Kunst der Nation
3
Schrimpf, Zwei Mädchen in Landschaft. Ausstellung im Magdeburger Kunstverein
Wahl der malerischen Mittel und der Modelle ver-
rät sich bei ihnen der Drang nach einer aus dem
Uberwirklichen geschöpften Erfindung, mehr uoch:
die Sehnsucht nach den hehren Maßen einer ver-
loren gegangenen Welt. Sie glüht in der
Romantik, der Epoche des kühnsten Verrates an
der Wirklichkeit, in den Träumen eines Caspar
David Friedrich und Runge auf. Daun,
wie nach einer allgemeinen Überanstrengung der
Kräfte, verglimmt diese Sehnsucht und der
entzauberte, um seinen Gehalt betrogene Alltag
rächt sich doppelt, indem er die Hirne mit dem
Gespenst des Materialismus bedroht. Die bei den
Nazarenern noch wenig oder gar nicht gewußte
Flucht vor der schwachatmigen Gegenwart wird
nun zur unerbittlichen Abkehr. Hans von
Marees muß nach Italien gehen, um den ein-
zigen Freskenauftrag seines Lebens zu erfüllen:
und ans dem Halbdämmer seiner Neapolitaner
Ruderer, deren Anblick den Aufbruch schon
mancher jüngeren Begabung bestimmt hat, schim-
mert ein Wissen uni die innere Entfernung des
ckin Ü6 siöcüe von seinen Schaffenden und eine
Einsamkeit, welche uns die veränderten Gesetze
für den Maler und für das Fresko ahnen läßt.
Keine Schule wie ein Perngino nm sich, gefolgt
von wenigen Jüngern, mitten im Unverständnis
einer sich technisierendell Welt lind ihr so fern,
mußte er ans Werk gehen, „nur stiller Künstler,
der sein Bestes tat, versonnen wartend, daß der
Himmel Helse".
Aus den Schatten der heroischen Idylle Halls
von Marees brechen die Maler des monumentalen
Stiles um die Jahrhundertwende noch einmal auf,
in der Welt ihren Platz zu finden und aus der ge-
wandelteil Grundstimmung der Zeit das Antlitz
ihrer Tage und Taten zu porträtiereu. An ent-
gegengesetzten Enden beginnend, in Norwegen und
in der Schweiz, schaffen zwei eigellwillige Meister
Wandbild und -schmuck, jeder im eigenen Farb-
lind Erlebnisbezirk, aber beide gebannt von dell
Frühlingsschanern einer jungeil von Traditionen
unbeschwerten Malerei. So entstehen die kühne
Sinfonie der aufvrechenden Freiyettstrleger von
1813 Ferdinand Hodlers ans emer ver-
steckten Wand der Jenaer Universität und die
großen märchenhaften Illustrationen Munchs
zu Bühnenstücken. Wenn lvir mit leisem Er-
schrecken vor den vielleicht unnatürlich anmuten-
den Weitungen und zeichnerischen Spitzungen voll
Raum und Figuren stehen, so mögen wir des
tieferen Grundes solcher Übersteigerung gewahr
werden: daß in einer Epoche, welche die eigene
Müdigkeit bemitleidete, die verwegene Phantasie
der Wenigen den Rahmen für das Neue schaffen
mußte. Während die Künstler der Renaissance
aus allen Bornen eines überströmenden Zeit-
alters schöpfen dursten, mußten jetzt die Unver-
dorbenen unter den Spätlingen mit den Maßen
ihrer Sehnsucht die verloreue Höhe zurückerobern.
Aber ein seltsamer Zwiespalt wurde über sie ver-
hängt. Die klassischen Gefilde der Feuerbach und
Böcklin waren ihnen verwehrt, denn deren Rück-
kehr zur vollkommenen, in sich selbst ruhenden
Form war einmalig und einem Jahrhundert-
beginn, das im Zeichen der Unrast stand, nicht
vergönnt. Aus der auderen Seite vermochte das
Neue noch nicht sich in fester Gestalt durchzusetzeu.
Alles war im Gären, vieles wurde gewagt und
nach 1910 etwa konnten die unermüdlich Spähen-
den schon ahnen, welche verschiedenen Wege zu
welchem einen Ziele führten. Aber immer wieder
brach aus den feurigsten Erfindungen die ver-
stohlene Sehnsucht nach dem Gewesenen, leuchtete
der Zweifel, ob die ungebundenen Einfälle denn
je das strenge Maß klassischer Malerei erreichen
würden, und ein von den Deutschen aus der
Tragik ihrer Beziehung zu den eigenen Dichtern
und Kündern fast schon vergessener Wegbereiter,
der unheimlich natnrhafte Schöpfer der Zigeuner-
szenen, Otto Mueller, begann in der Jugend
mit zwei Landschaften von Böcklinschem Können
und Böcklinscher Durchdrungenheit, um von diesem
friedlich hehren Gestade in das wilde Meer der
Möglichkeiten zu segeln.
