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Kunst der Nation — 2.1934

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Martini, Fritz: Grenzen der Musik
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Schwippert, Hans: Bau und Bild: Stellung des Architekten zur Wandmalerei
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II. Ihg., Nr. 10, 15. Mai 1434

Verlag Kunst der Nation G. m. b. Ä., Berlin W 62, Kurfürstenstr. 118. Telefon: B 5, Barbarossa 1260.
Bankkonto: Commerz-und Privatbank A.G, Dep.-Kasse M., Berlin W 50, Tauenhienstraße 18a. Postscheck-
konto Berlin Nr. 55241. Erscheinungstermin: 1. und 15. jeden Monats. Bezugspreis: vierteljährlich
1,80 Mk., jährlich 7,20 Mk. Zu beziehen beim Verlag, bei der Post oder beim Buchhändler.

Einzelpreis 30 Pfennige

Grenzen der Msik

Jacob Seisenegger, Knabenbildnis

Van und Bild

Aufgeklebte Malerei und bemalte Mauern
brachten die Zeiten des Zerfalls jeglicher Bindun-
gen zum Überdruß hervor. Das Atelierbild, in sei-
ner Isolation, spann sich in Eigenlebigkeiten ein.
Doch kommt mit neuem Bauen neu die Frage
nach der Vereinigung des Bauwerks mit der Farbe,
dem Ornament, der Plastik und dem Bild.
Ein ungepflegter Leib, der ohne Haltung ist,
taugt schlecht zu edlerer Gebärde und reicherem
Ausdruck. Das Bauen mußte erst von Unordnung
zu Ordnung kommen, aus Knochenerweichung
mußte gesundes Gerüst werden, aus Disziplinlosig-
keit des Leibes und der Glieder Zucht, aus ver-
schwommener Unverbindlichkeit gültige Aussage,
aus Unmäßigkeit das Maß und aus dem falschen
Pathos Einfachheit, bevor wir an weiteres denken
durften. Wie aber geordneter Leib zuerst sein muß,
danach als weiteres seine Gebärden wiederum der
Übung und gemessenen Führung bedürfen zur
Vollendung, so suchen wir Bauleute nach der ge-

festigten Ordnung des Bauleibes nun die Verfei-
nerung der Sprache seiner Räume.
Die Zeichnung, beschränkt auf den Bildkontur
allein, schien uns zunächst vornehmlich zum Groß-
bild geeignet. Die Bewahrung der Fläche, welche
unter dem Bildkontur durchläuft, gefällt uns. Die
Gefahr der Wandzertrümmerung oder Verklebung
ist fern, doch täuschen wir uns nicht, sie ist nicht
völlig gebannt. Greift der Kontur eines Armes
etwa herüber aus den Kontur eines Rumpfes, so
beginnt doch ein wenn auch sehr feines Vorsprin-
gen und Zurückweichen der Flächen. Schon löst sich
auf eine zarte Weise die Wand ein wenig aus der
Starre und es entwickelt sich ein räumliches Spiel.
DiesefeineundreichereRäumlich-
keit kann und darf ihre Ordnung nur
aus der des ganzen Bauleibes haben.
Das gezeichnete Großbild ist wie eine kleine Be-
wegung (die sehr groß sein kann!) des im ganzen
ruhenden Raumgliedes. Es ist, als ob die großen
Linien und die Haltung ihrer Figuren Aussagen
seien, Andeutungen des Tragens, Stützens,
Ruhens, Schwebens und Umschließens, das in der
Wand ist, denn gern folgt solche Bildart auf eine
freie Weise ihren strukturellen Kräften, ihrem sta-
tischen Gefüge.
So werden wir, auch auf die Gefahr hin, an-
maßend und rechthaberisch gescholten zu werden,
das Erlebnis und Verständnis des
gegebenen Raumleibes als unabdingbare
Voraussetzung der Arbeit des Malers immer for-
dern müssen.
Bewegt das zeichnerische Großbild in zurückhal-
tender und ehestens großer Art die Wand, so wer-
den die freieren Gebärden der Anwendung von
Farbe wachsenden Reichtum und vermehrte Auf-

