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Kunst der Nation — 2.1934

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Rümann, Arthur: Sinn und Wesen der Buchillustration
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Müller, Gottfried: Das Holz als nordischer Baustoff
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Adolf Oberländer: Ausstellung im graphischen Kabinett München
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https://doi.org/10.11588/diglit.66550#0076

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Kunst der Nation

wertvolle Schätze künstlerischen Besitzes. Wenig
Mühe ist bisher zu ihrer Hebung ausgewendet
worden. Die Bibliotheken lassen diese Schätze
schlummern, statt sie lebendig und greifbar zu
machen. Welchen Dank könnten sie ernten, gingen
sie einmal daran, ihre Kataloge in dieser Rich-

tung des Künstlerischen zu erweitern! Den Dank
der Künstler für neu gefundene Anregungsmög-
lichkeiten, den Dank des Volkes für eine Wieder-
belebung unserer im argen liegenden Buchaus-
stattung und damit zugleich des Interesses am
Buch überhaupt.

Das Holz als nordischer Baustoss

Von

Gottfried Mütter

Als Karl der Große die Steinbaukunst als die
einzig offizielle in Europa einführte und sie durch
die Christianisierung verbreitete, entstanden aus
nordischem Schöpfergeist und von in der Holz-
baukunst geschulten Händen die großartigsten
Steindenkmäler in der romanischen und gotischen
Bauweise. In der griechischen Kunst übertrug
nordische Werkart den reichen Faltenwurf der
Gewandplastiken aus der Schnitzkunst in steinerne
Form. Gotische, griechische oder barocke Gewand-
plastiken zeigen, aus welchem Material sie auch
seien, sofern ihr Schöpfer rassisch nordisch bestimmt
ist, den gleichen hölzernen Faltenwurf. Die indi-
schen Plastiken der indoarischen Kultur zeigen
Gliederverrenkungen und denselben Zickzack-
rhythmus, der nur einem holzgedrechselten Vor-
bild entstammen kann. Nordische Kunst-
werke müssen also nicht aus Holz
sein. Sie sind nur rassisch daran
erkennbar, daß ihr Bewegungs-
rhythmus aus einem Empfinden
stammt, das in dem ursprüng-
lichen Baustoff, dem Holz, vorge-


bildet ist. Der Süden empfindet in Stein.
Ausgangspunkt seiner Kunst ist die plastische Dar-
stellung des Menschen. Kennzeichen der Nordkunst
ist die Darstellung des Ganzen der Naiur, der
Pflanze und des Tieres, also der malerischen
Landschaft und nicht des plastischen Menschen.
Die Nordkunst stellt Menschengestalt nur dar,
wenn sich Nordkunst mit Südkunst verschmilzt. In
diesem Fall wird aber der Körper, den der Süden
statisch und starr wiedergibt, in den Rhythmus der
bewegten Linie, die aus die durch das Holz be-
stimmte Werkart zurückgeht und die für jede Nord-
kunst bezeichnend ist, gezwängt. Wir erkennen
diese Linie in dem Zickzack des gotischen und
barocken Faltenwurfes, in dem Weichen Fließen
der nordisch bestimmten griechischen Gewand-
statuen und in den gewundenen Verschlingungen
der indoarischen Plastiken wieder.
Das erstemal hat Joses Strzygowski,
auf dessen weltumfassende Erforschung der Nord-
kunst ich Hinweisen möchte, die sormschöpserische
Bedeutung des Holzes festgestellt. Er hat fol-
gendes ausgesührt: Der Süden Eurasiens hat
Felsenbau, die Mitte Höhlenanlagen und nur der
Norden ist erfinderisch im Freibau. Baustoff der
Nordvölker ist das Holz. Wo sie bei ihrem Vor-
dringen nach Süden gezwungen sind, in Stein zu
bauen, übertragen sie Holzsorm in das andere
Material. So ist der griechische Tempel die Stein-
nachbildung des nordischen Holzhauses mit
Plettendacy und Pfosten. Die indischen Stupeu
sind mit prächtigen Steinzäunen umgeben, deren
Tore in Form des Hakenkreuzes angeordnet sind.
Die Werkart dieser prächtigen Tore, die wie aus
Baumstämmen geschnitten sind, verraten ein Vor-
bild aus Holz. Diese Stupen sind nämlich nichts
anderes als Hünengräber, die wir überall finden,
wohin Nordvölker auf ihren Wanderungen ge-
kommen sind. Das Holz hat schon deswegen eine
bauschöpferische Bestimmung, weil es der einzige
Rohstoff ist, der eine Faserrichtung Hut, die
Spannungen für Deckenbildungen verträgt. Der
Holzbau war die einzig ange-
stammte Bauweise Europas. Erst im
11. Jahrhundert wurde er durch die Christianisie-
rung und weltliche Macht (Burgen) zwangsweise
durch den Steinban ersetzt und ausgerottet. Es
ist daher selbstverständlich, daß die Holz-
sorm zuerst da war und die Stein-
form befruchtete, und nicht umgekehrt, wie
die Humanisten glauben. Es spielt daher keine
Rolle, wenn alte Holzdenkmäler wegen der kürze-
ren Lebensdauer wenig oder nicht erhalten sind.
Ausschlaggebend muß immer sein
der Ursprung einerForm aus einer
bestimmten Werkart.