Heute stehen die juugen Maler vor der Auf-
gabe — wenn man sie in bezug aus uuser Thema
formulieren will —, den Entdeckungen der Meister
der „Brücke" und des „Turms der blauen Pferde"
Bestand zu verleihen. In den Erfurter Wand-
malereien Erich Heckels kristallisiert sich der
Ausdruckswille dieser Generation am reinsten und
stärksten, d. h. eine unbeirrbare Gestalterkraft faßt
hier zusammen, was an wesentlichem Gehalt allen
Versuchen der aufbrechenden Malerei des Jahr-
hunderts überhaupt innewohnte. Ein kindlich
ursprüngliches Anschanen von Menschen und
Dingen, das mit den einfachsten malerischen
Mitteln erfaßt sein will (Künstler und Kritiker
verwechseln sie nur allzu leicht mit exzentrischeu
Stilmätzchen), die treibende Unruhe uud Gespannt-
heit der Zeit, die uoch eiumal den Anlauf zum
Höchsten unternimmt, dargestellt mit den kärgsten
Strichen und klaren, harten Farben, die des
inneren Reichtums nicht entbehren, aber etwas
ganz anderes sind als der verschwenderische
Schmelz der Romantiker; über uud in allem eine
mit Worten schwer ausdrückbare Verzaubertheit,
eiue geheimnisvolle Stimmung, die durch die
mehr siunenden als handelnden Personen be-
schworen wird. Und das ist Wohl die eigentliche
Bedeutung dieser Malerei, die ihr die Höhe gibt,
von der man das übrige überschauen kann: daß
es ihr gelingt, ein fast alltägliches zeitgenössisches
Geschehen in die Sphäre des Un- und Uberwirk-
lichen zu heben. Ein junger Magdeburger Maler
hat in der dortigen Magdalenenkapelle zwei
schmale hohe Wände mit Bildern geschmückt. Stock-
ball spielende und mit dem Fangen eines Hechtes
beschäftigte Knaben sind anmutig in eine Wildnis
gestellt, dazwischen ein reitendes Mädchen auf
eiuem langmähuigen Roß, das sich übermütig
bäumt. Die verhaltenen Farben dieses Kinder-
Paradieses vertiefen die Verwunschenheit der Dar-
stellung, die trotz des ganz märchenhaften Klanges
eine selbstverständliche Beziehung zur Wirklichkeit
zeigt. Läßt sich hier auch eine Übereinstimmung
mit der geistigen Haltung des Schöpfers der
Brügger Madonna uud der Erfurter Fresken nicht
verkennen, so beweist doch die künstlerisch unab-
hängige Gestaltung der Motive, welche reichen
Möglichkeiten die von Heckel erschlossene Welt
birgt.
Im Kontrast zu diesem Kreisen, die ganz aus
dem Bewußtsein einer heldischen Tradition, aber
wachsam über der Gegenwart schaffen, gebärdet
sich eine Gruppe vou Jüugeren, die über einen
platten Realismus nicht hinauskommen und auch
uicht hinauskommen wollen, aber zu eiudeutig deu
tonaugebeuden Gegeusatz zu den eben be-
schriebenen, still sich zurückhaltenden Künstlern
bilden, als daß man sie verschweigen dürfte.
Lediglich die räumlichen Möglichkeiten einer Wand
benutzend, ohne das notwendige innere Format
des Bildes zn bedenken, malen sie entweder Tages-
dinge auf die Fläche oder Episoden ans der
Legende und Antike, die sie durch Modernisierung
der Figuren und durch trockene Farbtöne dem
Publikum nahezubringen versuchen. Sie gehen
den umgekehrten Weg wie diejenigen, die das Er-
lebnis ihrer Tage zn steigern versuchen. Freilich
geben auch sie etwas wieder, was sich als „künst-
lerischer" Ausdruck einer größeren Gesamtheit
rechtfertigen ließe; aber eben der Gesamtheit,
deren Glaubenslosigkeit an eine Nengeburt der
Kunst und nicht zuletzt der Freskokunst es zu über-
winden gilt, die in dem zerstörerischen Wahn lebt,
es gezieme unseren Tagen, sich auf die schlichte,
„sachliche" Reportage von Ereignissen zu be-
schränken und nicht ideale Darstellungen zu
wagen, für die doch der Boden fehle. Es gehört
zu den Entartungserscheinungen unseres Jahr-
hunderts, daß die Wandmalerei von solchen in
Angriff genommen wurde, deren Ehrgeiz nur ans
eine mehr oder weniger getreue Kopie der Wirk-
lichkeit zielte. Erst durch die unbefugten Ein-
mischungen wurde das unter den suchenden
Malern mühsam tastende Publikum seiner Sicher-
heit beraubt, und verlor den Blick für das einsam
ringende Genie. Aber welche Wege in der Wand-
malerei heute beschritten werden müssen, damit
auch das Mißtrauen im Volke wieder zn echter
Verehrung seiner Künstler gewandelt werde,
lehren die Epochen deutscher und italienischer
Wandmalerei, deren Höhe wir anzudenten ver-
suchten, und keine Kompromisse und falsche Selbst-
bescheidung vermögen über die Berufung unserer
Zeit zu einem neuen gewaltigen Anlauf hinweg-
zntäuschen.