lösungsgefahr zugleich bedeuten können. Nicht be-
deuten müssen! Größe und Gewicht des Aus-
drucks sind sicher unabhängig von der Vielfalt.
Wird hier Stufung aufgezeigt, so ist sie keineswegs
Wertung zugleich. Wertung wird sich auf die je-
weilige Weise beziehen müssen, weniger aus die
Art.
Die Eintragung von Farbe in die Flächen einer
Zeichnung erweitert das räumliche Spiel. Angriff
und Vorstoß jener, Flucht und Zurückweichen
dieser Farbe, auch die der Farbe eigene vertikale
Dynamik, erzeugen ein ganzes System vor- und
hintereinanderstehender Flächen, gestaffelter Ebe-
nen. Deutlicher als bei der Zeichnung wird hier
die Bildräumlichkeit, wirksamer, gewagter, gut aber
nur, wenn ihre reichere Organisation wiederum
die Bindungen nicht vergißt oder
zerreißt, die auf eine ganz unra-
tionale und innige Weise Raum,
Wand, Kontur und Farbe vereini-
gen.
Im Farbbild zuletzt wird Reichtum des Bild-
raumes in noch größerer Freiheit und Vielfalt sich
entwickeln. Hier verfeinert die Farbdynamik un-
endlich das Spiel. Doch auch hier noch ist weder
Wand noch Raum gefährdet, wenn diese fast schon
eigenlebige Farbräumlichkeit des Bildes Variation
bleibt, auch noch so freie, wenn anders nur im letz-
ten gebundene, des gebauten Raumes. Wie nun
von Zeichnung über Farbzeichnung zu Farbbild
das Raumglied Wand durch das Großbild wachsend
lebhaftere und freiere Gebärde hat, so ordnet viel-
leicht sich diesen drei Stufen dreierlei Farbe ein:
das Hell-Dunkel (Schwarz-Grau-Weiß) zum
linearen, das Stumpferdfarbene zum flächenhaften
und das Lenchtend(vflanzen)farbene zum farben-
reichen Großbild. Ordnen sich auch jene Stoffe,

denen Formprinzipien. Wäh-
rend die bewußt betriebene
atonale Experimentiererei
— die nicht zu verwechseln
ist mit genialen Durch-
brüchen bei Hindemith, Re-
ger und Pfitzner — einen
leicht durchschaubaren in-
tellektuellen Snobismus dar-
stellt, handelt es sich bei den
oben genannten Künstlern
um gerade das Entgegen-
gesetzte dessen, was man
ihnen nachsagen will.
Vor allem: auch hier fiel
die Gesetzmäßigkeit des
scheinbar Gesetzlosen dem
tragischen Irrtum über das
Wesen des Künstlers und
über sein Schaffen zum
Opfer. Dann zunächst: die
Tonart dominiert in diesen
Fällen so wild und unerbitt-
lich, daß man eher eine
Übertreibung des Tonalen,
der Durchführung einer
strengen Linie, als das Ato-
nale, das Fehlen des Klang-
zusammenhangs rügen sollte.
Das Entscheidende aber ist,
Plastik diktiert ist von dem
Willen zur Einheit, daß
gerade das Umgekehrte vor-
geht, was sich in dem atona-
len Musikstück vollzieht; wäh-
rend dieses die Auflösung
geradezu zum Leitmotiv
wählt und die Möglichkeit
des Zusammenhanglosen be-
weisen will, schließt sich in
jenen Kunstwerken das We-
sentliche in der letzten knapp-
sten Form zusammen und
sie wirken wie ein leiden-
schaftlicher Wettstreit um
das Geheimnis des Prägnan-
testen Ausdruckes.
„Jede Kunst", so hören
wir Novalis in seinen ästhe-
tischen Fragmenten, „hat
ihre individuelle Sphäre"
und weiter: „Die Skulptur
und Malerei sind sich als
entgegengesetzte Höhen ge-
genüber. Die Malerei macht
schon den Übergang. Die
Skulptur ist das gebildete
Starre. Die Musik das ge-
bildete Flüssige."

