6
Kunst der Nation
Heinrich Wölsflin
zu seinem 70. Geburtstag
Edwin Scharff, Bronze-Büste Heinrich Wölsflin
„Daß das Gesetzliche im Norden nie ganz
streng und ost vollkommen locker behandelt wor-
den ist, wird man nicht als einen Mangel be-
zeichnen dürfen, vielmehr kommt eine bestimmte,
Positive Grundanschanung darin zum Ausdruck,
die für unser ganzes Verhältnis zur Natur maß-
gebend ist. Wir glauben nicht an den alleinigen
Wert der Regel, sondern fühlen in allem Leben-
digen einen Schuß von Irrationalem. Dieses
Gefühl für das Irrationale, das sich schlechter-
dings nicht in feste Formen fassen läßt, bedingt
schon den Stil unserer Primitiven . .
Heinrich Wölsflin,
Italien und das deutsche Formgesühl (1931).
stufung; Wüstenhagens Tell war seinen besten
darstellerischen Leistungen zuzuzählen. Uneinheit-
lich blieb die „Egmont"-Aufführung unter Ger-
hardt Bünte. Auch dem „Lear", den Adolf Rott
als Gast inszenierte, fehlte die letzte Vertiefung
und Durchgestaltung.
Im modernen Spielplan schlossen sich Grieses
„Mensch aus Erde gemacht" (Regie: Wüsten-
hagen), Graffs „Heimkehr des Mathias Bruck"
(mit Lucie Höflich als Bäuerin) und Bestes Volks-
stück „Bauer, Gott und Teufel" (Regie: Haenel),
unter den Uraufführungen dieser Bühne die bei
weitem wichtigste, zu einer einheitlichen Ans-
sührungsgruppe zusammen. Uraufgeführt wurden
Paul Schureks in den Motiven ein wenig zer-
dehnte „Kleine Ehekomödie" und das harmlos
heitere Lustspiel „Scherben bringen Glück" von
Roland Marwitz, beide von Robert Meyn, der
sich mit Erfolg um einen Präzisen Lustspielton.
bemüht, geschmeidig inszeniert.
Das Ensemble, auf der weiblichen Seite
zweifellos ausgeglichener als im vorigen Jahr,
klaffte dennoch auch in dieser Spielzeit in vielen
Fällen noch auseinander. Dieser Umstand und
die noch immer nicht endgültig gelöste Frage ein-
heitlich durchgreifender Regieführung hatten zur
Folge, daß den Gesamtleistungen trotz allen
Arbeitsfleißes stellenweise die letzte künstlerische
Durchschlagskraft versagt blieb. Als starke Be-
gabungen spielten sich unter den jüngeren Dar-
stellern Ursula Höflich und Richard Häusler, der
gleich anfangs mit seinem Siegfried über seine
früheren Leistungen beträchtlich hinausreichte, in
den Vordergrund.
Der nächstjährige Spielplan enthält einen
Schillerzyklus, außerdem — in nicht uninteressan-
ter Parallele zum Spielplau des Wiener Burg-
theaters — einen Zyklus „Drama der Völker",
der Werke von Ibsen, Strindberg, Grillparzer,
Giono („Das Salz der Erde"), v. Arx, Lope
de Vega („Das brennende Dorf", Madach („Tra-
gödie des Menschen") umfaßt. Der moderne Spiel-
plan bringt als Uraufführungen Billingers
„Bauernpassion", Schäfers „Heinrich der Löwe",
sodann Werke von Cremers, Eurinaer, Gobsch,
Gerhard Hauptmann, Johst und Ortner.
Das Thalia-Theater
Das Thalia-Theater, das in dieser Spielzeit
mehr darauf bedacht war, seinen Bereich zu ver-
teidigen als ihn zu erweitern, wahrte in seiner
Arbeit ein bedeutendes Leistungsniveau. Erich
Ziegel, der künstlerische Leiter, hielt sich fühl-
bar zurück und geizte mit seinem Persönlichen
Eingreifen. Seine Inszenierung von Goethes
„Groß-Kophta" zu Anfang der Spielzeit, war wie
alles, was der Regisseur Ziegel anfaßt, interessant
und mit einer Fülle überraschender Einzelheiten
ausgestattet, konnte aber diesem Werke dennoch
keine tiefere Wirkung abgewinnen. Graziös, hier
und dort ein wenig verspielt, bot er „Minna von
Barnhelm". Seinen stärksten Regieerfolg hatte er
mit Shakespeares „Sturm" in einer eigenen, teil-
weise — vor allem in den komischen Szenen —
sehr frei schaltenden Bearbeitung; diese Inszenie-
rung, überlegen in der Führung der Darsteller,
sprachlich sorgfältig getönt und märchenhaft aus-
schwingend, gehörte zu den besten Hamburger Auf-
führungen des Winters.