Kunst-Schau
in Magdeburg
Von
F. A. Dargel
Die zugleich erzieherische wie festliche Aus-
gabe einer Ausstellung ist für eine Stadt der
Provinz größer und gewichtiger als etwa für
Berlin, das leider zuweilen mit einer Überfülle
von Kunterbuntem überfüttert wird, in dem
aber auch ein dauerndes Fließen frisch erhält
und das kritische Vermögen jedes einzelnen
schärft. In Berlin erfährt vielleicht eine beson-
ders gute Ausstellung nicht die Würdigung, die
sie verdient, dafür ist der Schaden, den eine
schlechte anzurichten vermag, geringer als in einer
Stadt, in der künstlerische Darbietungen seltener,
kostbarer, bestimmender sind. Mit bestem Recht
verglich Wilhelm Farenholtz, der Vorsitzende des
Magdeburger Kunstvereins, Handelskammerprä-
sident und Förderer junger Kunst, die Eröff-
nung einer Ausstellung mit einer Uraufführung
der Bühne, jenem feierlichen Ereignis der Sicht-
barmachung eines langen und geheimen, ernsten
und schweren Schaffens.
Er konnte dies um so
eher, als dieser Magde-
burger Schau am Adolf-
Mittag-See, von der
hier zn berichten ist, jener
bedeutenden Aufgabe der
festlichen Erziehung und
erzieherischen Festlichkeit
geradezu vorbildlich ge-
recht wird. Sie hat
ein ordnendes und zusam-
menschließendes Thema,
sie zeigt das wahrhaft
Meisterliche neben der
Jugend, sie erweist in
sich steigernden Bei-
spielen die lebendige Ver-
bundenheit des Ganzen
mit dem Bemühen eigener
Schule und Zucht. Das
Thema heißt „Deutsche
Landschaften". Und hört
man die Namen derer,
die sich ihr widmeten,
so weiß man, daß damit
nicht nur das geogra-
phische Abbild gemeint
ist, sondern vor allem
das innere Erlebnis und
seine jeweilige Gestal-
tung. Nicht gleichsam die
Haut der Landschaft
wird im flockigen Geriesel
von Lust und Licht
glanzvoll präsentiert, es geht hier um die seeli-
sche Haltung, nur den Rhythmus ans Blut und
Geist, der Berge und Wolken bewegt. Das ist
nicht zu verwechseln mit dem Temperament des
einzelnen, wie der Impressionismus es aussaßte
und pries, das ist der Rhythmus, den alle in
sich tragen, die der Zukunft zuleben und sich zur
deutschen Gemeinschaft bekennen.
Walther Greischel, der Direktor des
Magdeburger Museums, der ebenfalls
bei der Eröffnung dieser Ausstellung
sprach, erinnerte daran — und dies ist
leider immer wieder nötig! —, daß der
sogenannte Naive fast immer der im
eigentlichen Sinne Unnaive sei, denn ge-
rade er trete mit einer Auffassung an
künstlerische Dinge heran, die ihm, und
sei es nur durch irgendwelche Reproduk-
tionen, vorgeprägt worden sei, und die
er nun formelhaft verwende. Der wirk-
lich Naive, der niemals Kunst sah, ist
außerordentlich viel seltener, als man es
gemeinhin annimmt und glaubt. Wenn
es ihn überhaupt gibt! Eins ist gewiß,
wer in bäuerlicher Gegend von der
Epoche des Impressionismus und viel-
leicht sogar vom gesamten 19. Jahr-
hundert verschont blieb, wer bayerische
Glasbilder und den bunten Hausrat von
Holstein bis zum Allgäu um sich sah,
findet leichter etwa zu Emil Nolde, als
nährte. Aber auch er ist selten! So
bleibt für den nicht von vornherein
Empfänglichen wirklich nur die Er-
ziehung. Die Erziehung vor allem zur Ehr-
furcht, die jeder ernsten Leistung gebührt. Und
das ist sehr viel schwerer als das banale Ent-
gegenkommen.
