Kunst der Nation
5
ten Ausstellungen in unzweckmäßigen Gebäuden.
Es ist verständlich, daß man bemüht war, erst dem
westfälischen Schassen eine Ausstellungsstätte^zu
errichten. Doch darüber hinaus wird man durch
öfteren Wechsel der Arbeiten der gesamten deut-
schen Kunst gerecht zu werden suchen. Der
deutsche Künstler hat mit dem „Haus der Kunst"
in Dortmund eine neue Möglichkeit erhalten, sein
Können unter Beweis zn stellen.
Drunk Doruk
Das Münchner
Graphische Kabinett
Nach längerer Beschäftigung mit der Graphik
des 19. Jahrhunderts schlägt das Münchner Gra-
phische Kabinett mit Nolde, Josef Scharl und
Werner Scholz einen zeitgenössischen Dreiklang
an. Die Holzschnitte und Radierungen aus allen
Schaffenszeiten Noldes zeigen, daß seine ernsthafte
Arbeit, mag sie auch manchmal einsame, schwer
zugängliche Wege gegangen sein, immer wieder
zu einer wilden vulkanischen Kraft im Holzschnitt
und zu einer geisterhaft zarten und ursprünglichen
Psychologie in der Radierung gekommen ist, wo-
mit der Eigenart der Technik jeweils im Beson-
deren und im Tiefen ihr Recht wird. Mächtig,
dunlpf, Wikingerhaft, dichterisch um die Welt
wissend, ist sein Werk ein Protest der Kunst gegen
die Spreu des leeren Könnens, die sich staubig
breitmacht. Josef Scharl ist ein Münchner Maler
und Zeichner von hohen Graden. Der breite, be-
dächtige Strich seiner neuen Zeichnungen sproßt
wie Gras und Kraut, das sich zu Körpern und
Gesichtern fügt. Gegenüber der bäuerischen Prä-
zision Scharls erscheint der Berliner Werner
Scholz mit einigen nächtigen, tragisch beladenen
Bildern von breiten, zügigen und summierenden
Farben von expressiver Durchschlagskraft. L. L.
I. Ms Scharl
Wer den jungen Talenten in München wäh-
rend der letzten Jahre einige Aufmerksamkeit
geschenkt hat, dem wird Josef Scharl, von dem
zur Zeit Günther Frankes Graphisches Kabinett
Zeichnungen ausgestellt hat, nicht unbekannt ge-
blieben sein. Als einem ungemeinen Talent von
starker Eigenart begegnete man ihm vor sechs und
mehr Jahren in den Ausstellungen der Münchner
Neuen Sezession. Seine oft grimmig masken-
haften Physiognomien zogen den Betrachter in
ihren Bann. In ihrer Drastik, ihrer finsteren
Schönheit waren sie Prägsamer als manche glän-
zendere Malereien, die die sorgfältigste akademische
Bildung ihrer Schöpfer einwandfrei auswiesen.
Scharl ist im wesentlichen Autodidakt. Er
stammt aus einer Münchner Arbeiterfamilie und
hat das Tüncherhandwerk erlernt. Nach dem
Kriege besuchte er die Münchner Akademie, lief
aber seinem Lehrer Angelo Jank sehr bald aus
der Schule. Die akademischen Raffinements einer
ästhetisierenden Koloristik, die an keine über-
persönliche Lebenswirklichkeit gebunden war,
widersprachen der Einfalt seiner Handwerker-
gesinnung. Das Malen um des Malens willen
tat seinem Drang, sich mitzuteilen, unmittelbar
und heftig auszusprechen, was, von dem Kriegs-
erlebnis aufgewühlt, in ihm lebendig war, nicht
Genüge. In der Kunst suchte er vor allem ein
Mittel, seine leidenschaftliche Anteilnahme am
Menschen, sein Gefühl der Schicksalsverbundenheit
mit den vom Leben zermürbten Existenzen zu be-
kunden. Die Begegnungen, die er in öden Miets-
quartieren, in düsteren Fuhrmannskneipen, im
Trubel der Großstadtbahnhöfe, der Verkehrs- und
Geschäftsstraßen, auf wohlgepflegten Promenaden
hat, quälen ihn, die Physiognomien der Ernied-
rigten und Verzweifelten verfolgen ihn, bis er sich
ihrer mittels Stift oder Farbe entledigt.
Der stärkste Eindruck, den Scharl von der
Kunst empfing, waren Bilder van Goghs. Er
entnahm ihnen eine Bestätigung seines eigenen
streitbar düsteren Lebensblicks und knüpfte auch
in Malweise und Bildform an van Gogh an.
