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Kunst der Nation — 2.1934

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Haftmann, Werner: Schuhmacher
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Paul, F.: Der Wert des Gegenständlichen in der deutschen Kunst, [1]
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Kunst der Nation

5

das Auge schafft die Form, sondern die Phantasie. Schuhmachers. Ludwig Gieß, der Lehrer Schuh-
Das verneint das optisch Erlebte absichtsvoll, eben- machers, konnte gerade in den letzten Wochen seine
so wie die sinnlich getane Erfahrung. An Stelle Form einer neuen Monumentalvorstellung in
der Erfahrung tritt das
Symbol, das eine innere
Vorstellung oder einen
inneren Zustand um-
schreibt. Die Form
existiert nicht für sich, sie
wird Zeichen einer inne-
ren Bedeutung.
Wenn nun die Form
nicht allein genügt, so
wird sich daraus eine er-
staunliche Konsequenz er-
geben müssen, die den
engen Zusammenhalt der
Vorstellungswelten zwin-
gend verdeutlicht, dann
wird auch die Gesamt-
porstelluug uicht auf das
einzelne beschränkt blei-
ben, sie wird allgemein
werden. Ein Kunstwerk
wird also nicht mehr
allein für sich existieren
oder sich allein aus der
Vorstellung entwickeln,
sondern immer in einem
Gesamtrahmen. Ein Re-
lief etwa wird vom
Künstler nicht mehr
allein vorgestellt, sondern
gleichzeitig mit seiner
Umgebung, etwa mit der
Wand, in die es einge-
lassen werden soll, selbst
wenn diese Wand cksckneto
gar nicht vorhanden ist.
Das gibt viele Möglich-
keiten frei zu einer neuen
Monumentalform, die
besonders nahe zur Ar
chitektur kommen kann.
Denn da das Kunstwerk
von sich aus schon mit Wex-CIe-n.ann, Bildnis „Lenchen Engel"
der Umgebung rechnet,
ckanu es leicht die Gliederung eines Raumes über- einzelnen Wettbewerben durchsetzen. Schuhmacher
nehmen. Hier liegen Wohl auch die Möglichkeiten ist hierin sein ausgezeichneter und sehr selbständi-
für dine ins Breite gehende Entfaltung der Kunst ger Schüler. Uattmann


Der Wert des Gegenständlichen
in der deutschen Kunst
Voll
F. Paul

i.
Keine Betrachtungsweise führt so schnell und
w tief in das Wesen deutscher Kuust hinein als
die vom geistigen und materiellen Gehalt aus-
gehende; keine grenzt das Deutsche so unbedingt
ab von allem Romanischen. Es tut uns Deutschen
sehr not, unsere bestimmtesten Eigellschafteil durch
Vergleich mit dem Fremdeu herauszuarbeiteu.
Eine französisch beeinflußte Kritik und Kunst-
beschreibung (nicht die wissenschaftliche Geschichts-
schreibung der Kunst) hat uns einzuhämmern ver-
sucht, daß es nur eiue Kunst gäbe, und daß die
Form daran nicht etwa das Wesentliche, sondern
das einzig Wertvolle sei. Nahm man diese zu-
nächst Plausibel klingeude Voraussetzung an, so
konnte allerdings kein Zweifel an der vollkom-
menen Überlegenheit der westlichen Malerei und
im speziellen des Impressionismus aufkommen.
Dies ist ja auch das Glaubeusbekenntnis der Vor-
kriegsgeueration gewesen; ihre Bibel habeu wir in
Meier-Graefes umfangreichen Werken, zumal der
„Entwickluugsgeschichte der modernen Kunst", und
ihre äußerste Zuspitzung in desselben Autors sen-
sationellem „Fall Böckliu" voll 1905.