Diese Magdeburger Ausstellung vereint rund
200 Arbeiten: Gemälde und Aquarelle. Etwa
25 Künstler sind an ihr beteiligt. Nolde, Schmidt-
Rottlnss, Heckel mit hier noch nicht Gezeigtem,
gleichsam auf ihren Schultern Kans und Her-
big, Scholz, Hofsmann, die Magdeburger Saß,
Braun, John. Zu ihnen gesellen sich Lenk und
Schrimpf und Feininger. Ein Chor sehr ver-
schiedener Stimmen von doch reinem und gutem
Klang. Der um so eher ans Echo und Beifall
rechnen darf, als er hier dem besonderen Thema
der Landschaft dient, einem Thema, das an sich
schon sehr deutsch ist. Der Bodensee erscheint und
die Felder Mecklenburgs, der Neckar, die Saar,
der Tauuus, Pommern, Tirol, Wiesen und
Boote, Würzburg und Hamburg, Brücke und
Berg, Brocken und Börde, Mühle und Marsch,
Mondnacht und Meer. Und auch, wenn ein Bild
nur knapp „Frühling" sich nennt oder „Am
Wald" oder „Möwen" und „Regenbogen" und
„Stille Bucht", ist hier auch nur ein leiser
Zweifel, daß Land und Bild deutsch sind?
Das künstlerische Ergebnis dieser Magdeburger
Ausstellung im ganzen ist, daß unbeirrt nm
irgendwelche Schlagworte emsig und zäh weiter-
geschafft wird. Es ist ihr Verdienst, daß sie sich
ebenfalls unbekümmert für dieses Schaffen ein-
fetzt, daß sie Verantwortung. übernimmt und
fordert, daß sie es dem Beschauer nicht leicht,
sondern schwer macht, daß sie schließlich an sein
Bestes appelliert, an die Ehrfurcht.
Paula Mdersohn-Becker
Der Ruhm dieser Malerin, für die der Im-
pressionismus schon überwunden war, als er noch
im vollsten Blühen stand, ging vom Literarischen
aus und kam erst lange nach ihrem frühen Tod.
Sie selbst war fern von diesem Ruhm, hat nur ein
einziges Bild um hundert Mark verkauft, und
auch die nächsten Freunde wußten zuletzt kaum,
was sie schuf. „Du warst unscheinbar", klagt
Rainer Maria Rilke nach ihrem Scheiden, „hattest
leise Deine Schönheit hineingenommen, wie man
eine Fahne einzieht am grauen Morgen eines
Werktages, und wolltest nichts als eine lange Ar-
beit, die nicht getan ist: dennoch nicht getan!" So
war denn auch, wenn von der Künstlerkolonie im
Moordorf Worpswede gesprochen wurde, Wohl
von den Mackensen, Otto Modersohn, Overbeck,
.Hans,.qm.,.Ende.und. Voaeler.die.Rede,, .aber.nie-
mals von dieser Frau, die in ihrem einunddreißig-
sten Jahr starb, nachdem sie zuvor einem Mädchen
das Leben geschenkt hatte. Dann aber wurden
ihre Briefe und Tagebuchblätter publiziert. Sie
riefen das Bild einer menschlichen Existenz zurück,
die von schöpferischen Kräften und einer Energie
des Erlebens erfüllt war, die alles, was sie be-
rührte, in einem ihr eigenen Licht sehen ließ.
Seitdem war sie keine Fremde mehr, und das Be-
wußtsein, sie unter den Toten zu wissen, sprach
wie eine Persönliche Wehmut an. War es nicht,
als hätten wir sie gekannt, dem Ton ihrer Stimme
gelauscht, ihren Ernst empfunden und ihr Lachen
gehört? Man kam in diesen Aufzeichnungen ihrer
reinen, starken Natur ganz nahe, einer Weiblich-
keit, wie sie Nietzsche vorgeschwebt haben mag, als
er einmal durch das Klingen einer tiefen Alt-
stimme an irgendwo ferne Frauen gemahnt
wurde . . .
„. . . ich werde noch etwas", steht in einem
ihrer Briefe. „Wie groß oder wie klein, das kann
ich selbst nicht sagen, aber es wird etwas in sich
Geschlossenes!" Ob es auch Vollendung werden
sollte? — Nachdem ihre Werke aus den Winkeln
ihres Ateliers an die Öffentlichkeit kamen, diese
Bilder blonder Mädchen mit Kränzen im Haar,
behäbige Bauernfrauen m Blumengärten, der
Max Kaus, Mecklenburger Seclandschast. Ausstellung im Magdeburger Kunstverein
Konrad Witz, Landschaft am Genfer See (Ausschnitt).
