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Kunst der Nation — 2.1934

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Hieber, Hermann: Sächsische Fürstenschlösser
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Wietzner, G.: Der stilbildende Körper, [1]: eine Stilkritik der Korsage
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Paul, E.: Johannes Beutner
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0101

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Kunst der Nation

L


Idee etwas ganzEinziges:
eine Art Stadion für
den kurfürstlichen Hof,
von Pavillons und Lauf-
gängen samt Freilicht-
bühne umgeben. Drüben
jenseits der Elbe liegt in-
mitten französischer Park-
anlagen das „Japanische
Palais", das heute als
Staatsbibliothek dient.
Das exotisch geschweifte
grünkupferne Dach war
nach dem Geschmack August
des. Starken, des großen
Porzellansammlers, der
für alles Überseeische
schwärmte und sich an der
Elbe von seinem Pöppel-
mann ein „indianisches"
Lustschloß anlegen ließ,
bestehend aus zwei paral-
lelen Bauten, dem
„Wasserpalais" mit klei-
nem Gondelhafen und dem
unter den herrlichen alten
Lanbkronen fast verschwin-
denden „Bergpalais"
Pillnitz. Pöppelmann
hat übrigens auch die ro-
mantisch im engen Müg-
litztale gelegene mittel-
alterliche Burg Weesen-
stein, freilich nur ganz
behutsam, überholt. Nur
als Bruchstück auf uns ge-
kommen, aber als solches
noch bewundernswert,
sind die französischen
Parkanlagen und Wasser-
künste von Groß-Sed-
litz (das Schloß ist nicht
fertig geworden). In exo-
tischem Geschmack schließ-
lich noch das nach dem

Danzig, Marienkirche, Altar der Vrauergildc
Pöppelmanns Hauptwerk, der Dresdner
Zwinger, gehört zu den Weltwundern. Er ist
-nicht nur in der Ausführung, sondern auch in der

Siebenjährigen Kriege er-
baute „Fasanerieschloß"
bei Moritzburg mit reicher
Jnuenausstattung, uoch immer reizvoll, aber doch
schou schwächlich und verspielt: ein Ausklang.
Hermann Hieben

Der stilbildende Körper
Line Stillritik der Korsage
Von G. Wicsjiicr

Neben der erdgebundenen Mauerhaftigkeit der
Romanik (900—1200) stehen die schweren Kutten-
gewänder, die Frauen wie Männer dieser Zeit
tragen.
Als sich aber solcher Schönheitssinn erschöpft
hatte, ändert sich polares Gegenspiel Körper und
Bau:
Erdeutbunden streben die kuttenentkleideten
Beine der Männer, die plissierten Rockfalten der
Frauen gerade so empor wie die schlanken Verti-
kalen der Türme. So war gotisches Schönheits-


Maria Josesa von Österreich, Gemahlin Friedrich
Augusts v. Sachsen (um 1730)

gefühl eine Einheit (1200—1500), bis dann aber-
mals wieder alles anders, dem Romanischen wie-
der verwandter wird, bis die erdverhaftete Epoche
des Barock (1500—1800) alles bauchig, voluten-
gleich zur Erde fließen läßt und gleich den anderen
großen Stilen für Körper und Kirchen gleiche
Silhouette findet.
Aber auch diese Zeit stirbt. Wieder verläßt
lnan, spekulativ wie in der Gotik, diese Erde,
wieder erfassen uns himmelstürmende Ideen und
wieder steht die schlanke Frau neben dem Turm-
bau, der die moderne Straße beherrscht.
Mag die Mode des Tages noch so sehr von
Saison zu Saison Hetzen und reizen, das Wesen
der Zeit steckt in dem Geheimnis der großen
Stilintervalle begründet, die die Epochen beherr-
schen.
Um 1800 beginnt der Siegeslauf einer neuen
Körpergesinnung. Als die Empiredame die Krino-
line wegwarf und sich, schlank gewachsen ä la. Ai-ee
unter steigenden Kleiderfalten zeigte, begann die

Wenn uns heute auf der Straße eine Dame
aus der späten Barockzeit begegnen würde, wür-
den wir erschrecken vor solcher „wandelnden
Glocke." Fortsetzung nächste Nummer

Johannes Beutner
Seit einigen Jahren sielen in gut jurierten
Ausstellungen Bilder eines jungen Dresdner
Malers auf durch ihr immer gleichbleibendes
Thema und die gehaltvolle Art, in der es jeweilig
malerisch abgewandelt war. Daß es immer das-
selbe junge Mädchen war, das Johannes Beutner
darstellte, mag noch nicht viel bedeuten; vor und
nach Feuerbachs Nana hat es Frauen gegeben,
die Künstler bis zur Besessenheit beschäftigt haben.
Aber hier fühlte man, und mit jeder Bewegung
intensiver, daß Maler und Modell von der Natur
für einander vorbestimmt waren, und daß sie
Darstellungskraft Beutners sich restlos und mit
einer herrlich naiven Selbstverständlichkeit mit