Diese flüchtige Anlehnung barg die Gefahr in
sich, vorschnell zu einer zu starren Handschrift zu
kommen. Es verbindet Scharl mit van Gogh
aber auch Wesentlicheres; beiden gemeinsam ist
der mitleidende Blick auf die menschliche Kreatur,
und gerade aus solcher Verwandtschaft der seeli-
schen Haltung, des Lebensgefühls und Lebens-
blicks heraus war van
Gogh dem Talent des
jungen Münchners der
natürliche Wegebahner.
Leidend, mitleidend,
doch ohne Pathos, ohne
sentimentale Romantik,
ohne sozialkritische Ten-
denz malt und zeichnet
Scharl den Arbeiter in
seiner Alltäglichkeit. Seine
Arbeiterporträts sind er-
schütternde Bilder ein-
facher menschlicher
Existenz und menschlichen
Schicksals. So kann sie
nur einer malen, der am
eigenen Leibe die Härte
des Lebens empfunden
hat, der aber dieses
Leben auch ohne Härte
und Bitterkeit anzu-
schauen fähig ist.
Die Gesichter, die
Scharl malt, sind wie der
Leinwand eingekerbt.
Zerklüfteten Gebirgen
gleichend, gemahnen sie
an die Köpfe altdeutscher
Josef Scharl, Stillcbcn. 1939
Joses Scharl, Selbstbildnis. 1933
Bildschnitzer. Der Ver-
gleich ist nicht willkürlich.
Vor dem in grellweißen
Tüchern vor dem schwar-
zen Bildgrund hingestreck-
ten Leichnam, vor der ge-
bärdigen Wucht der
Scharlschen Zeichnung
drängt er sich unabweis-
bar auf. Hier wird über
den aktuellen Anlaß hin-
aus der Volkhafte Ur-
grund deutlich, in den die
Wurzeln der Scharlschen
Kunst hinabreichen, so
sehr immer ihre Aktuali-
tät erschüttert, ihr höchst
gegenwärtiger Wirklich-
kcitsgehalt bestürzl.
So primitiv die
Scharlsche Bildform an-
mutet, so heftig, derb, ge-
waltsam er zupackt, so ur-
wüchsig und naiv er
immer ist, so bewußt ver-
fährt er beim farbigen
Aufbau seiner Bilder.
Die eindringlich male-
rische Belebung, Gegen-
einanderstellung und Aus-
wiegung der Lokalfarb-
flächen, die sorgsame,
stellenweise raffiniert mi-
nutiöse Durchführung fei-
ner Farbtonstufungen und
die oft höchst sorgsame,
überaus Präzise zeichne-
rische Detailbeschreibung,
die physiognomisch aus-
-drucksstarke Durchfor-
mung der Bildnisse zeugen
für Scharls ungewöhn-
liches Gestaltertum. Er
bevorzugt schwere, erdige, dumpfe Farben, über-
wiegend graue, grüne, braune Töne, aber läßt
hin und wieder in ihrem schwermütig-melancho-
lischen Gefüge ein tiefes, kräftiges Blau, ein fest-
liches Gelb, ein traurig prunkendes Rot auf-
leuchten. Neuerdings haben seine Bilder an Leb-
haftigkeit der Farbe entschieden noch gewonnen.
Mit das Beste gibt Scharl in seinen Zeich-
nungen. Die Zeichnung ist bei ihm nicht bloßes
Studienwerk im Dienste der Malerei. Dem
gleichen Lebensgefühl, dem gleichen Verhalten zu
Welt und Mensch mit nicht unverminderter Kraft
Ausdruck gebend, tritt sie als gleichwertige Kunst-
äußerung dem gemalten Werke zur Seite. In
ihr bekundet sich Scharls Intensität der Physio-
gnomischen Beobachtung, seine herbe, mehr an die
alten oberdeutschen Zeichner als an van Gogh
gemahnende Ausdrucksdrastik am eindrücklichften.
Ja das Zeichnerische enthält die Stärke seines
Gestaltungsvermögens. Neuerdings hat Scharl
bei seinen Pinselzeichnungen verschiedenfarbige
Tuschen für die Umrisse verwendet und damit eine
schöne farbige Belebung erzielt. Der sonst so
wuchtige Scharl wird, wenn er mit Blei-, Feder-
oder Pinselstrichen in einem Zuge eine Figur,
einen liegenden oder kauernden Frauenakt, ein
spielendes Kind umreißt, sogar graziös.