Übrigens hat die deutsche Kunstwissenschaft
selber in früheren Zeiten nicht wenig zu dem Vor-
urteil beigetragen, als ob das Ausländische das
allein Wahre sei; in ihrem Falle war es, eigentlich
noch unbegreiflicher, die italienische Renaissance,
die als A und O aller großen Kunst behandelt
wurde. Daß es auch eine deutsche Kunst mit
eigenen Rechten und sehr abweichender Ästhetik
gab, ist eigentlich erst im letzten Menschenalter von
kulturbewußten Gelehrten entdeckt lind in seinen
Gründen herausgestellt worden; wir dürfen da
vor allem an die großen Verdienste von Dehio und
Pinder erinnern.
Der Grund einer so erstaunlichen Selbstver-
leugnung aus deutscher Seite liegt an dem Vor-
urteil, das wir uns so gern von westlicher und
südlicher Theorie aufdrängen lassen: daß die
klassische Regelschönheit das wahre Ziel aller Kunst
sei und daß darum der Hang zur Formlosigkeit
die deutsche Kunst zu einer zweitklassigen und
eigentlich nicht vollbürtigen Angelegenheit mache.
Diese Lust au der Regellosigkeit ist allerdings
da und gottlob nicht auszurotten; aber die Wahr-
heit ist zunächst einmal die, daß es keine absolut
gültige Kunst gibt, die
alles andere in die unte-


Karl Hofer: Mädchen am Fenster

ren Ränge verweist (wo
käme dann auch Ägypten,
Indien, China, Mexiko
nsw. hin); und zum zwei-
ten steht es fest, daß am
Kunstwerk Gehalt und
Form mit gleichem Nach-
druck zu betrachten ist.
Die deutsche Kunst Hai
zu allen Zeiten ihre
Stärke am Gegenstand
entwickelt, davon wollen
wir reden; und daß sic
um dieses geistigen Vor-
rangs willen der italie-
nischen und französischen
vollkommen ebenbürtig
gegenübersteht, bedeutet
eine Tatsache und eine
Überzeugung. Allerdings
ist dies vorausznnehmen:
es gibt keinen Inhalt
ohne eine genau passende
Form; wo der deutsche
Genius einen neuen In-
halt erfindet, gibt ihm
sein Schöpfertum zugleich
die einzig notwendige
Darstellungsart ein.
Seine Form entsteht nicht
aus der Lust an der Ge-
stalt, wie bei Romanen,
sondern am Ausdruck,
darum vergewaltigt er
gern das Sichtbare zur
Intensivierung des Ge-
halts. Wo ihm aber das
Gefühl verwirrt wird
durch artfremde Theorien,
da versagt er bis zum
völligen Zusammenbruch:
das sind die Fälle des