Zur deutschen Uraufführung gelangte, in einer
von Paul Mundo rf sichtlich gefeilten, wenn
auch dem inneren Tonfall des Stückes nicht völlig
entsprechenden Inszenierung Bernhard Shaws
neue Komödie „Festgefahren". Unter den Arbeiten
dieses Regisseurs, der leider nicht immer sehr
wählerisch in den Mitteln ist, sind als die wesent-
lichen hervorzuheben die Aufführung von Robert
Walter „Die große Hebammenkunst" und die in
der Gesamtwirkung recht geschlossene Aufführung
von Kleists „Prinz von Homburg".
Beachtlich waren die Bemühungen um lockeres,
farbiges Unterhaltungstheater. Frisch und leben-
dig spielte das Thalia-Theater Schwenzen-Malinas
Segelfliegerstück „Am Himmel Europas". Zn
erwähnen sind hier außerdem Hermann Bahrs
„Prinzip" und Eugen Gürsters Komödie „Wetter
veränderlich". Ergänzt wurde der Spielplan durch
heitere musikalische Werke, die in Karl-Heinz
Schroth einen witzigen und einfallsreichen Re-
gisseur fanden.
Der für den nächsten Spielwintcr angekün-
digte Spielplan will durch farbige Vielseitigkeit
ein breites Publikum erfassen. Besonderer Nach-
druck wird auf die Pflege des gehaltvollen Kon-
versationsstückes, des Lustspiels und der Komödie
gelegt werden. In der Tat hat hier das Thalia-
Theater, dem ein bewegliches Ensemble zur Ver-
fügung steht, besondere Möglichkeiten und zugleich
innerhalb des Hamburger Theaterlcbens eine be-
deutsame Aufgabe. Aber auch klassische Werke
und die dramatische Kunst der Gegenwart werden
Raun: finden. Vorgesehen sind unter anderem
der „Urfaust", Büchners „Dantons Tod" und
fünf Werke von Shakespeare, darunter „Wie es
Euch gefällt", das merkwürdigerweise in den
Spielplänen aller drei Bühnen in Hamburg und
Altona auftaucht. Außerdem werdeu Werke von
Kleist, Grabbe, Hebbel, Björnson, Hamsun
(Munken Vendt) und Dietrich Eckardt angekün-
digt.
Das Altonaer Stadttheater
Die Altonaer Bühne, der einheitliche Führung
fehlte, vermochte sich dennoch durch eine Anzahl
bemerkenswerter Einzelausführungen Beachtung
zu sichern. Die stärksten Impulse gingen zweifel-
los von Kurt Eggers-Kestner ans, der be-
wies, daß er nicht nur als Darsteller, sondern
auch als Regisseur Bedeutendes zu leisten vermag.
Aufmerken ließ bereits seine Arbeit an Hebbels
„Agnes Bernauer". Vor allem aber seine Insze-
nierung von Ernst Barlachs „Blauem Boll", die
getragen war von echtem Wollen und intensiver
Bemühung, war den stärksten Erlebnissen des
Theaterwinters zuzuzählen. Verschiedene andere
Aufführungen, darunter Strindbergs „Nachtigall
von Wittenberg" und die interessante Urauffüh-
rung des „Brutus" vou Frederico Valerio Ratti
wurden zu einem wesentlichen Teil von seinen
darstellerischen Leistungen getragen.
Im übrigen war das Leistungsniveau in
Altona schwankend. Wenig ertragreich war, wenn
man vom „Brutus" absieht, die Uraufführungs-
arbeit; Peter W. Kömmes in humoristischer
Milieuschilderung dahintreibendes, allzu rühr-
seliges Volksstück „Alles für die Katz" hinterließ
ebensowenig wie das unzulängliche Richard-
Wagner-Drama „Genius im Labyrinth" von
Herbert Roden (Sindbad-Dankwort-Bratt) einen
nachhaltigeren Eindruck. Einen teilweise lokal
bedingten Erfolg hatte Hans Leips „Blankenese
ahoi", das einen liebenswürdig frischen Ton an-
schlug.
