstellung in Berlin vom Jahre
1906 wieder Verständnis und Liebe entgegen-
gebracht haben.
Die deutsche Plastik des Mittel-
alters, neben der französischen die großartigste
Europas, ist fast das ganze 19. Jahrhundert hin-
durch ein Blich mit 7 Siegeln gewesen. Schlagen
wir nach, was in dem Standard-Werk deutscher
Kunstgeschichtsschreibung, der achtbändigen Ge-
schichte der bildenden Künste von Carl Schnaase
noch in der zweiten Auflage von 1872 über die
Bildwerke von Bamberg und Naumburg
zu lesen ist. Denen von Bamberg werden kaum
20 Zeilen gegönnt. Nur die Statuen des Fürsten-
portals und der Reiter werden kurz besprochen,
an den Aposteln und Propheten der Chorschran-
ken, an Maria und Elisabeth, Hauptleistungen der
gesamten Plastik des Mittelalters, ist der Ver-
fasser achtlos vorübergegangen. Die Naumburger
Lettnerreliefs müssen sich mit der Bemerkung be-
gnügen, daß sie zu den besseren Leistungen der
Zeit gehören, und nur die Stifterfiguren erfahren
eine, gegenüber der Ausdrucksgewalt dieser Ge-
stalten allerdings völlig mit Blindheit geschlagene,
matte Beschreibung auf einer knappen Seite,
während die etwa gleichzeitigen Werke des italieni-
schen Bildhauers Niccolo Pisano auf fast 30 Seiten
beschrieben sind! Man wird sich nach dieser Probe
vorstellen können, wie es um die Kenntnis der
übrigen Werke unserer mittelalterlichen Plastik
stand, wenn schon jene Gipfelleistungen nur in
ihren gröbsten Umrissen gesehen wurden. Erst
seit den 90er Jahren sind wir Schritt für Schritt
mit wachsender Begeisterung in diese uns fremd
gewordene Kunst- und Geisteswelt unserer Vor-
fahren eingedrungen und stehen heute mit ehr-
fürchtiger Bewunderung vor ihr. Zuerst haben
wir das 13. Jahrhundert genauer kennen gelernr.
Daß auch das 14. und 15. Jahrhundert vor der
Riemenschneiderzeit einen Überreichtum an wert-
voller, tiefste Stimmungen unseres Volkstums
schöpferisch gestaltender Plastik mit neuen, nur
Deutschland eigentümlichen Themen hervor-
gebracht haben — das haben wir erst seit etwa
zwei Jahrzehnten allmählich zu sehen gelernt.
Noch bis vor kurzem Pflegten wir jene ergreifende
Darstellung der Maria mit dem toten Christus
aus dem Schoß allgemein mit dem italienischen
Ausdruck „Pieta." zu bezeichnen, weil wir dabei in
erster Linie an die italienischen Gestaltungen dieses
Themas, insbesondere an die des Michelangelo
dachten; heute bricht sich das deutsche Wort
„Vesperbild" allmählich Bahn irr der Er-
kenntnis, daß jenes grandiose Thema in Deutsch-
land weit früher als in anderen Ländern, nämlich
schon am Anfang des 14. Jahrhunderts, aufge-
kommen ist und hier die Menschen weit häufiger
zur Andacht gerufen hat.
Wer hätte es am Ende des 19. Jahrhunderts
für möglich gehalten, daß wir einmal die
deutsche B a r o ck b a u k u n st mit unter die
größten Leistungen der abendländischen Baukunst
rechnen und ihre nationale, so eben nur iu Deutsch-
land mögliche Komponente als einen ganz be-
sonderen Wert im Ge-
samtaspekt des inter-
nationalen Barockstils
empfinden würden? Daß
wir den Dresder Zwin-
ger, das Würzburger
Schloß, die Jnnenräume
der Kirchen von Wies,
Ottobeuren und Vier-
zehnheiligen als höchste
Offenbarungen deutscher
Kunst verehren würden?