H. Dekstein
Wiedererweckung
der jahrtausendatten
Porphyrbearbeitung
Porphyr als Bildhauermaterial hat eine uralte
Geschichte, aber wenn auch Völker der ältesten
Antike das Geheimnis seiner Bearbeitung kann-
ten, wenn namentlich im alten Ägypten, dann
aber in allen Mittelmeerländern immer wieder
Porphyrstatuen hergestellt wurden, so ist es doch
ebenso bekannt, daß die Bearbeitungsweise dieses
härtesten Steines über Jahrhunderte verloren-
ging und erst Cosimo de Medici dem Taddeo
Ferucci da Fiesole mit einem von ihm selbst ge-
fundenen Stahl das Material in die Hand gab,
jene berühmte Tasse als erste Arbeit in Porphyr
zu arbeiten, auf die dann die Gerechtigkeitsstatue
in der Piazza Trinitü in Florenz und andere
Werke folgten. Aber schon drei Generationen
später ist das sorgsam behütete Geheimnis der
Porphyrbearbeitung wieder verloren und als man
die Großherzogin Maria Anna Karolina in Flo-
renz 1832 beisetzte und Porphyr benutzte, konnte
man wieder nur die glatte Fläche verwenden. In
Florenz hat der Staat bekanntlich das „OpUieio
ckelle Diabra ckurs", die kgl. Hartgesteinarbeits-
stätte zur Einrichtung gebracht und 1931 wurde
V(7erbt Abonnenten
für -ie «Kunst -er Nation»
dieses Institut von Exz. Paribeni mit der sicher-
lich nicht leicht zu lösenden Aufgabe beauftragt,
die römische Porphyr-Wölfin aus der Villa
Medici in Rom wiederherzustellen. Mit diesem
Auftrage sah sich die Anstalt genötigt, das jahr-
taufende alte Problem der Porphyrplastik wieder
aufzunehmen. Die Leitung der Untersuchungen
lag bei Prof. Orlandini, dem Leiter der Anstalt.
Man hat Jahre gebraucht, und alle modernen
Stahlarten, alle Hilfsmittel sind zur Probe ge-
kommen. Schließlich, nach einem schon beinahe
hoffnungslos erscheinenden Suchen, hat man
Bearbeitungsmethoden gefunden — leider auch
Wieder geheim gehalten —, mit denen der Por-
ste der kränkliche Burgunderkönig, der am 6. Sep-
tember 1032 starb, übersandte, womit sie zu eiuem
Symbol der Wiedervereinigung Burgunds mit
dem Deutschen Reiche wurde. Der Bügel, an dem
unten Rundbögen mit Lilienornamenten aus
Perlen die Worte »6HV0NU^DV8 DDI
OU^II^ // UOVl^NOUIIN INDDU^I'Oir
^.V6V81V8« in Perlenschrist bemerkt werden,
und das edelsteinverzierte kleine Stirnkreuz wur-
den noch im Jahre 1032 im Auftrag Konrads II.
in Regensburg oder Bamberg angefertigt und
damit die ursprüngliche burgundische Königskrone
vom seltenen Typ einer Plattenkrone zur deut-
schen Kaiserkrone umgestaltet. Das Rätsel dieses
ungewöhnlichen Vorgangs findet seine natürliche
Erklärung, wenn wir hören, daß der am 26. März
1027 in Rom gekrönte Konrad II. seine dort ge-
tragene Krone als fromme Widmung nach Cluny
gegeben und daß sie dessen Abt, der Heil. Odilo, in
der furchtbaren Hungersnot des Jahres 1030 zer-
brochen, verkauft und den erzielten Erlös an die
Armen verteilt hatte. — In engstem Zusammen-
hang mit der Umgestaltung der burgundischen
Königskrone zur deutschen Kaiserkrone steht die
Schaffung des mit Edelsteinen und Perlen in
Filigranfassung in symmetrischer Anordnung ge-
schmückten R e i ch s k r e u z e s. Art, Stil und
Technik lassen erkennen, daß der Bügel und das
Stirnkreuz der Krone sowie das Reichskreuz aus
der gleichen Werkstatt stammen. So war Kon-
rad II. auch der Auftraggeber des Reichskreuzes.
Dieser schwierige und äußerst verwickelte Fragen-
komplex hat durch die tiefschürfenden Forschungen
Arpad Weixlgärtners eine überraschende Lösung
gefunden. Das Reichskreuz, das zu schwer ist, um
als Vortragskreuz benutzt zu werden, ist kein aus-
gesprochenes Kreuz, sondern ein Reliquienbehälter
in Form eines Kreuzes. Es enthält neben an-
deren Reliquien die Heilige Lanze und ein Stück
vom Kreuze Christi, das als das zweitgrößte gilt.