Spanische Madonna, 12. Jahrhundert. Barcelona, Museum
Otto Geigenberger
Wer Wasserburg a. I., dieses Juwel einer
altdeutschen Stadt im südlichen Osten Bayerns, im
Bezirk Salzach-Inn, nicht kennt, ahnt kaum, in
welchem Maße Otto Geigenbergers Kunst mit der
engsten Heimat verwurzelt ist. Der Nichtwissende
ist geneigt, diese Malerei eher für eine modische
Angelegenheit zu nehmen, — als ein Bekenntnis
des allgemeinen Zeiteinflusses, der dem Im-
pressionismus folgte, und der nach Linienbestimmt-
hcit, nach Formklarheit, nach konstruktiver Festig-
keit des Bildaufbaues strebte. Aber sie ist keine
modische Spekulation diese Malerei. Sie ist im
Grunde nichts weiter als dies: der natürliche
Niederschlag einer durch formale Eindrücke der
Jugend bestimmten Anschauung, die aufs Ein-
fache, Große, Verschlossene, Mächtige weisen. Ist
es ein Zufall, daß der Charakter dieses Künstlers
eine ähnliche Verschlossenheit und Schwerfälligkeit
an den Tag legt? Daß der Mensch das Stetige,
Ausgeglichene, das Beharrende liebt? Das Un-
zerfallene des mittelalterlichen Menschen answeist,
wirkt, ist hier wieder lebendig, schöpferisch ge-
worden.
Geigenberger hat mit Vorliebe altdeutsche
Städte gemalt. Wasserburg a. I., Dinkelsbühl,
Donauwörth, Bautzen, Rattenberg usw. hat er
eigentlich erst für die deutsche Kunst entdeckt. Die
Bilder sind keine Panoramen, Stadtansichten.
Sondern nur Ausschnitte. Sehr begrenzte, doch
charakteristische Ausschnitte. Von einer unheim-
lichen Vereinfachung und oft Anspruchslosigkeit
des Motivs. Doch von einer deutungslüsternen
Mystik. Ost gewinnt eine hervorstehende Wand
etwas Drohendes, Erschreckendes; der alte Turm
an einer verwitterten, ehemals wehrhaften Stadt-
mauer etwas Geisterhaft-Tierhaftes. Lieblich ist
das Motiv selten. Auch lehnt es alles Deklamato-
rische ab. Geigenberger heroisiert in einer voll-
gültigen Weise. Abstrahiert vielleicht nicht
in einer so bezaubernden Art wie andere.
Doch ist er tiefer, seelischer. Eine innere
Verwandtschaft, die die Künstler auch im Leben
freundschaftlich verband, teilte er mit Konrad
Westermayr, dem frühzeitig Dahingegange-
nen, und Anton K e r s ch b a u m e r, der von ähn-
Otto Geigenberger, Ebersbcrger Moorlandschast (1934)
das Konsequente, man möchte fast sagen, bis zur
Selbstvernichtuug? Der Geist der Stadt Wasser-
burg hat auch den inneren Menschen geformt.
Der markante Schädel des Künstlers könnte als
Schlußstein oben am gotischen Gewölbe, wo die
Gurten im Jenseits fast zusammenschlagen, ent-
deckt werden. Es ist schwer zu glauben, daß
Geigenberger Zeitgenosse unserer flüchtigen, dem
Modischen nur allzu ergebenen Zeit ist. Er ist es
auch nicht. Wenigstens nicht der Zeit, die im
Modischen allein lebt. Und merkwürdig: wir,
die wir allzu sehr dem fliehenden Augenblick nach-
hängen, lieben diesen Menschen. Lieben ihn als
etwas Vollgültigeres als wir. Lieben wir nicht
deshalb auch unsere altdeutschen Städte? Lieben
sie, weil sie Charakter haben, weil sie aus tieferen
Bedürfnissen und Zusammenhängen eindeutiger
herauswuchsen als unsere nur dem Unternehmer-
tum verpflichteten Stadtviertel modernen städti-
schen Wachstums. Begreifen die andern nun, die
anderen, die nur der Spekulation, der Theorie oder
Abstraktion leben, warum wir auch Geigenbergers
Kunst lieben? Alteingeborene Kraft des Alt-
bayerischen, die alles Modische haßt, das Schöne,
das nur der Schönheit dient, nicht kennt, sondern
Kunst formt aus dem Bedürfnis nach einem un-
gebrochenen Bildsinn, der von innen nach außen
lichen inneren und äußeren Anschauungen aus-
ging, dann aber in der Berliner Luft mehr und
mehr von den formalen Elementen, von den deko-
rativen Reizen der Farbe verführt, einer mehr
den: äußeren Effekt ergebenen Kunst verfiel. Nun
ruht auf Geigenberger allein, die Aufgabe einem
glücklichen Ende zuzuführen. Unermüdlich arbeitet
der Künstler an ihr. Immer wieder greift er in
neuen Bildgestaltungen weiter aus, in einer un-
ablässigen inneren und äußeren Ausweitung. Er
arbeitet nicht leicht. Mißtraut zu sehr der Ge-
schicklichkeit. Und die harte Selbstkritik, die manch-
mal an Selbstzerfleischung grenzt, hat Bedeuten-
des für immer zerstört. Was bleibt, ist wertvoll.