Vieles wäre hier noch
in ähnlichem Sinne zu
nennen: die Bereicherung
unserer Kenntnis der
deutschen Renaissance-
und Barockplastik, die Er-
schließung der Formen-
welt frühmittelalterlicher,
insbesondere ottonischer
Miniaturmalerei und
jene Reihe mühseliger
Einzelforschungen, hie
uns die romanische Bau-
kunst Deutschlands von
ganz neuen Seiten gezeigt haben. Und wie
vieles liegt noch vor uns: vor allem die Auf-
hellung frühgermanischer Kunst, die ja gerade
jetzt mit Nachdruck gefordert wird.
Es ist in den bisherigen Ausführungen schon
leise angedeutet worden, daß die Entdeckung
nationaler Kunstwerte noch nicht vollständig ist,
so lange sie nur im Bereiche wissenschaftlicher For-
schung verbleibt. Erft wenn sie über diesen
hinausgelangt und nach Durchstoßung der dünnen
Atmosphäre der sogenannten allgemeinen Bildung
einem größeren Kreis von Volksgenossen wirklich
ans Herz greift -- erst dann ist sie vollständig
gewbWenO Wä^^ber grälfü vän den Werren oer
Kunst unserer Vergangenheit einem größeren
Kreis von Volksgenossen wirklich ans Herz? Zu
wenig, viel zu wenig ans dem Reichtum der Jahr-
hunderte! Die bildende Kunst ist noch nicht
Herzensangelegenheit der Nation wie die Litera-
tur, eine Feststellung, die man ohne weiteres
schon bei Durchsicht des Lehrplanes unserer
Schulen machen kann. Doch das Programm der
geistigen Erneuerung unseres Volkes ' erhebt als
eine seiner Hauptforderungen, daß wir uns auf
die unverlierbaren Güter unserer Kultur besinnen
und sie aufs neue zu unserem lebendigen Besitz
machen. Der Grund dazu ist gelegt — wir ver-
suchten es zu zeigen. Hoffen wir, daß jene Forde-
rung zur tatkräftigen Förderung werde; denn
wo könnten wir klarer'das geistige
Gesicht unserer Nation erkennen,
woständen ihre inneren Schicksale
uns anschaulicher vor Augen als in
den Werken ihrer Kun st?
Erziehung zur Stadt
(Fortsetzung von Seite t)
den fremden Lebensranm hinübergetragen wur-
den. Blinde Spiegel, in denen sich das Bild des
Volkes zur Grimasse verzerrt. Nur dann wird
man eine' Stadt lieben können, wenn man in
ihr die Bauhütten der Landschaft zu erkeuueu
vermag, der Landschaft, aus der sie emporwuchs.
Städte siud wie Pflanzen und Bäume. Nur
ein fäulnisgesättigter Intellektualismus machte
sie zum gefräßigeu Moloch uud hämmerte aus
ihnen das Bild der babylonischen Hure. — Städte
sind auch wie steile Dramen, voll Willen, Kraft
und Glut; sie sind mehr als die Summe ihrer
Häuser und Einwohner; wären sie es nicht, dann
hätte Sowjetrußland recht, und das Rassengemisch
der amerikanischen Städte, das solche Ungeheuer
von Bastarden gebar. Und ist das Land da
draußen nicht wie ein Riesenepos, ruhig uud
machtvoll, bis sich irgendwo seine Kräfte stauen
und sammeln, nm einen neuen Raum, den der
Stadt, zu schaffen? Das Land ist eine große
Mutter, iu ihrem Leib liegt eingebettet das Dorf,
genährt vom Blut der Erde, wie vom Blute der
Mutter das Kiud iu ihrem Schoß. Uud das Dorf
wächst und wird zur Stadt, die sich dann vom
Lande löst, ein Eigenwesen geworden, die Züge
der Mutterlandschaft tragend, losgelöst von ihr,
und dennoch ist es wie sie. So gebiert das Land
die Stadt, so entstehen die zwei Existenzformen
menschlichen Daseins, mit unendlich vielen
Stufungen und Graden.