Im Osten Europas, wo Nadel- und Langholz
im Überfluß vorhanden ist, kann man den Block-
bau Nachweisen. Lange Stämme werden über-
einander gelegt und schließen fest als Mauer.
Plettendach ist die einfachste Bedeckung. Tonnen-
wölbnng mit Langhölzern gibt eine Vorbildung
der romanischen Deckenbildung. Die seltenere Be-
dachung durch Uebereckung sich schneidender und
nach ooen verkleinernder Vierecke ist eine Vor-
stufe zum Kuppelbau. Die slawischen Völker im
Osten Europas haben die Kuppelform beibehalten.
Im Westen Europas, der Kurzhölzer in spär-
lichen Wäldern hat, herrscht der Fachwerkbau, der
weniger Holz beansprucht. Es wird ein Holz-
gerüst ausgestellt aus Schwellen und Ständern.
Die leerbleibenden Räume, die Fächer, können mit
irgendeinem Material, Lehm, Ziegel oder Klein-
holz, gefüllt werden. Die Reihung der Böcke
hintereinander ergibt den Rhythmus von Joch
und Gurte, den wir irr der romanischen Bau-
kunst, die in dieser Gegend vorherrscht, wieder-
finden. Aus dem Sparrendach des Fachwerk-
vaues kann sich das Kreuzgewölbe ergeben, das
wir ebenfalls in der romanischen Baukurrst
wiederfinden.
Die Blüte der europäischen Kunst, die Gotik,
entstand ganz plötzlich, heute noch ein Rätsel den
Humanrsten, irr der Normandie. Wikinger hatten
orechs Land zugewiesen bekommen, nachdem sie
aus ihren Eroverungszügen Köln, Metz, Reims
und Paris geplündert hatten. Vielleicht entstand
in den rauhen Seefahrern der Wunsch, wenn auch
nur mit der SchissSbaukunst vertraut, ähnliche
Bauten in Stein auszusüyren, wie diejenigen, dw
sie zerstört hatten, l-xs ist das große Ver-
dienst S t r z y g o w s k i s, nach gewiesen
zu haben, daß die Steinw unser der
Gotik, die das er st em al im 12. Jahr-
hundert in der Normandie ent-
stehen und von dort über Paris ganz
Europa befruchten, ihre wertge-
mäßen Vorbilder in den norwegi-
schen Stabkirchen haben. Diese Stab-
kirchen, oder wie sie Strzygowski deutlicher nennt,
Mastenkirchen, sind Holzbauten, die noch heute iu
Norwegen in Valdres, in Borgund von 1150, in
Lomen von 1325 und in der in das Freiluft-
museum von Oslo übertragenen Kirche aus Gol
aus dem 12. Jahrhundert als glänzendste Bei-
spiele erhalten sind. Dir Kirche von Heddal von
1315 ist die größte der dreischiffigen Zwölfmast-
kirchen. Es gibt noch dreißig solche Stavekirker
in Norwegen. Nach der Reformation wurden
keine mehr gebaut. Diese Holzbauten werden von
Masten getragen und gehalten. Sie befreien a
einzige Bauform die Wand von ihrer tragenden
Ausgabe.
Daher ist es in der Steinnachbildung der
gotischen Kathedrale möglich, die Wand, die nur
eine räumliche, keine tektonische Funktion hat,
durch Glasfenster wundermäßig zu ersetzen. Denn
der Seitendruck wird von Widerlagern und
Strebepfeilern an der Außenwand ausgenommen.
Maste, so hoch wie der Wald sie gibt, tragen diesen
Holzkirchen als Ständer das Gewölbe. Sie sind
durch Triforien zusammengehalten, damit sie sich
nicht biegen. In jeder gotischen Kirche finden
wir diese Triforien wieder, obwohl sie im Stein-
bau überflüssig sind. Das großartigste werkmäßige
Vorbild einer gotischen Kathedrale ist die Zwölf-
mastkirche in Borgund. Das Jn-die-Höhe-Streben