Nicht alle Künstler können wie Hans Thoma
oder Karl Haider, wie Schrimpf oder Steppes in
der lyrisch-sachlichen Art ihre Beglückung und
Vollendung finden. Die Wege der Kunst sind un-
zählbar. Aber in allem, was deutsche Künstler
schaffen, muß etwas von deutscher Art zum Aus-
druck kommen. Die Mnndsprache Otto Geigen-
bergers ist das Altbayerische. Und wer ein Ge-
fühl für altdeutsche Mundart hat, wird diese Kunst
lieben. Sie achten auch da, wo sie sich vielleicht
allzu sehr der Anmut des Landschaftlichen ver-
scyließt und dem zart durchtasteten und durch-
gepflegten Detail. L—r.
(aus „Richard 8trauL rind dis Lerlinsr Oper" v. 3. Kapp)
Oer Vag:
Vas Werk, das Liofmannsthal begonnen, Ust Richard
charakteristische (wräusche 2U erzeugen, (wräusche, <Us
sich an die Handlung auf das engste anschlisüen, jedes
Lreignis, jede szenische Lewsgung unterstreichen und auf
alten bewährten Kniff an, wenn ör ss gar ru toll getrieben
Kat, plötzlich eins Zeitlang rsins Harmonie erklingen 2u
lassen, diese wirkt nach dem wüsten Durcheinander so
erquicklich, da6 naive Osmüter darin überschwengliche
8chönkeit ru linden glauben, wäirrend sie, kür sioir de-
tracktst, gar nichts sind, verbrauchte, keineswegs vor-
nehme melodische Wendungen, die ein nicht gerade mittel-
mälZiger Komponist verschmähen würde. Überhaupt ist
dis thematische Lrfindung auch in der „Liektra" wieder
Lukerst dürktig. Wir kennen kein dramatisches Werk, das
sich aus so nichtigen und inhaltsleeren Ibernen entwickelt.
Laverisvber Courier:
Vas Lsdenkliche aber an der ,,LIektra"-L1u8ik ist, daL
8trauü nicht einen einrügen wirklichen Rinkail hatte. Vs
tut einem weh, dalZ dis wenigen melodischen Oasen ent-
weder sofort wieder in den Wüsten der Trivialität oder
Lrutalität versanden, oder wenn sie bleiben, mit Wassern
berieselt sind, die aus fremden (Wellen stammen.
Vie Lost:
OewilZ begegnen wir in der ,,KIektra"-Lartitur auf
8cbritt und Lritt einer Rülls treffsicherer Linfälle, aber
dis Vorliebe für das 8ckeuiZIiehs waltet vor. Kiehts wird
uns erspart — eins wahre Näklickkeitsorgis, dis leider
nur selten durch 8chönbeitsanwandlung6n unterbrochen
wird. Daneben Vlomente, wie sie nur einem wirklich ge-
nialen Künstler einfallen können. 8is sind aber meiner
iUeinung nach nicht ausschlaggebend für den Lsbenswert
des ganzen Werkes; sie werden 2u sehr überwuchert durch
das vewolltbälZIiche, das seins reichliche Kairrung auf dem
Loden dekadenter Kunstansehauung findet. Drow des
übsrgroken ^nbäukens von Klangmatsrial im Orchester vsr-
mikt man eins wahrhafte Lol^phonis der 8timmführung,
und die meisten sind von einer Kurzatmigkeit, geradezu
Unbedeutendheit, dak man hiernach ?u urteilen, von einem
Versiegen der Krkindung des Komponisten 2u sprechen ein
Leckt hätte. Ick glaube auch nicht an dis Lebenskraft
der ,,kiwktra"-Lartitur, ebensowenig wie an dis der .Sa-
lome" ; dis vielen Wiederholungen beider Werke täuschen
mich nicht, denn der Kams Richard 8traulZ übt 2ur Leit
mit ungewöhnlicher Krakt ein« 8uggsstion auf die groks
iUasss der Lheaterbesuchsr aus. Wir haben solch ein ^.uk-
Herausgeber: A. William König; Schriftleitung: Otto-Andreas Schreiber; verantwortlich: Otto-Andreas Schreiber, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation G. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstrahe 118. —
Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der Nation zu richten. Anzeigenannahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellen-
angabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung, abgelehnt. Druck H. S. Hermann E. m. b. H. Berlin SW 19.