Von
Dr. Fritz Martini


Von
Architekt Hans Schwippert

Man wird verfolgen können, daß der im
vorigen Jahr um Malerei und Plastik entbrannte
Streit an öffentlichem Interesse bereits wieder zu
verlieren beginnt, mit anderen Worten, daß der
Zeitungsleser wieder mehr iiber Konzerte und
Musik im allgemeinen zu hören bekommt. Einige
meinen, es liege dies nm schwer ansrottbaren
Grnndübel der Deutschen, zu viel Musik zu trei-
ben, das Gefühl zu Pflegen, aber das Auge zu
vernachlässigen. Dieser Vorwurf verdient nach-
geprüft zu werden.
Was wir rückblickend unter klassischer Bildungs-
welt begreifen und in einer neuen Form wieder
zu beschwören suchen, ist die vitale Fähigkeit der
dichterisch und künstlerisch erregbaren Schicht der
Deutschen, in die Geheimnisse der wesentlichen
Schöpfungen ihrer Meister zu dringen und darüber
hinaus einen Maßstab für das Übrige, das Un-
wesentliche zu gewinnen. Das „Universelle" dieser
Bildung liegt darin, daß die zum Erfassen der ein-
zelnen Künste notwendigen Instinkte unverkum-
mert sind, das Auge zum Sehen, die Begei-
sterungsfähigkeit für das Gedicht, und das Ohr
oder Gefühl der Musik ganz zu Gebote stehen. Die
Degeneration solchen Könnens im Publikum
schleicht sich nach dem Aufrauschen der Empfin-
dungen in der Romantik mit der viel gerügten
Berufsjagd und Werktagshetze ein. Kunst wird,
wenn nicht für etwa Zweitrangiges, so doch als
Fremdes, in einigem Abstand zu Verehrendes er-
in-in iHn,' HiUtändWk-'U lenanet Die
vornehme Auffassung der Klassik, es hier mit einer
Aufgabe zu tun zu haben, deren Bewältigung dem
Leben erst den inneren Gehalt gebe, verliert sich
über der Entschuldigung, man brauche alle Kraft
und Zeit für den „Berns". So kommt der Kunst-
genuß" aus, die falsche Vorstellung, cs sei Sinn
der Kunst, die Lebenskräfte in erfreulicher Weise
zu regenerieren, ohne größere Anforderungen an
das geistige Bemühen zu stellen, eine Passive, die
Kunst unwillkürlich degradierende Haltung, die den
schlimmsten Fehler begeht, indem sie wähnt, am
besten eigne man sich delikatessenartig aus diesem
und jenem Kunstgebiet einige Vorzugsware an
und suche den Reiz des Interessanten, wo das
Schöne nicht zu finden sei. Bei solcher Einstellung
bedarf es keiner näheren Erläuterung, warum
man immer kopfloser wurde vor Malerei und
Plastik unseres Jahrhunderts und allmählich in
die sanften Arme der Musik flüchtete, die sich
allerdings auch heftig sträubte, als Berauschungs-
mittel beliebt zu werden. Die Divergenz zwischen
Künstlern und Publikum ist nichts weiter als das
Ergebnis des Verzichtes der Gebildeten, streng
einen Weg in der Kunst gehen zu wollen, zu
lernen, um beurteilen zu können. Die Musik aber
läßt sich erfahrungsgemäß am ehesten dazu herbei,
ans den seelisch Stärkungsbedürstigen zu wir-
ken, ohne ihn allzu sehr in Anspruch zu nehmen.
Auch verzeiht sie bisweilen mangelndes Studium
und läßt die weitesten Disknssionsmöglichkeiten
offen.
Hier liegt ihre Gefahr und Grenze, die aus
dem Mißbrauch fühlbar geworden ist. Wer nicht von
anderswoher eine feste Form in die Musik hinein-
trägt, nicht gewappnet mit der Beherrschung einer
anderen Kunstdisziplin an sie herantritt, unterliegt
nur zu leicht dem Formlosen, dem Sich-Verlicren,
zu dem die Töne nun einmal reizen. Erfahrungs-
gemäß begeben sich aber die meisten in Konzerte,
um sich nach Art eines höheren Tonfilmes dort zu
entspannen, d. h. eben die Konzentration der Ta-
gesarbeit zu überwinden, und aus den leidigen
Formen, die sie einengten, in das „Meer der
Klänge" zu gleiten. Sehr verwundert würden sie
über die Mitteilung sein, daß ein einigermaßen
produktiver Konzertbesuch intensivstes Mithören
und Mitstudieren des Aufbaus usw. der Komposi-
tion außer dem freilich unerläßlichen Miterleben
verlangt. Wir würden sie, stünden wir vor der
unabänderlichen Tatsache, daß ihre strapazierten
Kräfte wirklich nicht zu einem Mehr der Beschäf-
tigung mit der Kunst reichen, ungeschoren lassen,
mischten nicht gerade sie sich in Fragen der Kunst,
die sie nichts angehen, und trügen nicht gerade sie
die zweifelhaften Maßstäbe ihres musikalischen Er-
lebens in die Gebiete der Formenkunst hinein, um
den Blick für die Gesetze der Kritik zu trüben. Eine
Welle von Urteilen über Bilder und Plastik wie
„schön, gut, kalt, lieblos, ohne Seele usw." geht
von diesen Leuten aus und beeinflußt die allge-
meine Kunstbetrachtung in gefährlicher Weise. Ty-
pisch für diese Richtung, die das Sehen nicht ge-
lernt hat, ist die von ihr entdeckte Verwandtschaft
atonaler Versuche in der Musik mit den umstürz-
lerischen Schöpfungen eines Nolde oder Lehmbruck.
Dies beweist eine völlige Verkennung der verschie-
 
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