Verstrebungen
der gotischen Pfeiler, die die Höhe des nordischen
Waldes haben, konnte niemals aus der wage-
rechten Wirkung des Steines kommen. Die über-
natürliche Wirkung der Gotik ist ja die Über-
windung der Steinmaterie. Daß ein Dach in
einer Höhe verschwindet, die der Stein aus sich
niemals erreicht, daß eine Wand überflüssig wird
und statt ihrer Begrenzung die Welt in irratio-
nalem Farbschimmer hereinleuchtet, weil einige
wenige Stämme das Gebäude tragen. Wie oft
hat man von Pfeilerwald gesprochen, ohne zu
ahnen, daß diese Pfeiler, an die sich Blätter ran-
ken und Tierköpfe winden, vielleicht ursprünglich
Baumstämme sind.
Strzygowski sagt in seinem Werk „Der Norden
in der bildenden Kunst Europas": „Wir werden
uns schon daran gewöhnen müssen, den Masten-
bau Norwegens als ein Großtat zu betrachten,


Mastenkirchc um 1150. Borgund, Norwegen

die nur möglich war iu der Schlußblüte heid-
nischer Skaldenzeit, wenn auch die Humanisten
über eine solche Annahme als ausgesprochenen
Chauvinismus die Achsel zucken. Zu solchen
ebenso kühnen wie genialen Schöpfungen gehört
eine abgeschlossene Lage, selbstherrlicher Boden und
reines Blut." Diese rassischen Grundlagen sieht
Strzygowski nicht iu England gegeben, von dessen
Steinbaukunst die Humanisten die norwegische
Holzbaukunst ableiten wollen. Im Gegenteil sind
Englands Steinkirchen, die ebenso wie unsere
gotischen Kirchen Drachenkopfschmuck der Giebel
wie Schiffsschnäbel zeigen, von den norwegischen
Holzmastbauten bestimmt. In erster Linie waren
die Wikinger Schiffsbauer. Daher bauten sie ihre
Kirchen wie Schiffe und schmückten die Giebel wie
Schiffsschnäbel. Die in der gotischen Kirche in
Caen St. Etienne 1170 erstmalig austretende Wöl-
bungsform des Kreuzrippengewölbes scheint mit
dem geschwungenen Bau der hochaufragendeu Kiel-
boote, die von Spanten zusammengehalten und


Die ersten Kreuzrippengewölbe. Caen, Normandie.
Von erhöhten Rippen durchzogen sind, zusammen-
zuhängen. Die Stabkirchen Norwegens, die mit
Spanten verzahnt sind, hängen werkgemäß mit
der Schiffsbauweise zusammen. So sehen wir,
daß gleich dem Pfeilerwald auch die Bezeichnung
Schiff für Mittel- und Seitenschiff der Kirche
eine ursprüngliche Bedeutung haben kann.
Wir können das Gleichnis ziehen, daß die gotische
Kirche ein über uns gestülptes Wikingerschiff ist,
dessen ragender Kiel den Himmel schneidet. An
Riesenmasten aus nordischen Wäldern weiten sich
die Segel unserer Sehnsucht im Brausen der