Aus „Deutsche Maler bis Holbein". Verlag F. Bruckmann, München
3
Schrimpf, Zwei Mädchen in Landschaft. Ausstellung im Magdeburger Kunstverein
Wahl der malerischen Mittel und der Modelle ver-
rät sich bei ihnen der Drang nach einer aus dem
Uberwirklichen geschöpften Erfindung, mehr uoch:
die Sehnsucht nach den hehren Maßen einer ver-
loren gegangenen Welt. Sie glüht in der
Romantik, der Epoche des kühnsten Verrates an
der Wirklichkeit, in den Träumen eines Caspar
David Friedrich und Runge auf. Daun,
wie nach einer allgemeinen Überanstrengung der
Kräfte, verglimmt diese Sehnsucht und der
entzauberte, um seinen Gehalt betrogene Alltag
rächt sich doppelt, indem er die Hirne mit dem
Gespenst des Materialismus bedroht. Die bei den
Nazarenern noch wenig oder gar nicht gewußte
Flucht vor der schwachatmigen Gegenwart wird
nun zur unerbittlichen Abkehr. Hans von
Marees muß nach Italien gehen, um den ein-
zigen Freskenauftrag seines Lebens zu erfüllen:
und ans dem Halbdämmer seiner Neapolitaner
Ruderer, deren Anblick den Aufbruch schon
mancher jüngeren Begabung bestimmt hat, schim-
mert ein Wissen uni die innere Entfernung des
ckin Ü6 siöcüe von seinen Schaffenden und eine
Einsamkeit, welche uns die veränderten Gesetze
für den Maler und für das Fresko ahnen läßt.
Keine Schule wie ein Perngino nm sich, gefolgt
von wenigen Jüngern, mitten im Unverständnis
einer sich technisierendell Welt lind ihr so fern,
mußte er ans Werk gehen, „nur stiller Künstler,
der sein Bestes tat, versonnen wartend, daß der
Himmel Helse".
Aus den Schatten der heroischen Idylle Halls
von Marees brechen die Maler des monumentalen
Stiles um die Jahrhundertwende noch einmal auf,
in der Welt ihren Platz zu finden und aus der ge-
wandelteil Grundstimmung der Zeit das Antlitz
ihrer Tage und Taten zu porträtiereu. An ent-
gegengesetzten Enden beginnend, in Norwegen und
in der Schweiz, schaffen zwei eigellwillige Meister
Wandbild und -schmuck, jeder im eigenen Farb-
lind Erlebnisbezirk, aber beide gebannt von dell
Frühlingsschanern einer jungeil von Traditionen
unbeschwerten Malerei. So entstehen die kühne
Sinfonie der aufvrechenden Freiyettstrleger von
1813 Ferdinand Hodlers ans emer ver-
steckten Wand der Jenaer Universität und die
großen märchenhaften Illustrationen Munchs
zu Bühnenstücken. Wenn lvir mit leisem Er-
schrecken vor den vielleicht unnatürlich anmuten-
den Weitungen und zeichnerischen Spitzungen voll
Raum und Figuren stehen, so mögen wir des
tieferen Grundes solcher Übersteigerung gewahr
werden: daß in einer Epoche, welche die eigene
Müdigkeit bemitleidete, die verwegene Phantasie
der Wenigen den Rahmen für das Neue schaffen
mußte. Während die Künstler der Renaissance
aus allen Bornen eines überströmenden Zeit-
alters schöpfen dursten, mußten jetzt die Unver-
dorbenen unter den Spätlingen mit den Maßen
ihrer Sehnsucht die verloreue Höhe zurückerobern.
Aber ein seltsamer Zwiespalt wurde über sie ver-
hängt. Die klassischen Gefilde der Feuerbach und
Böcklin waren ihnen verwehrt, denn deren Rück-
kehr zur vollkommenen, in sich selbst ruhenden
Form war einmalig und einem Jahrhundert-
beginn, das im Zeichen der Unrast stand, nicht
vergönnt. Aus der auderen Seite vermochte das
Neue noch nicht sich in fester Gestalt durchzusetzeu.
Alles war im Gären, vieles wurde gewagt und
nach 1910 etwa konnten die unermüdlich Spähen-
den schon ahnen, welche verschiedenen Wege zu
welchem einen Ziele führten. Aber immer wieder
brach aus den feurigsten Erfindungen die ver-
stohlene Sehnsucht nach dem Gewesenen, leuchtete
der Zweifel, ob die ungebundenen Einfälle denn
je das strenge Maß klassischer Malerei erreichen
würden, und ein von den Deutschen aus der
Tragik ihrer Beziehung zu den eigenen Dichtern
und Kündern fast schon vergessener Wegbereiter,
der unheimlich natnrhafte Schöpfer der Zigeuner-
szenen, Otto Mueller, begann in der Jugend
mit zwei Landschaften von Böcklinschem Können
und Böcklinscher Durchdrungenheit, um von diesem
friedlich hehren Gestade in das wilde Meer der
Möglichkeiten zu segeln.