Kunst der Nation
Heinrich Wölsflin
zu seinem 70. Geburtstag
Edwin Scharff, Bronze-Büste Heinrich Wölsflin
„Daß das Gesetzliche im Norden nie ganz
streng und ost vollkommen locker behandelt wor-
den ist, wird man nicht als einen Mangel be-
zeichnen dürfen, vielmehr kommt eine bestimmte,
Positive Grundanschanung darin zum Ausdruck,
die für unser ganzes Verhältnis zur Natur maß-
gebend ist. Wir glauben nicht an den alleinigen
Wert der Regel, sondern fühlen in allem Leben-
digen einen Schuß von Irrationalem. Dieses
Gefühl für das Irrationale, das sich schlechter-
dings nicht in feste Formen fassen läßt, bedingt
schon den Stil unserer Primitiven . .
Heinrich Wölsflin,
Italien und das deutsche Formgesühl (1931).
stufung; Wüstenhagens Tell war seinen besten
darstellerischen Leistungen zuzuzählen. Uneinheit-
lich blieb die „Egmont"-Aufführung unter Ger-
hardt Bünte. Auch dem „Lear", den Adolf Rott
als Gast inszenierte, fehlte die letzte Vertiefung
und Durchgestaltung.
Im modernen Spielplan schlossen sich Grieses
„Mensch aus Erde gemacht" (Regie: Wüsten-
hagen), Graffs „Heimkehr des Mathias Bruck"
(mit Lucie Höflich als Bäuerin) und Bestes Volks-
stück „Bauer, Gott und Teufel" (Regie: Haenel),
unter den Uraufführungen dieser Bühne die bei
weitem wichtigste, zu einer einheitlichen Ans-
sührungsgruppe zusammen. Uraufgeführt wurden
Paul Schureks in den Motiven ein wenig zer-
dehnte „Kleine Ehekomödie" und das harmlos
heitere Lustspiel „Scherben bringen Glück" von
Roland Marwitz, beide von Robert Meyn, der
sich mit Erfolg um einen Präzisen Lustspielton.
bemüht, geschmeidig inszeniert.
Das Ensemble, auf der weiblichen Seite
zweifellos ausgeglichener als im vorigen Jahr,
klaffte dennoch auch in dieser Spielzeit in vielen
Fällen noch auseinander. Dieser Umstand und
die noch immer nicht endgültig gelöste Frage ein-
heitlich durchgreifender Regieführung hatten zur
Folge, daß den Gesamtleistungen trotz allen
Arbeitsfleißes stellenweise die letzte künstlerische
Durchschlagskraft versagt blieb. Als starke Be-
gabungen spielten sich unter den jüngeren Dar-
stellern Ursula Höflich und Richard Häusler, der
gleich anfangs mit seinem Siegfried über seine
früheren Leistungen beträchtlich hinausreichte, in
den Vordergrund.
Der nächstjährige Spielplan enthält einen
Schillerzyklus, außerdem — in nicht uninteressan-
ter Parallele zum Spielplau des Wiener Burg-
theaters — einen Zyklus „Drama der Völker",
der Werke von Ibsen, Strindberg, Grillparzer,
Giono („Das Salz der Erde"), v. Arx, Lope
de Vega („Das brennende Dorf", Madach („Tra-
gödie des Menschen") umfaßt. Der moderne Spiel-
plan bringt als Uraufführungen Billingers
„Bauernpassion", Schäfers „Heinrich der Löwe",
sodann Werke von Cremers, Eurinaer, Gobsch,
Gerhard Hauptmann, Johst und Ortner.
Das Thalia-Theater
Das Thalia-Theater, das in dieser Spielzeit
mehr darauf bedacht war, seinen Bereich zu ver-
teidigen als ihn zu erweitern, wahrte in seiner
Arbeit ein bedeutendes Leistungsniveau. Erich
Ziegel, der künstlerische Leiter, hielt sich fühl-
bar zurück und geizte mit seinem Persönlichen
Eingreifen. Seine Inszenierung von Goethes
„Groß-Kophta" zu Anfang der Spielzeit, war wie
alles, was der Regisseur Ziegel anfaßt, interessant
und mit einer Fülle überraschender Einzelheiten
ausgestattet, konnte aber diesem Werke dennoch
keine tiefere Wirkung abgewinnen. Graziös, hier
und dort ein wenig verspielt, bot er „Minna von
Barnhelm". Seinen stärksten Regieerfolg hatte er
mit Shakespeares „Sturm" in einer eigenen, teil-
weise — vor allem in den komischen Szenen —
sehr frei schaltenden Bearbeitung; diese Inszenie-
rung, überlegen in der Führung der Darsteller,
sprachlich sorgfältig getönt und märchenhaft aus-
schwingend, gehörte zu den besten Hamburger Auf-
führungen des Winters.