Auch die Heilige Lanze, das alte Königszeichen,
stammt aus Burgund und wurde im Jahre 926
von König Rudolf I. von Burgund Heinrich I.,
dem Gründer des Deutschen Reiches, überreicht.
Es ist also die um 960 von Bischof Linetprand
von Cremona als Konstantinslanze beschriebene
Lanze. Alles spricht nun dafür, daß Konrad II.
im Jahre 1032, als er die burgundische Königs-
krone erhalten hatte, auch für die gleichfalls aus
Burguud stammende und bereits im Besitze des
Reiches befindliche Heilige Lanze einen Behälter
anfertigen ließ, dessen Herstellung in der gleichen
Werkstatt in Regensburg oder Bamberg erfolgte,
welcher die Umarbeitung der burgundischen
Königskrone zur Deutschen Kaiserkrone über-
tragen worden war. Dies ist um so sicherer der
Fall, als sich hierbei eine willkommene Gelegen-
heit zur gleichzeitigen würdigen Unterbringung
der kostbaren Reichsreliquie, der Kreuzpartikel
bot. Mit der Heiligen Lanze ging im Lause der
Zeit gleichfalls eine Umwandlung vor. Es wurde
aus der Fläche des Stichblattes ein spitzovales
Stück herausgestemmt und in die so entstandene
Öffnung ein Nagel vom Kreuze Christi eingefügt.
Die dadurch hervorgerufene Bruchstelle ließ Hein-
rich IV. mit einem eisernen, von einer silbernen
Hülse mit lateinischer Inschrift überfangenen
Band versehen. Es muß das zwischen 1084, dem
Jahr seiner Kaiserkrönung, und 1105, dem Jahr
seiner Abdankung, geschehen sein. Einen neuen
Eingriff nimmt der Reliquiensammler Karl IV.
vor, indem er dem Heil. Nagel ein etwa 8 Zenti-
meter langes Stück entnimmt, aus dem er eine
eigene Reliquie für den Schatz des Prager Domes
herstellt. Um diese Manipulation zu verdecken,
wird um das alte Silberblech ein dieses ganz ver-
deckendes Goldblech herumgelegt. Dieses enthält
nun auch die neue offizielle Bezeichnung. Aus
dem Mauritiusspeer des Inventars vom Jahre
1246 ist die „Lanze und Nagel des Herrn", aus
dem alten Königsspeer die Longinus- oder
Passionslanze geworden. Karl IV. war es auch,
der den Bronzefuß des Kreuzes im Jahre 1352
durch einen silbervergoldeten Sockel ersetzen ließ.
Gleichfalls aus der Zeit Konrads II. rührt auch
der sich in entwickelten romanischen Formen be-
wegende Reichsapfel her. Als altes Herrscher-
symbol, bringt er den Triumph des Christentums
über die Erde zum Ausdruck. Im Kreuz funkelt
ein prächtiger Saphir. Eine hohe geschichtliche Be-
deutung kommt der früher
in Aachen verwahrten
Stephansbursa zu,
welche Karl der Große
als Pilgertasche ständig
mit sich geführt haben soll
und die auch bei der an-
geblichen Eröffnung der
Gruft bei der Leiche ge-
funden wurde. Die darin
verwahrte Reliquie (Erde,
getränkt mit dem Blute
des Heil. Stephan) wurde,
wie Arpad Weixlgärtner
wahrscheinlich gemacht
hat, Heinrich V. (1106
bis 1125) von den Abge-
sandten des Papstes Ca-
listus II. mitgebracht zur
Bekräftigung des zwi-
schen ihnen und dem Kö-
nig am 23. September
1122 in Worms geschlosse-
nen Wormser Konkor-
dats, das dem unseligen
Jnvestiturstreit ein Ende
machte. Wenn die Ver-
gleiche Julius von Schlos-
sers richtig sind, dann
wäre die Tasche selbst in
ihren originalen Bestand-
teilen lombardischen Ur-
sprungs, und noch in das
Ende des 9. oder in den
Anfang des 10. Jahr-
hunderts zu versetzen.
Man kann sich nicht vor-
stellen, daß die Entstehung
dieser Tasche mit ihren
weltlichen Darstellungen
allzu weit von dem denk-
würdigen weltgeschicht-
lichenEreignis des Jahres
1122 entfernt sein sollte.
(Fortsetzung folgt)
P. Konewka, Silhouette zu Shakespeares Sommernachtstraum
5
ten Ausstellungen in unzweckmäßigen Gebäuden.