Es ist ein Unding, zu einem nationalen
Sozialismus ohne Anerkennung der Stadt zu ge-
langen, wie es auch nicht berechtigt ist, noch
weiterhin die Technik als Totengräberin der Kul-
tur zu betrachten. Wenn man in der Technik die
innigste Verbindung von Natnrkraft und mensch-
lichem Formwillen sieht und nicht mehr einen
sklavischen Automatismus, der die Menschen zu
Massen znsammenballt, dann ist das erste Kapitel
der Erziehung zur Stadt aufgeschlagen. Mit dem
Faschismus ist die Bindung aller Vorgänge des
gesamten Schassens an die Volksgemeinschaft
grundsätzlich bejaht, und der Spezialist, dieses
Gespenst aus dem letzten Jahrhundert, muß dein
Manne der Znsammenschau das Feld räumen,
damit dieser ans der Mannigfaltigkeit die leben-
dige Einheit meißele. Diese Einheit ist in der
Rasse verborgen, die die alten Städte des deut-
schen Landes formte. Aber es ist nicht mit der
Nachahmung der Fachwerkhäuser uud der bis auf
die Erde herabgezogenen Dächer getan. Die
moderne Baukunst in Europa giug von Deutsch-
land aus. Wer die letztjährige Kunstausstellung
in Mailand sah, fand das int höchsten Maße be-
stätigt und konnte seine stolze Freude darüber
nicht verheimlichen, die auch die Behauptung nicht
brechen kann, die moderne deutsche Baukunst sei
Knlturbolschewismns. Jahrhunderte hindurch ist
Deutschland voll einem faden Klassizismus ins
Schlepptau genommen worden, den erst voll-
kommen die neue Architektur überwand. 81M
tsckasao!
War es denn nötig, daß erst das Ausland uns
sagen mußte, unsere heutige Baukunst sei deutsch?
Wer den Geist eines Volkes verstehen will, der
gehe in die Städte, und es wird sich erweisen, ob
der Geist stark genug war, die Kräfte der Natur
in die Formen der Kultur zu verwandeln. Wo
aber das nicht zutrifft, dort wird vieles zer-
schlagen werden müssen und eine Regeneration
einzusetzen haben. Das wilhelminische Bürger-
tum von Gottes Gnaden, wie es sich in den Stuck-
fassaden manifestiert und in der Imitation frem-
der Gestaltungen answütet, ist erst dann ver-
schwunden, wenn der letzte Gipskopf eines lächeln-
den Engels unter der Spitzhacke fällt. Doch das
lvird nicht mehr lange dauern. Einen viel wich-
tigeren Grund der Erziehung zur Stadt erschließt
das Weltgefühl der Rasse mit seinen religiösen
Hintergründen. Städte, wenn sie nicht gerade
aus den Baracken und Zelten der Goldsucher
entstanden sind, strahlen ans der Erde ihrer
Landschaft das Spiegelbild des Mythos aus, der
die Rasse beherrscht. Und Mythos ist nichts
anderes, als der religiöse
Sinn einer Rasse in In-
halt und Form. Aus der
kommenden Renaissance,
die die Wiedergeburt des
Nordischen ist, wird auch
das neue Gefühl für die
Stadt erstehen. Wie Pa-
ris die lateinischste aller
Städte ist, in denen sich
das Nordische und das
Südliche restlos mit
dem Urgrund der roma-
nischen Rasse verschmel-
zen konnte, die im rö-
misch-lateinischen Katho-
lizismus einen ihr ge-
mäßen Mittler fand, so
wird in Deutschland der
Boden für eine germa-
nische Stadt nordischer
Religiosität bereitet wer-
den müssen. Welche kultu-
rellen Formkräfte dieses
Land besitzt, das bezeugt
die Gotik, die die christ-
lich-südländischen Inhalte in eine faustisch-ger-
manische Form schloß. Um wievieles größer noch
wird diese seelische Architektur sein, wenn sie sich
der Inhalte aus nordischem Mythos bewußt wird,
die nicht erst an die Rasse augeglichen werden
brauchen.