Pseudoklassizismus und Max Klingers, die ihres-
gleichen nicht haben in der Kunstgeschichte.
Halten wir das Einfache der Gegensätze fest:
Der Künstler der Mittelmeerkulturen, klassisch
empfindend durch Blut und Tradition, liebt die
Formklarheit über alles und setzt das Gegenständ-
liche in homöopathischen Dosen hinzu, ungern und
seine Wirkungen von vornherein entgiftend
(welch ein grandioses „Stilleben" ist z. B. die Er-
schießung Maximilians von Manet, ja die Er-
oberung Konstantinopels von Delacroix, der doch
ein für Franzosen ungewöhnlich wilder „Roman-
tiker" war). Die deutschen, oder besser die nordi-
schen Künstler — zu denen ja auch van Gogh
und Munch gehören — gehen vom Thema aus,
durchdenken den Sinn einer Gegebenheit und
bilden aus ihm heraus die Gestalt des Bildes, die
auf einen möglichst starken, möglichst eindeutigen
und geisterfüllten Ausdruck eines Geschehens oder
Zustandes zielt.
Warum dies so geworden ist, zeigt uns deutlich
die Kunstforschung. Die Germanen besaßen
ursprünglich nur Ornament und Dichtung; das
eigentlich Bildende war ihnen nicht eingeboren
und wurde erst langsam durch den Einfluß der
Spätantike von außen hereingebracht. Ihrer sinn-
lichen Formlosigkeit halfen die Vorbilder der
römischen Provinzkunst auf, ihrer Bildlosigkeit das
Christentum, das eine Menge schon festgeprägter
Vorstellungen aus dem Leben Christi vom byzan-
tinischen Osten hcrbeischaffte. Aber ohne politische
Nachhilfe wäre auch diese Synthese nicht recht vor-
angekommen: es ist ein wirkliches, wenn freilich
zunächst recht negatives Verdienst Karls d. Gr.,
daß er den noch unkultivierten Germanen die
Übernahme spätantiker Bibelillustration auf-
drängte. Negativ fiel der Versuch aus, weil das
sklavische Kopieren italienischer oder byzantinischer
Vorbilder keine neue Kunst schaffen konnte; man
kann sich diese erste „Rezeption der Antike" nicht
kindlich genug vorstellen, schon darum, weil die
Vorbilder selber einer überalterten Spätkunst an-
gehörten und die karolingisch-ottonische Malerei
auf Jahrhunderte mit unjugendlichem Rationalis-
mus erfüllten. Daß sie überhaupt, wenn auch miß-
verstanden, von Deutschen
kopiert und sachte fort-
entwickelt werden konnte,
lag daran, daß die Spät-
antike bereits eine Rück-
bildung klassischer For-
men ins Primitive und
Einfältige bedeutete und
daß die christlichen Stoffe
zu ihrem wesentlichen
Inhalt geworden waren.
Das Jllustrationsver-
langen der christlichen
Kirche, die eine deutliche
Bilderschrift für ihre An-
alphabeten brauchte, hatte
die antike Formgröße
bereits zersetzt und dem
Verständnis der nordi-
schen Barbaren zugäng-
lich gemacht.
So wenig wir also
das zwangsweise Auf-
pfropfen des römischen
Kunstkreises auf die ger-
manische, noch ganz im
Linienornament lebende
Vorstellungsweise durch
die Karolinger als eine
Kunstschöpfung anerken-
nen können, so not-
wendig und weise er-
scheint es vom höheren
Standpunkt. Die Lust
am Fabulieren, bis dahin
nur in volkstümlichen
Gesängen gepflegt, hatte
nun auch für die sinn-
liche Anschauung eine
Form erhalten, die dem
abstrakten Liniengefühl
der Deutschen durchaus
entgegenkam. Daß nicht
die nationalen Inhalte,
sondern lediglich christ-
liche, streng umschrie-
bene Vorstellungen der
jugendlichen Schöpferlust
zugrunde gelegt werden
mußten, ist zu bedauern
letzten Endes Wohl aber auch nur ein Vorteil ge-
wesen, weil die Phantasie sich in vorgeschriebenen
Bahnen viel intensiver mit der geistigen Durch-
gestaltung des allen gegenwärtigen Stoffes be-
fassen konnte.
Dies zeigte sich sogleich bei den ersten illustra-
tiven Versuchen biblischen Charakters im großen
Stil, die auf uns gekommen sind: den Bronze-
türen von Hildesheim und den früh-
romanischen Fresken der Bodenseeland-
schaft. Hier war der deutsche Genius zum ersten-
mal einer monumentalen Ausgabe selbständig
gcgenübergestellt, für die es, anscheinend oder mit
Sicherheit festzustellen, keine Vorbilder gab. Was
diese rein aus ihrer Vorstellung schöpfenden Künst-
ler gebildet haben, erscheint formal wie ein ge-
waltiger Rückschritt gegenüber der karolingisch-
ottonischen Buchmalerei. Diese hatte nur östliche
Vorbilder mit Körperrundung und Raumgestal-
tung zu kopieren und erscheint darum in einer
allerdings gealterten Vollkommenheit des Sicht-
baren. An den Reliefs der Hildesheimer Dom-
türen, um 1000 n. Chr., ringt eine jugendliche
Phantasie mit der unüberwindlichen Schwierigkeit,
Körper im Raum (der Relief-Fläche) zu geben;
das Resultat ist eine Drastik und Überdeutlichkeit
des Geschehens, das mit Plastisch ganz unzureichen-
den Mitteln dennoch als grandiose Darstellung
der Legende gegeben wird. Diese Kurzschrift
dramatischer Erzählung ist ganz unsinnlich und
steht der Abstraktion des gewohnten Ornaments
näher als einer richtigen Verkörperung. Und das
hier ausgedrückte Verhältnis zwischen Stofs und
Naturnachahmung wird nun für alle Zeiten bei-
behalten in der deutschen Kunst: immer geht es
ihr um die Wahrheit, die Tiefe, Kraft und Fülle
des Darzustellenden. Das Mittel zum Ausdruck ist