Zur deutschen Uraufführung gelangte, in einer
von Paul Mundo rf sichtlich gefeilten, wenn
auch dem inneren Tonfall des Stückes nicht völlig
entsprechenden Inszenierung Bernhard Shaws
neue Komödie „Festgefahren". Unter den Arbeiten
dieses Regisseurs, der leider nicht immer sehr
wählerisch in den Mitteln ist, sind als die wesent-
lichen hervorzuheben die Aufführung von Robert
Walter „Die große Hebammenkunst" und die in
der Gesamtwirkung recht geschlossene Aufführung
von Kleists „Prinz von Homburg".
Beachtlich waren die Bemühungen um lockeres,
farbiges Unterhaltungstheater. Frisch und leben-
dig spielte das Thalia-Theater Schwenzen-Malinas
Segelfliegerstück „Am Himmel Europas". Zn
erwähnen sind hier außerdem Hermann Bahrs
„Prinzip" und Eugen Gürsters Komödie „Wetter
veränderlich". Ergänzt wurde der Spielplan durch
heitere musikalische Werke, die in Karl-Heinz
Schroth einen witzigen und einfallsreichen Re-
gisseur fanden.
Der für den nächsten Spielwintcr angekün-
digte Spielplan will durch farbige Vielseitigkeit
ein breites Publikum erfassen. Besonderer Nach-
druck wird auf die Pflege des gehaltvollen Kon-
versationsstückes, des Lustspiels und der Komödie
gelegt werden. In der Tat hat hier das Thalia-
Theater, dem ein bewegliches Ensemble zur Ver-
fügung steht, besondere Möglichkeiten und zugleich
innerhalb des Hamburger Theaterlcbens eine be-
deutsame Aufgabe. Aber auch klassische Werke
und die dramatische Kunst der Gegenwart werden
Raun: finden. Vorgesehen sind unter anderem
der „Urfaust", Büchners „Dantons Tod" und
fünf Werke von Shakespeare, darunter „Wie es
Euch gefällt", das merkwürdigerweise in den
Spielplänen aller drei Bühnen in Hamburg und
Altona auftaucht. Außerdem werdeu Werke von
Kleist, Grabbe, Hebbel, Björnson, Hamsun
(Munken Vendt) und Dietrich Eckardt angekün-
digt.
Das Altonaer Stadttheater
Die Altonaer Bühne, der einheitliche Führung
fehlte, vermochte sich dennoch durch eine Anzahl
bemerkenswerter Einzelausführungen Beachtung
zu sichern. Die stärksten Impulse gingen zweifel-
los von Kurt Eggers-Kestner ans, der be-
wies, daß er nicht nur als Darsteller, sondern
auch als Regisseur Bedeutendes zu leisten vermag.
Aufmerken ließ bereits seine Arbeit an Hebbels
„Agnes Bernauer". Vor allem aber seine Insze-
nierung von Ernst Barlachs „Blauem Boll", die
getragen war von echtem Wollen und intensiver
Bemühung, war den stärksten Erlebnissen des
Theaterwinters zuzuzählen. Verschiedene andere
Aufführungen, darunter Strindbergs „Nachtigall
von Wittenberg" und die interessante Urauffüh-
rung des „Brutus" vou Frederico Valerio Ratti
wurden zu einem wesentlichen Teil von seinen
darstellerischen Leistungen getragen.
Im übrigen war das Leistungsniveau in
Altona schwankend. Wenig ertragreich war, wenn
man vom „Brutus" absieht, die Uraufführungs-
arbeit; Peter W. Kömmes in humoristischer
Milieuschilderung dahintreibendes, allzu rühr-
seliges Volksstück „Alles für die Katz" hinterließ
ebensowenig wie das unzulängliche Richard-
Wagner-Drama „Genius im Labyrinth" von
Herbert Roden (Sindbad-Dankwort-Bratt) einen
nachhaltigeren Eindruck. Einen teilweise lokal
bedingten Erfolg hatte Hans Leips „Blankenese
ahoi", das einen liebenswürdig frischen Ton an-
schlug.