Es gibt Millionen von Menschen in Deutsch-
land, die das mit Heidentum bezeichnen; wohlan
denn: laßt uns „heidnische" Städte bauen, das
heißt: Städte deutscher Erde, aber: Städte aus
Asphalt, Beton, Glas und Stahl. Und die Be-
zeichnung „heidnisch" lvird ebenso lächerlich sein
wie die urtümliche Bedeutung des Wortes
„gothisch", das soviel meint wie:' barbarisch, ge-
mein und häßlich, blx 86pl6ntrion6 lux! Aus
dem Norden das Licht! Und wir fragen mit
Ernst Bergmann: Wie nun, wenn uns Heutigeil
ein Winckelmann des Nordens erwüchse?
Wilhelm Hansenstein nennt einmal Berlin
die n-religiöse Stadt und gibt hiermit, voll seinem
Standpunkt eines christlich-römisch orientierten
Weltbildes ans, die beste Definition. Könnte
Ulan aber Berlin nicht eher die in einem perma-
nenten religiösen Protestantismus steckengeblie-
bene Stadt uenneu? Eiue Stadt der Unruhe
zwischen Rationalität und einer nordischen Mystik,
die nicht, lvie das christliche Dogma, vom Men-
schen wegführt, sondern in ihn hinein. Trotz
Wilhelm dem Zweiten, trotz Kurfürstendamm und
den Entstellungen durch semitische Einflüsse. Eine
Spannkraft der Transzendenz, nicht ins Jen-
seitige, sondern ills Nordische, ist überall spür-
bar. München mag schöner genannt werden,
Frankfurt und Köln geschlossener in Bild und
Italien, 13. Jahrhundert: Jonas und der Walsisch. Berlin, Museum
Das ewig unvollendete Bild
Von
Bruno Brehm
In einer schwedischen Galerie hängt ein
großes, „Der Lebensbaum" benanntes Bild, das
eine mächtige Esche darstellt, in deren Krone die
Vögel des Waldes horsten und nisten und deren
Schatten das Tiergewimmel der Erde ausnimmt.
Der Galeriedirektor hatte sich dareingefunden,
daß sich der Maler, der vor Jahren, durch Armut
genötigt, dieses Bild schweren Herzens veräußert
hatte, an Tagen, da die Sammlung für Be-
sucher gesperrt war, vor seinem Werke'mit Pinsel
und Palette einfand und hier an einem Blümchen,
dort an einem Federchen herumänderte. Als er
aber eines Tages den alten Herrn dabei betraf,
wie dieser einen mächtigen, am Fuße des Baumes
gelagerten Tiger in einen Elefanten umzuwandeln
im Begriffe war, da riß ihm die Geduld, und er
gab dem Maler zu verstehen, daß er seiner un-
maßgeblichen Meinung nach der älteren Fassung
des Bildes entschieden den Vorzug gäbe. Ob er
das wirklich finde, fragte der alte'Maler, sich auf
seinem Klappstuhl umdrehend, ob er denn nicht
verstehen könne, daß ihm, dem Schöpfer eines im
Grunde friedlichen, ja idyllisch gedachten Bildes
ein so blutdürstiger Tiger unter all dem fried-
lichen Getier den Schlaf rauben müsse? Mit
dreißig Jahren glaube man an das Paradies,
da Pinsele man ruhig ein sanftes Reh neben solch
einen bunten Räuber hin, aber als alter Mann
lasse mau sich alle Sachen ein wenig durch den
Kopf gehen. Wenn jedoch der Direktor auf dem
Tiger bestehe, dann müsse er auch erlauben, daß
all die Hirsche, Rehe und Gazellen, die Hasen,
Rinder und Giraffen, ja selbst die Affen oben im
Geäst und die Vögel in der Krone vor diesem
Räuber fliehend dargestellt würden.