Heute stehen die juugen Maler vor der Auf-
gabe — wenn man sie in bezug aus uuser Thema
formulieren will —, den Entdeckungen der Meister
der „Brücke" und des „Turms der blauen Pferde"
Bestand zu verleihen. In den Erfurter Wand-
malereien Erich Heckels kristallisiert sich der
Ausdruckswille dieser Generation am reinsten und
stärksten, d. h. eine unbeirrbare Gestalterkraft faßt
hier zusammen, was an wesentlichem Gehalt allen
Versuchen der aufbrechenden Malerei des Jahr-
hunderts überhaupt innewohnte. Ein kindlich
ursprüngliches Anschanen von Menschen und
Dingen, das mit den einfachsten malerischen
Mitteln erfaßt sein will (Künstler und Kritiker
verwechseln sie nur allzu leicht mit exzentrischeu
Stilmätzchen), die treibende Unruhe uud Gespannt-
heit der Zeit, die uoch eiumal den Anlauf zum
Höchsten unternimmt, dargestellt mit den kärgsten
Strichen und klaren, harten Farben, die des
inneren Reichtums nicht entbehren, aber etwas
ganz anderes sind als der verschwenderische
Schmelz der Romantiker; über uud in allem eine
mit Worten schwer ausdrückbare Verzaubertheit,
eiue geheimnisvolle Stimmung, die durch die
mehr siunenden als handelnden Personen be-
schworen wird. Und das ist Wohl die eigentliche
Bedeutung dieser Malerei, die ihr die Höhe gibt,
von der man das übrige überschauen kann: daß
es ihr gelingt, ein fast alltägliches zeitgenössisches
Geschehen in die Sphäre des Un- und Uberwirk-
lichen zu heben. Ein junger Magdeburger Maler
hat in der dortigen Magdalenenkapelle zwei
schmale hohe Wände mit Bildern geschmückt. Stock-
ball spielende und mit dem Fangen eines Hechtes
beschäftigte Knaben sind anmutig in eine Wildnis
gestellt, dazwischen ein reitendes Mädchen auf
eiuem langmähuigen Roß, das sich übermütig
bäumt. Die verhaltenen Farben dieses Kinder-
Paradieses vertiefen die Verwunschenheit der Dar-
stellung, die trotz des ganz märchenhaften Klanges
eine selbstverständliche Beziehung zur Wirklichkeit
zeigt. Läßt sich hier auch eine Übereinstimmung
mit der geistigen Haltung des Schöpfers der
Brügger Madonna uud der Erfurter Fresken nicht
verkennen, so beweist doch die künstlerisch unab-
hängige Gestaltung der Motive, welche reichen
Möglichkeiten die von Heckel erschlossene Welt
birgt.
Im Kontrast zu diesem Kreisen, die ganz aus
dem Bewußtsein einer heldischen Tradition, aber
wachsam über der Gegenwart schaffen, gebärdet
sich eine Gruppe vou Jüugeren, die über einen
platten Realismus nicht hinauskommen und auch
uicht hinauskommen wollen, aber zu eiudeutig deu
tonaugebeuden Gegeusatz zu den eben be-
schriebenen, still sich zurückhaltenden Künstlern
bilden, als daß man sie verschweigen dürfte.
Lediglich die räumlichen Möglichkeiten einer Wand
benutzend, ohne das notwendige innere Format
des Bildes zn bedenken, malen sie entweder Tages-
dinge auf die Fläche oder Episoden ans der
Legende und Antike, die sie durch Modernisierung
der Figuren und durch trockene Farbtöne dem
Publikum nahezubringen versuchen. Sie gehen
den umgekehrten Weg wie diejenigen, die das Er-
lebnis ihrer Tage zn steigern versuchen. Freilich
geben auch sie etwas wieder, was sich als „künst-
lerischer" Ausdruck einer größeren Gesamtheit
rechtfertigen ließe; aber eben der Gesamtheit,
deren Glaubenslosigkeit an eine Nengeburt der
Kunst und nicht zuletzt der Freskokunst es zu über-
winden gilt, die in dem zerstörerischen Wahn lebt,
es gezieme unseren Tagen, sich auf die schlichte,
„sachliche" Reportage von Ereignissen zu be-
schränken und nicht ideale Darstellungen zu
wagen, für die doch der Boden fehle. Es gehört
zu den Entartungserscheinungen unseres Jahr-
hunderts, daß die Wandmalerei von solchen in
Angriff genommen wurde, deren Ehrgeiz nur ans
eine mehr oder weniger getreue Kopie der Wirk-
lichkeit zielte. Erst durch die unbefugten Ein-
mischungen wurde das unter den suchenden
Malern mühsam tastende Publikum seiner Sicher-
heit beraubt, und verlor den Blick für das einsam
ringende Genie. Aber welche Wege in der Wand-
malerei heute beschritten werden müssen, damit
auch das Mißtrauen im Volke wieder zn echter
Verehrung seiner Künstler gewandelt werde,
lehren die Epochen deutscher und italienischer
Wandmalerei, deren Höhe wir anzudenten ver-
suchten, und keine Kompromisse und falsche Selbst-
bescheidung vermögen über die Berufung unserer
Zeit zu einem neuen gewaltigen Anlauf hinweg-
zntäuschen.
