II. 3hg., Nr. 7, 1. fixril 1434
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Einzelpreis 3d Pfennige
Georg Kolbe
Photo Schwarzkopfs
Emil Nolde
Die Galerie Ferdinand Möller (Berlin) zeigt
über sechzig Aquarelle und Lithographien Emil Nol-
des. — Hebbel bezeichnete einmal in seinen! Tage-
buch die drei Formen der künstlerischen Gestal-
tnngsgültigkeit mit dieser Steigerung: Die erste
Stufe ist: es kann so sein; die zweite: es ist so; die
dritte: es muß so sein! Nolde gibt in den hier,
seit 1928 erstmalig zu einer Ausstellung zusammen-
gefaßten Aquarellen diesem unbedingten Mussen,
dieser besessenen und unbeirrbaren Konsequenz den
völlig in sich ruhenden, von aller Zwiespältigkeit
zwischen Wesen und Erscheinung, zwischen den:
Innen und dem Außen erlösten Ausdruck. Blu-
men und Menschen, Wolken und Wasser, Tiere und
Häuser sind eingegangen in die Ruhe der dunkel
anschwimmenden, jäh aufblitzenden blanell, roten
und gelben Farbgluten. Durch die verborgenen
Herzkammern der Dinge strömt das Blut der
Träume, in ihm spiegeln sich weltensatt und welt-
verloren die Gesichter des Nordens. Man kann ein
Epos nacherzählen und die Geschehnisse der Ge-
schichte getreulich berichten, doch ein Gedicht zer-
bräche, würde nian versuchen, es auf audere, denn
seine ureigene Weise mitznteilen. So auch ist es
mit den Werken Noldes. Er ist der Sänger seiner
Visionen. Aber was besagt auch dieses: Vision?
Verstecken sich hinter ihr nicht alle Stümper und
Stammler, und muß sie nicht herhalten, das Flache
zu verbergen und das Unfähige zu bemänteln? Und
dennoch, im Hinblick auf das Gewordene, gleich be-
deutend in Absicht und Erreichtem, sei es gesagt:
Nolde ist unter den heute in Deutschland lebenden
Malern der größte Visionär, der Sehende und
Entrückte; seine Bilder sind Einfallstore in das
Nordische, um dessen Fruchtbarkeit wir werben
und dessen Tiefe uns erschauern macht. Noldes
Kunst: das Leben will in einer großen Stille
den Tod überwinden; das Weite'ist ganz nahe
gerückt, das Nahe gleitet in unendliche Fernen.
Endgültiges ist geschehen in diesen Arbeiten des
nordischen Meisters deutscher Malerei, schwer zu
sageu, was dieses uuu sei: die Erfüllung aller
malerischen Gegebenheiten in dem weiten Umkreis
dieses Werkes, das alle Möglichkeiten, Erprobungen
und nicht zuletzt die vielen Gefahren in sich aus-
genommen hat; oder sei es die Menschlichkeit der
Kämpfe, Sorgen und Hoffnungen, die sich so rest-
los und trotzdem so schamvoll preisgibt? Nolde,
der Mystiker, der lebt, um zu leben und schafft,
nm zu schaffen, wird zum Schenkenden. Er gibt
uns nicht mehr nur den Schmerz und das Dämo-
nisch-Verstrickte, er belastet uns nicht mehr allein
mit der ausweglosen Einsamkeit, jetzt ist das
Glückhafte und die namenlose Freiheit hinzu-
getreten. Der frühere Nolde war der Wahrheits-
sucher, der heutige ist der Finder und Spendende,
und wer die Wahrheit der Natur hat, der ist auch
voll von ihrer Schönheit. Nolde ist zum
Er-lebenden geworden; dieses Wort möge in seiner
ganzen Unergründlichkeit von denen genommen
werden, die von der Kunst den Anstieg und den