Über diesen Plan erschrak der Galeriedirektor
so, daß er mit aufgehobenen Händen den Maler
beschwor, in drei Teufels Namen den Tiger in
einen Elefanten zu verwandeln und dann aber
endlich ein für allemal Ruhe zu geben.
Hoch und heilig versprach es der alte Herr,
übermalte die sein Idyll störende Bestie und ließ
sich ein ganzes Jahr nicht mehr bei dein Galerie-
direktor sehen.
Da aber auf diesem Bilde Vögel und Vier-
füßler uach wie vor die Plätze vertauschten, stellte
der Direktor den alten Herrn einmal auf der
Straße zur Rede. Mit Blick und Gebärde alles
leugnend, wich der Maler aus und ging, trotzigen,
ja verstockten Blicks seiner Wege.
Eines Abends, da der Direktor spät aus der
Gesellschaft heimkehrte, sah er oben im Museum
Licht. Er läutete den verschlafenen Torwart
heraus, der ihn durch die schweigenden Säle
führen mußte. Vor dem Lebensbaum saß beim
Lichte einer Blendlaterne der Maler und war
gerade dabei, einen Adler in einen Auerhahn zu
verwandeln.
„Nun hab ich dich! Nun hab ich dich! Und
den Torwart haft du Wohl auch bestochen! Dem
Mann kann das die Stelle kosten!" frohlockte der
Direktor.
„Der Adler", klagte der Maler, „hat mir den
Frieden der Vögel gestört, der Adler war ein
schlechter Kerl!"
„So! Und warum hast du den Reiher aus
der Krone des Baumes auf den Rücken des ver-
dammten Elefanten flattern lassen?"
„Der große graue Fleck hat nach Farbe ge-
schrien! Bedenke doch, wie bunt vorher der Tiger
war! Es gibt doch nicht nur Gesetze der Moral,
es gibt auch Gesetze der Schönheit!"
„Aber das Bild gehört doch nicht mehr dir",
erwiderte der Direktor, „das Bild gehört doch
der Galerie, dein Anrecht darauf hast du um bares
Geld dem Staat, dem Volk, der Mit- und, wenn
du nichts mehr daran herumänderst, vielleicht
sogar der Nachwelt abgetreten."
Aber nicht einmal der Hinweis aus den Nach-
ruhm verfing bei dem alten Herrn, dem der Ge-
danke, diesen Vogel, der nun vorne ein Auerhahn
und hinten ein Adler war, in die Welt gesetzt
zu haben, den Schlaf zu rauben drohte. Er müsse
nach seinem Tode wiederkommen, beteuerte er
fast uuter Träneu, der Direktor möge uur ein
Fünkchen Mitleid haben.
Mit Mühe nur wahrte der Direktor den Ernst,
erlaubte dem alten Mann, diese Änderung noch
durchzuführen und nahm ihm das Versprechen ab,
von dieser nächtlichen Begegnung nichts verlauten
zu lassen, da sonst alle Maler herbeikämen, um
an ihren Bildern herumzupatzen. Aus die Frage
des Malers, wann er denn wiederkommen dürfe,
bestimmte der Direktor einen Tag des Jahres, an
dem der alte Herr geschlagene drei Stunden an
seinem Bilde hernmpinseln dürfe. „Denn lasse
ich dich öfter herein, so übermalst du das ganze
Bild und man wird mich beschuldigen, deine gute
Mannesarbcit veräußert und gegen ein lahmes
Alterswerk ausgetanscht zu haben."
Jährlich am 5. Mai, an seinem Geburtstag,
kam der Alte, saß drei Stunden vor seinem Bild,
erbettelte sich zwei weitere Stunden und wurde
nach Ablauf dieser Frist vom Direktor selbst sanft,
aber nachdrücklich hinansgelcitet.
„Auf diese Weise", rief der alte Maler an
seinem dreiundsiebzigsten Geburtstage, „zwingst
du mich, hundert Jahre alt zu werden!"