Es ist verständlich, daß man bemüht war, erst dem
westfälischen Schassen eine Ausstellungsstätte^zu
errichten. Doch darüber hinaus wird man durch
öfteren Wechsel der Arbeiten der gesamten deut-
schen Kunst gerecht zu werden suchen. Der
deutsche Künstler hat mit dem „Haus der Kunst"
in Dortmund eine neue Möglichkeit erhalten, sein
Können unter Beweis zn stellen.
Drunk Doruk
Das Münchner
Graphische Kabinett
Nach längerer Beschäftigung mit der Graphik
des 19. Jahrhunderts schlägt das Münchner Gra-
phische Kabinett mit Nolde, Josef Scharl und
Werner Scholz einen zeitgenössischen Dreiklang
an. Die Holzschnitte und Radierungen aus allen
Schaffenszeiten Noldes zeigen, daß seine ernsthafte
Arbeit, mag sie auch manchmal einsame, schwer
zugängliche Wege gegangen sein, immer wieder
zu einer wilden vulkanischen Kraft im Holzschnitt
und zu einer geisterhaft zarten und ursprünglichen
Psychologie in der Radierung gekommen ist, wo-
mit der Eigenart der Technik jeweils im Beson-
deren und im Tiefen ihr Recht wird. Mächtig,
dunlpf, Wikingerhaft, dichterisch um die Welt
wissend, ist sein Werk ein Protest der Kunst gegen
die Spreu des leeren Könnens, die sich staubig
breitmacht. Josef Scharl ist ein Münchner Maler
und Zeichner von hohen Graden. Der breite, be-
dächtige Strich seiner neuen Zeichnungen sproßt
wie Gras und Kraut, das sich zu Körpern und
Gesichtern fügt. Gegenüber der bäuerischen Prä-
zision Scharls erscheint der Berliner Werner
Scholz mit einigen nächtigen, tragisch beladenen
Bildern von breiten, zügigen und summierenden
Farben von expressiver Durchschlagskraft. L. L.
I. Ms Scharl
Wer den jungen Talenten in München wäh-
rend der letzten Jahre einige Aufmerksamkeit
geschenkt hat, dem wird Josef Scharl, von dem
zur Zeit Günther Frankes Graphisches Kabinett
Zeichnungen ausgestellt hat, nicht unbekannt ge-
blieben sein. Als einem ungemeinen Talent von
starker Eigenart begegnete man ihm vor sechs und
mehr Jahren in den Ausstellungen der Münchner
Neuen Sezession. Seine oft grimmig masken-
haften Physiognomien zogen den Betrachter in
ihren Bann. In ihrer Drastik, ihrer finsteren
Schönheit waren sie Prägsamer als manche glän-
zendere Malereien, die die sorgfältigste akademische
Bildung ihrer Schöpfer einwandfrei auswiesen.
Scharl ist im wesentlichen Autodidakt. Er
stammt aus einer Münchner Arbeiterfamilie und
hat das Tüncherhandwerk erlernt. Nach dem
Kriege besuchte er die Münchner Akademie, lief
aber seinem Lehrer Angelo Jank sehr bald aus
der Schule. Die akademischen Raffinements einer
ästhetisierenden Koloristik, die an keine über-
persönliche Lebenswirklichkeit gebunden war,
widersprachen der Einfalt seiner Handwerker-
gesinnung. Das Malen um des Malens willen
tat seinem Drang, sich mitzuteilen, unmittelbar
und heftig auszusprechen, was, von dem Kriegs-
erlebnis aufgewühlt, in ihm lebendig war, nicht
Genüge. In der Kunst suchte er vor allem ein
Mittel, seine leidenschaftliche Anteilnahme am
Menschen, sein Gefühl der Schicksalsverbundenheit
mit den vom Leben zermürbten Existenzen zu be-
kunden. Die Begegnungen, die er in öden Miets-
quartieren, in düsteren Fuhrmannskneipen, im
Trubel der Großstadtbahnhöfe, der Verkehrs- und
Geschäftsstraßen, auf wohlgepflegten Promenaden
hat, quälen ihn, die Physiognomien der Ernied-
rigten und Verzweifelten verfolgen ihn, bis er sich
ihrer mittels Stift oder Farbe entledigt.
Der stärkste Eindruck, den Scharl von der
Kunst empfing, waren Bilder van Goghs. Er
entnahm ihnen eine Bestätigung seines eigenen
streitbar düsteren Lebensblicks und knüpfte auch
in Malweise und Bildform an van Gogh an.