Flug in das Einmalige und Niewiederkehrende
verlangen, das uns in flüchtigen Augenblicken er-
greift, aber das für alle Zeiten sestzustellen nur
dem schöpferischen Menschen bestimmt ist. „Zuerst
war die Kunst, dann nachher formulierten Ästheti-
ker und Gelehrte Gesetze", schrieb Nolde vor einem
Vierteljahrhundert. Das Recht, dieses zu sagen,
ist auf seiner Seite, denn er selbst ist ja das Gesetz
seiner Kunst, die blüht und reift, über die viele
Jahrzehnte hinweggegangen sind, damit die
Wunder der Jrdischkeit aufkeimtcn in dem Werk,
das der Aufbruch ins Nordland ist, dessen Gewalt
und Herrlichkeit es entzündete zu Bildern und
Gleichnissen. 6. H. Nbeunissen
Korüetzung
des GseveeMontsmus
Von
Dtto-Andreas Schreiber
In der Zeitschrift „Völkische Kultur", die von
Rudolf Buttmann herausgegeben wird, schreibt
Wilhelm Michel (Januarheft):
„Während Frankreichs Malerei unter Picassos Führung
ihre kubistischen Rcchenkunststiicke hcrunterhaspelte, während
sie Miene machte, sich mitten im Weltzerfall sarkastisch an-
zusiedcln, hielt der deutsche Expressionis-
mus— von den Torheiten der Mitläufer
abgesehen — doch die menschlicheSecle im
Schwung, erhielt sie im Leid, im Pathos,
im Dur st, im Trotz, in der Sehnsucht. Er
hielt sie in einem unironischen und trotz allem immer noch
frommen Fühlen der Welt. Er richtete sich auf den Welt-
zerfall nicht achselzuckend ein als auf etwas, mit dem man
sich abzusindcn hat, er suchte wenigstens in einer schwärme-
rischen, wicdertäufcrischen Innerlichkeit eine Art Ganzheit
des Welterlebens zu retten. Er sprach in einer widerdeutschen
Eesamtlage trotz allem ein deutsches Wort, und so darf man
seine Vertreter aifsehen wie jene deutschen Ritter, die in
der Schlacht bei Crecy (1346), fern von der Heimat, bis zur
späten Nacht das Feld hielten um den blinden König Johann
von Böhmen, tapfere deutsche Heldengestalten inmitten einer
Schlacht, die Deutschland nichts anging. Der deutsche
Expressionismus hat jene Treue zur Zeit bewährt, ohne die
alle Kunst ein gegenstandsloses Spiel ist; aber er hat sie
bewährt auf deutsche Art.
Der Expressionismus und was ihm an anderen Kunst-
weisen gefolgt ist, gehört der Vergangenheit an. Neue Auf-
gaben stehen da, neue Lcbcnsgefiihle sind auszusprechcn. Aber
sollen die Zeiten sich echt verwandeln, soll der faktische
Mensch des Gestern wirklich bei der Hand genommen und
oürfen wir die bisher entwickelten K u n st-
ur ittel nicht plötzlich auf den Kehricht-
haufen werfen, sondern wir haben sie
sortzubilden, wir haben ihnen einen
neuen Sinn zu geben — wie wir ja auch die
Maschinen nicht fortwerfen können, obschon sie uns manches
Böse angetan haben, sondern sie in die Gewalt des Menschen
bringen müssen. Die italienische Malerei hat das vorbild-
lich geleistet; man sieht es auf der Mailänder Triennale.
Und auch wir werden nicht versagen vor der Aufgabe, diese
ganze Zivilisation, in der so vieles Menschenfeindliche und
Widerdeutsche hervorgetreten ist, samt allen ihren ungebär-
digen Kräften in den Dienst am nationalen Aufbau und an
der neu hcraufkommcnden Mcnschcnwelt zu zwingen."