Dresden, Frauenkirche (von E. Baehr, 1728/38)


dem Gegenstand seiner männlichen Neigung ver-
schmolzen hatte; daß ihm die Realisierung dieser
einen Erscheinung im Bilde höchste Erfüllung
bedeutete, ihm die endgültige Form seiner künst-
lerischen Idee gebracht hatte.
Die Romantik, die man hinter einer solchen
Begegnung ahnt, wird nicht geringer, wenn man
Beutners Schicksale erfährt. Er wurde am 6. Mai
1890 in der wunderbar gelegenen Bockmühle im

I.
Das ist vielleicht der tiefe Unterschied zwischen
Natur und Mensch:
Alle Natur ist in sich zufrieden, einzig den
Menschen treibt die Sehnsucht nach Veränderung,
allein, er ist sich der Polarität des Lebens bewußt

Erfurt, Dom, Grabmal des Grasen
v. Gleichen (aest. 1264, damals schon
altcrtümelnde Tracht)


Unzufrieden sind wir mit allem, selbst mit
unserem nackten Ich. Die Feder, die sich der
Primitive als einzige Kleidung ins Haar steckt,
zeugt ebenso von Veränderuugswillen des Jchs
wie die kunstvolle Tätowierung des Indianers
oder die farbenprächtige Kleidung des Zivili-
sierten. Der eigene Körper ist nächstliegendes
Objekt der Kunstgestaltnng.
Und gerade der primitive Wille, den natür-
lichen eigenen Körper dem Schönheitswillen
unterzuordnen, ist es, der in seiner vielseitigen
Steigerungsfähigkeit die bedeutsamsten Schlüsse
über die geistige Haltung des einzelnen Menschen
und der Menschheit einer Epoche oder eines Volkes
zuläßt.
Sein Schönheitswille ist Anreger und Ge-
stalter der Kulturen des Menschen. Kein Tier
strebt aus seiner Natur heraus, nur der Mensch.
Dieses Streben aber hat seit Jahrtausenden noch
keine einheitliche Richtung genommen, ist immer
variabel geblieben. Selbst das, was wir „Grie-
chenland" nennen, ist ein Begriff, den das aus-
gehende 18. Jahrhundert nach seiner Schönheits-
sehnsucht gebildet hat, keiue historische Konstante.
Man mag uns hundertmal die Venus von
Milo als „die" schöne Frau vor Augen stellen,
wir wissen, daß auch die Griechin nicht tagtäglich
in edler Nacktheit einherging, wir wissen, daß der
Faltenwurf ihres Kleides bald in strenger Ver-
tikale anfstieg, bald im rieselnden Licht- und
Schattenspiel zur Horizontale herabfiel; wir
wissen, daß ihr Gürtel bald die Büste hob, bald
tief zur Hüfte, ja zu den Schenkeln herabsank.
Es gibt kein „Griechenland". Es ist unser
eigenes Schönheitsgefühl, das bald das eine, bald
das andere Kunstwerk dieses Volkes, das — und
das ist der entscheidende Unterschied zu uns nörd-
lichen Menschen — immer körperlich gesinnt war,
zum Vorbild unseres Schönheitstranmes macht.


Meihcn, Albrechtsburg, Hos

Verwirrt sich das alles aber wirklich in uns
vertrauteren Zeiten zum unentwirrbaren Wechsel
von Mode und Tracht? Ist Mode wirklich nur
die Laune eines individuell sensiblen Menschen,
dem die anderen blind nachäffen, oder muß die
Sensibilität des Modeschöpfers nicht vielleicht um-
gekehrt den Schönheitstraum eben dieser anderen
erspüren und ihm Formen geben? Diese Frage
heißt schließlich nichts anderes, als: ist der sich
zeitgemäß kleidende Mensch lediglich ein Luxus-
geschöpf, oder ist er stilbildender Faktor eben
seiner Zeit, wie Künstler und Architekt.


Maursmiinster (um 1170)
Ein kurzer Blick auf die großen, einheitlichen
Stilepochen zeigt uns, daß der Schönheitssinn
dieser Zeiten den Körper unter gleichen Gesetzen
„erscheinen" läßt wie die in der Kunstgeschichte
seither einzig beachteten großen Schöpfungen.