Diese flüchtige Anlehnung barg die Gefahr in
sich, vorschnell zu einer zu starren Handschrift zu
kommen. Es verbindet Scharl mit van Gogh
aber auch Wesentlicheres; beiden gemeinsam ist
der mitleidende Blick auf die menschliche Kreatur,
und gerade aus solcher Verwandtschaft der seeli-
schen Haltung, des Lebensgefühls und Lebens-
blicks heraus war van
Gogh dem Talent des
jungen Münchners der
natürliche Wegebahner.
Leidend, mitleidend,
doch ohne Pathos, ohne
sentimentale Romantik,
ohne sozialkritische Ten-
denz malt und zeichnet
Scharl den Arbeiter in
seiner Alltäglichkeit. Seine
Arbeiterporträts sind er-
schütternde Bilder ein-
facher menschlicher
Existenz und menschlichen
Schicksals. So kann sie
nur einer malen, der am
eigenen Leibe die Härte
des Lebens empfunden
hat, der aber dieses
Leben auch ohne Härte
und Bitterkeit anzu-
schauen fähig ist.
Die Gesichter, die
Scharl malt, sind wie der
Leinwand eingekerbt.
Zerklüfteten Gebirgen
gleichend, gemahnen sie
an die Köpfe altdeutscher
Josef Scharl, Stillcbcn. 1939
Joses Scharl, Selbstbildnis. 1933
Bildschnitzer. Der Ver-
gleich ist nicht willkürlich.
Vor dem in grellweißen
Tüchern vor dem schwar-
zen Bildgrund hingestreck-
ten Leichnam, vor der ge-
bärdigen Wucht der
Scharlschen Zeichnung
drängt er sich unabweis-
bar auf. Hier wird über
den aktuellen Anlaß hin-
aus der Volkhafte Ur-
grund deutlich, in den die
Wurzeln der Scharlschen
Kunst hinabreichen, so
sehr immer ihre Aktuali-
tät erschüttert, ihr höchst
gegenwärtiger Wirklich-
kcitsgehalt bestürzl.
So primitiv die
Scharlsche Bildform an-
mutet, so heftig, derb, ge-
waltsam er zupackt, so ur-
wüchsig und naiv er
immer ist, so bewußt ver-
fährt er beim farbigen
Aufbau seiner Bilder.
Die eindringlich male-
rische Belebung, Gegen-
einanderstellung und Aus-
wiegung der Lokalfarb-
flächen, die sorgsame,
stellenweise raffiniert mi-
nutiöse Durchführung fei-
ner Farbtonstufungen und
die oft höchst sorgsame,
überaus Präzise zeichne-
rische Detailbeschreibung,
die physiognomisch aus-
-drucksstarke Durchfor-
mung der Bildnisse zeugen
für Scharls ungewöhn-
liches Gestaltertum. Er
bevorzugt schwere, erdige, dumpfe Farben, über-
wiegend graue, grüne, braune Töne, aber läßt
hin und wieder in ihrem schwermütig-melancho-
lischen Gefüge ein tiefes, kräftiges Blau, ein fest-
liches Gelb, ein traurig prunkendes Rot auf-
leuchten. Neuerdings haben seine Bilder an Leb-
haftigkeit der Farbe entschieden noch gewonnen.
Mit das Beste gibt Scharl in seinen Zeich-
nungen. Die Zeichnung ist bei ihm nicht bloßes
Studienwerk im Dienste der Malerei. Dem
gleichen Lebensgefühl, dem gleichen Verhalten zu
Welt und Mensch mit nicht unverminderter Kraft
Ausdruck gebend, tritt sie als gleichwertige Kunst-
äußerung dem gemalten Werke zur Seite. In
ihr bekundet sich Scharls Intensität der Physio-
gnomischen Beobachtung, seine herbe, mehr an die
alten oberdeutschen Zeichner als an van Gogh
gemahnende Ausdrucksdrastik am eindrücklichften.
Ja das Zeichnerische enthält die Stärke seines
Gestaltungsvermögens. Neuerdings hat Scharl
bei seinen Pinselzeichnungen verschiedenfarbige
Tuschen für die Umrisse verwendet und damit eine
schöne farbige Belebung erzielt. Der sonst so
wuchtige Scharl wird, wenn er mit Blei-, Feder-
oder Pinselstrichen in einem Zuge eine Figur,
einen liegenden oder kauernden Frauenakt, ein
spielendes Kind umreißt, sogar graziös.