ihr nebensächlich, ja sie entlehnt es mit Vorliebe
dem volkstümlichen Schatz an abstrakten Linien-
führungen, deren Ornament eine Fülle von
Empfindung und geistigen Deutungsmöglichkeiten
in sich birgt. Das wird so sein in der spätromani-
schen Wandmalerei mit dem bizarren Barock wild
ausfahrender Zacken und Flammen (in St. Maria
zur Höhe in Soest, im Braunschweiger Dom, in
S. Gereon zu Köln), im überladenen Falten-
katarakt der hochgotischen Madonnen wie in der
reich ausgesponnenen Symphonie des spätgoti-
schen Wandelaltars, in dem das verwirrende Ge-
strüpp von tiefschattender Schnitzerei im Schrein
mit der Raumdarstellung gemalter Flügel konkur-
riert, das edle Maß italienischer Altartafeln aber
ersetzt wird durch ein mit Leidenschaft getränktes
Ornament wilden Geschehens (Veit Stoß' Kra-
kauer Marienaltar, Pachers Schrein in St. Wolf-
gang). Es wird uns immer wieder als Abbiegen
vom gewohnten Naturanblick begegnen in Schon-
gauers Stichen und Altdorfers Gemälden, im
flammenden Pathos von Grünewald und im Spät-
barock des 18. Jahrhunderts mit seinen un-
beschreiblichen Ekstasen an gemalten Decken,
Altären und Raumerfindungen, in denen sich alle
Künste im Dienst der Architektur die Hände
reichen, um in einem Rausch sinnlicher Formwahr-
heit und Formverbiegung zu vollenden, was in
den Kirchen des strengen romanischen Stils um
1000 n. Chr. begonnen wurde: die Hingebung an
den übersinnlichen Ausdruck der Linie.
Hält man diesen großen Zug in der deutschen
Überlieferung fest, so wird man verstehen, daß
Barock — die Verkörperung der Dissonanz als
Daseinskern — „das deutsche Ur- und Grund-
gefühl" ist, wie Dehio in tiefer Kenntnis unseres
Wesens es ausdrückte. Hier ist Barock sowohl als
Gehalt wie als Form genommen; in der Erregt-
heit seiner über Naturmaß sich ausdehnenden Ge-
staltungsform lebt beides, das uralte germanische
Ornament und die in ihm verborgene Dynamik
des Gefühls. Dies aber, die Quintessenz geistigen
und seelischen Inhalts, ist im tiefsten Grunde
romantisch: in alle Fernen schweifend, Gott mit
der Inbrunst unerfüllbarer Sehnsucht in allen

Dingen ruhelos suchend und niemals aus-
schöpfend.
Darum ist es nicht möglich, daß der
deutsche Schöpferdrang sich jemals zufrieden gibt
mit der Erfindung einer schönen Gebärde, wie der
Italiener, oder der Harmonie einer ganz reinen
Beglückung durch die Farbe, wie der Franzose.
Er sucht den Stoff als Gefäß seines romantischen
Unendlichkeitsdranges zu formen mit der barocken
Linie einer empfindungsschweren Abstraktion,
einer Quintessenz des Lebendigen auf einer
höheren Ebene. Dies ist ebenso der Grund für
die Rohheit des Hildesheimer Bronzereliefs und

Thoma sprach einmal davon, daß er eine be-
freundete Dame malen wollte, Trübner aber riet
ihm ab: „Lassen Sie das lieber. Porträt malen
zerstört die Freundschaft."

des Jsenheimer Gekreuzigten wie der „Hiero-
glyphen" Runges und der Graphik von Munch und
Kirchner.
In der f r ü h r o m a n i s ch e n Wand-
malerei tritt uns diese Abstraktion noch ganz
naiv und im Stadium der ersten Empfängnis ent-
gegen. Es gab keine Vorbilder für die reine Um-
rißdarstellung, wie sie in der Georgskirche
zu Oberzell auf der Insel Reichenau erschei-
nen. Alle byzantinischen oder spätrömischen Hin-
weise versagen. Es gab vor allem noch gar keine
Darstellung des Jüngsten Gerichts, wie sie uns
unvermittelt an der Westwand von Oberzell um
1000 v. Chr. und ein halbes Jahrhundert später,
völlig durchgebildet, in dem südschwäbischen Burg-
felden entgegentritt. Diese größte Vision christ-

Hans Christoph, Dresden. Cornelius Eurlitt. 1938
 
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