Die Frage, welche Rolle das mit „Expressionis-
mus" bezeichnete Knnstbekenntnis heute noch
spielt, spielen darf oder soll, ist augenblicklich
durch die Ausstellungen Noldes, Feinin-
gers und Schmidt-Rottlusfs in Berlin
wieder in den Mittelpunkt des Interesses getreten.
Außerdem eröffneten die Faschisten am 28. März
unter dem Protektorat des Ministerpräsidenten
Hermann Göring in Berlin eine Futuristen-
ansstellung. »
Man stößt hier auf die Tatsache, daß der be-
trachtende Laie durchweg von einem gänzlich an-
deren Standort Kunstwerke beurteilt als der
Maler. Der Laie fühlt sich abgestoßen durch den
Gesichtsausdruck dieser oder jener auf den Ge-
mälden vorhandenen menschlichen Figuren, oder
aber durch für sein Empfinden zu gewagte Über-
tragung der Natureindrücke. Es sei von vorn-
herein festgestellt, daß dieses letztere kein prin-
zipielles Hindernis für das Verständnis ist.
Malerei ist bekanntermaßen nie kopierte,
sondern immer „übertragene", in die
Ausdrucksmittel von Farbe und
Form übersetzte Natur. Diese Über-
setzung der Natur geschieht nun durch den Künstler
je nach Zeit, Landschaft und Persönlichem Tempe-
rament zaghafter oder radikaler. Goya zeigt
eine andere Stufe der Naturübersetzung als
Dürer, Grünewald eine andere als Ruisdael,
Corinth eine andere als Thoma. Die entscheidende
Erkenntnis ist hier diese, daß für den künstle-
rischen Wert nie und nimmer die Stufe,
der Grad der Naturübersetzung irgendeine Be-
deutung besitzt. Demnach kann nur mindere oder
größere Schulung oder auch Bereitwilligkeit des
Betrachtenden den Werken gegenüber die eigent-
liche Schuld an dem Mißklang zwischen Werk und
Betrachter tragen. Die Vorbedingung dafür, daß
Künstler und Laie sich verstehen, ist eine gewisse
innere Konkordanz, um nicht zu sagen geistige
Kongenialität.
Die Ausstellungen der heutigen jungen Maler
ergeben, daß die Legion von Nachbetern und Nach-
läufern des Expressionismus von der Bildfläche
verschwunden ist. Der Nationalsozialismus be-
seitigte die letzten Reste derer, die den „neuen
Stil" unter Applaus der Akademien in der Form
der „Dekoration" lehrbar machen wollten.
Gerade nämlich die „dekorative Behandlung" war
die schlimmste Verkennung jenes Kunstwillens.
Außerdem war der Expressionismus keine end-
gültige Errungenschaft, sondern ein Anfang,
und wenn man Anfänge „lehrbar" macht, konser-
viert man sie und enthebt sie ihrer eigentlichen
Bestimmung.
Die jungen Maler sehen und bewerten den
Expressionismus anders als der betrachtende Laie
und auch auders als der Kunsthistoriker. Es ist
völlig undenkbar, daß die Malerei des zwanzigsten
Jahrhunderts etwa an Böcklin oder Leibl hätte
anknüpfen können. Wer wie diese beiden Maler
seine Bilder bis zu einer derartigen Klassik feilt
und glättet, will allen Nachfolgenden die Lust zur
„Anknüpfung" vergällen. Trotzdem erfährt sicher-
lich Leibls scharfe Beobachtung der Oberfläche in
der französischen Licht-Luft-Malerei, die wir Im-
pressionismus nennen und deren Nachahmung in
Deutschland ohne wesentlichen Nutzen für die
deutsche Malerei vorübergeflimmert ist, ihre letzt-
mögliche Konsequenz. Böcklins Steigerung von
Form und Farbe ins Unwirkliche weist andrerseits
schon auf den Expressionismus hin.