Spanische Madonna, 12. Jahrhundert. Barcelona, Museum
Otto Geigenberger
Wer Wasserburg a. I., dieses Juwel einer
altdeutschen Stadt im südlichen Osten Bayerns, im
Bezirk Salzach-Inn, nicht kennt, ahnt kaum, in
welchem Maße Otto Geigenbergers Kunst mit der
engsten Heimat verwurzelt ist. Der Nichtwissende
ist geneigt, diese Malerei eher für eine modische
Angelegenheit zu nehmen, — als ein Bekenntnis
des allgemeinen Zeiteinflusses, der dem Im-
pressionismus folgte, und der nach Linienbestimmt-
hcit, nach Formklarheit, nach konstruktiver Festig-
keit des Bildaufbaues strebte. Aber sie ist keine
modische Spekulation diese Malerei. Sie ist im
Grunde nichts weiter als dies: der natürliche
Niederschlag einer durch formale Eindrücke der
Jugend bestimmten Anschauung, die aufs Ein-
fache, Große, Verschlossene, Mächtige weisen. Ist
es ein Zufall, daß der Charakter dieses Künstlers
eine ähnliche Verschlossenheit und Schwerfälligkeit
an den Tag legt? Daß der Mensch das Stetige,
Ausgeglichene, das Beharrende liebt? Das Un-
zerfallene des mittelalterlichen Menschen answeist,
wirkt, ist hier wieder lebendig, schöpferisch ge-
worden.
Geigenberger hat mit Vorliebe altdeutsche
Städte gemalt. Wasserburg a. I., Dinkelsbühl,
Donauwörth, Bautzen, Rattenberg usw. hat er
eigentlich erst für die deutsche Kunst entdeckt. Die
Bilder sind keine Panoramen, Stadtansichten.
Sondern nur Ausschnitte. Sehr begrenzte, doch
charakteristische Ausschnitte. Von einer unheim-
lichen Vereinfachung und oft Anspruchslosigkeit
des Motivs. Doch von einer deutungslüsternen
Mystik. Ost gewinnt eine hervorstehende Wand
etwas Drohendes, Erschreckendes; der alte Turm
an einer verwitterten, ehemals wehrhaften Stadt-
mauer etwas Geisterhaft-Tierhaftes. Lieblich ist
das Motiv selten. Auch lehnt es alles Deklamato-
rische ab. Geigenberger heroisiert in einer voll-
gültigen Weise. Abstrahiert vielleicht nicht
in einer so bezaubernden Art wie andere.
Doch ist er tiefer, seelischer. Eine innere
Verwandtschaft, die die Künstler auch im Leben
freundschaftlich verband, teilte er mit Konrad
Westermayr, dem frühzeitig Dahingegange-
nen, und Anton K e r s ch b a u m e r, der von ähn-
Otto Geigenberger, Ebersbcrger Moorlandschast (1934)
das Konsequente, man möchte fast sagen, bis zur
Selbstvernichtuug? Der Geist der Stadt Wasser-
burg hat auch den inneren Menschen geformt.
Der markante Schädel des Künstlers könnte als
Schlußstein oben am gotischen Gewölbe, wo die
Gurten im Jenseits fast zusammenschlagen, ent-
deckt werden. Es ist schwer zu glauben, daß
Geigenberger Zeitgenosse unserer flüchtigen, dem
Modischen nur allzu ergebenen Zeit ist. Er ist es
auch nicht. Wenigstens nicht der Zeit, die im
Modischen allein lebt. Und merkwürdig: wir,
die wir allzu sehr dem fliehenden Augenblick nach-
hängen, lieben diesen Menschen. Lieben ihn als
etwas Vollgültigeres als wir. Lieben wir nicht
deshalb auch unsere altdeutschen Städte? Lieben
sie, weil sie Charakter haben, weil sie aus tieferen
Bedürfnissen und Zusammenhängen eindeutiger
herauswuchsen als unsere nur dem Unternehmer-
tum verpflichteten Stadtviertel modernen städti-
schen Wachstums. Begreifen die andern nun, die
anderen, die nur der Spekulation, der Theorie oder
Abstraktion leben, warum wir auch Geigenbergers
Kunst lieben? Alteingeborene Kraft des Alt-
bayerischen, die alles Modische haßt, das Schöne,
das nur der Schönheit dient, nicht kennt, sondern
Kunst formt aus dem Bedürfnis nach einem un-
gebrochenen Bildsinn, der von innen nach außen
lichen inneren und äußeren Anschauungen aus-
ging, dann aber in der Berliner Luft mehr und
mehr von den formalen Elementen, von den deko-
rativen Reizen der Farbe verführt, einer mehr
den: äußeren Effekt ergebenen Kunst verfiel. Nun
ruht auf Geigenberger allein, die Aufgabe einem
glücklichen Ende zuzuführen. Unermüdlich arbeitet
der Künstler an ihr. Immer wieder greift er in
neuen Bildgestaltungen weiter aus, in einer un-
ablässigen inneren und äußeren Ausweitung. Er
arbeitet nicht leicht. Mißtraut zu sehr der Ge-
schicklichkeit. Und die harte Selbstkritik, die manch-
mal an Selbstzerfleischung grenzt, hat Bedeuten-
des für immer zerstört. Was bleibt, ist wertvoll.