Adolf Oberländer
Ausstellung im Graphischen
Kabinett München
Im Haus, in dem der Münchener Humorist
Adolf Oberländer wirkte, hanst heute das rührige
Graphische Kabinett, das die Maneu seines Mit-
bewohners durch eiue Ausstellung ausgewählter
Arbeiten ehrt. Neben dein Illustrator der
„Fliegenden Blätter" kommt auch ein unbekann-
ter Oberländer zu Wort mit seinen Zeichnungen,
die nicht für breite Wirksamkeit berechnet waren.
Dann sind Originale ans dem lustigen Schreib-
heft des kleinen Moritz zu sehen, der pädagogisch
verbesserte Struwwelpeter, in dem die zimperliche
Pädagogik Parodiert wird, Schattenrisse und
kolorierte Blätter. Oberländer hat die Menschen
und die Sitten seiner Zeit belauscht. Er hat den
Kopf über das aufgeplusterte Kostüm geschüttelt,
uilter dem ein magerer, bleicher Körper und ein
mageres, bleiches Gemüt steckte. Harmlos, als sei
er ohne böse Absicht, beleuchtet er die Schwächen,
die sich gern verbergen möchten. Und ehe die
Dinge sich versehen, sind sie seiner Ironie ver-
fallen. Mensch und Tier vertauschen ihre Rollen.
Unnatur und Natur werden gegeneinander aus-
gespielt. Aber dies Spiel bleibt in der Spitzweg-
stube. Die Maske schalkhafter Harmlosigkeit war
am besten vorzubinden, wenn der unfertige Stil
kindlicher Zeichnungen imitiert wurde. Die Lust
am Strichgewirr, die ausgelassene Unordnung
wird in den köstlichen Moritzblättern von einer
künstlerisch waltenden Hand angewandt. Mit sicher
sitzendem, knappem Strich wird eine Physiognomie
und ein Schicksal festgenagelt und karikiert, auch
wenn es scheint, als seien die Dinge mit kind-
licher Planlosigkeit dargestellt. Die Achtsamkeit
des anckant terribw steckt in den Moritz-Zeich-
uungen, und wenn die lockere Freiheit der Ver-
teilung und des dichten und gelichteten Wuchses
der Strichpartieu seinerzeit uur als geglückter Witz
erschienen sein mag, so bewundern wir heute die
Psychologie, die sich in kindliche Weltbetrachtung
versenkt und sehen in der Art der Moritz-Zeich-
nuugen eine Kunst der Ironie, die des Vorwands
der Kindlichkeit nicht bedürfte, um zu wirken. Die
scharfe Zeitsatire war für Oberländers Tempe-
rament zu stürmisch. Seine Bilderserien sind
harmlose und dabei doch abgefeimte Situations-
lustspielchen. Sein Humor kommt nicht aus den
Tiefen der Dämonie, sondern ans dem München
der Jahrhundertwende. Und ans dieser Herkunft
hat er die schöne Erbschaft, daß er nicht morali-
siert. Er sticht den aufgeblähten Ballon der
Wichtigtuerei an, daß er jämmerlich zusammen-
sinkt. Und dann geht er beruhigten Herzens da-
von, bei den Menschen den Schatz des Behagens
hinterlassend. L.

Orgeltöne, die wie das
Rauschen des Meeres den
Raum durchwogen. Die
gläsernen Wände sind
das Gehäuse des Herzens,
durch das die weite Welt
farbig schimmert, in
dessen Unendlichkeit wir
in diesem Himmelsschiffe
steuern. Daß das Schiff
bei den Nordvölkern eine
solche kultische, über-
irdische und vergeistigte
Bedeutung hatte, bewei-
sen die Funde der Toten-
schiffe, die in das Moor
versenkt wurden. In
ihnen wurden Könige zur
letzten Totenfahrt ausge-
rüstet und mindestens so
prunkvoll mit Goldgerä-
ten geschmückt wie Tut-
anch-Amon. Das Ose-
bergschiff im Museum in
Oslo ist ein unerreichtes
Zeugnis altgermanischer
Holzschnitz- und Schiffs-
baukunst des 9. Jahrhun-
derts, ebenso wie der Ny-
damer Schatzfund, der in
einem Prächtigen Schiff
aus dem Moor ausge-
graben wurde und das
Museum in Kiel ziert,
für unsere Gegenden ein
gleiches Zeugnis gibt.


Carl Wagner, Mondausgang. 1821. Neuerwerbung des Wallraf-Richarh-Muscums, Köln
 
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