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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 101 - No. 110 (30. April - 11. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0419

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Die »^vürgerzeitirng"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
^ltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Revräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Berkündigungsblatt und Anzeiger
für Stadt und Land.

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Heidelberg, Sonntag, 30. April

1«S3.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Weste Lungen
auf die „Bürger-Zeitung" für die Monate
Mai und Juni
werden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von
NE" 97 Pfennig -MU
frei in s Haus, sowie von unfern Trägem und
Trägerinnen hier und der nächsten Umgebung zum
Preise von
nur 40 Pfg. monatlich
entgegengenommen.
Neu hinzutretende Abonnenten erkalten die „Bürger-
Zeitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Die Wahlen und das Wahlrecht.
Die Militärvorlage ist's, die bei politischen Ver-
sammlungen jetzt in erster Reihe zur Sprache kommt und sie
nimmtüberhauptvorzugsweisedasGemüth der Politiker in An-
spruch. So mag cs auch gekommen sein, daß die Blätter
Ker verschiedenen Parteien — von der tendenziösen Bericht-
krstattung des Gegners ganz abgesehen — aus der Muser'-
schen Rede in Neckargemünd ein Kapitel nur ganz kurz
gestreift haben, was aber eine hervorragende Beachtung
verdient, nämlich das Capitel über die Gcmeindewahlen
bei seiner Kritik der neuen Gemeindeordnung. Auch 1887
bei der Septcnatswahl wurde immer und immer nur von
Kem an sich so unbedeutenden Zwiespalt wegen einer drei»
aber siebenjährigen Bewilligung der Präsenzstärke des
Heeres gesprochen; andere Fragen traten in den Hinter-
grund und wer sich in den damaligen Wahlkämpfen
Mancher wichtigen Fragen erinnerte und seine Warnerstimme
vftnehmcn ließ, wurde von den Septenatsfreunden ver-
söhnt; von Gegnern des Septenats aber auch zuweilen
vicht so ernst genommen als er es verdient hätte. Und
vne kam es dann, nachdem ein bewilligungscifriger,
Agrarischer Jasage-Reichstag gewählt war? Man be-
schränkte das Wahlrecht, man vertheuertc die Lebensmittel
Und man lud dem Volke Lasten auf, die auch die Pessimisten
vhn damals kaum geahnt hatten. Ist aber Eines ge-
fährdet, wenn ein neuer Reichstag gewählt würde, wie
Ker von 1889/90 gewesen, so ist eS das Wahlrecht.
T)as die allzeit gegen das allgemeine directe Wahlrecht
Angenommenen Eonservativen sich die Gelegenheit nicht

entgebcn ließen, es zu beschränken, bezweifelt natürlich kein
Mensch; aber auch die Hauptorgane der Nationalliberalen
haben ihren bezüglichen Wünschen und Gelüsten schon
wiederholt Ausdruck verliehen. Socialdemokraten und
Antisemiten werden als Popanz hingestellt, die Revolution
nach Bebel'schcn oder Ahlwardt'schen Mustern wird
an die Wand gemalt und es tritt Mancher für eine Be-
schränkung des Wahlrechtes ein, der sich glaubt liberal
nennen zu dürfen. Nur die linksstehenden Parteien,
Freisinnige, Volkspartei und Socialdemostaten sieben fest
zum allgemeinen directen Wahlrecht auS Ueberzeugung
und getreu ihren Grundsätzen und das Centrum steht
ihnen dabei zur Seite, weil nur bei allgemeinen directen
Wahlen wie bisher seine Stärke weiter gesichert bleibt.
Die Gefährdung des Wahlrechtes ist jedenfalls aber da
vor Allem ins Auge zu fassen, wo es gilt gegen kon-
servative und zweifelhafte, allezeit sich wankelmüthig er-
weisende Nationalliberale den Kampf zu führen. Es ist
die Wahlrechtsfrage daher nicht nur bei den badischen
Landtagswahlen, wo sie einen Hauptpunkt im Kampfe
bilden und nicht nur bei einem zweiten wichtigen Programm-
punkt bei den Landtagswahleu, bei der Frage der Reform
der neuen Gemeindeordnung, zu betonen; sondern ganz
besonders auch bei den Reichstagswahlen. Der Abgeordnete
Muser hat in Neckargemünd ihrer ganz besonders bei der
Behandlung der Gemcindeordnungsfrage gedacht und er
hat da ganz treffend ausgeführt, wie namentlich das
Klassenwahlsystem, das wir bei den Gemeindewahlen haben,
aber manche Staaten und allen voran der führende Staat
Preußen auch bei den Landtagswahlen hat und eben neu
zu befestigen sucht, wirkt. Eine.Klassiiizirung der Wähler
nach Bildung wie nach Besitz ist in Staaten, in denen
man in allen wichtigen Forderungen keinen Unterschied
zwischen Armen und Reichen, zwischen Gebildeten und
Ungebildeten macht, höchstens indem die Reichen oder
die Gebildeten etwa bevorzugt werden wie beim einjährigen
Militärdienst, ein grenzenloses Unrecht und es ist unbe-
greiflich, wie man das in gebildeten Kreisen noch zu be-
streiten suchen kann. An politischer Bildung steht mancher
gelehrte Mann weit zurück hinter einem einfachen Arbeiter
und das Wissen und die Intelligenz im Allgemeinen kann
also niemals als Grundlage für das Maß politischer
Rechte angesehen werden. Man hat auch bei uns in
Deutschland bas cingesehen und die Verschiedenheit des
Wahlrechtes stützt sich wie bei unseren Gemeindewahlen
auf den Besitz, auf die Höhe des Einkommens. So
kommt cs, daß auch gerade die Intelligenz in ihrer Mehr-
heit — soweit sie nicht auch zugleich hohes Einkommen