Nicht alle Künstler können wie Hans Thoma
oder Karl Haider, wie Schrimpf oder Steppes in
der lyrisch-sachlichen Art ihre Beglückung und
Vollendung finden. Die Wege der Kunst sind un-
zählbar. Aber in allem, was deutsche Künstler
schaffen, muß etwas von deutscher Art zum Aus-
druck kommen. Die Mnndsprache Otto Geigen-
bergers ist das Altbayerische. Und wer ein Ge-
fühl für altdeutsche Mundart hat, wird diese Kunst
lieben. Sie achten auch da, wo sie sich vielleicht
allzu sehr der Anmut des Landschaftlichen ver-
scyließt und dem zart durchtasteten und durch-
gepflegten Detail. L—r.
(aus „Richard 8trauL rind dis Lerlinsr Oper" v. 3. Kapp)
Oer Vag:
Vas Werk, das Liofmannsthal begonnen, Ust Richard
charakteristische (wräusche 2U erzeugen, (wräusche, <Us
sich an die Handlung auf das engste anschlisüen, jedes
Lreignis, jede szenische Lewsgung unterstreichen und auf
alten bewährten Kniff an, wenn ör ss gar ru toll getrieben
Kat, plötzlich eins Zeitlang rsins Harmonie erklingen 2u
lassen, diese wirkt nach dem wüsten Durcheinander so
erquicklich, da6 naive Osmüter darin überschwengliche
8chönkeit ru linden glauben, wäirrend sie, kür sioir de-
tracktst, gar nichts sind, verbrauchte, keineswegs vor-
nehme melodische Wendungen, die ein nicht gerade mittel-
mälZiger Komponist verschmähen würde. Überhaupt ist
dis thematische Lrfindung auch in der „Liektra" wieder
Lukerst dürktig. Wir kennen kein dramatisches Werk, das
sich aus so nichtigen und inhaltsleeren Ibernen entwickelt.
Laverisvber Courier:
Vas Lsdenkliche aber an der ,,LIektra"-L1u8ik ist, daL
8trauü nicht einen einrügen wirklichen Rinkail hatte. Vs
tut einem weh, dalZ dis wenigen melodischen Oasen ent-
weder sofort wieder in den Wüsten der Trivialität oder
Lrutalität versanden, oder wenn sie bleiben, mit Wassern
berieselt sind, die aus fremden (Wellen stammen.
Vie Lost:
OewilZ begegnen wir in der ,,KIektra"-Lartitur auf
8cbritt und Lritt einer Rülls treffsicherer Linfälle, aber
dis Vorliebe für das 8ckeuiZIiehs waltet vor. Kiehts wird
uns erspart — eins wahre Näklickkeitsorgis, dis leider
nur selten durch 8chönbeitsanwandlung6n unterbrochen
wird. Daneben Vlomente, wie sie nur einem wirklich ge-
nialen Künstler einfallen können. 8is sind aber meiner
iUeinung nach nicht ausschlaggebend für den Lsbenswert
des ganzen Werkes; sie werden 2u sehr überwuchert durch
das vewolltbälZIiche, das seins reichliche Kairrung auf dem
Loden dekadenter Kunstansehauung findet. Drow des
übsrgroken ^nbäukens von Klangmatsrial im Orchester vsr-
mikt man eins wahrhafte Lol^phonis der 8timmführung,
und die meisten sind von einer Kurzatmigkeit, geradezu
Unbedeutendheit, dak man hiernach ?u urteilen, von einem
Versiegen der Krkindung des Komponisten 2u sprechen ein
Leckt hätte. Ick glaube auch nicht an dis Lebenskraft
der ,,kiwktra"-Lartitur, ebensowenig wie an dis der .Sa-
lome" ; dis vielen Wiederholungen beider Werke täuschen
mich nicht, denn der Kams Richard 8traulZ übt 2ur Leit
mit ungewöhnlicher Krakt ein« 8uggsstion auf die groks
iUasss der Lheaterbesuchsr aus. Wir haben solch ein ^.uk-
Herausgeber: A. William König; Schriftleitung: Otto-Andreas Schreiber; verantwortlich: Otto-Andreas Schreiber, Berlin. — Erscheint im Verlag Kunst der Nation G. m. b. H., Berlin W 62, Kurfürstenstrahe 118. —
Zuschriften sind an die Redaktion der Kunst der Nation zu richten. Anzeigenannahme beim Verlag. Jnseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags, auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellen-
angabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung, abgelehnt. Druck H. S. Hermann E. m. b. H. Berlin SW 19.