H. Dekstein
Wiedererweckung
der jahrtausendatten
Porphyrbearbeitung
Porphyr als Bildhauermaterial hat eine uralte
Geschichte, aber wenn auch Völker der ältesten
Antike das Geheimnis seiner Bearbeitung kann-
ten, wenn namentlich im alten Ägypten, dann
aber in allen Mittelmeerländern immer wieder
Porphyrstatuen hergestellt wurden, so ist es doch
ebenso bekannt, daß die Bearbeitungsweise dieses
härtesten Steines über Jahrhunderte verloren-
ging und erst Cosimo de Medici dem Taddeo
Ferucci da Fiesole mit einem von ihm selbst ge-
fundenen Stahl das Material in die Hand gab,
jene berühmte Tasse als erste Arbeit in Porphyr
zu arbeiten, auf die dann die Gerechtigkeitsstatue
in der Piazza Trinitü in Florenz und andere
Werke folgten. Aber schon drei Generationen
später ist das sorgsam behütete Geheimnis der
Porphyrbearbeitung wieder verloren und als man
die Großherzogin Maria Anna Karolina in Flo-
renz 1832 beisetzte und Porphyr benutzte, konnte
man wieder nur die glatte Fläche verwenden. In
Florenz hat der Staat bekanntlich das „OpUieio
ckelle Diabra ckurs", die kgl. Hartgesteinarbeits-
stätte zur Einrichtung gebracht und 1931 wurde
V(7erbt Abonnenten
für -ie «Kunst -er Nation»
dieses Institut von Exz. Paribeni mit der sicher-
lich nicht leicht zu lösenden Aufgabe beauftragt,
die römische Porphyr-Wölfin aus der Villa
Medici in Rom wiederherzustellen. Mit diesem
Auftrage sah sich die Anstalt genötigt, das jahr-
taufende alte Problem der Porphyrplastik wieder
aufzunehmen. Die Leitung der Untersuchungen
lag bei Prof. Orlandini, dem Leiter der Anstalt.
Man hat Jahre gebraucht, und alle modernen
Stahlarten, alle Hilfsmittel sind zur Probe ge-
kommen. Schließlich, nach einem schon beinahe
hoffnungslos erscheinenden Suchen, hat man
Bearbeitungsmethoden gefunden — leider auch
Wieder geheim gehalten —, mit denen der Por-
ste der kränkliche Burgunderkönig, der am 6. Sep-
tember 1032 starb, übersandte, womit sie zu eiuem
Symbol der Wiedervereinigung Burgunds mit
dem Deutschen Reiche wurde. Der Bügel, an dem
unten Rundbögen mit Lilienornamenten aus
Perlen die Worte »6HV0NU^DV8 DDI
OU^II^ // UOVl^NOUIIN INDDU^I'Oir
^.V6V81V8« in Perlenschrist bemerkt werden,
und das edelsteinverzierte kleine Stirnkreuz wur-
den noch im Jahre 1032 im Auftrag Konrads II.
in Regensburg oder Bamberg angefertigt und
damit die ursprüngliche burgundische Königskrone
vom seltenen Typ einer Plattenkrone zur deut-
schen Kaiserkrone umgestaltet. Das Rätsel dieses
ungewöhnlichen Vorgangs findet seine natürliche
Erklärung, wenn wir hören, daß der am 26. März
1027 in Rom gekrönte Konrad II. seine dort ge-
tragene Krone als fromme Widmung nach Cluny
gegeben und daß sie dessen Abt, der Heil. Odilo, in
der furchtbaren Hungersnot des Jahres 1030 zer-
brochen, verkauft und den erzielten Erlös an die
Armen verteilt hatte. — In engstem Zusammen-
hang mit der Umgestaltung der burgundischen
Königskrone zur deutschen Kaiserkrone steht die
Schaffung des mit Edelsteinen und Perlen in
Filigranfassung in symmetrischer Anordnung ge-
schmückten R e i ch s k r e u z e s. Art, Stil und
Technik lassen erkennen, daß der Bügel und das
Stirnkreuz der Krone sowie das Reichskreuz aus
der gleichen Werkstatt stammen. So war Kon-
rad II. auch der Auftraggeber des Reichskreuzes.
Dieser schwierige und äußerst verwickelte Fragen-
komplex hat durch die tiefschürfenden Forschungen
Arpad Weixlgärtners eine überraschende Lösung
gefunden. Das Reichskreuz, das zu schwer ist, um
als Vortragskreuz benutzt zu werden, ist kein aus-
gesprochenes Kreuz, sondern ein Reliquienbehälter
in Form eines Kreuzes. Es enthält neben an-
deren Reliquien die Heilige Lanze und ein Stück
vom Kreuze Christi, das als das zweitgrößte gilt.