oder großen Besitz hat — zu den Wählern der dritten
Klasse in den Gemeinden, namentlich den Stätten, gekört.
Man macht wohl geltend, daß wer viel zu den Gemeinde-
lasten beiträgt, müsse auch mehr Stimmrecht haben.
Tragen aber wirklich die Wähler der ersten und zweiten
Klasse mehr zu den Lasten bei als die der dritten? Ist
nicht vielmehr demjenigen, der Mk. 10, 15 oder 20 Um-
lage zahlt oder auch noch vielmehr dem, der nur Mk. 3
oder Mk. 5 zablt, damit ein weit größeres Opfer auf-
erlegt, als demjenigen der Tausende zahlt? Jeder zahlt,
was er vermag und dem Armen wird es weit schwerer
als dem Vermögenden, das aufzubringen, was Gemeinde
und Staat von ihm verlangen. Abg. Muser hat in
seiner Rede in Neckargemünd auch gesagt — und bemerkt,
daß er das Gesagte statistisch aus amtlichen Quellen be-
weisen könne —, daß in den Gemeinden, selbst vom
Octroi in den Großstädten des Landes abgesehen, die
Umlagen keineswegs an erster Stelle zur Bestreitung des
Gemeindehaushaltes dienen, sondern das Gemeindever-
mögen und dieses ist Gemeingut, das allen Bürgern in
gleicher Höhe zusteht. Im Reiche aber, wo wir den
Haushalt mit indirccten Steuern und Zöllen bestreiten,
würde jede Beschränkung des Wahlrechtes zu Gunsten der
Besitzer — man wird die Besitzenden etwa in einen
Mantel der Intelligenz zu hüllen suchen — das schreiendste
Unrecht sein, das sicher nicht ungestraft bliebe. Ein
Reichstag mit freiheitsliebender Mekrheit wird nach keiner
Richtung an dem allgemeinen directen Wahlrecht rütteln
lassen und für einen solchen zu sorgen, ist die oberste
Pflicht der breiten Massen, wenn sie ihr bestes und theil-
weise fast einziges politisches Recht nicht verlieren wollen.
Wie schwer es ist, allgemeines gleiches und directes
Wahlrecht zu erkämpfen, das haben wir in Staat und
Gemeinde vor Augen; deshalb aber gilt es festzuhalten
an dem Wahlrecht des Reiches.

Deutsches Reich.
Berlin, 28. April. Dem „Berl. Tageblatt" zufolge
hat der Papst der Kaiserin eine kostbare ctrurische
Vase zum Geschenke gemacht.
Berlin, 28- April. Die zweite Lesung derMilitä r-
Vorlage findet erst am Mittwoch oder Donnerstag statt.
Berlin, 28. April. Die Kommission des Reichstags
zur Untersuchung derAhlwardt'sch en Papiere über-
zeugte sich heute zunächst, daß der angebliche Brief Calinderos
aus zerissenen Stücken besteht, von denen nicht erkennbar ist,
ob sie zusammengehören. Das Datum fehlt. Ahlwardt
gibt selbst zu, datz die Unterschrift und dcr ganze Bri

17)

An einem Knnr.
Criminalgeschichte von Jenny Hirsch.
(Forschung.)
„Und sie ist schuldig!" lautete das Urtheil dei den
Zuhörern und bei den Geschworenen, noch ehe der Staats-
gewalt und der Vertheidiger aufgetreten waren.
Der Staatsanwalt hob mit großem Geschick alle
^lastenden Momente hervor. Johanna Bertelsmann
seit ihrem Eintritt in das Haus des Barons von
Böhlendorf ein störendes Element gewesen, sie war un-
zugänglich, verschlossen, störrisch und heftig, sie fühlte
vch unbehaglich im Hause ihres Wohlthäters und sehnte
uh daraus fort. Der Baron widersetzte sich diesen!
Erhaben, trotzdem das Zusammenleben mit der Nichte
'Urner unerquicklicher ward, aber er wandte seine Liebe
anderen Nichte zu, die ihm jeden Wunsch von den
Atze« ablas, ihm seine Tage erheiterte und verschönte,
erweckte den Haß und Neid der Angeklagten, nach
, .Ur Zeugniß der Diener kam es oft zu heftigen Auf-
Otten zwischen ihr und dem Baron, und auch Fräulein
,°u Mörner hatte von dem Uebelwollen der Cousine zu
^den, obgleich sie stets bemüht war, zu vermitteln und
^zugleichen.
»Der Baron macht sein Testament," fuhr die An-
'ggc fort, „er setzt die geliebte Nichte zur Universalerbin
'U, cr enterbt einen Neffen, der ibm Kummer gemacht
Europa vor Monaten verlassen hat, er gibt aber dcr
Angeklagten, trotzdem er keinen Grund hat, mit ihr zu-
ftden zu sein, einen ansehnlichen Antheil an seiner
Hinterlassenschaft. Das Testament ist noch nicht vollzogen,