Die inkmer flacher werdende Literatur- und
Historienmalerei im kaiserlichen Deutschland hatte
sich erheblich von künstlerischen Zielpunkten ent-
fernt. Wenn nämlich jede Kunstform sich in dem
ihr, und nur ihr allein, gegebenen Material aus-
drückt, dann kann Malerei nur so lange lebens-
kräftig bleiben, als sie ihr Urmaterial, die Farbe,
„werkgerecht" handhabt. Hat sich eine Kunst-
anschauung nun in einer Sackgasse sestgesahren,
träumenden Gesichts oder der Seidenglanz aus
dem Gewand eines Burgfräuleins den alleinigen
Ausschlag geben, dann ist eine neue
„w e r k g e r e ch t e r e" Entwicklung nur
durch energische Zurückbesinnung
aus das Urmaterial der Malerei,
Farbe und Form, möglich. Es würde
nichts nützen, einen seitlichen Ausweg aus einem
Irrweg zu suchen. Man muß zum Ausgangs-
punkt zurück und den Mut haben, von neuem zu
beginnen. Man muß bei noch vorhandenen primi-
tiven Tatbeständen der Kunst die Gesetzlichkeiten,
denen der Uranfang jeder Kunst unterworfen ist,
beobachten und kennenlernen, man muß in allem
Ernst die Ausdrucksmöglichkeiten der reinen Farbe
und Form untersuchen.
Wenn wir jungen Maler an der Wende des
Jahrhunderts gelebt hätten und wir wären keine
knochenweichen Jünglinge, sondern Kerle gewesen,
dann hätten auch wir darauf ver-
zichtet, Makart, Lenbach, v. Werner,
Feuerbach usw. Weiterz u entwickeln,
wir hätten unser ganzes Tempe-
rament daran gesetzt, eine andere
Sehweise als jene zu vertreten,
ganz von neuem zu beginnen und
der Zukunft künstlerisches Neu-
land zu erobern.
Diesen an der Jahrhundertwende notwendigen
Anfang haben die Expressionisten gemacht. Mit
ihnen brach sich eine neue Sehweise mit einer
solchen Vehemenz Bahn, daß der betrachtende Laie
nicht zu folgen vermochte. Das ist jedoch kein
Argument gegen die geschichtliche Notwendigkeit
dieses Umbruchs, und wenn dem Verständnis des
Laien zwanzig Jahre zeitgenössischer Kunstbestre-
bungen verschlossen bleiben, so wiegt das gering,
wenn nur dafür Jahrhunderte einer neuen Ent-
wicklung der deutschen Kunst gewährleistet sind.
Der Expressionismus hat für die allgemeine
Kunstanschauung unabsehbare Folgen gehabt, und
es bleibt der Zukunft Vorbehalten, ob diese Fol-
gen nicht größer und bedeutender sein werden
als der Anfang selbst. Dann hätte der
Expressionismus die bedeutsame Aufgabe gelöst,
die Beschaffenheit der Rudimente der Malerei
auf ihre Eignung für eine neue größere Kunst
der Zukunft geprüft zu haben.
In welchem Verhältnis stehen die heutigen
jungen Maler zu den Expressionisten? Die Ant-
wort ist einfach: Die jungen Maler verstehen
unter Tradition, die Werte der Vergangenheit zu
erkennen, und verstehen unter Malerei, die eigne
Persönlichkeit in Bildwerken zum Ausdruck zu
bringen. Sie bauen daher sine iru eb stmckio auf
den künstlerischen Erfahrungen im Gebiet der
Farbe und Form, die sie vorfinden, weiter. Durch
diese organische Kontinuierlichkeit ist eine Höher-
entwicklung der deutschen Malerei zu erhoffen.
Darüber hinaus lassen sie sich von keinem andern
Maler, weder der Vergangenheit noch der Gegen-
wart, von keiner Schule und keinem „Stil" ins
Schlepptau nehmen, sondern sie machen selbst-
bewußt ihre Fortschritte, damit die Malerei fort-
schreitet.