Auch die Heilige Lanze, das alte Königszeichen,
stammt aus Burgund und wurde im Jahre 926
von König Rudolf I. von Burgund Heinrich I.,
dem Gründer des Deutschen Reiches, überreicht.
Es ist also die um 960 von Bischof Linetprand
von Cremona als Konstantinslanze beschriebene
Lanze. Alles spricht nun dafür, daß Konrad II.
im Jahre 1032, als er die burgundische Königs-
krone erhalten hatte, auch für die gleichfalls aus
Burguud stammende und bereits im Besitze des
Reiches befindliche Heilige Lanze einen Behälter
anfertigen ließ, dessen Herstellung in der gleichen
Werkstatt in Regensburg oder Bamberg erfolgte,
welcher die Umarbeitung der burgundischen
Königskrone zur Deutschen Kaiserkrone über-
tragen worden war. Dies ist um so sicherer der
Fall, als sich hierbei eine willkommene Gelegen-
heit zur gleichzeitigen würdigen Unterbringung
der kostbaren Reichsreliquie, der Kreuzpartikel
bot. Mit der Heiligen Lanze ging im Lause der
Zeit gleichfalls eine Umwandlung vor. Es wurde
aus der Fläche des Stichblattes ein spitzovales
Stück herausgestemmt und in die so entstandene
Öffnung ein Nagel vom Kreuze Christi eingefügt.
Die dadurch hervorgerufene Bruchstelle ließ Hein-
rich IV. mit einem eisernen, von einer silbernen
Hülse mit lateinischer Inschrift überfangenen
Band versehen. Es muß das zwischen 1084, dem
Jahr seiner Kaiserkrönung, und 1105, dem Jahr
seiner Abdankung, geschehen sein. Einen neuen
Eingriff nimmt der Reliquiensammler Karl IV.
vor, indem er dem Heil. Nagel ein etwa 8 Zenti-
meter langes Stück entnimmt, aus dem er eine
eigene Reliquie für den Schatz des Prager Domes
herstellt. Um diese Manipulation zu verdecken,
wird um das alte Silberblech ein dieses ganz ver-
deckendes Goldblech herumgelegt. Dieses enthält
nun auch die neue offizielle Bezeichnung. Aus
dem Mauritiusspeer des Inventars vom Jahre
1246 ist die „Lanze und Nagel des Herrn", aus
dem alten Königsspeer die Longinus- oder
Passionslanze geworden. Karl IV. war es auch,
der den Bronzefuß des Kreuzes im Jahre 1352
durch einen silbervergoldeten Sockel ersetzen ließ.
Gleichfalls aus der Zeit Konrads II. rührt auch
der sich in entwickelten romanischen Formen be-
wegende Reichsapfel her. Als altes Herrscher-
symbol, bringt er den Triumph des Christentums
über die Erde zum Ausdruck. Im Kreuz funkelt
ein prächtiger Saphir. Eine hohe geschichtliche Be-
deutung kommt der früher
in Aachen verwahrten
Stephansbursa zu,
welche Karl der Große
als Pilgertasche ständig
mit sich geführt haben soll
und die auch bei der an-
geblichen Eröffnung der
Gruft bei der Leiche ge-
funden wurde. Die darin
verwahrte Reliquie (Erde,
getränkt mit dem Blute
des Heil. Stephan) wurde,
wie Arpad Weixlgärtner
wahrscheinlich gemacht
hat, Heinrich V. (1106
bis 1125) von den Abge-
sandten des Papstes Ca-
listus II. mitgebracht zur
Bekräftigung des zwi-
schen ihnen und dem Kö-
nig am 23. September
1122 in Worms geschlosse-
nen Wormser Konkor-
dats, das dem unseligen
Jnvestiturstreit ein Ende
machte. Wenn die Ver-
gleiche Julius von Schlos-
sers richtig sind, dann
wäre die Tasche selbst in
ihren originalen Bestand-
teilen lombardischen Ur-
sprungs, und noch in das
Ende des 9. oder in den
Anfang des 10. Jahr-
hunderts zu versetzen.
Man kann sich nicht vor-
stellen, daß die Entstehung
dieser Tasche mit ihren
weltlichen Darstellungen
allzu weit von dem denk-
würdigen weltgeschicht-
lichenEreignis des Jahres
1122 entfernt sein sollte.
(Fortsetzung folgt)
P. Konewka, Silhouette zu Shakespeares Sommernachtstraum