Kunst-Schau
in Magdeburg
Von
F. A. Dargel
Die zugleich erzieherische wie festliche Aus-
gabe einer Ausstellung ist für eine Stadt der
Provinz größer und gewichtiger als etwa für
Berlin, das leider zuweilen mit einer Überfülle
von Kunterbuntem überfüttert wird, in dem
aber auch ein dauerndes Fließen frisch erhält
und das kritische Vermögen jedes einzelnen
schärft. In Berlin erfährt vielleicht eine beson-
ders gute Ausstellung nicht die Würdigung, die
sie verdient, dafür ist der Schaden, den eine
schlechte anzurichten vermag, geringer als in einer
Stadt, in der künstlerische Darbietungen seltener,
kostbarer, bestimmender sind. Mit bestem Recht
verglich Wilhelm Farenholtz, der Vorsitzende des
Magdeburger Kunstvereins, Handelskammerprä-
sident und Förderer junger Kunst, die Eröff-
nung einer Ausstellung mit einer Uraufführung
der Bühne, jenem feierlichen Ereignis der Sicht-
barmachung eines langen und geheimen, ernsten
und schweren Schaffens.
Er konnte dies um so
eher, als dieser Magde-
burger Schau am Adolf-
Mittag-See, von der
hier zn berichten ist, jener
bedeutenden Aufgabe der
festlichen Erziehung und
erzieherischen Festlichkeit
geradezu vorbildlich ge-
recht wird. Sie hat
ein ordnendes und zusam-
menschließendes Thema,
sie zeigt das wahrhaft
Meisterliche neben der
Jugend, sie erweist in
sich steigernden Bei-
spielen die lebendige Ver-
bundenheit des Ganzen
mit dem Bemühen eigener
Schule und Zucht. Das
Thema heißt „Deutsche
Landschaften". Und hört
man die Namen derer,
die sich ihr widmeten,
so weiß man, daß damit
nicht nur das geogra-
phische Abbild gemeint
ist, sondern vor allem
das innere Erlebnis und
seine jeweilige Gestal-
tung. Nicht gleichsam die
Haut der Landschaft
wird im flockigen Geriesel
von Lust und Licht
glanzvoll präsentiert, es geht hier um die seeli-
sche Haltung, nur den Rhythmus ans Blut und
Geist, der Berge und Wolken bewegt. Das ist
nicht zu verwechseln mit dem Temperament des
einzelnen, wie der Impressionismus es aussaßte
und pries, das ist der Rhythmus, den alle in
sich tragen, die der Zukunft zuleben und sich zur
deutschen Gemeinschaft bekennen.
Walther Greischel, der Direktor des
Magdeburger Museums, der ebenfalls
bei der Eröffnung dieser Ausstellung
sprach, erinnerte daran — und dies ist
leider immer wieder nötig! —, daß der
sogenannte Naive fast immer der im
eigentlichen Sinne Unnaive sei, denn ge-
rade er trete mit einer Auffassung an
künstlerische Dinge heran, die ihm, und
sei es nur durch irgendwelche Reproduk-
tionen, vorgeprägt worden sei, und die
er nun formelhaft verwende. Der wirk-
lich Naive, der niemals Kunst sah, ist
außerordentlich viel seltener, als man es
gemeinhin annimmt und glaubt. Wenn
es ihn überhaupt gibt! Eins ist gewiß,
wer in bäuerlicher Gegend von der
Epoche des Impressionismus und viel-
leicht sogar vom gesamten 19. Jahr-
hundert verschont blieb, wer bayerische
Glasbilder und den bunten Hausrat von
Holstein bis zum Allgäu um sich sah,
findet leichter etwa zu Emil Nolde, als
nährte. Aber auch er ist selten! So
bleibt für den nicht von vornherein
Empfänglichen wirklich nur die Er-
ziehung. Die Erziehung vor allem zur Ehr-
furcht, die jeder ernsten Leistung gebührt. Und
das ist sehr viel schwerer als das banale Ent-
gegenkommen.