noch erwägt der gewissenbafte Herr, ob er mit seinen
Bestimmungen auch der Gerechtigkeit und Billigkeit ge-
nüge, da veranlaßt ihn ein heftiger Auftritt mit seiner
Nichte zu der unbedachten Aeußerung: „Ich müßte bald
sterben, wenn Du dieses Haus noch vor Neujahr verlassen
solltest, ich habe aber noch keine Lust dazu, auf alle
Fälle will ich morgen mein Testament bei dem Gerichte
hinterlegen, wenn es eröffnet wird, so denke an diesn
Stunde!" Und darauf antwortet sie: „Ich werde ihrer
nicht vergessen; sie soll mir ein Sporn sein, mich frei
zu machen um jeden Preis!"
„Der Baron, Fräulein von Mörner und Assessor v.
Werdenfeld, welche diese Aeußerung mit anhörten, ließen
sich nicht träumen, welcher Preis der Angeklagten nicht
zu hoch war. In ihrem finsteren, baßerfüllten Gemüthe
brütete sie Mord, und die Ausführung des finsteren
Planes schien so leicht.
„Der Baron schlief stets bei unverschlossenen Thüren,
der Arzt hatte ihn in ihrer Gegenwart vor der Gefahr
des Erstickens gewarnt; wenn sie hinunter schleicht, ihm
im Schlafe das Kissen auf Mund und Nase drückt, sich
nachdem sie sich von dem Gelingen ihrer That überzeugt,
leise wieder in ihr Zimmer begibt, so glaubt mau am
nächsten Morgen, er selbst habe sich im Schlafe erstickt,
so ist das für sie ungünstig lautende Testament unvoll-
zogen, so ist sie Herrin ihres Tbuns.
„In der Stille der Nacht führt sie die That aus,
aber das Opfer faßt im Todeskampfe nach dem Haar
der Mörderin und behält einige davon als Zeugen gegen
sie in seinem Ringe zurück. Sie verliert einen Ring,
den sic stets am Finger trägt, er wird gefunden und zum

Verräther an ihr, ja ste vcrräth sich selbst, denn sie reißt
in ihrer Haft den vor dem Bette des Ermordeten stehen-
den Tisch um und ruft durch den dadurch entstehenden
Lärm das im Nebenzimmer schlafende Fräulein v. Mörner
und die Diener herbei.
„Die Angeklagte behauptet, ebenfalls durch das Ge-
polter erweckt und herbeigerufen worden zu sein, aber sie
war völlig angekleidet, eher zur Stelle als das in nächster
Nähe schlafende Fräulein von Mörner, die nach dem
Zeugniß der Diener im Nachtgewand herbeigeeilt war.
Sie erkennt das Haar am Finger des Ermordeten für
das ihrige, aber er soll es am Abend nach dem stattge-
habten Auftritt spielend um den Finger gewickelt, Fräul.
von Mörner soll es ihr ausgezogen und dem Baron ge-
reicht babcN, um ihm zu beweisen, 'daß störrisch sei
wie ihr Sinn. Weder Fräulein von Mörner noch der
Assessor von Werdenfeld wissen etwas von diesem Vor-
gang. Auch den im Sterbezimmer gefundenen Ring
erkennt die Angeklagte als den ihrigen, aber sie hat ihn
schon früher verloren und danach gesucht, während die
sämmtichen Hausgenossen bezeugen, davon nichts gemerkt
zu haben. Wer ein Kleinod verliert, auf das er große
Stücke hält, wird doch sicher Nachfrage halten, Fenster,
Thüren und Schlösser in der Villa sind unversehrt ge-
funden, kein Fremder konnte sich einschleichen, kein Raub
ist begangen, der Mörder konnte nur im Hause selbst
vorhanden sein, und er war es; Johanna Bertelsmann
ist die Mörderin des Barons von Böhlendorf.
Die Beweisführung war so vernichtend für die Ange-
klagte, und der Vertheidigung standen dagegen so wenig
wirklich stichhaltige Momente zu Gebote, daß sie trotz
 
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