Revolution gegen den Barock, die über das Eigen-
kleid um 1900 zum Stil der schlanken Linie führte,
der jede Modeerscheinung unter seinen größeren
Nenner bringt. Sich eindrängende Reaktions-
erscheinungen, zeitlich kürzer und kürzer werdend,
bekommen mit Krinoline und 6ul cke Laris für
das 19. Jahrhundert noch geistige Bedeutung, im
20. erscheinen sie nur noch als vor-
übergehender Aufputz. Die Reform
setzte sich durch. Der Kampf für
die Reform aber entbrannte um
die Korsage. Wenn ein Stil er-
lischt, herrschet einen Augenblick
lang wieder die Natur. „Weg vom
Korsett" hieß die Losung um 1900,
weg von jeder Schnürung!
II.
Aber es war in diesem Schlag-
wort für den Stilkundigen mehr
zu spüren als nur eine hygienische
Angelegenheit. Er wäre erstaunt
gewesen, wäre aus dem Kampf
gegen das Schnür-Korsett nicht das
Streck-Korsett siegreich hervor-
gegangen.
Jede illustrierte Zeitung ent-
hält seit etwa 30 Jahren, d. h. seit
einer völligen historischen Genera-
tion, in ihrem Annoncenteil die
Entwicklungsgeschichte eines sieg-
reichen Stilwillens: in der Korsett-
Reklame.
Dieser Stilwille läßt sich
in aller Deutlichkeit heute erst
negativ ausdrücken: Weg vom
Barock!

Polenztal in der Sächsischen Schweiz
geboren, wo sein Vater eine Werk-
zeugschlosserei betrieb. Das Arbeiten
an Maschinen und Werkzeugen hat
ihn von da an genau so besessen wie
die Kunst; mit zwölf Jahren hatte er
Unterricht bei Richard Müller, mit
fünfzehn zog er auf die Akademie in
Dresden, aber zugleich bastelte er im
Technischen herum, und 1906 nahm
ihn die Mutter, nach einjährigem
Faulenzen im Aktsaal, wie sie es auf-
faßte, heraus und gab ihn in die
chemigraphische Lehre. Dort lernte er
drei Jahre lang aufs gründlichste das
Dreifarben-Atzverfahren, wurde 1912
technischer Leiter in Dresdner Klischee-
fabriken und malte nebenher immer
wieder zu eigenem Vergnügen. Nun
ist aber einzuschalten, daß ihn seine
unbändige Vitalität und das Gefühl
einer neuen, auf Technik ruhenden
Jugendromantik, wie sie heftig erst
nach dem Kriege aufgeflammt ist, wie
er sie aber von Kindheit an als trei-
bendes Element besaß, zu einer dritten
Tätigkeit trieb, die ziemlich weit von
der Kunst abgelegen war. Drei Jahre
lang, von 1908 bis1910, war er ein
wilder Rennfahrer-Amateur, der aus
vielen Bahnen Deutschlands hinter
dem Motorschrittmacher einhersauste
und erst durch einen lebens-
gefährlichen Sturz bewogen wurde,
von seiner Leidenschaft zu lassen.
Was ihm davon Wertvolles blieb
und ihn vor allem die Jahre des Krieges
bestehen half, war eine ungemeine Stärkung
männlicher Energie.
Nach dem Kriege, in dem er Soldat bei den
Eisenbahn-Pionieren war, dachte er ernstlich an
seinen künstlerischen Beruf und bezog von 1920
bis 1924 wieder die Dresdner Akademie unter
Hettners und Ludwig v. Hofmanns Leitung. Die
Lehre scheint ihm aber nicht sehr angeschlagen zu
sein. Denn er schwenkte abermals ins Praktische
Leben ab und begann, die vielen Verfahren der
Holzbearbeitung praktisch zu erlernen, Schleifen,
Sägen, Zellulose-Verarbeitung, Kunstseide usw.
Daß die Malerei ihn, nach so vielen Anläufen,
nicht endlich doch an die technische Praxis verloren
hat, verdankt sie allein der Begegnung mit jenem
Mädchen, die 1926 geschah. Es ist wahrscheinlich
für heutiges Empfinden viel zu pathetisch, von
dem Blitzschlag, dem eoup äe ckouckre zu sprechen,
der ihn erschütterte und erleuchtete und seinem

QZeiin Ausbleiben oder verspäteter
Zustellung unserer Zeitung bitten wir
die Le^ieber, sieb sokort an den Zu-
steller oder an die Zuständige Zustell-
postanstalt ru senden und erst dann,
wenn dies beinen Lrkolg baben sollte,
uns davon iVlitteilung 2U inaeben.


Grabstein Cinna v. Vargula
 
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