Diese Magdeburger Ausstellung vereint rund
200 Arbeiten: Gemälde und Aquarelle. Etwa
25 Künstler sind an ihr beteiligt. Nolde, Schmidt-
Rottlnss, Heckel mit hier noch nicht Gezeigtem,
gleichsam auf ihren Schultern Kans und Her-
big, Scholz, Hofsmann, die Magdeburger Saß,
Braun, John. Zu ihnen gesellen sich Lenk und
Schrimpf und Feininger. Ein Chor sehr ver-
schiedener Stimmen von doch reinem und gutem
Klang. Der um so eher ans Echo und Beifall
rechnen darf, als er hier dem besonderen Thema
der Landschaft dient, einem Thema, das an sich
schon sehr deutsch ist. Der Bodensee erscheint und
die Felder Mecklenburgs, der Neckar, die Saar,
der Tauuus, Pommern, Tirol, Wiesen und
Boote, Würzburg und Hamburg, Brücke und
Berg, Brocken und Börde, Mühle und Marsch,
Mondnacht und Meer. Und auch, wenn ein Bild
nur knapp „Frühling" sich nennt oder „Am
Wald" oder „Möwen" und „Regenbogen" und
„Stille Bucht", ist hier auch nur ein leiser
Zweifel, daß Land und Bild deutsch sind?
Das künstlerische Ergebnis dieser Magdeburger
Ausstellung im ganzen ist, daß unbeirrt nm
irgendwelche Schlagworte emsig und zäh weiter-
geschafft wird. Es ist ihr Verdienst, daß sie sich
ebenfalls unbekümmert für dieses Schaffen ein-
fetzt, daß sie Verantwortung. übernimmt und
fordert, daß sie es dem Beschauer nicht leicht,
sondern schwer macht, daß sie schließlich an sein
Bestes appelliert, an die Ehrfurcht.
Paula Mdersohn-Becker
Der Ruhm dieser Malerin, für die der Im-
pressionismus schon überwunden war, als er noch
im vollsten Blühen stand, ging vom Literarischen
aus und kam erst lange nach ihrem frühen Tod.
Sie selbst war fern von diesem Ruhm, hat nur ein
einziges Bild um hundert Mark verkauft, und
auch die nächsten Freunde wußten zuletzt kaum,
was sie schuf. „Du warst unscheinbar", klagt
Rainer Maria Rilke nach ihrem Scheiden, „hattest
leise Deine Schönheit hineingenommen, wie man
eine Fahne einzieht am grauen Morgen eines
Werktages, und wolltest nichts als eine lange Ar-
beit, die nicht getan ist: dennoch nicht getan!" So
war denn auch, wenn von der Künstlerkolonie im
Moordorf Worpswede gesprochen wurde, Wohl
von den Mackensen, Otto Modersohn, Overbeck,
.Hans,.qm.,.Ende.und. Voaeler.die.Rede,, .aber.nie-
mals von dieser Frau, die in ihrem einunddreißig-
sten Jahr starb, nachdem sie zuvor einem Mädchen
das Leben geschenkt hatte. Dann aber wurden
ihre Briefe und Tagebuchblätter publiziert. Sie
riefen das Bild einer menschlichen Existenz zurück,
die von schöpferischen Kräften und einer Energie
des Erlebens erfüllt war, die alles, was sie be-
rührte, in einem ihr eigenen Licht sehen ließ.
Seitdem war sie keine Fremde mehr, und das Be-
wußtsein, sie unter den Toten zu wissen, sprach
wie eine Persönliche Wehmut an. War es nicht,
als hätten wir sie gekannt, dem Ton ihrer Stimme
gelauscht, ihren Ernst empfunden und ihr Lachen
gehört? Man kam in diesen Aufzeichnungen ihrer
reinen, starken Natur ganz nahe, einer Weiblich-
keit, wie sie Nietzsche vorgeschwebt haben mag, als
er einmal durch das Klingen einer tiefen Alt-
stimme an irgendwo ferne Frauen gemahnt
wurde . . .
„. . . ich werde noch etwas", steht in einem
ihrer Briefe. „Wie groß oder wie klein, das kann
ich selbst nicht sagen, aber es wird etwas in sich
Geschlossenes!" Ob es auch Vollendung werden
sollte? — Nachdem ihre Werke aus den Winkeln
ihres Ateliers an die Öffentlichkeit kamen, diese
Bilder blonder Mädchen mit Kränzen im Haar,
behäbige Bauernfrauen m Blumengärten, der
Max Kaus, Mecklenburger Seclandschast. Ausstellung im Magdeburger Kunstverein
Konrad Witz, Landschaft am Genfer See (Ausschnitt).
Aus „Deutsche Maler bis Holbein". Verlag F. Bruckmann, München